Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgerichtshof München Urteil vom 03.07.2015 - 11 B 14.2809 - Zum Verbot des Radfahrena auf Waldwegen

VGH München v. 03.07.2015: Zum Verbot des Radfahrena auf Waldwegen




Der Verwaltungsgerichtshof München (Urteil vom 03.07.2015 - 11 B 14.2809) hat entschieden:

  1.  Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV gewährleistet auch das Radfahren in freier Natur, wenn es der Erholung und nicht kommerziellen oder rein sportlichen Zwecken dient und soweit die Radfahrer mit Natur und Landschaft pfleglich umgehen.

  2.  Das Radfahren auf hierfür grundsätzlich geeigneten Waldwegen kann verkehrsrechtlich nur dann verboten werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der zu schützenden Rechtsgüter erheblich übersteigt.


Siehe auch
Verwaltungsrechtliches Radfahrverbot
und
Straßensperrungen / Streckensperrungen Beschränkung des Gemeingebrauchs

Tatbestand:


Der Kläger wendet sich gegen das Verbot des Radfahrens in einem Waldgebiet.

Mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 6. März 1959 untersagte das Landratsamt Memmingen das Befahren der staatsforsteigenen Wege im sogenannten „Bannwald“ im Bereich des Beklagten mit Fahrzeugen aller Art. Mit Schreiben vom 21. Juni 1995 bat das Forstamt O. den Beklagten, die Anordnung zur Aufstellung der Verbotsschilder an zwei nicht mehr nutzbaren Zufahrten aufzuheben und an zwei neu ausgebauten Abzweigungen von der Straße O. – B. in den Bannwald jeweils ein Zeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) mit dem Zusatzzeichen 1026-37 (Forstwirtschaftlicher Verkehr frei) aufzustellen. Aufgrund eines Beschlusses des Hauptausschusses vom 17. Oktober 1995 ordnete der Beklagte am 3. November 1995 an, an den beiden Wegeabzweigungen die Zeichen 260 (Verbot für Krafträder und Kraftwagen) mit Zusatzzeichen 1026-37 aufzustellen. Diese Anordnung trägt den handschriftlichen Zusatz: „Z 250 gemäß Antrag v. Forstamt: geändert nach tel. Rücksprache mit H. N. am 22.11.95“ und wurde entsprechend vollzogen.

Mit Schreiben vom 7. September 2013 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg. Er sei bei der Suche nach Fahrradtouren im Allgäu im Internet auf Wegbeschreibungen durch den Bannwald bei O. gestoßen, werde aber durch die vom Beklagten aufgestellten Verbotszeichen daran gehindert, diese Touren zu unternehmen oder den Bannwald mit dem Fahrrad zu erkunden.

Auf der Grundlage eines Beschlusses des Bau- und Umweltausschusses vom 17. Dezember 2013 erließ der Beklagte am 10. Januar 2014 eine verkehrsrechtliche Anordnung, wonach die Zeichen 260 mit Zusatzzeichen 1026-37 durch zwei Zeichen 250 mit Zusatzzeichen 1026-37 zu ersetzen seien. In der Sitzungsniederschrift des Bau- und Umweltausschusses wird hierzu ausgeführt, die Zeichen 260 (Verbot für Krafträder und Kraftwagen) seien 1995 wahrscheinlich aufgrund eines Übertragungsfehlers irrtümlich beschlossen worden. Die Sperrung des Bannwalds auch für Fahrräder sei insbesondere aufgrund der Tatsache, dass alle Wege – auch die eigentlich breiten Wege – in enge, unübersichtliche Wege mit zum Teil starkem Gefälle übergingen, sowie der gleichzeitig hohen Frequentierung durch Wanderer geboten.

