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Oberlandesgericht Schleswig Beschluss vom 10.02.2021 - 7 U 200/20 - Anforderungen an ein Schätzgutachten zum Wiederbeschaffungswert eines amerikanischen Oldtimers -Cadillac

OLG Schleswig v. 10.02.2021: Anforderungen an ein Schätzgutachten zum Wiederbeschaffungswert eines amerikanischen Oldtimers -Cadillac -




Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschluss vom 10.02.2021 - 7 U 200/20) hat entschieden:

  1.  Der Wiederbeschaffungswert ist der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Preis eines gebrauchten Fahrzeugs, den der Geschädigte aufwenden muss, um bei einem seriösen Händler einen dem Unfallfahrzeug entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben.

  2.  Maßgebend für die Höhe des Wiederbeschaffungswertes ist nicht der Preis, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte (= Zeit- oder Veräußerungswert), sondern der Preis, den der Geschädigte beim Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs aufwenden müsste.

  3.  Die Schätzung des Wiederbeschaffungswertes besonders seltener und teurer Luxusfahrzeuge ist - wenn sie auch noch über eine bestimmte Sonderausstattung verfügen - naturgegeben immer mit Unsicherheitsfaktoren behaftet.

  4.  Bei einem amerikanischen Oldtimer genügt es für die Tauglichkeit eines Schätzgutachtens nicht, wenn nur zwei Alternativangebote auf dem europäischen Privatmarkt eingeholt werden. Wegen der Seltenheit des Fahrzeugs und mangels Verfügbarkeit auf dem europäischen Markt ist auch der amerikanische Gebrauchtwagenmarkt unter Addition von Überführungs- und ggf.Umrüstungskosten (Homologation) zu berücksichtigen. Auch die Farbe (hier schwarz wegen ehemaligen Bestatterfahrzeugs) kann ein wertbildender Faktor sein.

  5.  Das Vorhandensein von tiefen Rostansätzen an Auspuffanlage und Stoßfänger schließt die Klassifizierung eines Oldtimers mit der Zustandsnote 1 aus.

  6.  Standgeld und Nutzungsausfall erhält der Geschädigte - bei einem wirtschaftlichen Totalschaden - nur für die Zeit vom Unfall bis zur Vorlage des ersten Gutachtens einschließlich einer Überlegungszeit von 10 Tagen.


Siehe auch
Oldtimer im Verkehrsrecht
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Gründe:


Die Berufung des Klägers hat im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung wird vollumfänglich Bezug genommen. Die Ausführungen des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 09.01.2021 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Die Haftung der Beklagten aufgrund des Auffahrunfalls vom 28. Februar 2019 ist gemäß §§ 7, 17 StVG, §§ 1, 3, 4 StVO, 115 VVG dem Grunde nach unstreitig. Im zweiten Rechtszug streiten die Parteien noch über die Höhe des Wiederbeschaffungswertes für den beschädigten klägerischen Pkw (Cadillac Fleetwood Brougham, Erstzulassung 01.05.1985, Laufleistung 83.502 km, amtliches Kennzeichen ...). Das Landgericht hat den Wiederbeschaffungsaufwand inklusive Kosten für den Import aus den USA und anschließende Homologation (Umrüstung) auf 19.000,00 € geschätzt; der Kläger behauptet hingegen, einen Gesamtwiederbeschaffungsaufwand von 35.500,00 € (Differenz = 16.500,00 €). Ferner streiten die Parteien noch über die Höhe der Unterstellkosten des beschädigten klägerischen Fahrzeugs bei der Firma R. in T.. Der Kläger behauptet insoweit ein Standgeld in Höhe von 1.342,32 € (93 Tage zu je 14,43 €), das Landgericht hat hingegen lediglich ein Standgeld in Höhe von 721,50 € (50 Tage zu je 14,43 €) zuerkannt (Differenz = 620,82 €).




Der Senat weist auf Folgendes hin:

1. Wiederbeschaffungswert gemäß §§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, 287 Abs. 1 ZPO.

Entscheidet sich der Geschädigte - wie hier - für eine Abrechnung auf Gutachtenbasis in Höhe der Kosten einer fiktiven Ersatzbeschaffung, bemisst sich sein Ersatzanspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, d.h. die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert des Unfallwagens in unbeschädigtem Zustand und dem Restwert des beschädigten Fahrzeugs (st. Rspr. BGH, vgl. BGH Urteil vom 23.05.2017, VI ZR 9/17). Während der Restwert (hier 3.000,00 €) unstreitig ist, streiten die Parteien noch um die Höhe des Wiederbeschaffungswerts. Dies ist der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Preis eines gebrauchten Fahrzeugs, den der Geschädigte aufwenden muss, um bei einem seriösen Händler einen dem Unfallfahrzeug entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben (BGH, Urteil v. 07.03.1978, VI ZR 237/76, NJW 1978, 1373 -1374). Dabei kommt es allein auf eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Ersatzbeschaffung unter objektiven Gesichtspunkten an. Entscheidend ist daher nicht, in welcher Höhe der Geschädigte den Wert seines alten Fahrzeugs bemisst, sondern ob eine Schätzung unter objektiven Wertmaßstäben zur Feststellung einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit führt (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.1966, VI ZR 252/64, NJW 1966, 1454, 1455). Maßgebend ist nach alledem und im Unterschied zur bloßen Wertkompensation nach § 251 BGB nicht der Preis, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte (= Zeit- oder Veräußerungswert), sondern der Preis, den der Geschädigte beim Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs aufwenden müsste (OLG München, Urteil vom 08.07.2020, 10 U 3947/19, juris Rnr. 23 m.w.N.).

