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Oberlandesgericht Oldenburg Urteil vom 15.08.2000 - 9 U 71/99 - Kollision eines Inline-Skaters mit einem entgegenkommenden Motorroller

OLG Oldenburg v. 15.08.2000: Kollision eines Inline-Skaters mit einem entgegenkommenden Motorroller




Das Oberlandesgericht Oldenburg (Urteil vom 15.08.2000 - 9 U 71/99) hat entschieden:

   Zur Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Kollision eines Inline-Skaters mit einem entgegenkommenden Motorroller

Siehe auch
Inline-Skates
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Tatbestand:


Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin aus einem Verkehrsunfall in B.

Am Samstag, den 13.6.1998 gegen 10.25 Uhr fuhr die Klägerin auf Inline-Skatern auf der Straße "B. E.". Es handelte sich dabei um eine knapp 5 m breite Straße ohne Rad- oder Fußgängerweg, deren linker Fahrbahnrand zur Unfallzeit zahlreiche Unebenheiten aufwies. Aus Sicht der Klägerin verlief die Straße in einer langgezogenen Linkskurve. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 30 km/h. Der Beklagte zu 2) kam ihr auf einem Kleinroller, der bei der Beklagten zu 1) versichert ist, entgegen. Es kam zu einer Kollision. Die Klägerin erlitt dabei schwere Verletzungen (u.a. Beckenringbruch, Schienbeinkopftrümmerbruch, Schlüsselbeinbruch, Schädelhirntrauma). Sie musste mehrfach operiert werden, lag über zwei Monate im Krankenhaus und wurde anschließend in einer Reha-Klinik behandelt, wobei mehrfach Komplikationen auftraten.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei nach Passieren des Ortsausgangsschildes sofort in einem Bogen auf die (für sie) linke Seite der Straße gefahren. Ihre Geschwindigkeit habe maximal 15 km/h betragen. Die Straßenoberfläche sei in einem schlechten Zustand gewesen, weshalb eine höhere Geschwindigkeit nicht möglich gewesen sei. Nachdem sie zunächst behauptet hat, ca. 15 cm vom Straßenrand entfernt und zur Mitte hin orientiert gefahren zu sein, hat sie dann behauptet, sie sei auf der Mitte der - von ihr aus gesehen - linken Fahrbahn gelaufen. Der Beklagte zu 2) sei ihr mit überhöhter Geschwindigkeit entgegen gekommen, weshalb er nicht mehr habe ausweichen können. Der Beklagte zu 2) sei mit mindestens 50 km/h gefahren. Der Unfall sei für sie unvermeidbar gewesen. Die Klägerin hat insgesamt 9.416,22 DM materiellen Schadensersatz (u.a. für Verdienstausfall sowie als Ersatz der Fahrtkosten ihrer Schwester für Besuche) sowie ein Schmerzensgeld von mindestens 60.000,- DM verlangt.

Die Klägerin hat beantragt,

  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.416,22 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen, mindestens jedoch 60.000,- DM.

  3.  festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr jeden weitergehenden künftigen immateriellen und materiellen Schaden - letzterer, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sei -, aus dem Verkehrsunfall vom 13.6.1998 in B. zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt,

   die Klage abzuweisen.




Sie haben behauptet, die Klägerin sei unmittelbar vor dem Zusammenstoß auf die für sie linke Straßenseite gewechselt, obwohl sie den Beklagten zu 2) gesehen haben müsse. Dieser habe nicht mehr reagieren können, er habe den Wechsel nur Bruchteile von Sekunden vor dem Unfall wahrgenommen. Die Klägerin sei zuvor in der Mitte der für sie rechten Fahrbahnseite gefahren, und zwar mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 km/h. Der Beklagte zu 2) selbst sei nicht schneller als 20 km/h gefahren. Der Zusammenstoß sei für ihn unvermeidbar gewesen.