Mit Urteil vom 1. April 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag, die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 10. Januar 2014 aufzuheben, abgewiesen. Zwar sei der Kläger klagebefugt, da er als Verkehrsteilnehmer erstmals im Dezember 2013 mit den beiden streitgegenständlichen Verkehrszeichen konfrontiert worden sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. Die Sperrung der Wege für Fahrzeuge aller Art, insbesondere auch für den Radverkehr, sei nicht zu beanstanden. Ausreichend hierfür sei eine konkrete Gefahr, die sich aus den besonderen örtlichen Verhältnissen ergebe. Der Wald zeichne sich durch sehr hohe Erholungsnutzung und eine Vielzahl von schmalen Wegen aus. Mit der Sperrung sollten vor allem Belästigungen der erholungssuchenden Wanderer durch den Radverkehr vermieden werden. Die Waldwege seien nach ihrem Zuschnitt und Verlauf nicht geeignet, mit dem Rad befahren zu werden, ohne dass es zu einer konkreten Gefahrenlage bzw. zu Beeinträchtigungen von Wanderern und Nutzern des Walderlebnispfades komme. Rechtlich zulässige mildere Schutzmittel seien nicht ersichtlich. Es sei dem Kläger zumutbar, das relativ kleine Waldstück zu umfahren. Der Beklagte habe die Interessen des Klägers mit denen der Allgemeinheit und anderer Betroffener fehlerfrei abgewogen und dabei der Nutzung durch Fußgänger den Vorzug gegeben. Er habe die Grenzen des Ermessens nicht überschritten.




Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung lässt der Kläger im Wesentlichen ausführen, die Sperrung des gesamten Waldes für den Radverkehr sei rechtswidrig. Das Interesse des Beklagten, die Wege für Wanderer freizuhalten, lasse sich nicht mit einer entsprechenden Gefahrenlage begründen. Die Wege im Bannwald seien – abhängig vom fahrerischen Können und den technischen Möglichkeiten – für Radfahrer geeignet und würden im Tourismusangebot auf der Internetseite des Beklagten teilweise als flach und gut befahrbar beschrieben. Der Beklagte habe zur Frequentierung des Waldes durch Fußgänger und Wanderer und zu den Besuchszeiten sowie zur Lage und Beschaffenheit der Wege keine näheren Angaben gemacht.

Der Kläger beantragt,

   das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 1. April 2014 abzuändern und die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 10. Januar 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Das Waldgebiet liege in unmittelbarer Nähe zum Ortskern des Beklagten mit der Basilika, dem Krankenhaus und mehreren Hotels. Es diene Erholungszwecken und werde tagtäglich von vielen Spaziergängern besucht. Durch den Wald verlaufe unter anderem ein Walderlebnispfad von 2,8 km Länge, der besonders für Familien und Kinder ausgelegt sei. Auch ein Waldkindergarten nutze den Wald ganzjährig. Eine genaue Angabe der Besucherzahl sei nicht möglich, da dies auch von der Tageszeit, der Witterung und der Jahreszeit abhänge. Auch die breiteren Wege in dem unübersichtlichen Waldgebiet würden zum Teil in sehr schmalen Wegen enden und erhebliche Steigungen aufweisen. Daher bestehe die Gefahr von Unfällen, wenn das Waldstück von Mountainbikern befahren werde. Dass es bisher nicht zu Unfällen gekommen sei, sei darauf zurückzuführen, dass die Verkehrszeichen vor mindestens 40 Jahren aufgestellt worden seien und weitgehend beachtet würden. Es gebe aber immer wieder Beschwerden von Fußgängern über Radfahrer, die verbotswidrig in dem Waldgebiet fahren würden und sich rücksichtslos verhielten. Aufgrund der geringen Größe des Waldgebiets mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 1,8 km und einer West-Ost-Ausdehnung von ca. 0,8 km seien Konflikt- und Gefahrensituationen zwischen Radfahrern und Fußgängern unausweichlich. Ein geringerer Eingriff als eine vollständige Sperrung des Bannwalds für Radfahrer, etwa eine zeitlich beschränkte Sperrung, sei für den Schutz der Fußgänger nicht ausreichend. Radfahrern sei es zuzumuten, dieses Gebiet zu umfahren und das sehr gut ausgebaute Radwegenetz in der Umgebung zu nutzen. Die Rechte des Klägers würden durch die Sperrung nur in geringer Weise betroffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins im Bereich des Bannwalds. Auf die hierzu ergangene Niederschrift vom 8. Juni 2015 wird Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Unterlagen des Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.




Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 10. Januar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Klägern in seinen Rechten, soweit sie das Verbot für den Radverkehr im sogenannten „Bannwald“ betrifft.

1. Der Senat legt den Klageantrag dahingehend aus, dass der Kläger die Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung lediglich hinsichtlich des Verbots für den Radverkehr begehrt (§ 88 VwGO). Eine darüberhinausgehende Aufhebung der Anordnung insgesamt, also auch für Kraftfahrzeuge, hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt angestrebt. Sein erkennbares Rechtsschutzziel beschränkt sich darauf, im „Bannwald“ auf den Wegen mit dem Fahrrad fahren zu dürfen.

2. Streitgegenstand sind allerdings nicht sämtliche Verkehrszeichen, die an den Zufahrten in den „Bannwald“ aufgestellt sind, sondern lediglich die beiden Verkehrszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) mit dem Zusatzzeichen 1026-37 (Forstwirtschaftlicher Verkehr frei) an den Abzweigungen von der Straße O. – B. in den „Bannwald“, deren Aufstellung der Bau- und Umweltausschuss des Beklagten am 17. Dezember 2013 beschlossen und zu denen der Beklagte am 10. Januar 2014 eine verkehrsrechtliche Anordnung erlassen hat. Das ergibt sich aus dem Antrag, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht gestellt und im Berufungsverfahren schriftlich wiederholt hat und wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Beweisaufnahme am 8. Juni 2015 so ausdrücklich bestätigt.

3. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 141 Abs. 3 BV ergebende Klagebefugnis des Klägers, der geltend gemacht hat, in dem Waldgebiet mit dem Fahrrad fahren zu wollen und der erstmals im Dezember 2013 mit den Verkehrszeichen konfrontiert wurde, zutreffend bejaht. Gleiches gilt für die Einhaltung der Klagefrist und die zu verneinende Verwirkung des Klagerechts. Verkehrsverbote und -gebote als Verwaltungsakte in der Form einer Allgemeinverfügung werden gegenüber demjenigen, für den sie bestimmt sind oder der von ihnen betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm durch Aufstellen des Verkehrsschildes bekannt gegeben werden. Die Anfechtungsfrist wird jedoch erst ausgelöst, wenn sich der betreffende Verkehrsteilnehmer der Regelung des Verkehrszeichens erstmals gegenübersieht (BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37.09 – BVerwGE 138, 21/24; BayVGH, U.v. 28.5.2014 – 11 B 13.2154 – juris Rn. 23).




184. Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 10. Januar 2014 hinsichtlich des Verbots für den Radverkehr im „Bannwald“ ist rechtswidrig, da hierfür die tatbestandlichen Voraussetzungen, die die Straßenverkehrsbehörde fortlaufend „unter Kontrolle“ halten muss (BVerwG, U.v. 23.9.2010 a.a.O. S. 29), nicht erfüllt sind.

a) Bei den Wegen im „Bannwald“ handelt es sich um nicht gewidmete, aber tatsächlich-öffentliche Wege, die der Allgemeinheit seit langem zur Verfügung stehen und die daher den Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung – StVO – vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Oktober 2014 (BGBl I S. 1635), unterliegen. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 10-12) Bezug. Für die Frage, ob auf den Wegen mit dem Fahrrad gefahren werden darf, kommt es auch nicht darauf an, ob das Gebiet durch Rechtsverordnung gemäß Art. 11, Art. 12, Art. 37, Art. 38 des Waldgesetzes für Bayern (BayWaldG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Juli 2005 (GVBl S. 313), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286), zu Bann- oder Erholungswald erklärt wurde, was augenscheinlich nicht der Fall ist. Art. 13 Abs. 3 Satz 1 BayWaldG gestattet das Radfahren im Wald auf Straßen und befestigten Wegen unabhängig davon, ob der Wald als Bann- oder Erholungswald ausgewiesen ist (ebenso Art. 30 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur [Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG] vom 23.2.2011 [GVBl S. 82], zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.4.2015 [GVBl S. 73]), wobei allerdings die Vorschriften des Straßen- und Wegerechts und des Straßenverkehrsrechts unberührt bleiben (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 BayWaldG, Art. 30 Abs. 2 Satz 2 BayNatSchG).

b) Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie in Erholungsorten von besonderer Bedeutung (§ 45 Abs. 1a Nr. 3 StVO), in Landschaftsgebieten und Ortsteilen, die überwiegend der Erholung dienen (§ 45 Abs. 1a Nr. 4 StVO), in der Nähe von Krankenhäusern und Pflegeanstalten (§ 45 Abs. 1a Nr. 5 StVO) sowie in unmittelbarer Nähe von Erholungsstätten außerhalb geschlossener Ortschaften (§ 45 Abs. 1a Nr. 6 StVO), wenn dadurch anders nicht vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können. Verkehrszeichen sind allerdings nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist (§ 39 Abs. 1, § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO). Von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. § 45 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 1a StVO in Verbindung mit § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt daher eine Gefahrenlage voraus, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt (BVerwG, U.v. 23.9.2010 a.a.O. S. 27 f.). Dabei bemisst sich die Rechtmäßigkeit eines Verkehrszeichens als Dauerverwaltungsakt nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung bzw. Entscheidung (BVerwG, U.v. 23.9.2010 a.a.O. S. 26, U.v. 18.11.2010 – 3 C 42.09 – BVerwGE 138, 159/161).

c) Von einer solchen qualifizierten Gefahrenlage im „Bannwald“, die aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Belange erholungssuchender Fußgänger durch Radfahrer erheblich übersteigt, ist nach dem Vorbringen des Beklagten und dem Ergebnis des Augenscheins nicht auszugehen. Zwar setzt eine solche Gefahr nicht voraus, dass alsbald mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermehrt Schadensfälle eintreten. Ausreichend ist bei der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und bedeutende Sachwerte vielmehr eine geringere, aber immer noch das allgemeine Risiko deutlich übersteigende, entsprechende konkrete Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht.

Die beiden Vorschriftzeichen sind im nördlichen Bereich des „Bannwalds“ an den dortigen Zufahrten von der Straße O. – B. in den Wald aufgestellt. Der Augenschein hat ergeben, dass die Wege hier eine Breite von 3,20 m (östlicher Standort) bzw. 2,50 m (westlicher Standort) aufweisen (jeweils ohne Bankett). Die Beschaffenheit und Breite der in den Wald hineinführenden Wege, die hier ohne größere Steigungen oder Kurven verlaufen, ändert sich zunächst nicht. Radfahrer können Fußgänger in diesem Bereich bereits aus größerer Entfernung wahrnehmen, ihre Fahrweise ggf. entsprechend anpassen und gefahrlos an ihnen vorbeifahren. Eine besondere Gefahrenlage ist hier nicht ansatzweise erkennbar. Nachdem jedoch Vorschriftzeichen grundsätzlich ab ihrem Standort zu befolgen sind (§ 41 Abs. 2 Satz 1 StVO), kann die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Januar 2014 bereits aus diesem Grunde keinen Bestand haben.

24Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn bereits in geringer Entfernung zu den Standorten der Verkehrszeichen eine besondere Gefahrenlage anzunehmen wäre, der Radfahrer nicht mehr ausweichen könnten, und es deshalb geboten erschiene, den Radverkehr von vornherein aus dem Waldgebiet herauszuhalten. Eine solche auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende, das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Gefahrenlage, die eine Sperrung des gesamten Waldgebiets für den Radverkehr rechtfertigen würde, ist jedoch auch aufgrund der Situation im weiteren Verlauf der Wege nicht ersichtlich. Zunächst bleibt der beim Augenschein begangene „Pflanzgartenweg“, was auch die Vertreter des Beklagten eingeräumt haben, weiterhin breit und übersichtlich. Die gemessene Breite beträgt etwa bei der Einmündung des Weges, an dem die Erzieherinnen und Erzieher des Waldkindergartens die Kinder in den Wald hineinführen, ca. 2,70 m. Der einmündende Weg selbst ist an dieser Stelle ca. 2,60 m breit und die Einmündung selbst weithin einsehbar. Der westlich davon parallel verlaufende „Kammweg“ ist ca. 2,00 m breit. Auch auf der Höhe der Diensthütte, wo der Waldkindergarten untergebracht ist, verläuft der Weg flach und geradeaus und ist so angelegt, dass er mit Dienstfahrzeugen des Beigeladenen befahren werden kann.

