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Verwaltungsgerichtshof München Beschluss vom 27.05.2021 - 8 CE 21.1289 - Keine vorläufige Einstellung von Straßenbaumaßnahmen zur Verlegung und barrierefreiem Ausbau einer Bushaltestelle

VGH München v. 27.05.2021: Keine vorläufige Einstellung von Straßenbaumaßnahmen zur Verlegung und barrierefreiem Ausbau einer Bushaltestelle




Der Verwaltungsgerichtshof München (Beschluss vom 27.05.2021 - 8 CE 21.1289) hat entschieden:

   Dem Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs (Art. 17 BayStrWG) noch Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich ein Anspruch auf eine zweite Grundstückszufahrt nicht entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2020 – 8 ZB 20.896 – juris Rn. 21 m.w.N.). Auch gewährt der Anliegergebrauch keinen Anspruch auf optimale Zufahrt, d.h. Einschränkungen oder Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind hinzunehmen, sofern ein Zugang zum Grundstück vorhanden ist.

Siehe auch
Haltestellen - Errichtung und Anfechtung - verkehrsrechtliche Maßnahmen
und
Straßenrecht - Gemeingebrauch - Sondernutzung - Widmungsbeschränkungen

Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Einstellung von Straßenbauarbeiten. Er wendet sich gegen die Verlegung einer bestehenden Bushaltestelle und deren barrierefreien Ausbau in Form eines Hochbords vor seinem Anwesen.

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks FlNr. ... Gemarkung S... (S... Str. ...). Auf diesem Grundstück befindet sich entlang der südlichen Grundstücksgrenze eine 3,80 m breite Zufahrt mit Garage und einem vorgelagerten Stellplatz.

Mit Allgemeinverfügung vom 30. Juni 2020 erließ die Antragsgegnerin betreffend die Bushaltestelle „S...“ eine verkehrsrechtliche Anordnung zur Versetzung der Verkehrszeichen 224 StVO (Haltestelle) und 340 StVO (Leitlinie) vor das Anwesen des Antragstellers. Begründet wurde dies im Wesentlichen mit den regelmäßig die Bushaltestelle anfahrenden Gelenkbussen und dem barrierefreien Ausbau der Haltestelle. Da der Ausbau mit einem sogenannten „Kasseler Sonderbord“ auf einer Länge von 13 m am bisherigen Standort nicht möglich sei, sei als neuer Standort der Bereich vor dem Anwesen S... Str. ... festgelegt worden.




Mit Bescheid vom 19. Oktober 2020 lehnte die Antragsgegnerin den vom Antragsteller im April 2020 gestellten Bauantrag für den Neubau eines Carports an der nördlichen Grundstücksgrenze ab. Mit Bescheid vom 13. November 2020 erließ die Antragsgegnerin eine straßenrechtliche Anordnung, welche dem Antragsteller die Errichtung einer zweiten Zufahrt zu seinem Grundstück untersagt. Gegen diese Bescheide ließ der Antragsteller jeweils Klage erheben, über die noch nicht entschieden worden ist.

Aufgrund der unmittelbar bevorstehenden und angekündigten Baumaßnahmen zur Verlegung der Bushaltestelle stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bauliche Maßnahmen vor dem Anwesen des Antragstellers bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, insbesondere soweit sie die Errichtung eines Hochbordes über eine Länge von 13 m oder darüber hinaus umfassen. Der Antragsteller machte geltend, es werde rechtswidrig in seine Baufreiheit und damit in sein Eigentumsrecht eingriffen. Der barrierefreie Ausbau vor seinem Anwesen führe dazu, dass er keinen zusätzlichen Stellplatz schaffen könne und ihm die Möglichkeit zur Errichtung einer weiteren Wohneinheit genommen werde. Die Versetzung der Bushaltestelle sowie der geplante barrierefreie Ausbau seien zudem ermessensfehlerhaft. Ausreichend sei ein barrierefreier Ausbau für zwei Türen eines Gelenkbusses, d.h. auf 8 m. Auch sei der gewählte Standort nicht als alternativlos anzusehen.

Mit Beschluss vom 7. April 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag ab. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Für das Vorliegen eines öffentlich-​rechtlichen Unterlassungsanspruchs fehle es an einem rechtswidrigen Eingriff in eine subjektive Rechtsposition des Antragstellers. Eine rechtswidrige Beeinträchtigung liege weder mit Blick auf das Eigentumsrecht des Antragstellers noch mit Blick auf seine Rechte aus dem Anliegergebrauch vor. In Bezug auf die planerische Entscheidung zur Festlegung des genauen Standortes der Bushaltestelle sowie zu deren barrierefreien Ausbau sei auch keine Verletzung des Abwägungsgebots zu Lasten des Antragstellers gegeben. Ebenso wenig sei die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin zu beanstanden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.





