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BGH Urteil vom 03.08.2023 - 4 StR 467/22 - Zur Definition des bedingten Vorsatzes

BGH v. 03.08.2023: Zur Definition des bedingten Vorsatzes




Der BGH (Urteil vom 03.08.2023 - 4 StR 467/22) hat entschieden:

   Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Erfolg als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Erfolges abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.

Siehe auch
Bedingter Vorsatz - dolus eventualis
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr jeweils in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Sachbeschädigung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis" zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug von vier Monaten bestimmt. Weiterhin hat es eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei Jahren festgesetzt.

Hiergegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts die Verurteilung des Angeklagten wegen weiterer tateinheitlich begangener Delikte - insbesondere wegen gefährlicher Körperverletzung - und die Verhängung einer höheren Strafe anstrebt. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite; im Übrigen ist es unbegründet.




I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem 5. Oktober 2020 nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Am 27. April 2021 gelang ihm gemeinsam mit dem gesondert verfolgten W. die längerfristig vorbereitete Flucht aus dem Maßregelvollzug. Bereits am Vorabend der Flucht nahm er den in der Folgezeit regelmäßig praktizierten Betäubungsmittelkonsum wieder auf, wobei er neben Kokain auch Marihuana und LSD konsumierte. Noch am Fluchttag erklärte er sich zudem bereit, an der Veräußerung von Betäubungsmitteln, die der W. von Dritten erhalten hatte, mitzuwirken.

Am späten Vormittag des 5. Mai 2020 war der Angeklagte allein in einem durch einen Dritten im Auftrag des W. angemieteten BMW im Stadtgebiet von H. unterwegs, um eine Bekannte zu besuchen. Derweil warteten ihn observierende Polizeibeamte auf eine günstige Gelegenheit, um ihn festzunehmen. Sämtliche eingesetzte Polizeibeamte befanden sich in Zivilfahrzeugen und trugen zivile Kleidung. Der Zeuge KHK B. führte einen Mercedes-Benz Vito Kastenwagen, in dem der Zeuge KOK Be. als Beifahrer saß. Der Zeuge KOK S. führte einen Skoda, in dem der Zeuge KOK K. als Beifahrer saß. Die Zeugen KHK D. und KOK Bä. führten weitere Pkw.

Gegen 11.20 Uhr fuhr der Angeklagte, der zwar aufgrund des Konsums von LSD und THC enthemmt, jedoch weder in seiner Unrechtseinsicht noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, mit dem BMW in H. in die E. straße, eine Sackgasse mit einer quadratförmig angelegten Wendefläche, an die sich in südlicher und östlicher Richtung gepflasterte Grundstückseinfahrten mit Parkmöglichkeiten anschließen, ein. Die observierenden Polizeibeamten entschlossen sich, diese Gelegenheit zur Festnahme zu nutzen.

Der Angeklagte fuhr in der Sackgasse in eine Grundstückseinfahrt, die sich in südlicher Richtung an die Wendefläche anschließt und wendete dort, um die Sackgasse in entgegengesetzter Richtung wieder verlassen zu können. Noch bevor er wieder die Wendefläche erreichte, fuhr KHK B. mit dem Vito in die Sackgasse hinein und brachte sein Fahrzeug frontal in max. zwei Metern Entfernung vor dem BMW im Übergangsbereich von Wendefläche und Grundstückseinfahrt zum Stillstand. KHK D. , der als Zweiter nach dem Vito in die Sackgasse gefahren war, fuhr währenddessen rechts an dem Vito vorbei und stellte sein Fahrzeug auf Höhe des BMW ab. Dann stieg er aus, lief zur Fahrerseitenscheibe des BMW, rief laut "Polizei" und forderte den Angeklagten mit gezogener Dienstwaffe auf, die Hände hochzunehmen. Der Angeklagte erfasste die Situation zutreffend als Festnahmeversuch der Polizei und folgte der Anweisung. KHK D. versuchte, die Fahrertür zu öffnen, was ihm jedoch wegen der automatischen Türverriegelung nicht gelang. In diesem Moment entschloss sich der Angeklagte zu fliehen. Er senkte seine Arme wieder, legte einen Vorwärtsgang ein und manövrierte den BMW sehr langsam, Schrittgeschwindigkeit nicht überschreitend, zwischen der Fahrerseite des Mercedes-Benz Vito und einem in seiner Fahrtrichtung rechts auf dem Grünstreifen am Anfang der südlichen Grundstückseinfahrt befindlichen, etwa 50 cm großen Stein vorbei. Währenddessen lief KHK D. auf der Fahrerseite neben dem BMW her und versuchte vergeblich, die Seitenscheibe der Fahrertür mit seiner Dienstwaffe einzuschlagen.