Zwar hat die Begehung im Rahmen der Beweisaufnahme ergeben, dass insbesondere im südlichen Bereich des „Bannwalds“ auch die Hauptwege schmaler und kurvenreicher werden. Allerdings kann auch hier aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nicht durchgehend von einer erhöhten Gefahrenlage ausgegangen werden. Ungeeignete Wege, etwa der südlich aus dem Waldgebiet herausführende, treppenartig angelegte Weg mit einer Breite von lediglich 0,80 m, dürfen mit Fahrrädern ohnehin nicht befahren werden (Art. 30 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG, Art. 13 Abs. 3 Satz 1 BayWaldG). Fahrräder dürfen dort unter besonderer Rücksichtnahme auf Fußgänger allenfalls geschoben oder getragen werden. Im Übrigen sind aber auch schmalere Wege bei angepasster Fahrweise weder zum Radfahren von vornherein ungeeignet noch besteht auf ihnen stets eine erhöhte Gefahrenlage für Fußgänger. Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht (§ 1 Abs. 1 StVO). Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird (§ 1 Abs. 2 StVO). Fahrzeugführer und somit auch Radfahrer dürfen nur so schnell fahren, dass sie das Fahrzeug ständig beherrschen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVO) und innerhalb der übersehbaren Strecke halten können (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO). Sie müssen sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 2a StVO). Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO).


Die Sichtweite für Radfahrer erscheint auch an den bei der Beweisaufnahme begangenen engeren Wegstellen grundsätzlich immer noch ausreichend, um bei entsprechend vorsichtiger Fahrweise auf Fußgänger rechtzeitig reagieren zu können. Für die Frage, ob eine erhöhte Gefahrenlage anzunehmen ist, kommt es vor allem auch auf die Häufigkeit der Begegnung von Radfahrern und Fußgängern an. Hinsichtlich der Frequentierung des „Bannwalds“ durch Fußgänger liegen jedoch trotz der Aufforderung durch den Senat im Zulassungsbeschluss vom 18. Dezember 2014 (ohne dass es hierzu einer exakten zahlenmäßigen Angabe bedurft hätte) über die bloße Behauptung einer hohen Frequentierung hinaus keine näheren und überprüfbaren Angaben des insoweit darlegungspflichtigen Beklagten vor. Am Tag des Augenscheins waren während der ca. zweistündigen Begehung des Waldes nur wenige Fußgänger zu sehen. Der Waldkindergarten findet nur werktags und unter Aufsicht mehrerer Erzieher oder Erzieherinnen statt. Es mag zwar sein, dass die Zahl der erholungssuchenden Fußgänger im „Bannwald“ an Wochenenden bei entsprechender Witterung höher liegt und es dann zu Konfliktsituationen mit Radfahrern kommen kann. Die Angaben des Beklagten zu den Übernachtungszahlen der Urlaubsgäste reichen jedoch nicht aus, um daraus eine gesteigerte Gefahrenlage herleiten zu können.

