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Oberverwaltungsgericht Schleswig Beschluss vom 04.08.2021 - 5 MB 18/21 - Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung und Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens

OVG Schleswig v. 04.08.2021: Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung und Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens




Das Oberverwaltungsgericht Schleswig (Beschluss vom 04.08.2021 - 5 MB 18/21) hat entschieden:

  1.  Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es - wie unmittelbar § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV entnommen werden kann - auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an; der Beibringungsanordnung muss sich indes zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll.

  2.  Die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus; es kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde.


Siehe auch
MPU - medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten
und
Folgen der Nichtbeibringung des MPU-Gutachtens - Mitwirkungsverweigerung an Untersuchungen

Gründe:


Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Mai 2021 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.

1. Das Verwaltungsgericht hat nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 21. April 2021 wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsgegner habe die Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Umstand gestützt, dass der Antragsteller das ihm mit der Anordnung vom 3. März 2020 auferlegte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt habe. Die Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 sei jedoch mit erheblichen Mängeln behaftet.

Hinsichtlich der ersten Frage - Frage nach zu erwartenden allgemeinen Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr - käme eine Anordnung nur auf der Grundlage von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 oder 6 FeV bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr in Betracht. Solche Straftaten des Antragstellers seien nicht ersichtlich, sie seien vom Antragsgegner nicht benannt worden und die insoweit einschlägige Bestimmung bezüglich einer Gutachtenanordnung sei vom Antragsgegner im Zusammenhang mit den auf Seite 6 der Anordnung genannten Rechtsgrundlagen nicht erwähnt worden.




Im Hinblick auf die dritte Fragestellung - Frage der fehlenden Fahrtüchtigkeit unter dem Gesichtspunkt der festgestellten kombinierten Persönlichkeitsstörung - sei zu beanstanden, dass diese Fragestellung nicht an den Umstand angepasst worden sei, dass der Antragsteller noch vor Ablauf der ihm gesetzten Frist für eine medizinisch-psychologische Begutachtung auf Anordnung des Antragsgegners ein fachärztliches psychiatrisches Gutachten der DIAKO vom 2. Juli 2020 vorgelegt habe, dass zu dem Ergebnis gelangt sei, Merkmale der dissozialen Persönlichkeitsstörung seien nicht mehr markant nachweisbar und aus psychiatrischer Sicht sei der Antragsteller geeignet, ein Kraftfahrzeug der Klasse A und B weiterhin zu führen, solange sich der Antragsteller an die Auflagen seiner Führungsaufsicht halte, sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer melde und seine Abstinenz weiter aufrechterhalten könne. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 FeV komme die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung in Betracht, wenn nach Würdigung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 2 FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich erforderlich sei. Vorliegend fänden sich in der Gutachtenanordnung mangels Anpassung an die aktuelle Sachlage indes keine Ausführungen dazu, warum ein medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich zu dem Fachgutachten erforderlich sei. Hinzu komme, dass keine der vom Antragsgegner auf der Seite 6 seiner Anordnung genannten Rechtsvorschriften insoweit für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung einschlägig sei.

Die vierte Fragestellung (Führen von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss), die vom Antragsgegner auf § 13 Satz 1 Nummer 2 e FeV gestützt worden sei, sei nicht fallangemessen und damit unverhältnismäßig. Die Gutachtenanordnung hierzu sei wohl so zu verstehen, dass sie der Klärung der Frage diene, ob eine Trennung zwischen der Führung von Kraftfahrzeugen und einem die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum gewährleistet sei, es gehe damit um die Frage eines künftigen Alkoholmissbrauchs im straßenverkehrsrechtlichen Sinne. Dies sei nicht hinreichend fallbezogen, weil bezüglich des Antragstellers ein Alkoholmissbrauch in diesem Sinne in der Vergangenheit nicht festgestellt worden sei.