Die Beklagten sind der Ansicht gewesen, daß der Verdienstausfall nicht korrekt berechnet sei, und haben die medizinische Notwendigkeit der Besuche der Schwester, soweit diese häufiger als zweimal pro Woche stattgefunden haben, bestritten.

Das Landgericht hat die Beklagten gem. § 7 StVG, § 3 PflichtVG zur Zahlung des materiellen Schadens, den es in Höhe von 5001,22 DM als bewiesen angesehen hat, verurteilt und ihre 100 %ige Verpflichtung zur Zahlung zukünftiger materieller Schäden festgestellt. Im übrigen hat es die Klage mangels Verschuldens des Beklagten zu 2) abgewiesen.

Klägerin und Beklagte haben gegen das Urteil, das allen Parteien am 9.8.1999 zugestellt worden ist, fristgemäß Berufung eingelegt und diese fristgemäß begründet.

Die Beklagten, die zunächst weiter behauptet haben, die Klägerin sei vor dem Unfall auf der Mitte der - von ihr aus gesehen - rechten Fahrbahn gefahren, behaupten nunmehr, die Klägerin sei in der Mitte der Gesamtfahrbahn gefahren. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens haben sie außerdem mit Nichtwissen bestritten, daß der in der polizeilichen Skizze (Ermittlungsakte Bl. 6) eingetragene Lageort des Motorrollers der Lage des Rollers unmittelbar nach dem Unfall entspricht. Sie sind der Ansicht, die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 2) werde von dem groben Verschulden der Klägerin verdrängt, so daß er überhaupt nicht hafte.

Sie bestreiten außerdem weiter einen Teil der materiellen Unfallfolgen.

Die Beklagten beantragen,

   das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Mit der selbständigen Anschlussberufung beantragt sie,


  1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 9.131,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.3.1999 zu zahlen;

  2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 60.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  3.  festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin jeden weitergehenden künftigen immateriellen und materiellen Schaden - letzterer soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sei - aus dem Verkehrsunfall vom 13.6.1998 in B. zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen,

   die Anschlussberufung zurückzuweis,en.

Die Klägerin wiederholt ihren Vortrag erster Instanz und trägt zur Schadenshöhe im Einzelnen vor. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Ortsbesichtigung der Unfallstelle und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gem. dem Beweisbeschluss vom 13.3.2000 (Bd. 1 Bl. 188). Bzgl. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen S. vom 5.6.2000 (Bd. 2 Bl. 2) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 13.3.2000 (Bd. 1 Bl. 186) und vom 14.7.2000 (Bd. 2 Bl. 46) Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Hinsichtlich des materiellen Schadensersatzes hat die zulässige Berufung der Beklagten insoweit Erfolg, als die Beklagten nur zu 40 % haften; der endgültige Erfolg hängt - ebenso wie ein insoweit möglicher Teilerfolg der Anschlussberufung - vom Betragsverfahren ab. Hinsichtlich der immateriellen Schäden hat die Anschlussberufung keinen Erfolg.

Im Einzelnen:

I.

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld noch einen Anspruch auf Feststellung oder Pflicht der Beklagten zur Zahlung des zukünftigen immateriellen Schadensersatzes. Beide Ansprüche, die nur auf § 847 i.V.m. § 823 BGB beruhen könnten, scheitern daran, daß nicht bewiesen ist, daß der Beklagte zu 2) den Unfall verschuldet hat.

Der Beklagte zu 2) hätte zwar den Unfall vermeiden können, wenn er mit dem an der Unfallstelle höchstens zulässigen Tempo 30 km/h gefahren wäre und gebremst hätte. Darin, daß er das nicht getan hat, kann aber kein Verschulden gesehen werden, weil nicht festgestellt werden kann, daß der Beklagte zu 2) im letzten Zeitpunkt, zu dem er bei Tempo 30 noch hätte abbremsen können, auch zu einem sofortigen Bremsen verpflichtet war.