Es kann auch nicht von vornherein unterstellt werden, dass sich Radfahrer – trotz sicherlich berechtigter Beschwerden in Einzelfällen – generell nicht verkehrsgerecht verhalten und die Gebote des § 1 und des § 3 StVO missachten würden. Insoweit ist es Sache des Beklagten, das Verkehrsgeschehen zu beobachten und darauf ggf. zu reagieren. Es bleibt ihm unbenommen, gegebenenfalls einzelne Wege zu sperren, sollte sich erweisen, dass hier eine erhöhte Gefahrenlage besteht. Außerdem kann er durch deutlich sichtbare Barrieren die Zufahrt in bestimmte Wegeabschnitte erschweren und verhindern, dass Radfahrer hier mit höherer Geschwindigkeit fahren. Des Weiteren kann er Hinweise auf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf Wanderer anbringen. Solche Maßnahmen erscheinen auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, solange sie sich nicht als wirkungslos erweisen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten bereits beim Erlass der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 3. November 1995 bewusst war, dass eine Sperrung des gesamten Waldgebiets für Radfahrer rechtlich problematisch ist. Das ergibt sich aus der Niederschrift über die Sitzung des Hauptausschusses vom 17. Oktober 1995 („Vom GRA Pr. werden nochmals die Mountainbikefahrer, die im Bannwald ihr Unwesen treiben, angesprochen. Er ist der Auffassung, daß dagegen etwas unternommen werden muss. VAR H. entgegnet hierauf, daß dies nur sehr eingeschränkt möglich ist, weil einfach die Voraussetzungen für eine Verhinderung fehlen.“).

5. Der Kläger ist durch das Verbot des Radfahrens im „Bannwald“ auch in seinen Rechten verletzt.

Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV gewährleistet das Grundrecht auf Genuss der Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur. Die Aufzählung des Betretens von Wald und Bergweide, des Befahrens der Gewässer und der Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang hat nur beispielhaften Charakter (VerfGH, E.v. 4.5.2012 – Vf. 10-VII-11 – BayVBl 2013 S. 207/210). Geschützt ist auch das Radfahren in freier Natur, soweit es der Erholung und nicht kommerziellen oder rein sportlichen Zwecken dient und soweit die Radfahrer – der Verpflichtung des Art. 141 Abs. 3 Satz 2 BV entsprechend – mit Natur und Landschaft pfleglich umgehen (Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Auflage 2014, Art. 141 Rn. 27; Holzner, Verfassung des Freistaates Bayern, 1. Auflage 2014, Art. 141 Rn. 33; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 1. Auflage 2009, Art. 141 Rn. 16). Dies gilt jedenfalls für Fahrräder ohne Elektromotor, so dass offen bleiben kann, ob Elektrofahrräder, die keine Kraftfahrzeuge sind (§ 1 Abs. 3 StVG), in den Schutzbereich des Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV fallen. Bei dem Waldgebiet handelt es sich auch um eine forstwirtschaftlich genutzte, nicht durch bauliche oder künstliche Anlagen veränderte Fläche und damit um freie Natur im Sinne von Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV (vgl. VerfGH, E.v. 30.9.2014 – Vf. 1-VII-14 – BayVBl 2015 S. 263/265). Der Kläger muss sich insoweit auch nicht auf die Möglichkeit verweisen lassen, außerhalb des Waldgebiets von seinem Grundrecht Gebrauch zu machen. Vielmehr hat er als Erholungssuchender grundsätzlich die räumlich unbeschränkte Wahl, welche Teile der freien Natur er aufsuchen möchte (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304/307). Trotz der geringen Größe des Waldgebiets bleibt es dem Kläger daher unbenommen, dort auf geeigneten Wegen Fahrrad zu fahren.



Unabhängig davon verletzt das Radfahrverbot den Kläger auch in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV gewährleisteten und umfassend geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit.

Schließlich ist das Recht, im Wald auf Straßen und geeigneten Wegen mit dem Fahrrad zu fahren, auch einfachgesetzlich durch Art. 13 Abs. 3 Satz 1 BayWaldG und Art. 30 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG gewährleistet und vom Betretungsrecht umfasst (Art. 26 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1 und 2, Art. 29 BayNatSchG). Zwar bleiben nach Art. 13 Abs. 3 Satz 2 BayWaldG und Art. 30 Abs. 2 Satz 2 BayNatSchG die Vorschriften des Straßen- und Wegerechts und des Straßenverkehrsrechts unberührt. Die Voraussetzungen für das verkehrsrechtliche Radfahrverbot sind jedoch vorliegend – wie ausgeführt – nicht erfüllt.

Der Kläger kann daher verlangen dass die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 10. Januar 2014 aufgehoben wird und die streitgegenständlichen Verkehrszeichen entfernt werden, soweit sie das Verbot für den Radverkehr betreffen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

7. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung).

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