Die fünfte Fragestellung (Führen von Kraftfahrzeugen unter dem Einfluss berauschender Mittel) sei nicht fallangemessen und daher unverhältnismäßig. Ein Klärungsbedarf bezüglich einer Abhängigkeit von harten Betäubungsmitteln könnte im Hinblick darauf anzunehmen sein, dass der Antragsteller nach den Feststellungen des Landgerichts Flensburg in dem Urteil vom 3. September 2014 zum damaligen Zeitpunkt drogenabhängig gewesen sei. Das könnte Anlass für die Klärung der Frage sein, ob der Antragsteller unter Berücksichtigung der zeitweiligen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt noch abhängig von Betäubungsmitteln sei, oder ob er - ohne abhängig zu sei- weiterhin (harte) Betäubungsmittel einnehme. Nach einem solchen Sachverhalt, der im Regelfall ohne weiteres zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen müsste, sei jedoch nicht gefragt worden.

Es komme demnach darauf an, ob die Gutachtenanordnung jedenfalls bezüglich der zweiten Frage (nach einem hohen Aggressionspotenzial) rechtmäßig sei, und allein die unterlassene Mitwirkung hierzu Grundlage einer Fahrerlaubnisentziehung sein könne. Im Falle des § 11 Abs. 3 Nr. 6 und 7 FeV könne sich die Notwendigkeit einer Begutachtung aufgrund von Straftaten ergeben, die nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr bzw. mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften stünden oder unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen worden seien. Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial seien vorliegend angesichts der Taten, die Gegenstand von rechtskräftigen Verurteilungen des Antragstellers wegen Rohheitsdelikten gewesen seien, anzunehmen. Entsprechend den Ausführungen des Landgerichts Flensburg in dem Urteil vom 3. September 2014 sei dabei anzunehmen, dass die Rauschmittelabhängigkeit und die Persönlichkeitsstörung eine große Rolle für die Gewalttaten gespielt hätten. Daher lasse sich die Frage nach dem hohen Aggressionspotenzial nicht ohne Blick auf diese dafür wichtigen Faktoren beantworten. Die Fehler in der Gutachtenanordnung zum Thema Drogen und zu der Frage der aktuellen Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung infizierten die Fragestellung nach einem hohen Aggressionspotenzial, sodass die Gutachtenanordnung insgesamt als rechtswidrig zu bewerten sei.




2. Der Antragsgegner bringt mit der Beschwerde vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die vierte Fragestellung in dem Bescheid vom 3. März 2020 fallbezogen im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2e) FeV dargelegt worden sei. Es habe die Frage geklärt werden sollen, ob nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch des Antragstellers nunmehr ein stabiler Einstellungswechsel zum kontrollierten Alkoholkonsum eingetreten sei und dadurch eine Kraftfahreignung bestehen bleibe. Dem Antragsgegner sei durch das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 3. September 2014 der immer wiederkehrende Alkoholmissbrauch bekannt gewesen. Der massive Alkoholkonsum und eine frühere nicht erfolgreiche Bearbeitung des Drogen- und Alkoholproblems sei dargelegt worden; diesbezüglich seien aus der Strafakte 108 Js 23809/12 detailliert die Alkohol- und Drogenvergangenheit aufgelistet worden.

Bezüglich der fünften Fragestellung in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 (Führen von Kraftfahrzeugen unter dem Einfluss berauschender Mittel) verkenne das Verwaltungsgericht die fallbezogene Darlegung. Er - der Antragsgegner - habe den Nachweis der Drogenvergangenheit des Antragstellers aus der Strafakte 108 Js 23809/12 erbracht. Zudem sei auf die aktuellere Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit in der Zeit vom 2. August bis zum 26. September 2018 bei der DIAKO Nordfriesland GmbH verwiesen worden. Von einem nicht objektiven Klärungsbedarf in der Fragestellung könne daher nicht ausgegangen werden.

Hinsichtlich der zweiten Fragestellung gehe das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass bei dem Antragsteller ein hohes Aggressionspotenzial in Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV durch die dargelegten Taten bestehe. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts liege eine Infizierung der zweiten Fragen durch die anderen Fragen nicht vor. Für eine gesonderte Betrachtungsweise sprächen die in der Anordnung vom 3. März 2020 dargelegten erheblichen Straftaten, welche unabhängig von Alkohol- und Drogeneinflüssen begangen worden seien. Die jüngsten aufgelisteten Gewaltdelikte des Antragstellers habe das Verwaltungsgericht nicht ausreichend beachtet; die beiden Körperverletzungen während der Haft (Az.: 108 Js 1548/15 und 109 Js 5351/16) zeigten das Aggressionspotenzial auch ohne den Einfluss berauschender Mittel.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Voraussetzung für den Entzug der Fahrerlaubnis ist, dass sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde darf bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, Urt. v. 09.06.2005 -3 C 25/04 -, juris Rn. 19).

Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene soll durch die Mitteilung in die Lage versetzt werden, sich innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV zu bestimmenden Frist zur Vorlage dieses Gutachtens ein Urteil darüber zu bilden, ob die Aufforderung zu dessen Beibringung rechtmäßig ist. Davon hängt es ab, ob sich der Betroffene dieser Aufforderung verweigern kann, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens unter Berufung auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entzieht (BVerwG, Beschl. v. 05.02.2015 - 3 B 16/14 -, juris Rn. 8).

Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es - wie unmittelbar § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV entnommen werden kann - auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an. Der Beibringungsanordnung muss sich indes zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll (BVerwG, a.a.O., Rn. 9). An die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Fragestellung sind mangels selbständiger Anfechtbarkeit der Gutachtenanordnung und wegen der einschneidenden Folgen einer unberechtigten Gutachtenverweigerung im Interesse effektiven Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.11.2013 - 12 ME 158/13 -, juris Rn. 12; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2011 - 10 S 2785/10 -, juris Rn. 4; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 42a).


Unter Berücksichtigung dessen sind die vierte (a) und die fünfte Frage (b) in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 nicht anlassbezogen; die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV kann auch nicht auf die unterlassene Beibringung des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens zur zweiten Frage gestützt werden (c).

a) Die vierte Frage in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020,

   "ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Klassen A und B in Frage stellen?"

ist nicht anlassbezogen.

Der Antragsgegner hat sich insoweit auf § 13 Satz 1 Nr. 2e) FeV sowie Ziffer 8.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung gestützt. Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2e) ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht. Im Falle einer Alkoholabhängigkeit ist nach Ziffer 8.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung die Kraftfahreignung nicht gegeben. Nach einer Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) liegt die Kraftfahreignung (erst) vor, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist (Ziffer 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung). Hierauf wird auch in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 (Seite 7) hingewiesen. Der Antragsgegner hat in der Anordnung (Seite 5 f.) im Einzelnen unter Bezugnahme auf Strafverfahren den vergangenen massiven Alkoholkonsum des Antragstellers dargestellt:

   "...der in den letzten Jahren in einem regelmäßigen mehrtägigen Dauerkonsum von Kokain in Begleitung massiven Alkoholkonsums gipfelte. Eine erfolgreiche Bearbeitung Ihres Drogen- und Alkoholproblems hatte zu der Zeit noch nicht stattgefunden...Dem Beschluss vom 21. Dezember 2015 von der Staatsanwaltschaft Flensburg konnte ich entnehmen, dass Sie bereits im Alter von 13 Jahren begonnen haben, THC und Alkohol zu konsumieren und im Alter von 16 Jahren der BTM-Konsum gesteigert wurde auf zwei Gramm Kokain und mindestens drei bis fünf Ecstasy-Tabletten täglich sowie regelmäßig Speed, aber auch LSD und MDMA. Die synthetischen Drogen sollen Sie häufig bis zur völligen Erschöpfung und bis zum körperlichen Zusammenbruch konsumiert haben. Zu dem Kokain konsumierten Sie regelmäßig Whisky."

Nach der formulierten (vierten) Frage in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 soll indes nicht gutachterlich geklärt werden, ob eine Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht. Geklärt werden soll vielmehr, ob zukünftig eine Trennung zwischen der Führung von Kraftfahrzeugen und einem die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum gewährleistet ist. Die gestellte Frage zielt damit auf die Klärung eines künftigen Alkoholmissbrauchs (im straßenverkehrsrechtliche Sinne) ab, der nach Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegt, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Sicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann (ohne bereits abhängig zu sein). Konkrete Tatsachen, die den hinreichende Verdacht fehlender Eignung wegen Alkoholmissbrauchs begründen könnten, sind weder ersichtlich noch hat der Antragsgegner solche in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020 dargelegt.




b) Auch die fünfte Frage in der Gutachtenanordnung vom 3. März 2020,

   "ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (z.B. Medikamente, Drogen pp.) führen wird, bzw. liegen als Folge unkontrollierten Konsums derartiger Stoffe Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen?"

ist nicht anlassbezogen.