Dies war nach dem Vortrag der Beklagten nämlich zunächst nicht der Fall: Wenn ihm die Klägerin in der Mitte der Fahrbahn entgegenkam, so daß auch ohne Ausweichen des auf der rechten Fahrbahn fahrenden Beklagten zu 2) keine Kollisionsgefahr bestand, hatte er keinen Anlaß zum sofortigen Anhalten. Wenn die Klägerin plötzlich auf seine Fahrbahn herüberzog, wurde die Gefahr zwar erkennbar, der Zusammenstoß war jedoch nicht mehr vermeidbar. Dieser Vortrag der Beklagten ist nicht widerlegt worden.

Nach der Beweisaufnahme steht fest, daß der Beklagte zu 2) die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt. Eine höhere Geschwindigkeit als 37 km/h ist allerdings nicht nachweisbar.

Die Beklagten haben nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens mit Nichtwissen bestritten, daß der Lageort des Motorrollers in der polizeilichen Unfallskizze die unmittelbar Endlage des Motorrades nach dem Unfall wiedergibt. Das Bestreiten ist gem. § 138 Abs. 4 ZPO zulässig, obwohl der Beklagte zu 2) persönlich in den Unfall verwickelt war, also eigene Wahrnehmungen machen konnte. Der Beklagte zu 2) hat bereits bei dem Ortstermin angegeben, sich an die Fahrbewegungen unmittelbar nach dem Unfall nicht mehr erinnern zu können. Wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 14.7.2000 erklärt hat, erinnert sich der Beklagte auch nicht mehr daran, was unmittelbar nach dem Unfall mit dem Motorroller geschah. Damit scheidet der Lageort des Motorroller laut polizeilicher Skizze als Anknüpfungstatsache für die Geschwindigkeitsberechnung aus.


Die verbleibenden Tatsachen ergeben nur, daß der Beklagte zu 2) mit mindestens 37 km/h gefahren ist. Dazu hat der Sachverständige S. erläutert, daß sich aus den vorhandenen Abriebspuren nicht ableiten lasse, ob der Lageort in der Skizze richtig wiedergegeben sei. Aus den Kratzspuren am Motorroller ergebe sich aber, daß er nach Zurücklegen der Blockierstrecke von 3 m noch mehrere Meter gerutscht sei. Die Intensität der Kratzspuren hänge nicht nur von der zurückgelegten Rutschstrecke (von der man auf die Geschwindigkeit schließen kann), sondern auch von dem Anpressdruck ab, mit dem der Roller an den Boden gedrückt werde. Dieser könne beispielsweise deutlich erhöht sein, wenn die Klägerin noch ein Stück mitgeschleift wurde. Ob dies der Fall sei, könne man nicht mehr sicher feststellen, obwohl die - unstreitige - Endlage der Klägerin für ein Lösen der Klägerin vom Roller unmittelbar nach dem Unfall spreche. Auch aus den Verletzungen der Klägerin lassen sich keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf die Ausgangsgeschwindigkeiten der Beteiligten ziehen. Der Sachverständige S. hat dazu mündlich erläutert, aus der Schwere der Verletzungen ergebe sich zwar, daß auf die Klägerin eine erhebliche Kraft eingewirkt habe. Daraus und aus der Tatsache, daß sie durch den Zusammenstoß entgegen ihrer eigenen Laufrichtung geschleudert worden sei, ergebe sich trotz der höheren Masse des Motorrades samt Fahrer auch, daß der Motorroller schneller als die Klägerin gefahren sein müsse. Weitere Schlüsse ließen sich bei jedoch auch durch medizinische Sachverständige nicht mit hinreichender Sicherheit ziehen. Dies könne er kraft seiner Erfahrungen bei der Unfallanalyse unter Einbeziehung medizinischer Sachverständigengutachten mit hinreichender Gewißheit sagen. Als Anknüpfungstatsachen hat das Gericht deshalb nur zugrunde legen können, daß der Motorroller mit dem Vorderrad die in der polizeilichen Skizze wiedergegebene Blockierspur hinterließ und daß der Motorroller anschließend noch mindestens 1,5 m rutschte. Die Beklagten haben nicht bestritten, daß es sich um bei der Blockierspur um einen Abrieb des Vorderrades handelte. Es haben sich auch keine von Amts wegen zu beachtenden Anhaltspunkte dafür ergeben. Der Sachverständige hat lediglich angegeben, daß ein Spiegel des Motorrades, wenn er auf dem Boden schleife, eine Abriebspur seines Plastikmantels hinterlassen könne. Diese unterscheide sich aber deutlich erkennbar von einer Gummiabriebspur. Das Gericht ist weiter zu der Überzeugung gelangt, daß als Rutschstrecke des Motorrollers nicht mehr als 1,5 m zugrundegelegt werden kann. Dies ergibt sich aus den mündlichen Angaben des Sachverständigen, wonach der Motorroller mindestens 1-2 m gerutscht sein müsse, wahrscheinlich jedoch durchaus wesentlich länger (nämlich in der im schriftlichen Gutachten zugrundegelegten Strecke). Bei einer Geschwindigkeit der Klägerin von 15 km/h, wie sie zugunsten der Beklagten zugrunde zu legen ist, ergibt sich dann eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2) von 37 km/h.

