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Landgericht Potsdam Beschluss vom 24.06.2020 - 2 O 407/19 - Örtliche Zuständigkeit des Gerichts bei Autokaufverträgen

LG Potsdam v. 24.06.2020: Örtliche Zuständigkeit des Gerichts bei Autokaufverträgen




Das Landgericht Potsdam (Beschluss vom 24.06.2020 - 2 O 407/19) hat entschieden:

   Macht der Käufer eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen und bei einem Händler erworbenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung allein gegen den Hersteller geltend, kann ein Gerichtstand gemäß § 32 ZPO an dem Ort begründet sein, an dem der Kaufvertrag abgeschlossen worden ist und an dem Ort, an dem die Erfüllungshandlungen zu dem Vertrag vorgenommen wurden.

Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Gründe:


I.

Der Kläger begehrt Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Personenkraftwagen.

Am 17. Februar 2016 kaufte der Kläger von einer in Berlin wohnhaften Privatperson in Berlin den gegenständlichen durch die Beklagte hergestellten Personenkraftwagen Volkswagen Golf.

In dem von der Beklagten hergestellten Personenkraftwagen ist ein von ihr entwickelter und mit einer Software ausgestatteter Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut, dessen Software dazu führte, daß die Abgasrückführungstechniken des Motors nur auf dem Prüfstand im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) die Einhaltung der einschlägigen Abgasnorm gewährleistete und außerhalb des Prüfstandes nicht wirkte. Folge davon war, daß das Fahrzeug unter Laborbedingungen die Normwerte erfüllte, nicht jedoch im Straßenbetrieb. Mit Wirkung der Abgasrückführungstechniken im Straßenbetrieb wäre der Stickoxidausstoß geringer als ohne.




II.

Die Entscheidung beruht auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht Potsdam ist örtlich nicht zuständig. Zuständig ist das Landgericht Berlin. Auf den hilfsweise gestellten Verweisungsantrag ist daher der Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Berlin zu verweisen.

Der Kläger stützt sich für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche auf eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO. Für das Landgericht Potsdam ergibt sich aber aus dem eigenen Vortrag des Klägers eine solche örtliche Zuständigkeit nicht.

Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug von einer Privatperson in Berlin gekauft. Dort hat er mit Abschluß des Kaufvertrages und den damit einhergehenden Leistungspflichten eine Vermögensschädigung erfahren.

Weder der Handlungsort noch der Erfolgsort, als jeweilige mögliche Anknüpfungspunkte für eine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO, liegen nach dem Klägervortrag im Bezirk des Landgerichts Potsdam. Begehungsort der unerlaubten Handlung kann sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort sein, so daß eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen worden ist (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 32 Rn. 16 m.w.N.). Wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört, ist der Ort des Schadenseintritts Verletzungs- und zugleich Begehungsort (vgl. BGHZ 40, 391/395; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluß vom 27. März 2003 - 1Z AR 28/03 -, Rn. 6, juris; MüKoZPO/Patzina ZPO § 32 Rn. 20, beck-online). Dies ist beispielsweise der Fall, sofern ein Betrug am Belegenheitsort des Klägervermögens vorliegt (MüKoZPO/Patzina ZPO § 32 Rn. 20, beck-online). Begehungsort der deliktischen Handlung kann sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort sein, so daß eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo in ein geschütztes Rechtsgut (Vermögen des Klägers) eingegriffen wurde (BGH, Urteil vom 28. Februar 1996 - XII ZR 181/93 -, BGHZ 132, 105-119, Rn. 15). Vorliegend wäre der Schaden bereits mit Abschluß und Erfüllung des Kaufvertrages in Berlin eingetreten, da nach eigenem Vortrag des Klägers seiner Vermögensverfügung kein gleichwertiger Gegenwert gegenüberstand.




Macht der Käufer eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen und bei einem Händler erworbenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung allein gegen den Hersteller geltend, kann ein Gerichtstand gemäß § 32 ZPO an dem Ort begründet sein, an dem der Kaufvertrag abgeschlossen worden ist und an dem Ort, an dem die Erfüllungshandlungen zu dem Vertrag vorgenommen wurden. Ein Gerichtsstand an den genannten Orten setzt einen schlüssigen Klagevortrag zu einer beim Abschluß des Kaufvertrages und/oder seiner Erfüllung begangenen unerlaubten Handlung voraus (OLG Hamm, Beschluß vom 26. Oktober 2018 - I-32 SA 46/18 -, juris). Nach der vorzitierten Entscheidung ist für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, auf den Einzelfall abzustellen. Vorliegend hat der Kläger zum Ort des Vertragsschlusses trotz gerichtlichen Hinweises auf die Zuständigkeitsbedenken nicht vorgetragen. Aus zur Akte gereichten Anlagen ergibt sich als Ort des Vertragsschlusses Berlin. Der Abschluß des Kaufvertrages beruht auf der - so der Klägervortrag - Täuschungshandlung der Beklagten bezüglich des Kaufgegenstandes durch Vortäuschen der Einhaltung der Emissionswerte und das Verschweigen des Vorhandenseins einer illegalen Abschalteinrichtung.