II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe beschränkt ist (vgl. dazu auch Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 23), hat keinen Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller beruft sich auf einen öffentlich-​rechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin. Grundlage eines solchen Anspruchs können §§ 1004, 906 BGB analog sowie grundrechtliche Abwehransprüche – etwa aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – sein. Dass die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch vorliegen, wurde jedoch nicht glaubhaft gemacht. Der öffentlich-​rechtliche Unterlassungsanspruch setzt einen rechtswidrigen Eingriff in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des Betroffenen durch hoheitliches Handeln voraus (vgl. BVerwG, B.v. 29.4.1985 – 1 B 149.84 – juris Rn. 9; U.v. 22.10.2014 – 6 C 7.13 – NVwZ 2015, 906 = juris Rn. 20). Der Bürger kann, wenn ihm ein rechtswidriger Eingriff in subjektive Rechte durch schlichtes Verwaltungshandeln droht, Unterlassen verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – BVerwGE 131, 171 = juris Rn. 13).

1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung einer subjektiven Rechtsposition des Antragstellers fehlt. Ein Anspruch auf Unterlassung einer Baumaßnahme kann nicht nur bei einem rechtswidrigen Eingriff in das Grundeigentum bestehen, sondern auch bei einer Verletzung des Abwägungsgebots in Bezug auf die der Baumaßnahme zugrundeliegende planerische Entscheidung (vgl. UA S. 12; HessVGH, B.v. 26.2.2021 – 2 B 2698/20 – juris Rn. 11).

1.1 Der Einwand des Antragstellers, das Erstgericht habe seine geschützte subjektive Rechtsposition im Hinblick auf die weitere Nutzung seines unmittelbar beeinträchtigten Grundbesitzes und Eigentums nicht hinreichend berücksichtigt, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss geht zu Recht davon aus, dass der Zugang zum Grundstück des Antragstellers durch die geplante Verlegung der Bushaltestelle und deren barrierefreien Ausbau nicht beeinträchtigt wird. Die bereits bestehende Zufahrt an der südlichen Grundstücksgrenze kann auch nach Umsetzung der Baumaßnahme nach wie vor uneingeschränkt genutzt werden (vgl. UA S. 14).


Die Annahme des Antragsstellers, dass aus der dem Eigentumsrecht des Art. 14 Abs. 1 GG innewohnenden Baufreiheit ein Anspruch auf eine zweite Grundstückszufahrt abgeleitet werden könne, vermag der Senat nicht zu teilen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats lässt sich weder dem Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs (Art. 17 BayStrWG) noch Art. 14 Abs. 1 GG ein solcher Anspruch entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2020 – 8 ZB 20.896 – juris Rn. 21 m.w.N.). Auch gewährt der Anliegergebrauch keinen Anspruch auf optimale Zufahrt, d.h. die vom Antragsteller geschilderten Einschränkungen oder Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind hinzunehmen (vgl. BayVGH, U.v. 23.6.2015 – 8 CE 15.1023 – BayVBl 2016, 100 = juris Rn. 10; B.v. 8.12.2015 – 8 CE 15.2053 – juris Rn. 5). Zudem ist in der Rechtsprechung geklärt, dass aus der straßenrechtlichen Erlaubnisfreiheit des Zufahrtsrechts nicht folgt, dass der Straßenanlieger ein uneingeschränktes Bestimmungsrecht hinsichtlich der Lage und der Breite seiner Zufahrt hätte (BayVGH, B.v. 1.12.2009 – 8 B 09.1980 – BayVBl 2010, 539 = juris Rn. 19).

Unabhängig davon schützt Art. 14 Abs. 1 GG das Eigentum und damit die vom Antragsteller beanspruchte Baufreiheit nicht uneingeschränkt. Denn durch eine den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügende gesetzliche Regelung (wie z.B. BauGB, BayBO oder BayStrWG) werden Inhalt und Schranken des Eigentums dergestalt bestimmt, dass innerhalb des geregelten Bereichs weitergehende (nachbarliche Abwehr-​)Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgeschlossen sind (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69 = juris Rn. 40 zum Baurecht).

