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Landgericht Verden Beschluss vom 07.04.2022 – 4 Qs 9/22 - Beschlagnahme des Fahrzeugs nach verbotenem Straßenrennen trotz Sicherungsübereignung

LG Verden v. 07.04.2022: Beschlagnahme des Fahrzeugs nach verbotenem Straßenrennen trotz Sicherungsübereignung




Das Landgericht Verden (Beschluss vom 07.04.2022 – 4 Qs 9/22) hat entschieden:

   Ist die Eigentumslage an einem Fahrzeug, dass an einem verbotenen Straßenrennen beteiligt war, unklar, bleibt die Beschlagnahme als Beweismittel sowie zur Sicherung der Vollstreckung einer möglichen Einziehung weiterhin zulässig, auch wenn der verdächtige Halter und Fahrer behauptet, das Fahrzeug sei an die finanzierende Bank sicherungsübereignet.

  

Siehe auch
Straßenrennen und Strafrecht: Beschlagnahme und Sicherstellung von beteiligten Fahrzeugen
und
Straßenrennen mit Kfz und Strafrecht

Gründe:


I.

Der Angeklagte wendet sich - weiterhin - gegen die Beschlagnahme eines Pkw. Zur Darstellung des Sachverhalts und des bisherigen Verfahrensgangs wird Bezug genommen auf den Beschluss der Kammer vom 09.09.2021 (Az.: 4 Qs 88/21).

Die Staatsanwaltschaft Verden hat zwischenzeitlich Anklage zum Strafrichter erhoben, das Amtsgericht Nienburg hat die Anklageschrift am 24.11.2021 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung soll am 24.05.2022 stattfinden.

Mit auf den 20.12.2021 datierten Schriftsatz, gerichtet an das Amtsgericht Verden und erstmalig übersandt per Fax am 20.01.2022, beantragt der Angeklagte erneut die Herausgabe des beschlagnahmten Pkw Audi A5. Er behauptet, das beschlagnahmte Kraftfahrzeug stehe nicht in seinem Eigentum. Es sei vielmehr im Rahmen eines „…-Autokreditvertrages“ an die …-Bank sicherungsübereignet. Er ist der Ansicht, die Voraussetzung einer Einziehung bei einem Dritten lägen nicht vor.

Mit Verfügung vom 27.01.2022 hat die Staatsanwaltschaft Verden beantragt, die Beschlagnahme des vorgenannten Pkw aufzuheben und stattdessen die Beschlagnahme des Anwartschaftsrechts des Beschuldigten an dem Pkw anzuordnen.

Das Amtsgericht Nienburg hat mit Beschluss vom 02.02.2022 beide Anträge zurückgewiesen, da es die Voraussetzungen für die Einziehung des Pkw trotz möglichweise bestehenden Dritteigentums für zulässig erachtet.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 09.02.2022. Ergänzend zu der begründeten Darlegung seiner Rechtsauffassung (s.o.) trägt er vor, es würde erwogen, das Fahrzeug wieder zu verkaufen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung.

Die Staatsanwaltschaft hält an ihrem Antrag vom 27.01.2022 nicht mehr fest, schließt sich den Ausführungen des Amtsgerichts in dem angefochtenen Beschluss an und beantragt, „den Antrag als unbegründet zurückzuweisen“.




II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nienburg vom 02.02.2022 ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Angeklagte ist trotz der von ihm in Abrede genommenen Eigentümerstellung am Kraftfahrzeug weiterhin beschwerdebefugt i.S.v. § 304 StPO. Bei der in seinem Antrag auf Herausgabe genannten Fahrzeug-Identifizierungsnummer handelt es sich zwar nicht um diejenige des beschlagnahmten Fahrzeugs, allerdings dürfte dies auf ein Versehen seitens des Verteidigerbüros zurückzuführen sein.

In der Sache hat die Beschwerde indes keinen Erfolg. Der Pkw unterliegt weiterhin als Beweismittel (1.) sowie zur Sicherung der Vollstreckung einer möglichen Einziehung (2.) der Beschlagnahme.