Der Kläger hat nicht vorgetragen, wie der Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug bezahlt wurde. Ob die Bezahlung in bar, durch Überweisung oder im Rahmen einer Finanzierung erfolgte, ist dem Vortrag nicht zu entnehmen. Lediglich dem als Anlage zur Akte gereichten Kaufvertrag läßt sich entnehmen, daß der Verkäufer in Berlin den Erhalt des Kaufpreises bestätigt hat, was für eine abschließende Erfüllungshandlung - vermutlich durch Barzahlung - in Berlin spräche. Eine - wie auch immer geartete - Erfüllungshandlung im Bezirk des Landgerichts Potsdam ist daher nicht ersichtlich. Soweit am Wohnsitz des Klägers ein Schaden dadurch eingetreten sein soll, daß sein Vermögen durch die Zahlung des Kaufpreises ohne Zufluß des entsprechenden Gegenwertes insgesamt in seiner Gesamtheit geschmälert worden ist, folgt daraus ebenfalls nicht die Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam. Als reiner Schadensort kommt der Wohnsitz des Klägers als Anknüpfung für die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam gemäß § 32 ZPO nicht in Betracht, da diese Vorschrift auf die Begehung der unerlaubten Handlung abstellt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung der Vermögensschädigung ist nicht schon deshalb am Wohnsitz des Geschädigten begründet, weil sich dort sein Vermögen befindet. Denn die Konzentration der Zuständigkeit am Handlungs- oder Verletzungsort der unerlaubten Handlung knüpft an die Sachnähe und damit einhergehende leichtere Aufklärung des Sachverhalts an. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn immer auch auf den Ort abgestellt werden könnte, an dem sich das Vermögen des Geschädigten im Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung befunden hat (OLG Hamm, Beschluß vom 9. Mai 2019 - I-32 SA 21/19 -, Rn. 23, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2018 - 32 SA 32/18 -, Rn. 16, juris; OLG München, Urteil vom 21. Januar 1992 - 25 U 2987/91 -, juris; ausdrücklich offengelassen: BGH, Beschluß vom 06. Juni 2018 - X ARZ 303/18 -, Rn. 16, juris).

Das Abstellen auf den Wohnort als Schadensort erscheint im übrigen aus mehreren Gründen konstruiert. Der Wohnsitz ist der Ort, an dem sich eine Person niederlässt (§ 7 Abs. 1 BGB), das heißt, der Ort, den sie zum Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse macht (Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 7 Rn. 6). Das Gesetz verlangt weder, noch setzt es voraus, daß an diesem Ort das Vermögen der Person befindlich sei. Das verdeutlicht insbesondere § 9 BGB, wonach der Soldat seinen Wohnsitz am Standort hat, ohne daß Soldaten an ihrem Standort regelmäßig ihr Vermögen hätten. Die Gleichsetzung des Wohnortes mit dem Belegenheitsort des Vermögens findet weder im Gesetz eine Stütze, noch entspricht es einer zwingenden Lebenswirklichkeit. Die Vorstellung "das Vermögen" einer Person habe einen einheitlichen Belegenheitsort, entspricht nicht den realen Lebensverhältnissen. In Wahrheit verteilen sich die Vermögenswerte der meisten Personen auf eine Vielzahl von Örtlichkeiten. Im übrigen stellt § 826 BGB nach seinem Wortlaut nicht auf den Vermögensschaden ab, sondern auf das "Zufügen" eines Schadens. § 263 Abs. 1 StGB als Schutzgesetz stellt ebenfalls nicht auf einen Vermögensschaden ab, sondern auf die "Beschädigung" des Vermögens. "Zufügen" und "Beschädigen" sind Aktivverben. Bereits dies verdeutlicht, daß der Tatbestand nicht durch das passive Erleiden eines Schadens erfüllt wird. Beschädigt wird das Vermögen nicht dort, wo es in einer abstrakten Gesamtheit gemindert, sondern dort, wo der Schaden konkret verursacht (zugefügt) wird, etwa am Ort des Kaufvertragsschlusses oder des konkreten Bezahlvorganges (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1996 - XII ZR 181/93 -, BGHZ 132, 105-119, Rn. 26; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 27. März 2003 - 1Z AR 28/03 -, Rn. 7, juris; OLG Nürnberg, Beschluß vom 08. März 2006 - 8 U 2651/05 -, Rn. 10, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09. August 2006 - 19 U 8/05 -, Rn. 15, juris; [jeweils für Banküberweisung]).


