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Oberlandesgericht Jena Urteil vom 15.06.2017 - 1 U 540/16 - Alkoholisierter Fußgänger nachts auf der Fahrbahn

OLG Jena v. 15.06.2017: Alkoholisierter Fußgänger in dunkler Kleidung geht nachts auf der Fahrbahn


Das Oberlandesgericht Jena (Urteil vom 15.06.2017 - 1 U 540/16) hat entschieden:

   Das Laufen eines alkoholisierten Fußgängers auf einer unbeleuchteten Straße zur Nachtzeit in dunkler Kleidung stellt einen so groben Verkehrsverstoß dar, dass eine Mithaftung des Halters bzw. Führers des beteiligten Kfz entfällt, wenn die Betriebsgefahr des Fahrzeugs nicht erhöht war.


Siehe auch
Unfälle mit alkoholisierten Fußgängern
und
Stichwörter zum Thema Fußgänger und Fußgängerunfälle


Gründe:


Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft, weil die nach § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwer der Parteien den Betrag von 20.000,00 EUR nicht übersteigt.

Mit Urteil vom 21.06.2016 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach Anhörung der Beklagten zu 1), 3) und 4) stehe fest, dass H... S... unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit dem Pkw Mazda plötzlich auf die Fahrbahn gelaufen sei und die Beklagte zu 1) trotz sofortiger Einleitung einer Vollbremsung einen Zusammenstoß nicht habe verhindern können. Es stehe weiter fest, dass der Beklagte zu 3) bei Wahrnehmung des auf der Straße liegenden H... S... sofort ein Ausweichmanöver mit Bremsung eingeleitet habe, ein Zusammenstoß für ihn jedoch nicht vermeidbar gewesen sei.

Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Unfall durch eine Obliegenheitsverletzung/einen Pflichtverstoß des H... S... (mit) verursacht worden sei. Die Bekundungen der Beklagten zu 1), 3) und 4) rechtfertigten nicht die Annahme des Landgerichts, der Vortrag der Beklagten zum Unfallhergang sei zutreffend. Eine unfallursächliche Pflichtverletzung ergebe sich nicht allein aus dem Umstand, dass H... S... bei dem Unfall alkoholisiert gewesen sei. Zwar könne ein Mitverschulden bei einer alkoholbedingten Einschränkung der Reaktionsfähigkeit angenommen werden, eine solche sei jedoch nicht nachgewiesen. Ein Anscheinsbeweis greife insoweit nicht ein. Für Fußgänger seien die für Fahrzeugführer entwickelten Grundsätze nicht entsprechend anwendbar. Die für ein Mitverschulden gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten hätten den Nachweis für ein unfallursächliches Mitverschulden des H... S... nicht erbracht. Das Landgericht sei rechtlich unzutreffend davon ausgegangen, dass die Unvermeidbarkeit auf Seiten der Beklagten zu 1) und 3) relevant sei. § 17 Abs. 3 StVG sei nicht anwendbar. Ein Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG liege nicht vor. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass den Beklagten zu 1) und 3) ein die Betriebsgefahr der von ihnen gesteuerten Fahrzeuge erhöhender unfallursächliche Verstoß gegen ihre Pflichten aus § 3 Abs. 1 Satz 3 StVO zur Last falle. Unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge, seien die Beklagten zu 1) und 2) bzw. zu 3) bis 5) als Gesamtschuldner jeweils verpflichtet, 2/3 des entstandenen Schadens zu ersetzen. Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteil des Landgericht wie folgt zu erkennen:

  I.  Die Beklagten zu 1) bis 5) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 68,34 EUR, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.833,24 EUR, für die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner vom 01.03.2014 bis zum 04.08.2014, für die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner aus 6.833,24 EUR vom 05.08.2014 bis zum 11.08.2014 sowie für die Beklagten 1) bis 5) als Gesamtschuldner aus 68,34 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen, ferner werden die Beklagten zu 1) bis 2) als Gesamtschuldner sowie die Beklagten zu 3) bis 5) als Gesamtschuldner separat verurteilt, jeweils weitere 3.416,62 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. jeweils 5 Prozentpunkten hieraus über dem Basiszinssatz, für die Beklagten 1) und 2) seit dem 01.03.2014, für die Beklagten zu 3) bis 5) seit dem 05.08.2014 zu zahlen.