Das Landgericht hat den Wiederbeschaffungswert mithilfe des gerichtlich bestellten Kfz.-Sachverständigen C. gem. § 287 ZPO auf insgesamt 19.000,00 € geschätzt (12.500,00 € Erwerbskosten in den USA + 6.438,44 € Import- und Umrüstkosten). Soweit der Kläger mit seiner Berufung geltend macht, der vom gerichtlichen Sachverständigen ermittelte Wiederbeschaffungsaufwand sei fehlerhaft, kann dem nicht gefolgt werden. Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts sind gemäß §§ 286, 287 ZPO nicht erkennbar. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung berechtigt das Gericht, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk- und Naturgesetze sowie die sonstigen Erfahrungssätze gebunden ist (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 286 Rnr. 13 und 13 b). Infolge der Neuregelung in § 529 ZPO steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem nicht mehr im reinen Ermessen des Gerichts. Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Solche konkreten Anhaltspunkte werden mit der Berufung jedoch nicht vorgetragen. Der Kläger setzt seine Beweiswürdigung lediglich anstelle derjenigen des Gerichts.




Die vorgelegten Privatgutachten des Zeugen S. vom 08.04.2019 sowie der Firma C. D. GmbH & Co.KG vom 06.12.2016 (Bl. 35 GA) vermögen die überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen C. aus dem schriftlichen Gutachten vom 08.04.2020 sowie den mündlichen Ergänzungen vom 15.10.2020 (Bl. 208 - 2134 d. A.) nicht zu erschüttern. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Feststellungen auch die vorgenannten Privatgutachten bei seiner Bewertung berücksichtigt.

Das Privatgutachten des Zeugen S. vom 08.04.2019 (…) ist schon deshalb nicht verwertbar, weil der Zeuge S. nur den für „derzeitige Fahrzeuge maßgebenden sog. Privatmarkt“ berücksichtigt und insoweit auch nur zwei Alternativangebote eingeholt hat. Beide Angebote hatten zudem eine ganz andere Fahrzeugfarbe. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen - wie es der Sachverständige C. getan hat - wegen der Seltenheit des zu bewertenden Oldtimers und mangels Verfügbarkeit auf dem europäischen Markt - insbesondere auch den amerikanischen Gebrauchtwagenmarkt in den Fokus zu nehmen. Außerdem hat der Sachverständige C. zu Recht im Netz nur nach entsprechenden Alternativangeboten mit schwarzer Fahrzeugfarbe gesucht, weil dies aus seiner fachlichen Sicht ein besonders zu berücksichtigender, wertbildender Faktor ist. Diese Ansicht teilt der Senat, zumal es sich unstreitig ursprünglich um das Originalfahrzeug eines amerikanischen Bestattungsunternehmers handelte.

Bei der Marktwertermittlung der Firma C. D. vom 06.12.2016 handelt es sich um eine untaugliche Kurzbewertung, die nur der Versicherungseinstufung und nicht einer Kauf- bzw. Verkaufsbewertung diente (vgl. Bl. 35 GA). Im Übrigen erfolgte die Bewertung mehr als zwei Jahre vor dem Unfall und kann auch schon aus diesem Grunde nicht maßgebend sein.