Nicht widerlegt worden ist jedoch der Vortrag des Beklagten zu 2), wonach die Klägerin ihm in der Mitte der Gesamtfahrbahn entgegenkam und unmittelbar vor dem Unfall in seine Fahrbahn abschwenkte. Die Klägerin selber hat angegeben, sie sei außer Sichtweite des Beklagten zu 2) und schon einige Minuten vor dem Unfall auf die von ihr aus gesehen linke Fahrbahnseite gewechselt; an ihr Fahrverhalten unmittelbar vor dem Unfall könne sie sich nicht mehr erinnern. Aus den objektiven Spuren des Unfalls kann nicht abgeleitet werden, welche der beiden Versionen zutrifft. Wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, kann aus den Schäden am Roller nur geschlossen werden, dass die Klägerin frontal mit dem Fahrzeug zusammenstieß. Dabei sei auch möglich, daß sie leicht schräg von vorne rechts oder links aufgeprallt sei. Ein genauer Aufprallwinkel, aus dem auf die vorherige Bewegung der Klägerin geschlossen werden könnte, kann deshalb nicht festgestellt werden. Es können auch keine Rückschlüsse daraus gezogen werden, daß der Beklagte zu 2) nach dem Vortrag der Beklagten noch unmittelbar vor dem Unfall bemerkte, daß die Klägerin auf seine eigene Fahrbahn hinüberzog. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich daraus ableiten ließe, daß er zugleich genügend Zeit hatte, um noch zu reagieren. Das war aber nach dem Vortrag der Beklagten gerade nicht der Fall.

Es kann damit nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin so kurz vor dem Unfall in die Fahrbahn des Beklagten zu 2) lief, daß er auch bei Einhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit den Unfall nicht mehr hätte vermeiden können. Diese Unaufklärbarkeit geht, da die Klägerin das Verschulden des Beklagten zu 1) beweisen muß, zu ihren Lasten.

Ein kausales Verschulden des Beklagten zu 2) liegt auch nicht deshalb vor, weil bei einer Aufprallgeschwindigkeit von nur 30 km/h geringere Verletzungen entstanden wären. Es kann nicht bewiesen werden, daß dies der Fall war. Der Umstand, daß bei höherer Anprallgeschwindigkeit oder Kollisionsdifferenzgeschwindigkeit im allgemeinen auch schwerere Verletzungen entstehen werden, ändert daran nichts. Daß hier erhebliche Kräfte auf die Klägerin einwirkten, ist unstreitig. Nicht ersichtlich ist jedoch, daß mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, daß im konkreten Fall geringere Verletzungen entstanden wären. Der Sachverständige S. hat angegeben, hierzu seien auch unter Zuhilfenahme ärztlicher Sachverständiger keine hinreichend sicheren Feststellungen zu treffen. Dies hält das Gericht für überzeugend. Im übrigen hat die Klägerin auch nicht hinreichend konkret vorgetragen, in welcher Weise die Unfallfolgen sich bei einem geringeren Anprall verringert hätten, so daß auch aus diesem Grund kein weiterer Beweis zu erheben war.