Die Gegenauffassung führte dazu, daß das Merkmal des Ortes der Vermögensbeschädigung jedwede Kontur verlöre und sich von den tatsächlichen Verhältnissen löste. Es ergäben sich lebensfremde und teilweise absurd anmutende Ergebnisse. Die Gegenansicht konsequent zu Ende gedacht, würde auch im Falle einer täuschungsbedingten Besitzentziehung - auch der Besitz hat Vermögenswert - die Vermögensschädigung am Wohnsitz eintreten, wo auch immer die Besitzentziehung stattgefunden haben mag. Letztendlich würde jedes Vermögensschädigungsdelikt wie Betrug (§ 263 StGB), Erpressung (§ 253 StGB), räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB), Raub (§ 249 StGB) oder Untreue (§ 266 StGB) stets auch gleichzeitig am Wohnsitz des Opfers begangen werden und könnte demnach (§§ 7 StPO, 9 StGB) auch dort angeklagt werden. Daß eine solche ausufernde Betrachtung nicht mehr mit dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu vereinbaren wäre, liegt nahe. Wenn sich jedoch dieser Gerichtsstand im Strafrecht nicht eröffnet, kann er auch im Zivilrecht nicht gegeben sein, da der Anknüpfungspunkt "Zufügen eines Schadens/Beschädigen" jeweils derselbe ist.

Kein anderes Ergebnis ergibt sich aus der gesetzgeberischen Intension, mit § 32 ZPO einen Gerichtsstand dort eröffnen, wo regelmäßig die sachliche Aufklärung und Beweiserhebung am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann (BeckOK ZPO/Toussaint, 35. Ed. 1.1.2020, ZPO § 32 Rn. 8). Nur daß der Gesetzgeber mit einer Norm ein bestimmtes Ziel verfolgt, entbindet den Rechtsanwender nicht von der Subsumtion unter diese Norm. Der Gerichtsstand des § 32 ZPO eröffnet sich nicht bereits deshalb an einem bestimmten Ort, nur weil dort die Beweiserhebung zweckmäßig stattfinden könnte. Im übrigen spricht der Gesetzeszweck aber letztendlich sogar gegen die Eröffnung des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung am Wohnsitz des Geschädigten. Es ist nicht ersichtlich, welche Beweisfragen sich am Wohnsitz des Geschädigten einfacher als andernorts aufklären ließen. Weder die internen Vorgänge bei der Beklagten, noch der Ablauf des Kaufvertragsschlusses lassen sich am Wohnsitz des Klägers einfacher aufklären, als am Ort des Vertragsschlusses oder am Sitz der Beklagten. Der tatsächlich der Klageerhebung am Wohnort des Klägers zugrundeliegende Wunsch, dem mutmaßlich Geschädigten einen Gerichtsstand vor Ort zu eröffnen, entspricht dagegen weder dem Wortlaut, noch dem Zweck des § 32 ZPO.



Soweit die Klage darauf gestützt werden könnte, daß zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis gem. § 311 Abs. 3 BGB zustande gekommen sei, da die Beklagte durch etwaige Erklärungen, das streitgegenständliche Kraftfahrzeug entspreche hinsichtlich der Abgaswerte den gesetzlichen Anforderungen (Konformitätserklärungen), Einfluß auf die Kaufentscheidung der Käuferin genommen habe, ergibt sich auch daraus nicht eine Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam. Eine Leistung des Herstellers in Form einer zutreffenden Konformitätserklärung wäre am Kaufort zu erbringen. § 29 ZPO erfaßt Schuldverhältnisse bei Vertragsverhandlungen und daraus folgende eventuelle Schadensersatzansprüche. Gleiches gilt für mögliche Ansprüche aus Prospekthaftung (vgl. Zöller/Schultzky, 32. Aufl. 2018, § 29 Rn. 6, 19).

Eine Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam unter dem Aspekt des "fliegenden Gerichtsstands" - unabhängig davon, ob einer rechtlichen Argumentation hierzu aus hiesiger Sicht zu folgen wäre, oder der Sachvortrag der Klägerseite hierzu ausreichende Anhaltspunkte enthält - scheidet ebenfalls aus. Der vorliegende Sachverhalt ist mit solchen, die der Geltendmachung presse- oder wettbewerbsrechtlicher Ansprüche regelmäßig zugrunde liegen, nicht vergleichbar. Der Kläger macht überdies keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche geltend und kann dies mangels Aktivlegitimation auch nicht; es mangelt bereits an einem Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien.

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