1. Die Beweisbedeutung des Audi A5 rechtfertigt auch im gegenwärtigen Verfahrensstadium dessen amtliche Verwahrung gemäß § 94 Abs. 1 StPO. Der Angeklagte ist weiter u.a. eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB dringend verdächtig (vgl. hierzu den Beschluss der Kammer vom 09.09.2021). Hinsichtlich der Verwirklichung dieses Tatbestandes ist subjektiv u.a. das Anliegen erforderlich, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Hierbei kann es im Einzelfall auch auf die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit ankommen, wobei diese im Einzelfall nicht immer erreicht sein muss (vgl. Kulhanek, in: BeckOK StGB, 52. Ed. 01.02.2022, § 315d Rn. 41). Insofern besteht die jedenfalls nicht fernliegende Möglichkeit, dass das beschlagnahmte Kraftfahrzeug weiterhin als Beweismittel für die Untersuchung Bedeutung hat.

2. Auch die (geringen) Voraussetzungen der vorläufigen Beschlagnahme zur Sicherung der Vollstreckung einer möglichen Einziehung des Pkw liegen gemäß § 111b Abs. 1 S. 2 StPO weiterhin vor. Es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2007 - StB 5/07 -, Rn. 5) dafür, dass das Fahrzeug gemäß der §§ 74 ff. StGB der Einziehung unterliegt.


a) Die Eigentumslage an dem beschlagnahmten Audi A5 ist im derzeitigen Verfahrensstadium unklar.

Der Angeklagte behauptet, nicht Eigentümer des Pkw zu sein. Er habe das Fahrzeug an die …-Bank sicherungsübereignet. Hierzu legt er (nur) die erste Seite eines „…-Autokreditvertrages“ und eine „Kreditbestätigung“ jeweils der …-Bank vor. Bei den Schriftstücken handelt es sich um weitestgehend unleserliche Dokumente. Mit einiger Phantasie lässt sich erkennen, dass die Angaben zur Person auf dem Autokreditvertrag wohl denen des Angeklagten entsprechen. Die aus dem Jahr 2018 stammende Kreditbestätigung weist zumindest die (zutreffende) FIN des beschlagnahmten Fahrzeugs auf. Über den aktuellen Tilgungsstand ist nichts vorgetragen.

Die in Abrede genommene Eigentümerstellung des Angeklagten hat für die Beschwerdeentscheidung indes keine Relevanz. Denn die Einziehung kommt grundsätzlich sowohl als verfassungsrechtlich unbedenkliche Nebenstrafe gegenüber dem Angeklagten als Eigentümer (aa)) als auch als Sicherungsmaßnahme gegenüber Dritteigentümern (bb)) in Betracht (vgl. Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 27. Aufl. 2022, StVG § 21 Rn. 45).




aa) Wenn der Angeklagte (ggfs. wieder) Eigentümer sein sollte, gilt das bereits im Beschluss der Kammer vom 09.09.2021 Niedergelegte unverändert fort.

bb) Selbst unterstellt, das Fahrzeug stünde, wie der Angeklagte behauptet, (noch) im Sicherungseigentum der …-Bank, ist das Fahrzeug derzeit nicht herauszugeben, da die Voraussetzungen gemäß §§ 74 ff. StGB vorliegen dürften.

(1) Bei dem beschlagnahmten Audi A5 handelt es sich um ein Beziehungsobjekt i.S.v. § 74 Abs. 2 StGB. Die Einziehung von Fahrzeugen als Beziehungsobjekt ist grundsätzlich sowohl gemäß § 315f StGB als auch gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 3 StVG möglich.

§ 74 Abs. 3 StGB sieht vor, dass die Einziehung nur zulässig ist, wenn der Gegenstand zur Zeit der Entscheidung dem Täter gehört oder zusteht. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass unter Gegenständen (nach der ratio, der Systematik und Entstehungsgeschichte nach neuer Rechtslage unverändert) nicht nur bewegliche Sachen, sondern auch Rechte zu verstehen sind (vgl. Heuchemer, in: BeckOK StGB, 52. Ed. 01.02.2022, StGB § 74 Rn. 6 m.w.N.).

Zwar ist umstritten, ob hinsichtlich des „Gehörens“ (Sachen) oder „Zustehens“ (Rechte) eine formale oder eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend ist. Insbesondere die Behandlung von Vorbehalts- und Sicherungseigentum ist umstritten (vgl. Eser/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 74 Rn. 22; Joecks/Meißner, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, § 74 Rn. 30 jeweils m.w.N.). Nach einer - in den 1970er Jahren geprägten - Auffassung ist der Anspruch des Beteiligten auf Rückübertragung oder Rückfall des Eigentums nicht ausreichend, um ein „Gehören“ zu begründen. Demgegenüber hält ein Teil der Literatur das wirtschaftliche Eigentum für maßgebend; entscheidend sei, ob dem Beteiligten die Sache „wirtschaftlich“ gehöre. Der Angeklagte könnte bereits als wirtschaftlicher Eigentümer angesehen werden.