  II.  Es wird festgestellt, dass die Beklagten gegenüber der Klägerin als Gesamtschuldner verpflichtet sind, über eine von der Beklagten zu 5 bereits anerkannte Haftung i.H.v. 33 % hinaus sämtliche zukünftigen Schadensersatzansprüche, die infolge des Verkehrsunfalles vom 04.10.2011, in etwa 100 Meter vor dem Ortsteil L... auf der Landstraße L ... zunächst in der Person des Geschädigten H... S... entstanden sind und auf die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin nach Leistung in Form von Heilbehandlungskosten gemäß § 116 SBG X übergehen oder bereits übergegangen sind i.H.v. einer Haftungsquote von insgesamt 2/3 zu tragen, wobei die Beklagten zu 1) bis 5) hiervon als Gesamtschuldner einen Anteil i.H.v. 1/3 des Gesamtschadens zu tragen haben sowie die Beklagten zu 1) bis 2) als Gesamtschuldner und durch die Beklagten zu 3) und 5) hiervon als Gesamtschuldner jeweils weitere 1/6 des Gesamtschadens als Separatschuldner zu tragen haben.

Die Beklagten beantragen

   Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der noch nicht abschließend mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Anspruchsgegner seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Klageerhebung einer drohenden Verjährung entgegengewirkt werden soll. Bei einer nach Behauptung des Klägers bereits eingetretenen Rechtsgutverletzung setzt das Feststellungsinteresse zudem die Möglichkeit eines Schadenseintritts voraus. Diese ist zu verneinen, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens zu rechnen (BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 281/99 –, Rn. 5, juris). Vorliegend besteht aus Sicht der Klägerin wegen der erheblichen Verletzungen des H... S... die Möglichkeit des Eintritts weiterer Schäden.

2. Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die zulässige Klage nicht begründet ist.

a) Der Klägerin steht, wie vom Landgericht angenommen, kein Anspruch auf Erstattung aufgewendeter Behandlungskosten gegen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 3) bis 5) auf Zahlung von 68,34 EUR und als Gesamtschuldner auf Zahlung von 3.416,62 EUR aus §§ 7, 11, 18 StVG, 823, 249 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 116 Abs. 1 SGB X zu.

Der bei der Klägerin krankenversicherte H... S... konnte Schadenersatz von den Beklagten nicht beanspruchen. Zwar kommt eine Haftung der Beklagten zu 1) und 2) gegenüber H... S... aus §§ 7, 11, 18 StVG, 823, 249 BGB, 115 Abs. 1 VVG grundsätzlich in Betracht. H... S... wurde beim Betrieb eines bei der Beklagten zu 2) versicherten, vom Beklagten zu 1) gehaltenen und geführten Kraftfahrzeugs verletzt. Die Haftung ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, weil auch nach dem Vortrag der Beklagten zu 1) und 2) ein Fall höherer Gewalt nicht vorliegt. Höhere Gewalt setzt ein von außen einwirkendes Ereignis voraus. Ein von außen auf den Betrieb einwirkendes Ereignis liegt vor, wenn es mit dem Fahrzeugbetrieb oder seinen Einrichtungen nicht in einem ursächlichen Zusammenhang steht (Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, § 7 Rn. 19). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Vorliegen eines für den Fahrer des Kraftfahrzeugs unabwendbaren Ereignisses ist seit 2002 kein Haftungsausschlussgrund mehr. Die Beklagten zu 1) und 2) sind jedoch vorliegend wegen eines erheblichen Mitverschuldens des H... S... am Eintritt der Unfallverletzungen gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB von der Haftung frei. Ist bei einem Verkehrsunfall mit einem Kfz der Halter oder Fahrer nach §§ 7, 18 StVG haftpflichtig und hat ein Verschulden des Geschädigten, der nicht selbst als Halter oder Fahrer eines Kfz beteiligt ist, bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt, muss sich der Geschädigte sein Mitverschulden nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB zurechnen lassen. Die Verpflichtung zum Ersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes hängen dann von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Schadensabwägung nach § 254 BGB können nur unstreitig oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden, die für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sind (Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, § 254 Rn. 208). Die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, nach denen ein Verschulden des Geschädigten an der Schadensentstehung mitgewirkt hat, trifft den Halter bzw. Fahrer (Jahnke, a.a.O. § 254 Rn. 180). Die allgemeine Betriebsgefahr wird durch eine für den Schadenseintritt ursächliche schuldhafte Pflichtverletzung des Fahrers des Fahrzeugs erhöht. Die Darlegungs- und Beweislast insoweit trägt der Geschädigte (BGH, Urteil vom 26. April 2005 – VI ZR 228/03 –, Rn. 20 ff., juris).

aa) H... S... hat in jeweils unfallursächlicher Weise eine aus § 25 Abs. 1 StVG resultierende Obliegenheit hinsichtlich der Benutzung einer Straße als Fußgänger und eine Obliegenheit zur Unterlassung der Teilnahme am Verkehr im Zustand alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit verletzt.