II.

Die Klägerin hat dem Grunde nach aus §§ 7 I StVG, 3 PflichtVG einen Anspruch auf materiellen Schadensersatz. Wegen ihres eigenen Verursachungs- und Verschuldensanteils besteht dieser aber nur in einer Höhe von 40 %, § 254 BGB.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen. Der Unfall war für den Beklagten zu 2) nicht unvermeidbar. Selbst wenn man zugrundelegt, daß die Klägerin erst unmittelbar vor dem Unfall auf die Fahrbahn des Beklagten zu 2) lief, so ist nicht bewiesen, daß dies so spät geschah, daß er bei Aufbietung jeder nach den Umständen gebotenen Sorgfalt und Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit nicht mehr hätte reagieren können.

Die damit nach § 254 Abs. 1 BGB erforderliche Abwägung ergibt, daß sich die Klägerin ein Mitverschulden von 60 % anrechnen lassen muss.

Dabei ist zu Lasten des Beklagten zu 2) zunächst die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu berücksichtigen. Diese war noch erhöht, weil er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit - wenn auch nur um 7 km/h - überschritt.

Zu Lasten der Klägerin ergibt sich in mehrfacher Hinsicht ein Mitverschulden.

Zum einen verstieß die Klägerin gegen § 2 Abs. I StVO, indem sie nicht am rechten Fahrbahnrand lief. Dies tat sie unstreitig nicht, da sie nach eigenem Vortrag von ihr aus gesehen in der Mitte der linken Fahrbahn und nach Vortrag der Beklagten in der Mitte der Gesamtfahrbahn lief.

Sie war jedoch gem. § 2 Abs. StVO verpflichtet, am rechten Fahrbahnrand zu laufen. Die Klägerin befuhr die Straße mit einem Fahrzeug. Die Inline-Skates erfüllen die Definition des Fahrzeugs, es sind nämlich Gegenstände, die zur Fortbewegung auf dem Boden geeignet sind (Vieweg, NZV 98, 4; Rüth/Berr/Berz, § 23 StVO Rn. 1; Seidenstecher, DAR 97, 105; s. auch Garms, NZV 97, 66). Ihre Benutzung ist zwar nicht gesetzlich geregelt. Gem. §§ 1, 16 StZVO (§ 1 galt zur Unfallzeit noch) darf aber jedermann mit Fahrzeugen die öffentlichen Straßen benutzen. Nicht motorisierte Fahrzeuge sind damit gesetzlich ohne weiteres auf öffentlichen Straßen zugelassen (Latten/Meier/Wagner, Straßenverkehr, Bd. 23 § 16 StVZO Rn 2; Rüth/Berr/Berz, § 16 StVZO Rn. 1). Etwas anderes könnte sich nur durch ausdrückliche Verbotsvorschriften ergeben, die nicht existieren.