Selbst die an die formale Eigentumsposition anknüpfende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sowohl die Einziehung einer Anwartschaft (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1972 - 4 StR 308/72 -, BGHSt 25, 10-12) als auch die Einziehung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf (Rück-)Übereignung zu (vgl. BGH, Urteil vom 08. November 2016 - 1 StR 325/16 -, Rn. 9). Bei dem Anwartschaftsrecht handelt es sich um eine gesicherte Rechtsposition, ein dem Vollrecht wesensgleiches Minus, mithin einem Gegenstand i.S.v. § 74 StGB. Ob der Vertrag zwischen dem Angeklagten und der …-Bank eine auflösende Bedingung i.S.v. § 158 Abs. 2 BGB dergestalt vorsieht, dass das Eigentum an dem Pkw mit Zahlung der letzten Kreditrate wieder an den Angeklagten zurückfällt, ist mangels Vorlage des vollständigen Vertrages unklar. Jedenfalls dürfte dem Angeklagten gegen die Bank ein schuldrechtlicher Anspruch auf (Rück-) Übereignung des Pkws zustehen (vgl. Mangalia, in: ZWH 2022, 44 f.).

(2) Auch eine Einziehung des Fahrzeugs gemäß § 74b StGB kommt im vorliegenden Fall in Betracht. Zwar dürfte es sich bei dem beschlagnahmten Audi A5, dessen technische Spezifikationen, insbesondere dessen Motorleistung, der Akte nicht zu entnehmen sind, nicht um einen nach seiner Art gefährlichen Gegenstand handeln. Gleichwohl besteht nach derzeitigem Ermittlungsstand die Gefahr, dass das Fahrzeug der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird (§ 74b Abs. 1, 2. Alt. StGB). Denn hier besteht nicht nur die allgemein geltende bloße Möglichkeit des Missbrauchs eines hochmotorisierten Kraftfahrzeugs zur Begehung von Straftaten z.B. gemäß § 315d StGB, hinzu kommt eine in der Person des Angeklagten als - jedenfalls - Besitzer und bisheriger Nutzer des Fahrzeugs angelegte konkrete Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten gemäß § 21 StVG (vgl. BayObLGSt 1973, 178 (180)). Gerade in den Händen des wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einschlägig vorbestraften Angeklagten erweist sich dieses Fahrzeug mithin als gefährlich, sodass die hiergegen gerichtete Argumentation der Verteidigung nicht verfängt.



Ob auch eine Einziehung gemäß § 74a StGB möglich wäre, man also der …-Bank mindestens Leichtfertigkeit dahingehend vorwerfen kann, dass sie den Besitz an einem Fahrzeug an eine Person mittelt, die ein Fahrzeug mangels Fahrerlaubnis jedenfalls nicht im öffentlichen Straßenverkehr führen darf, kann dahinstehen.

b) Das erforderliche Sicherungsbedürfnis ist weiterhin gegeben. Für den Fall der Herausgabe des Pkw an den Angeklagten steht zu befürchten, dass hierauf später nicht mehr zugegriffen werden kann. Die Einziehung des Anwartschaftsrechts oder des schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruchs liefe ohne das Fahrzeug selbst ins Leere. Dies umso mehr, da der Angeklagte im Rahmen seiner Beschwerdeschrift mitgeteilt hat, es würde erwogen, das „Fahrzeug“ zu verkaufen, was angesichts der behaupteten fehlenden Eigentümerstellung seltsam anmutet.

Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich nichts anderes als bereits in hiesigem Beschluss vom 09.09.2021. Zusätzliche eingetretene Umstände, die eine Änderung der damaligen Beurteilung zur Folge hätten, sind nicht vorgetragen. Auch der weiter eingetretene Zeitablauf lässt die Beschlagnahme nicht unverhältnismäßig erscheinen, zumal ein Hauptverhandlungstermin bereits anberaumt ist.

3. Die Kammer weist darauf hin, dass für den Fall, dass das Amtsgericht die Einziehung des Fahrzeugs als Sicherungsmaßnahme gegenüber einem Dritteigentümer in Erwägung zieht, die …-Bank gemäß § 424 StPO am Strafverfahren zu beteiligen sein dürfte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Gegen diesen Beschluss ist eine weitere Beschwerde nicht zulässig (§ 310 Abs. 2 StPO).

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