(1) H... S.... hat in unfallursächlicher Weise gegen die ihn aus § 25 Abs. 1 StVO treffende Obliegenheit verstoßen.

(a) H... S... hat gegen die verkehrsrechtlichen Vorgaben aus § 25 Abs. 1 StVO verstoßen. Nachdem die Straße in dem Bereich, in dem sich der Unfall ereignete, weder über einen Gehweg noch einem Seitenstreifen verfügte, traf H... S... gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVO die Obliegenheit, am linken Fahrbahnrand zu gehen. Zudem ist ein Fußgänger schon im eigenen Interesse verpflichtet, bei Annäherung eines Fahrzeugs zur Vermeidung einer erkennbaren Gefährdung neben die Fahrbahn auszuweichen, wenn ihm dies ohne Schwierigkeiten möglich ist. Eine erkennbare Gefährdung besteht dann, wenn sich der Fußgänger bei Dunkelheit auf der Straße bewegt, weil Kraftfahrer bei Dunkelheit unbeleuchtete Hindernisse häufig zu spät bemerken und deshalb nicht mehr rechtzeitig anhalten oder ausweichen können (BGH, Urteil vom 23. November 1971 – VI ZR 105/70 –, Rn. 23, juris; OLG Hamm, Urteil vom 13. September 2000 – 13 U 82/00 –, Rn. 8, juris). Nach dem Vortrag der Klägerin ging H... S... vor dem Zusammenstoß längere Zeit auf der Fahrbahn, ohne dass dies zur Fortbewegung geboten gewesen wäre.

(b) Der Obliegenheitsverstoß des H... S... war ursächlich für den Zusammenstoß mit dem von der Beklagten zu 1) gesteuerten PKW Mazda. Bezüglich der Ursächlichkeit des Verstoßes gegen die straßenverkehrsrechtlichen Vorgaben aus § 25 Abs. 1 StVO greift vorliegend ein Anscheinsbeweis ein (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. November 2007 – 9 U 92/07 –, Rn. 10, juris).

(2) H... S... hat in unfallursächlicher Weise gegen seine Obliegenheit zur Nichtteilnahme am Verkehr bei Vorliegen alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit verstoßen.

(a) H... S... hat obliegenheitswidrig im Zustand alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit am Straßenverkehr teilgenommen. Jedermann trifft die Obliegenheit, nicht im Zustand alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit als Fußgänger am Straßenverkehr teilzunehmen (BGH, Urteil vom 24. Januar 1956 – VI ZR 123/55 –, VRs 10, 245). Alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit ist bei einem Fußgänger auch ohne Ausfallerscheinungen jedenfalls bei einer BAK ab 2,0 Promille unwiderleglich anzunehmen (BGH, Urteil vom 24. Januar 1956 – VI ZR 123/55 –, VRs 10, 245; Urteil vom 09. Juli 1968 – VI ZR 11/87 –, Rn. 11, juris, Grenzwert von 1,7 Promille bei Benutzung öffentlicher Straßen durch Fußgänger zur Nachtzeit; OLG Braunschweig, Urteil vom 30. Dezember 1966 – 3 U 64/66 –, juris; OLG Köln, Urteil vom 23. Januar 2003 – 14 U 32/02 –, Rn. 13, juris; Urteil vom 28. September 2012 – 20 U 107/12 –, Rn. 4, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 19. April 2004 – 15 U 5/04 –, Rn. 7, juris, OLG Celle, Urteil vom 12. Mai 2010 – 14 U 167/09 –, Rn. 27, juris; BSG, Urteil vom 26. April 1977 – 8 Ru 92/76 –, BSGE 43, 293-296, Rn. 17). H... S... war absolut verkehrsuntüchtig. Dass H... S... beim Unfall eine Blutalkoholkonzentration von 2,07 Promille hatte, steht gemäß § 314 ZPO für das Berufungsgericht fest.

(b) Der Obliegenheitsverstoß des H... S... war ursächlich für den Zusammenstoß mit dem von der Beklagten zu 1) gesteuerten PKW Mazda und die Verletzungen des H... S... . Bei einer absoluten alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit des Fußgängers greift ein Beweis des ersten Anscheins dafür ein, dass die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit ursächlich für den Unfall geworden ist (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1955 – II ZR 345/53 –, BGHZ 18, 311-319; Urteil vom 24. Januar 1956 - VI ZR 123/55 -, VRS 10, 245; Urteil vom 30. Oktober 1985 – IV AZR 10/84 –, Rn. 16, juris; OLG Köln, Urteil vom 23. Januar 2003 – 14 U 32/02 –, Rn. 13, juris; OLG Celle, Urteil vom 12. Mai 2010 – 14 U 167/09 –, Rn. 27, juris).

bb) Die Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 1) gesteuerten PKW Mazda war nicht durch eine unfallursächliche Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) erhöht.

