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Landgericht Berlin Urteil vom 02.11.2020 - 51 O 133/19 - Kein deliktischer Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens gegen den Hersteller

LG Berlin v. 02.11.2020: Kein deliktischer Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens gegen den Hersteller




Das Landgericht Berlin (Urteil vom 02.11.2020 - 51 O 133/19) hat entschieden:

   Der durch die Zahlung des Kaufpreises für einen Gebrauchtwagen an einen Händler auf Seiten des Käufers eingetretene Vermögensnachteil ist nicht stoffgleich mit dem auf Seiten des Herstellers eingetretenen Vermögensvorteil. Denn dessen Vermögen ist bereits durch die Zahlung des Kaufpreises für das damals neue Fahrzeug vermehrt worden. An weiteren Folgeverfügungen ist der Hersteller wirtschaftlich nicht mehr beteiligt. Insoweit handelt es sich bei dem geltend gemachten Schaden um einen mittelbaren bzw. Folgeschaden, der von § 263 StGB nicht erfasst wird.

Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht

Tatbestand:


Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs Porsche Cayenne Baujahr 2016 geltend.

Die Klägerin erwarb das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug Porsche Cayenne am 24.03.2017 von der ... mit einer Laufleistung von 7.670 km zu einem Kaufpreis von ... € netto. In das Fahrzeug ist ein Sechszylinder -V-​Dieselmotor mit 3,0 I Hubraum verbaut, der federführend von der ... AG entwickelt und in einem ... Werk in Ungarn produziert wurde.

Im Zeitraum zwischen Dezember 2017 und Januar 2018 ordnete das KBA den Rückruf von Fahrzeugen der Modelle ... und Abgasnorm Euro 6 wegen des Einbaus unzulässige Abschalteinrichtungen an.

Mit Schreiben vom ... gab das KBA auch für die Modelle Porsche Cayenne Diesel ein Software- Update frei, das im Juli 2018 bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgespielt wurde.

Die Klägerin behauptet im Wesentlichen in ihr Fahrzeug sei ein Motor des Typs ... verbaut. Dieser verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen. .... Die Motorenbau Reihe ... sei hinsichtlich entscheidender Konstruktionsmerkmale weitgehend identisch mit dem Motor EA189. Das aufgespielte Software Update sei zudem nicht geeignet, den Schaden zu beseitigen. Die gesetzlichen Grenzwerte der Abgasemission werden auch nach dem Update um ein Vielfaches überschritten. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte ihr gegenüber aus § 826, 31 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB. Der ...-​Konzern habe zugegeben, dass die Motoren der Baureihe EA 189 mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sei. Weitere Ermittlungen hätten ergeben, dass auch Motoren der Baureihe ... über derartig illegale Abschalteinrichtungen verfügen. Es sei zudem lebensfremd anzunehmen, dass der Vorstand eines Autobauers nicht wüsste, welche Abschalteinrichtungen verbaut und wie damit Tests manipuliert werden können. ... Außerdem sei aktuell der frühere Vorstand der ... AG Im Zusammenhang mit dem Diesel-​Skandal angeklagt. Da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sein, werde sich eine enge Zusammenarbeit der Mitarbeiter der Beklagten mit der ... ergeben.




Am Tag vor der letzten mündlichen Verhandlung habe das Fahrzeug eine Laufleistung von 54.339 km gehabt

Die Klägerin beantragt,

   [die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz einschließlich Anwalskostenersatz zu verurteilen und festzustellen, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet.]

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erwidert im Wesentlichen, es sei nicht zutreffend, dass außerhalb des NEFZ unzureichend wenig AdBlue eingespritzt werde, da die Einspritzungsmenge und der Verbrauch von AdBlue u.a. davon abhänge, wie dynamisch oder auch zurückhaltend der jeweilige Fahrer fährt. Darüber hinaus seien mit der Aufspielung des Software - Updates keine Nachteile verbunden, was auch der Freigabebestätigung des KBA vom ... zu entnehmen sei. Der Vorstand der Beklagten habe keine Kenntnis vom Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in den hier streitgegenständlichen Motorentyp gehabt. Die Beklagte habe sich nach Aufkommen der sog "Dieselthematik" ... wiederholt von der ... AG bestätigen lassen, dass der Motor frei von unzulässigen Abschalteinrichtungen sei. .... Bei eigenen in diesem Zeitraum durchgeführte Emissionstests konnten ebenfalls keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden. Nachdem die Beklagte ... von der auch vom KBA beanstandeten Bedatung ... Kenntnis erlangt habe, habe sie diese dem KBA nur ca. eine Woche später am ... offengelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 05.03.2020 und 01.10.2020 Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu.

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB.

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB, nach dem derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt.

Dem steht nicht entgegen, dass Ansprüche aus § 826 BGB grundsätzlich denkbar sind, wenn Fahrzeuge mit bewussten Softwaremanipulationen mit der Vorstellung in Verkehr gebracht werden, dass die betreffende Sache in unverändert mangelhaftem Zustand an einen ahnungslosen Dritten veräußert wird, der in Kenntnis der Umstände von dem Geschäft Abstand nähme.

Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Subjektiv ist das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Schädiger die haftungsbegründenden Umstände positiv kennt, es genügt, dass er sich solcher Kenntnis bewusst verschlossen hat. Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er ist getrennt von der Sittenwidrigkeit, auch von deren subjektiver Seite, festzustellen. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht. Zum Vorsatz gehört und genügt, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder im Sinne eines bedingten Vorsatzes jedenfalls, mag er sie auch nicht wünschen, doch zur Erreichung seines Zieles billigend in Kauf genommen hat (vgl. Palandt-​Sprau, BGB, 79. Aufl., § 826, Rn. 4, 8).

Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte Kenntnis von dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem von der ... AG entwickelten und produzierten Motor hatte. Der Vortrag der Klägerin ist schon nicht geeignet, diese Kenntnis zu belegen, da diese nur auf die Kenntnisse der von Mitarbeiter der ... AG in Bezug auf die in der Motorenreihe EA 189 verbaute Abschalteinrichtung abstellen. Woher Mitarbeiter oder Vorstandsmitglieder der ... AG gewusst haben sollen, dass auch in dem von der ... AG entwickelten und produzierten Motor ... unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden sein sollen, ist ebensowenig ersichtlich, wie die behauptete Weitergabe dieser Kenntnis an Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter der Beklagten. Auch der Umstand, dass gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden der ... AG ein Strafverfahren im Zusammenhang mit der sog. Diesel- Affäre geführt wird, belegt keine Kenntnis der leitenden Mitarbeiter der Beklagten. Der Verweis darauf, dass die weiteren Ermittlungen "zeigen werden, dass es eine enge Zusammenarbeit der verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten mit der ... AG gab" belegt diese Kenntnis gerade nicht. Aus der bloßen Zugehörigkeit der ... AG und der Beklagten zum ... Konzern kann eine Zurechnung von Kenntnissen leitender Mitarbeiter der ... AG mit Wirkung für und gegen die anderen Gesellschaften des Konzerns nicht erfolgen. Darüberhinaus zeigen die als Annex 1a und Annex 1b zur Anlage B1 vorgelegten E-​mails, dass sich die Beklagte nach Bekanntwerden des Dieselskandals in den USA im Jahr 2015 und auf die Anfrage des ... im Juni 2017 sich bei der ... AG als Herstellerin des Motors ... gerade im Hinblick auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen rückversichert hatte und von dieser bestätigt bekam, dass mit diesen Motoren alles in Ordnung sei. Anhaltspunkte aus denen sich ergeben könnte, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Richtigkeit dieser Auskunft vertrauen durfte, sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Beanstandung des Motors durch das KBA erfolgte jedenfalls erst nach der erstmaligen Zulassung des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs.

Damit fehlt es an der für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB erforderlichen subjektiven Komponente in Form des Schädigungsvorsatzes.


II.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB zu.

Auch hier liegen die subjektiven Voraussetzungen des § 263 StGB nicht vor. Denn wie oben dargelegt, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeug wusste, dass dieses mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist. Daher fehlt es bereits an einer Täuschungsabsicht durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs.

Außerdem setzt die Verwirklichung des Betrugstatbestandes voraus, dass die Täuschung zu einer Vermögensverschiebung führt. Hierbei muss der sich aus der Vermögensverschiebung ergebende Vermögensvorteil des Täters die Kehrseite des geschädigten Vermögens des Opfers darstellen. Der Vermögensvorteil auf der Täterseite und der Vermögensnachteil auf der Opferseite müssen durch dieselbe Verfügungshandlung herbeigeführt werden (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 187).

Hieran fehlt es im vorliegenden Fall schon deshalb, da die Klägerin nicht "Erst"-​Käuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, sondern dieses gebraucht bei einem Händler erworben hat.

Der durch die Zahlung des Kaufpreises an ihn auf Seiten des Klägers eingetretene Vermögensnachteil ist aber nicht stoffgleich mit dem auf Seiten der Beklagten eingetretenen Vermögensvorteil. Denn deren Vermögen ist bereits durch die Zahlung des Kaufpreises für das damals neue Fahrzeug vermehrt worden. An weiteren Folgeverfügungen ist die Beklagte wirtschaftlich nicht mehr beteiligt. Insoweit handelt es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden um einen mittelbaren bzw. Folgeschaden, der von § 263 StGB nicht erfasst wird (vgl. Fischer, a.a.O.; BGH; Urteil vom 28.07.2020, V ZR 5/20 Tz 17 ff)).



III.

Da der Klägerin kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Da die Beklagte die Rückgabe des Fahrzeugs nicht schuldet, kann sie sich nicht im Annahmeverzug befinden.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Erstattung bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht verlangen. Mangels Begründetheit des Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf die zur Durchsetzung dieses Hauptanspruchs erforderlichen vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S.1 ZPO.

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