Der Antragsgegner hat sich insoweit auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV und Anlage 9.3 der Fahrerlaubnisverordnung gestützt. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel und Stoffe einnimmt. Nach Ziffer 9.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist die Kraftfahreignung im Falle einer Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetztes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen nicht gegeben. Der Antragsgegner führt in der Anordnung vom 3. März 2020 (detailliert) aus, dass beim Antragsteller ein mehrjähriger massiver Drogenkonsum vorliege (dazu bereits unter 2.a); in der Zeit vom 2. August 2018 bis zum 26. September 2018 sei der Antragsteller wegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit in der DIAKO Nordfriesland GmbH behandelt worden. Die vom Antragsgegner formulierte fünfte Frage fragt indes nicht danach, ob der Antragsteller noch abhängig von Betäubungsmitteln ist, oder ob er - ohne abhängig zu sein - weiterhin (harte) Betäubungsmittel einnimmt.

Die Fragestellung geht daher - wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat - am Klärungsbedarf vorbei; denn es kommt bei einer Gutachtenanordnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV nicht darauf an, ob der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel führen wird.

c) Die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV kann nicht auf die unterlasse Beibringung des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens zur zweiten Frage,

   "liegt bei dem Untersuchten ein hohes Aggressionspotenzial vor? Kann der Untersuchte trotz des evtl. festgestellten hohen Aggressionspotentials ein Kraftfahrzeug der Klassen A und B weiterhin sicher führen?"

gestützt werden.



Der Antragsgegner hat als Rechtsgrundlage für die Gutachtenanordnung insoweit § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 und 7 FeV angeführt. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Ferner kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei Straftaten angeordnet werden, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV). Die Rechtfertigung für das Bestehen von Eignungszweifeln bei Straftaten, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, ergibt sich daraus, dass bei besonders aggressiven Straftätern davon auszugehen ist, dass sie auch bei konflikthaften Verkehrssituationen (etwa bei Fahrfehlern anderer) emotional impulsiv handeln und dadurch das Risiko einer Verkehrssituation erhöhen, sowie eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen werden (vgl. VGH München, Beschl. v. 05.07.2012 - 11 C 12.874 -, juris Rn. 24).

Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial des Antragstellers liegen vor. Der Antragsgegner hat in der Anordnung vom 3. März 2020 eine Vielzahl von Straftaten mit aggressivem Hintergrund aufgeführt, insbesondere gefährliche Körperverletzungen und Körperverletzungen (während der Haft eine Körperverletzung am 12. Januar 2015, Az.: 108 Js 1548/15, und am 16. Januar 2016, Az.: 109 Js 5351/16). Durch die Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur zweiten Frage kann indes nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers geschlossen werden.

Die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus. Es kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Ihm kann insbesondere auch nicht zugemutet werden, dem Gutachter etwa verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtensauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellungen in zulässiger Weise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürften (VGH München, Beschl. v. 04.02.2013 - 11 CS 13.22 -, juris Rn. 19; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2011 - 10 S 2785/10 -, juris Rn. 12; Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn. 55). Es verhält sich im hier zu entscheidenden Fall auch nicht so, dass es auf der Hand liegt, welcher Teil der Fragestellungen rechtmäßig ist und welcher nicht, so dass dem Betroffenen ausnahmsweise zugemutet werden könnte, nur den rechtmäßigen Teil der Fragestellungen abklären zu lassen (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 19).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 46.1 und Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (nachfolgend Streitwertkatalog). Der Antragsteller ist im Besitz der Fahrerlaubnisklassen A und B, für die jeweils der Auffangwert von 5.000,00 € anzusetzen ist. Der danach anzusetzende Wert von 10.000,00 € ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren (vgl. Beschl. d. Senats v. 13.05.2020 - 5 MB 9/20 -, juris Rn. 3).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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