Die Klägerin war als Inline-Skaterin auch nicht auf die durch Verkehrszeichen für Sport- und Spiel zugelassenen Straßen beschränkt. Es wird zwar vertreten, daß sich dies bei Sportgeräten aus § 31 StVO ergebe (so Jagusch/Hentschel, § 24 StVO, Rn. 6 für Skateboards). Dem folgt der Senat nicht. § 31 knüpft nicht an das Gerät, sondern an seine Nutzung an. Ausschlaggebend für die Einordnung muß deshalb der überwiegende Charakter der jeweiligen Nutzungsform sein (Grams, NZV 97, 66; Rüth/Berr/Berz, § 13 StVO Rn. 2 ). Wie bei anderen Sportgeräten, die in großem Umfang zu Fortbewegungszwecken eingesetzt werden, ist somit § 31 StVO auf Inline-Skates, die zur Fortbewegung eingesetzt werden, nicht anwendbar (anders mag dies bei "Kunststück-Übungen" etc sein, vgl. Grams, NZV 97, 66; Seidenstecher, DAR 97, 106; Vieweg, NZV 98, 5). Daß diese Auslegung allgemeiner Rechtspraxis entspricht, zeigt im übrigen auch das Beispiel des Rennrades: Es wird von Radsportlern allein zu Sportzwecken benutzt, wobei der Sport aber in Form der Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsnetz betrieben wird. Die Zulässigkeit dieser Betätigung ist, soweit ersichtlich, bislang von niemandem unter Berufung auf § 31 StVO in Frage gestellt worden (vgl. Grams, NZV 97,66).

Die Klägerin durfte aber nicht gem. §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 3 2. Halbsatz StVO die linke Fahrbahn benutzen: Die Inline-Skates sind keine "ähnlichen Fortbewegungsmittel" i.S. von § 24 Abs. 1 StVO (Grams, NZV 97, 67; Vieweg, NZV 98, 5; a.A. OLG Karlsruhe, NZV 99,44; OLG Celle, NJW-RR 99, 1187; Schmid, DAR 98, 8; Seidenstecher, DAR 97, 105; Arbeitskreis VII .

des VGT 1998, NZV 98, 146; Jagusch/Hentschel § 24 StVO Rn. 6). "Ähnliche Fortbewegungsmittel" müssen nach Größe, Gewicht, bau- und benutzungsbedingten Fahreigenschaften ebenso wie die in der Vorschrift ausdrücklich aufgeführten Rollstühle, Roller, Kinderwagen etc. ungefährlich für den Fußgängerverkehr sein (Vieweg, NZV 98, 4; Jagusch/Hentschel, § 24 StVO Rn. 6; Rüth/Berr/Berz, § 24 StVO Rn. 4; Schmid, DAR 98, 8). Das ist bei Inline-Skates nur dann der Fall, wenn sie im gemeinsamen Verkehr mit Fußgängern im Schritt-Tempo gefahren werden (OLG Karlsruhe NZV 99, 44; Garms, NZV 97, 65 ). Inline-Skating ist aber technisch mit sicherer Balance nur dann möglich, wenn mehr als 6 km/h erreicht werden. Dabei können auch geübte Skater schlecht bremsen. In jedem Fall benötigen sie bei gleicher Geschwindigkeit einen längeren Bremsweg als Radfahrer oder Autos (Nakas, NZV 99, 278, 282). Die durchschnittliche Geschwindigkeit erwachsener Skater entspricht ungefähr der von Fahrradfahrern (Nakas, NZV 99, 281). Anders als Fußgänger benötigen Skater auch einen erheblichen Teil der Fahrbahn (nämlich eine Spurbreite von 1,30 m, Vieweg, NZV 1998, 3) und können nicht auf unbefestigtem Nebengelände laufen oder dorthin durch einen Schritt zur Seite ausweichen.

In der Praxis würde die Einordnung in § 24 also dazu führen, daß man eine ungefähr dem Fahrradfahren entsprechende, aber deutlich schlechter steuerbare Fortbewegungsmethode auf Gehwege verbannt, und sich darauf verläßt, daß entsprechend der dortigen Verkehrslage der Skater hinreichend rücksichtsvoll und langsam fährt, obwohl dies technisch ausgesprochen schwierig ist (dafür OLG Karlsruhe, NZV 99,44; OLG Celle, NJW-RR 99, 1187; Schmid, DAR 98, 9).