1.2 Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Erstgericht hinreichend berücksichtigt, dass der Antragsteller in Bezug auf den weiteren Stellplatz eine gefestigte Planung verfolgt. So hat das Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Antragsteller mit Einreichung seines Bauantrags vom 21. April 2020 eine dahingehend verfestigte Planung verfolgt, auch wenn die Genehmigungsfähigkeit des entsprechenden Vorhabens zwischen den Parteien in Streit steht. Allein hinsichtlich der künftigen Schaffung einer weiteren Wohneinheit hat das Erstgericht mangels eingereichter Bauantragsunterlagen eine verfestigte Planung verneint (vgl. UA S. 15). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Pläne für die Errichtung einer zweiten Zufahrt keinen erhöhten rechtlichen Schutz genießen. Wie aus Art. 17 Abs. 5 BayStrWG hervorgeht, geht der Gesetzgeber davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Einzelfall das private Interesse an einer zweiten Zufahrt überwiegen kann (BayVGH, B.v. 1.12.2009 – 8 B 09.1980 – BayVBl 2010, 539 = juris Rn. 20).

1.3 Auf der Grundlage des Beschwerdevortrags bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel an der planerischen Entscheidung für die umstrittene Verlegung der Bushaltestelle aufgrund des barrierefreien Ausbaus.

Soweit der Antragsteller geltend macht, eine sachliche Rechtfertigung dafür sei nicht gegeben, kann dem nicht gefolgt werden. Die Planrechtfertigung ist eine Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns, das mit Eingriffen in private Rechte verbunden ist. Die Planrechtfertigung erfordert die Prüfung, ob das Vorhaben mit den Zielen des jeweiligen Gesetzes übereinstimmt und ob das Vorhaben für sich in Anspruch nehmen kann, in der konkreten Situation erforderlich zu sein (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = juris Rn. 34). Das ist nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern schon dann, wenn dieses vernünftigerweise geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2007 – 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358 = juris Rn. 45; B.v. 4.9.2018 – 9 B 24.17 – juris Rn. 3).

Nach diesem Maßstab ist dem Vorhaben eine Planrechtfertigung nicht abzusprechen. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheinen die Verlegung und der barrierefreie Ausbau vernünftigerweise geboten. Die Wertung des Erstgerichts, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin mit Blick auf die gesetzlichen Zielvorgaben der Barrierefreiheit in Art. 9 Abs. 1 Satz 5 BayStrWG sowie in § 8 Abs. 3 Satz 3 PBefG und Art. 4 Abs. 3 BayÖPNVG sachlich gerechtfertigt und nicht zu beanstanden ist (vgl. UA S. 13), stellt die Beschwerde nicht grundlegend infrage. Mit Blick auf die normierte Zielvorgabe der Barrierefreiheit war für die Planrechtfertigung nicht – wie vom Antragsteller gefordert – die Frequenz der eingesetzten Buslinien und die Fahrgastzahl mit Mobilitätsbeeinträchtigungen vorab festzustellen.

1.4 Die Rüge des Antragstellers, es fehle an einer fehlerfreien Abwägung der öffentlichen und privaten Belange, greift nicht durch. Das Abwägungsgebot verlangt, dass – erstens – eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass – zweitens – in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass – drittens – weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 11.7.2019 – 9 A 14.18 – BVerwGE 166, 171 = juris Rn. 45; B.v. 27.7.2020 – 4 VR 7.19 u.a. – juris Rn. 66).



Einen Abwägungsausfall hat der Antragsteller nicht beanstandet. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Andere durchgreifende Abwägungsfehler zum Nachteil des Antragstellers sind ebenfalls nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. Der Antragsteller räumt selbst ein, dass er sich allein gegen die räumliche Ausbreitung der Barrierefreiheit in der konkreten Situation wendet. Das Erstgericht hat dazu richtigerweise ausgeführt, dass bei dem vom Antragsteller vorgeschlagenen „verkürzten Ausbau“ ein barrierefreier Zu- und Ausstieg nur mit Blick auf die ersten beiden Bustüren gewährleistet wäre, hinsichtlich der hinteren Tür jedoch ein erheblicher Höhenunterschied zum Gehweg vorliegen würde, der für in der Mobilität eingeschränkte Personen (nahezu) unüberwindbar wäre. Ein derartiges Divergieren der Zu- bzw. Ausstiegshöhen an ein und derselben Haltestelle würde zu einer erhöhten Unfallgefahr führen und ist daher zu vermeiden (vgl. UA S. 16, 17).

1.5 Das Vorbringen des Antragstellers, wonach an Schultagen ausschließlich drei Schulbusse pro Tag und an schulfreien Tagen keine Gelenkbussen eingesetzt werden, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Unabhängig von der Zahl und der Frequenz der eingesetzten Gelenkbusse ist es planerisch nachvollziehbar, dass die Haltestelle so ausgebaut sein muss, dass sie von einem Gelenkbus angefahren werden kann und die Fahrgäste unfallfrei aussteigen können.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird der Streitwert gegenüber der Hauptsache halbiert (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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