Soweit die Firma C. D. den Zustand des klägerischen Fahrzeugs am 06.12.2016 mit dem Gesamtzustand „1-“ bewertet hat, ist dies nicht maßgebend, denn unstreitig wurde diese Zustandsnote nur „nach grober äußerlicher Augenscheineinnahme“ durch den Sachverständigen W. aus K. vergeben (vgl. Kurzbewertung der Firma C. D., Bl. 35 GA). Der gerichtliche Sachverständige C. hat sich hingegen die Mühe gemacht, anhand der vorliegenden Lichtbilder (S. 6 und 7 des Gutachtens vom 08.04.2020) den Fahrzeugzustand genauer zu untersuchen. Wegen des zwischenzeitlich erfolgten Verkaufs stand das Fahrzeug für eine Augenscheineinnahme durch den Sachverständigen zwar nicht mehr zur Verfügung, der Sachverständige C. hat jedoch nachvollziehbar begründet, weshalb der Zustand des Fahrzeugs nicht mehr mit der Note 1, sondern nur noch mit der Note 2 zu bewerten war. Die Zustandsnote 2 wird wie folgt klassifiziert: „Sehr gutes, mangelfreies Fahrzeug im Original erhaltenen oder aufwendig restauriertem Zustand ohne Fehlteile und mit allenfalls leichten Gebrauchsspuren“ (vgl. S. 5 des Gutachtens C.). Die Zustandsnote 1 wird hingegen nur für makellose Fahrzeuge vergeben, an denen sich auch bei genauester Prüfung keinerlei Mängel an Optik oder Technik finden. Das war bei dem beschädigten klägerischen Fahrzeug nicht der Fall. Vielmehr waren sowohl die Auspuffanlage sowie der Stoßfänger hinten durch Rost angegriffen. Ein derartiger Zustand hat - so der Sachverständige C. - an einem Fahrzeug mit der Note 1 „nichts zu suchen“ (vgl. S. 4 unten des Protokolls vom 15.10.2020, Bl. 210 d. A.). Auf den Lichtbildern Nr. 3 und 4 des schriftlichen Gutachtens kann man gut erkennen, dass sich der Rost bereits in das Material eingefressen hatte. Beim Auspuff war nicht nur das Innere des Endrohres, sondern auch der Auspufftopf betroffen. Auch beim hinteren Stoßfänger war der Rost direkt an der Kante der Öffnung schon tiefer eingedrungen (vgl. Ausführungen des Sachverständigen C. auf S. 7 des Protokolls vom 15.10.2020). Das Vorhandensein solcher Rostansätze schließt die Klassifizierung mit der Zustandsnote 1 aus.

Für die Einholung eines ergänzenden oder neuen Sachverständigengutachtens (§ 412 ZPO) sieht der Senat keine Veranlassung. Bei dem Sachverständigen C. handelt es sich um einen erfahrenen Sachverständigen (50 bis 80 Wertgutachen pro Jahr, vgl. Bl. 213 GA), der seine Bewertungen erst nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde und Indizien getroffen hat. In seinem Gutachten hat er vier Vergleichsfahrzeuge auf dem amerikanischen Markt recherchiert. Es ist normal, dass die Vergleichsfahrzeuge u.a. hinsichtlich Baujahr, Motorisierung und Ausstattung zu dem hier zu bewertenden Fahrzeug geringfügig differieren. Wegen der Besonderheiten des klägerischen Fahrzeugs (Oldtimer aus dem Jahr 1985; nur auf dem amerikanischen Markt erhältlich; Sonderausstattung: ehemaliges Bestatter-Fahrzeug mit elektrischem Glasdach sowie getönten Scheiben) konnten durch den Sachverständigen ohnehin nur wenige Vergleichsmodelle auf dem internationalen Markt ermittelt werden. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die ermittelten Vergleichsangebote nicht 1:1 dem beschädigten klägerischen Fahrzeug entsprechen. Schon allein deshalb ist in solchen Fällen jede Schadensschätzung mit einem naturgegebenen Unsicherheitsfaktor behaftet (vgl. auch OLG Schleswig, Beschluss vom 21.10.2020, 7 U 23/20 zur Bemessung des merkantilen Minderwerts bei besonders seltenen und teuren Luxusfahrzeugen). Da der Kläger nur einen Schadenersatz verlangen kann, der - auch bei Anlegung der Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO - zumindest überwiegend wahrscheinlich ist, begegnet der vom Sachverständigen C. ermittelte Wiederbeschaffungswert, dem das Landgericht gefolgt ist, keinen Bedenken.



2. Standgeldkosten für das Unterstellen des Fahrzeugs in einer geschlossenen Halle (restliche 620,82 €)

Auch insoweit ist die Berufung des Klägers unbegründet. Gemäß § 249 BGB kann der Kläger nur die notwendigen und zweckentsprechenden Kosten ersetzt bekommen. Spätestens nach Vorlage des Privatgutachtens S. vom 08.04.2019 wusste der Kläger, dass es sich um einen Totalschaden handelte und er - jedenfalls bei fiktiver Abrechnung - nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt bekommen konnte. Das Landgericht hat dem Kläger zusätzlich noch eine Überlegungszeit von 10 Tagen zugestanden, so dass der Kläger spätestens am 18.04.2019 in der Lage gewesen wäre, eine Entscheidung über Reparatur des Fahrzeugs oder anderweitige Verwertung und fiktive Abrechnung zu treffen. Schließlich lag zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung am 08.04.2019 auch bereits ein verbindliches Kaufangebot der Firma R. über 3.000,00 € vor, das der Kläger offenbar später auch unstreitig angenommen hat. Der Umstand, dass sich die Beklagte zu 2) vorbehalten hat, intern das Privatgutachten S. überprüfen zu lassen, geht nicht zu ihren Lasten. Der Kläger war dadurch nicht an der Entscheidung gehindert, sein Fahrzeug schon früher in unrepariertem Zustand an die Firma R. zu veräußern. Deshalb besteht kein Anspruch auf Zahlung der restlichen Standgeldkosten in Höhe von 620,82 €.

Die Berufung des Klägers ist nach alledem offensichtlich unbegründet.

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