Dies entspricht weder Sinn noch Zweck des § 24, der durch die Sonderregeln für Fortbewegungsmittel, die typischerweise langsam fahren, diese schützen will, ohne daß zugleich der Fußgängerverkehr gefährdet wird. Dies ist bei Inline-Skates in doppelter Hinsicht zu verneinen: Auf Fußgängerüberwegen werden Fußgänger durch Inline-Skater gefährdet. Außerorts gefährden Inline-Skater, die auf der linken Fahrbahn fahren, sich selbst, Fußgänger und den entgegenkommenden Verkehr. § 24 StVO kann deshalb keine Anwendung finden.

Die Klägerin war somit nach § 2 Abs. 1, 2 StVO verpflichtet, möglichst weit rechts auf der rechten Fahrbahn zu fahren, und verstieß gegen diese Vorschrift. Hinsichtlich dieses Verstoßes ist ihr auch ein Mitverschulden vorzuwerfen. Sie war und ist zwar der Auffassung, sie habe gem. § 24 StVO links laufen müssen. Dieser Rechtsirrtum ist jedoch nicht beachtlich. An einen beachtlichen Rechtsirrtum, der das Verschulden entfallen läßt, werden strenge Anforderungen gestellt (Palandt-Heinrichs, § 285 Rn. 4 m.w.N.). Bei ungeklärter Rechtslage entfällt ein Verschulden nur dann, wenn die Rechtslage objektiv zweifelhaft war und der Handelnde bei sorgfältiger Prüfung zu seiner rechtsirrigen Auffassung kommen durfte (BAG, DB 93, 1037).

Die Rechtslage war zwar im Zeitpunkt des Unfalls objektiv zweifelhaft. Bis Mitte 1998 war noch keine einschlägige Rechtsprechung veröffentlicht worden. In der Literatur waren verschiedene Meinungen vertreten worden. Grams (NZV 1997, 67) hatte sich eigentlich für eine Gleichbehandlung mit Fahrrädern ausgesprochen, schlug zugleich aber zahlreiche Einschränkungen vor. Ähnlich hatte Vieweg die Anwendung von § 24 StVO abgelehnt und eine freie Regelung entwickelt (NZV 98, 6). Wiesner hatte im Mai 1998 in zahlreichen Fällen die unklare Rechtslage aufgezeigt, ohne selber Position zu beziehen (NZV 98, 177). Für die Anwendung der §§ 24, 25 StVO hatten sich Schmid, DAR 98, 8; Seidenstecher; DAR 97, 105 und der Deutsche Verkehrsgerichtstag (Arbeitskreis VII des VGT 1998, NZV 98, 146) ausgesprochen. Im Jagusch/Hentschel fand sich zu dem Problem in der 34. Auflage noch nichts. Die Inline-Skater-Verbände hatten als goldene Regeln für Inline-Skater veröffentlicht: Nr. 5: "Skate auf Wegen immer auf der rechten Seite!" und Nr. 9: "Fahre nicht auf öffentlichen Straßen oder Radwegen!" (abgedruckt bei Vieweg, NZV 1998, 2).

Die Klägerin hätte jedoch bei sorgfältiger Prüfung nicht zu dem Schluß kommen dürfen, sie dürfe gem. §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 3 2. Halbsatz StVO wie ein Fußgänger links laufen. In Anbetracht des völlig unklaren Meinungsbildes und der Empfehlung des Inline-Skater-Verbandes durfte sie sich im Sommer 1998 nicht darauf verlassen, daß sie überhaupt auf öffentlichen Straßen laufen durfte. Selbst wenn sie §§ 24, 25 StVO unter Berücksichtigung der, anderen Meinungen für maßgeblich gehalten hätte, hätte sie erkennen können, daß die Anwendung dieser Vorschriften sie selbst und den entgegenkommenden Verkehr deutlich mehr als ein Laufen auf der rechten Fahrbahn gefährdete, und durfte deshalb nicht auf die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung vertrauen. Der Klägerin ist deshalb damit wegen Verlassen der rechten Fahrbahn ein Mitverschulden anzulasten. Die Unklarheit der Rechtslage führt jedoch dazu, daß das Gewicht ihres Verschuldens insoweit als geringfügig anzusehen ist.

