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Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 08.07.2019 - 2 BvQ 55/19 - Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs 1 BVerfGG

BVerfG v. 08.07.2019: Erfolglosigkeit des Eilantrags, wenn eine Verfassungsbeschwerde nicht mehr zulässig erhoben werden kann - hier: Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs 1 BVerfGG


Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 08.07.2019 - 2 BvQ 55/19) hat entschieden:

   Ein Antrag, mit dem eine vorläufige Suspendierung des vom Amtsgericht und vom Landgericht verfügten Entzugs der Fahrerlaubnis begehrt wird, bleibt ohne Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse offensichtlich nicht mehr zulässig erhoben werden kann, weil die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde bereits verstrichen ist.


Siehe auch
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
und
Stichwörter zum Thema Rechtsmittel in den verschiedenen Verfahrensarten


Gründe:


I.

Mit Beschluss vom 14. März 2019 entzog das Amtsgericht Tiergarten dem Antragsteller gemäß § 111a Abs. 1 StPO vorläufig die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers verwarf das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 2. Mai 2019. Ob eine Entscheidung des Landgerichts über die am 20. Juni 2019 erhobene Anhörungsrüge ergangen ist, wird vom Antragsteller nicht vorgetragen.

Mit Antrag vom 22. Juni 2019 begehrt der Antragsteller, die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG aufzuheben, hilfsweise ihren Vollzug bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens vorläufig auszusetzen oder in anderer Weise kurzfristige Abhilfe zu schaffen. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Entscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei erforderlich, weil er zur Ausführung seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei und ihm deshalb ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden könne.





II.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 <255>; 118, 111 <122>; 132, 195 <232 Rn. 86 f.>; stRspr).

2. Danach war die beantragte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.

a) Der Hauptantrag, mit dem die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis begehrt wird, ist schon deshalb unzulässig, weil er auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Durch eine einstweilige Anordnung darf die Hauptsache jedoch grundsätzlich nicht vorweggenommen werden; sie dient der vorläufigen Regelung eines Zustands (vgl. BVerfGE 12, 276 <279>; 15, 77 <78>; 46, 160 <163 f.>; 67, 149 <151>; stRspr).

b) Auch die Hilfsanträge, mit denen eine vorläufige Suspendierung der Maßnahme begehrt wird, bleiben ohne Erfolg, weil eine Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. März 2019 und des Landgerichts Berlin vom 2. Mai 2019 offensichtlich nicht mehr zulässig erhoben werden kann. Die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde ist bereits verstrichen.




aa) Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Zugang der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Berlin vom 2. Mai 2019. Auf den Zugang der noch ausstehenden Entscheidung über die Anhörungsrüge des Antragstellers vom 20. Juni 2019 kommt es hingegen nicht an, weil die Anhörungsrüge offensichtlich aussichtslos ist. Eine offensichtlich aussichtslose Anhörungsrüge gehört nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG und ist nicht geeignet, die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 1998 - 2 BvR 1278/98 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2005 - 2 BvR 1904/05 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. April 2006 - 2 BvR 459/06 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 - 1 BvR 730/07 -, juris, Rn. 10 ff.).
Mit der Anhörungsrüge rügt der Antragsteller in der Sache keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Beschwerdeentscheidung. Soweit er bemängelt, dass das Landgericht auf der Grundlage eines nicht ausermittelten Sachverhalts entschieden habe, ohne seinen Beweisangeboten nachzugehen, kritisiert er lediglich die vom Landgericht vertretene Rechtsauffassung, dass grundsätzlich nur das im Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bereits angefallene Tatsachenmaterial verwendet werden dürfe, weshalb es unschädlich sei, dass bisher keine weiteren Zeugen vernommen worden seien. Wenn der Antragsteller weiter meint, dass sich die Argumentation des Landgerichts zum Vorliegen eines dringenden Tatverdachts in bloßen Hypothesen und Mutmaßungen ergehe und in sich widersprüchlich sei, liegt auch darin erkennbar nicht die Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, sondern handelt es sich lediglich um Kritik an der vom Landgericht vorgenommenen Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Indem der Antragsteller schließlich rügt, dass keine Verhältnismäßigkeitsabwägung im Hinblick auf den konkreten Verfahrensgang stattgefunden habe und die Maßnahme angesichts ihrer gravierenden Folgen für seine berufliche Tätigkeit und des noch nicht ausermittelten Sachverhalts unverhältnismäßig sei, setzt er wiederum nur seine eigene Bewertung an die Stelle derjenigen des Landgerichts, das sich ausführlich zur Frage der Verhältnismäßigkeit verhalten hat.


bb) Zum Zugang der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Berlin vom 2. Mai 2019 hat der Antragsteller entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht vorgetragen. Auf der Grundlage der Antragsschrift und der mit ihr vorgelegten Anlagen kann auch nicht unterstellt werden, dass der Zugang erst im Juni 2019 erfolgte und die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG daher bislang nicht abgelaufen ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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