(1) Der Beklagten zu 1) fällt kein Verstoß gegen ihre Pflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 3 StVO zur Last.

(a) Es stehen allerdings nicht Umstände fest, nach denen der Beklagten eine unfallursächliche Verletzung der Pflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 3 StVO nicht zur Last fiele. Die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind in verfahrensfehlerhafter Weise zu Stande gekommen und binden deshalb das Berufungsgericht nicht. Das Landgericht durfte seine Feststellungen nicht allein auf eine Parteianhörung stützen. Die Zivilprozessordnung sieht zwar die Möglichkeit vor, die Überzeugung bzgl. einer zwischen den Parteien streitigen Behauptung auf die Bekundungen einer nicht vom Gegner als Beweismittel angebotenen Partei zu stützen. Dies setzt jedoch voraus, dass diese Bekundungen nicht lediglich im Rahmen der informatorischen Anhörung erfolgen, sondern, sofern insoweit die Voraussetzungen vorliegen, eine förmliche Parteivernehmung angeordnet und durchgeführt wird. Die Anhörung einer Partei nach § 141 ZPO dient nicht Beweiszwecken (BGH, Urteil vom 03. Juli 1967 – VII ZR 48/65 –, Rn. 32, juris).

(b) Die für eine unfallursächliche Verletzung der Pflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 3 StVO durch die Beklagte zu 1) beweisbelastete Klägerin hat zwar Umstände vorgetragen, nach denen die Beklagte zu 1) in unfallursächlicher Weise gegen das Sichtfahrgebot verstoßen habe. Die Beklagten zu 1) und 2) haben dagegen behauptet, H... S... habe sich erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß auf die Straße bewegt. Die Klägerin hat Beweis für ihr Vorbringen aber nicht geführt.

(aa) Zugunsten der Klägerin greift kein Anscheinsbeweis ein. Zwar kann gegen denjenigen, der im Dunkeln auf ein unbeleuchtetes Hindernis auffährt, ein Beweis des ersten Anscheins sprechen (BGH, Urteil vom 12. Juli 1983 – VI ZR 286/81 –, Rn. 21, juris; Urteil vom 10. Januar 1989 – VI ZR 99/88 –, Rn. 8, juris). Das Auffahren auf ein Hindernis allein reicht aber insoweit nicht aus. Es muss darüber hinaus das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, pflichtwidrig gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2016 – VI ZR 32/16 –, Rn. 11, juris). Eine Situation, in der typischerweise ein Verstoß des Fahrers des auf ein Hindernis auffahrenden Pkw gegen das Sichtfahrgebot ursächlich für einen Unfall geworden ist, liegt vor, wenn ein unbeleuchteter größerer Gegenstand sich unbewegt auf der Fahrbahn befindet. Eine typische Situation liegt dagegen nicht vor, wenn sich, wie hier, ein alkoholbedingt verkehrsuntüchtiger Fußgänger im Bereich der Straße ohne Beschränkung auf den Fahrbahnrand fortbewegt.

(bb) Die Klägerin hat geeigneten Beweis nicht angeboten. Aus der beigezogenen Ermittlungsakte ergibt sich nichts für die Behauptung der Klägerin. Das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten ist kein geeignetes Beweismittel, weil es an Anknüpfungstatsachen fehlt.

(2) Der Beklagten zu 1) fällt kein Verstoß gegen ihre Pflicht aus § 1 Abs. 2 StVO zur Last. Nach § 1 Abs. 2 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer zur Verhütung von Schäden durch die Beachtung der gebotenen Vorsicht dazu beizutragen, dass bei gefährlichen Verkehrsvorgängen und Fehlern anderer ein drohender Unfall noch verhindert wird. Zu solchen Vorkehrungen sind unabhängig voneinander beide Verkehrsteilnehmer verpflichtet, auch wenn es zur Vermeidung eines Unfalls ausreichen würde, wenn nur einer der Beteiligten ihm mögliche Vorkehrungen trifft. Dass die Beklagte zu 1) den Zusammenstoß mit H... S... hätte vermeiden können, hat die Klägerin nicht bewiesen.