Der Klägerin wäre aber auch dann ein Verschulden wegen der Wahl der linken Fahrbahn vorzuwerfen, wenn man der Auffassung wäre, daß Inline-Skater §§ 24, 25 StVO unterfielen. Nach § 25 Abs. 1 S. 3 StVO müssen Fußgänger außerorts nur dann am linken Fahrbahnrand gehen, wenn dies zumutbar ist. Für die Klägerin als Inline-Skaterin ist dies jedenfalls in der konkreten Unfallsituation zu verneinen. Da die Straße als Linkskurve verlief, brachte jedes Laufen auf der linken Seite eine erhebliche Gefährdung durch den entgegenkommenden Verkehr mit sich.

Der Klägerin ist weiter vorzuwerfen, daß sie auch bei Zugrundelegung ihrer eigenen Rechtsauffassung verkehrswidrig lief. Nach §§ 24, 25 StVO wäre ihr nur gestattet gewesen, sich wie ein Fußgänger am linken Fahrbahnrand zu bewegen. Dies tat sie nach eigenem Vortrag nicht, indem sie in der Mitte der linken Fahrbahn lief. Daß die Kollisionsgefahr bei diesem Laufort ungleich höher als bei einem Bewegen am Fahrbahnrand ist, ist evident. Da ein Rechtsirrtum insoweit nicht in Betracht kommt und mit diesem Verhalten eine gesteigerte Gefährdung Dritter verbunden ist, ist das insoweit gegebene Mitverschulden mit erheblichem Gewicht zu berücksichtigen.

Schließlich ist der Klägerin vorzuwerfen, daß sie unmittelbar vor dem Unfall nicht richtig reagiert hat. Das Sachverständigengutachten hat ergeben, daß die Klägerin den Beklagten zu 2) rechtzeitig hätte sehen müssen und durch eine sofortige verkehrsgerechte Reaktion den Unfall hätte vermeiden können. Dies gilt unabhängig davon, ob sie in der Mitte der ganzen oder der von ihr aus gesehen linken Fahrbahn lief. Wenn sie in der linken Fahrbahn lief, hätte sie durch eine "grüne Bremsung", also durch abruptes Ausweichen und Fallen nach links den Unfall vermeiden können. Wenn sie in der Mitte der Fahrbahn lief, hätte sie durch Ausweichen nach rechts den Unfall vermeiden können und müssen. Auch dies Mitverschulden hat nicht unerhebliches Gewicht.

Die Abwägung aller zu Gunsten und zu Lasten der Parteien zu berücksichtigenden Umstände ist zur Überzeugung des Gerichts der Klägerin ein Mitverschulden von 60 % anzulasten. Wäre - entgegen der Ansicht des Gerichts - zugrunde zu legen, daß Inline-Skater sich außerhalb geschlossener Ortschaften entsprechend § 25 Abs. 1 S. 3 StVO am linken Fahrbahnrand halten müssen, hätte der Senat ein hälftiges Mitverschulden angenommen.

Das Gericht hat hinsichtlich der materiellen Schäden nur zum Grund entschieden, da die Klage hinsichtlich mehrerer Einzelposten noch nicht entscheidungsreif ist. Die Klage ist insoweit zum erheblichen Teil schlüssig, ein Teilerfolg ist wahrscheinlich. Die Kostenentscheidung war deshalb dem Schlussurteil vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufig Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 ZPO. Von einem Ausspruch gem. § 711 ZPO hat das Gericht abgesehen, da kein Vollstreckungsschaden durch die vorläufige Vollstreckbarkeit denkbar ist.

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