cc) Wegen der unfallursächlichen Obliegenheitsverletzungen des H... S... entfällt die Haftung der Beklagten zu 1) und 2). Haften Halter und Fahrer nur aus der einfachen Betriebsgefahr, tritt die Haftung bei groben Verschulden des verletzten Fußgängers vollständig zurück (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Juli 2013 – 4 U 65/12 –, Rn. 62, juris). Das Laufen auf einer unbeleuchteten Straße zur Nachtzeit in dunkler Kleidung im Zustand der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit stellt einen so groben Obliegenheitsverstoß dar, dass die Haftung des Halters/Fahrers entfällt, wenn die Betriebsgefahr des Fahrzeugs nicht erhöht war (BGH, Urteil vom 28. März 1961 – V ZR 173/60 –, VersR 1961, 592; Urteil vom 09. Juli 1968 – VI ZR 11/67 –, Rn. 12 ff, juris; OLG Celle, Beschluss vom 03. März 2014 – 14 W 65/03 –, Rn. 7 f., juris).

b) Der Klägerin steht, wie vom Landgericht angenommen, kein Anspruch auf Erstattung aufgewendeter Behandlungskosten gegen die Beklagten zu 3) bis 5) als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 1) und 2) auf Zahlung von 68,34 EUR und als Gesamtschuldner auf Zahlung von 3.416,62 EUR aus §§ 7, 11, 18 StVG, 823, 249 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 116 Abs. 1 SGB X zu. H... S... konnte von den Beklagten zu 3) bis 5) keinen Schadensersatz aus §§ 7, 11, 18 StVG, 823, 249 BGB, 115 Abs. 1 VVG beanspruchen.

aa) H... S... hat in unfallursächlicher Weise eine aus § 25 Abs. 1 StVG resultierende Obliegenheit hinsichtlich der Benutzung einer Straße als Fußgänger und darüber hinaus gegen eine Obliegenheit zur Unterlassung der Teilnahme am Verkehr im Zustand alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit verletzt. Auch nach dem Vortrag der Klägerin wäre es zu dem Zusammenstoß zwischen H... S... und dem Pkw Golf nicht gekommen, wenn nicht zuvor H... S... durch den Pkw Mazda angefahren worden wäre. Da das Anfahren des H... S... durch den Pkw Mazda durch das obliegenheitswidrige Verhalten des H... S... verursacht war, war auch das Anfahren durch den Pkw Golf durch die Obliegenheitsverstöße verursacht. Es besteht insoweit auch ein obliegenheitsspezifischer Zurechnungszusammenhang, weil die Obliegenheiten, nicht in verkehrsuntüchtigem Zustand nachts auf der Fahrbahn zu laufen, auch im Hinblick auf die Möglichkeit von Schäden durch ein Überfahren durch ein nachfolgendes Fahrzeuge besteht.

bb) Die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 3) gesteuerten Pkw Golf war nicht durch eine unfallursächliche schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten zu 3) erhöht. Zwar hat die insoweit beweisbelastete Klägerin behauptet, der Zusammenstoß mit H... S... beruhe auf einer unfallursächlichen Verletzung des Sichtfahrgebots durch den Beklagten zu 3) Bei Annäherung des Pkw Golf sei der auf der Straße liegende H... S... für einen aufmerksamen, mit angemessener Geschwindigkeit fahrenden Fahrer so rechtzeitig erkennbar gewesen, dass ein Zusammenstoß hätte vermieden werden könne. Die Beklagten zu 3) bis 5) haben diesen Vortrag bestritten. Die Klägerin hat ihren Vortrag nicht bewiesen. Ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Verletzung der Pflichten des Beklagten zu 1) auf § 3 Abs. 1 StVO greift nicht ein. Vorliegend stehen Umstände, nach denen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung auf eine Verursachung des Unfalls durch einen Verstoß des Beklagten zu 3) gegen das Sichtfahrgebot geschlossen werden könnte, nicht fest. Es fehlt namentlich an ausreichend genauen Feststellungen dazu, wie lange sich der Körper des H... S... nach dem Zusammenstoß mit dem vorausfahrenden Pkw Mazda wo befunden hat und in welchem Abstand zum PKW Mazda der PKW Golf gefahren ist. Die Klägerin hat geeigneten Beweis nicht angeboten. Sachverständigenbeweis war mangels geeigneter Anknüpfungstatsachen nicht zu erheben.

cc) Die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Pkw Mazda tritt vollständig zurück, das Mitverschulden des H... S... an den Unfall wiegt derart schwer, dass eine Mithaftung allein aus der Betriebsgefahr nicht gerechtfertigt ist.

c) Der Klägerin steht, wie vom Landgericht angenommen, kein Anspruch gegen die Beklagten auf Feststellung einer Verpflichtung zum Schadensersatz zu. Der anspruchsbegründende Tatbestand ist nach dem oben Ausgeführten nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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