In der Zwischenzeit hatte KOK Bä. , der als Dritter in die Sackgasse gefahren war, das von ihm geführte Zivilfahrzeug etwas nach rechts versetzt hinter dem des KHK D. abgestellt. Er war ausgestiegen und hinter dem Heck des Vito vorbei auf die Beifahrerseite des BMW gelaufen. Diese erreichte er, nachdem der Angeklagte den vorderen Teil des BMW bereits an dem Stein vorbeimanövriert hatte. Auch er versuchte nun, den Angeklagten zum Stehen zu bringen, indem er auf der Beifahrerseite neben dem Fahrzeug herlief, den Angeklagten durch die Beifahrerscheibe mit seiner Dienstwaffe bedrohte und gleichzeitig laut "Polizei, stehenbleiben, Motor ausmachen" rief sowie mit der Hand gegen die Beifahrerscheibe schlug.

Inzwischen war auch KOK Be. aus dem Vito ausgestiegen und hinter dessen Heck vorbei zur Motorhaube des BMW gelaufen, wo er sich in dessen Fahrtrichtung links direkt vor dem Angeklagten positioniert hatte. Während seine beiden Kollegen weiterhin versuchten, den Angeklagten unter Vorhalt der Dienstwaffe durch Rufen und Schlagen auf die Fensterscheiben zum Anhalten zu bewegen, bedrohte KOK Be. den Angeklagten jetzt mit gezogener Dienstwaffe durch die Frontscheibe und rief laut "Polizei, Hände hoch". Der Angeklagte erkannte auch den rechts von ihm befindlichen KOK Bä. und den vor ihm stehenden KOK Be. als Polizeibeamte und nahm auch deren Einwirkungen wahr.

Währenddessen fuhr KOK S. mit einem Skoda als Vierter in die Sackgasse ein. Er brachte das Fahrzeug am Anfang des Wendebereichs in der Mitte der Fahrbahn zum Stehen. KOK K. stieg aus und lief Richtung Fahrerseite des BMW, um KHK D. dort zu unterstützen.


Weil der Angeklagte den BMW zuerst an dem Stein hatte vorbeimanövrieren müssen und in seiner Fahrtrichtung ein Stück hinter dem Heck des Vitos am rechten Fahrbahnrand ein Mazda geparkt war, musste er den BMW sehr eng und in einem "flachen Winkel" an dem Vito vorbeiführen. Dadurch wurde der Zwischenraum zwischen der vorderen linken Fahrzeugseite des BMW und der hinteren linken Ecke des Vito immer enger. Infolgedessen wurde KHK D. zwischen den Fahrzeugen eingeklemmt. KHK D. konnte sich selbst aus dieser Situation befreien, indem er sich mit der linken Hand an der Fahrerseite des BMW und der rechten Hand am Vito aus der Einengung abstützte und nach oben herausdrückte. Die Strafkammer konnte nicht feststellen, an welcher Stelle an der Fahrerseite des BMW dies erfolgte und ob der Angeklagte die für KHK D. bedrängte Situation vor dessen Einklemmen zwischen den Kraftfahrzeugflanken wahrnahm. Der Zeuge erlitt hierdurch ein Hämatom an der linken Gesäßhälfte. Bei Anwendung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte das Risiko einer solchen Situation und eine Verletzung des Zeugen KHK D. als deren Folge erkennen und ihren Eintritt vermeiden können.

Im Folgenden gelang dem Angeklagten durch verschiedene weitere Fahrmanöver die Flucht aus der Sackgasse.

Im Rahmen dieses weiteren Geschehens beschädigte der Angeklagte den Vito und den Mazda, indem er den von ihm gesteuerten BMW bewusst als Rammmittel benutzte, um so seine Weiterfahrt zu ermöglichen. Der Angeklagte bemerkte die von ihm bewusst herbeigeführten Kollisionen mit diesen Fahrzeugen. Hinsichtlich des Mazda erfasste er aber nicht, hierdurch erheblichen Fremdschaden verursacht zu haben. Zudem steuerte er den BMW auf KOK Be. zu, um die Freigabe des Fluchtwegs durch diesen herbeizuführen, was ihm auch entsprechend seiner Erwartung gelang. KOK Be. konnte sich, worauf der Angeklagte vertraut hatte, durch einen Sprung in den Bereich hinter das Heck des Vito in Sicherheit bringen. Dagegen wurde KOK K. von dem vorbeifahrenden BMW leicht am Knie berührt. Hierdurch "erlitt er weder eine Verletzung noch ein körperliches Unwohlsein". Der Angeklagte hatte KOK K. nicht früh genug wahrgenommen, um rechtzeitig vollständig ausweichen zu können, zog aber den BMW in einer reflexhaften Lenkbewegung von KOK K. weg in Richtung des seitlich vor ihm befindlichen Skoda, wodurch dieser beschädigt wurde.

Der Angeklagte nahm auch den Zusammenstoß mit dem Skoda wahr und rechnete damit, dass an Vito, Skoda und BMW erhebliche Schäden entstanden waren. Er hielt jedoch nicht an und setzte seine Flucht fort, ohne Feststellungen zur seiner Person und der Art seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen. Dem Angeklagten war zudem bewusst, dass er nicht über die für das Führen eines Kraftfahrzeuges erforderliche Fahrerlaubnis verfügte.

An den einzelnen Fahrzeugen entstanden durch die von dem Angeklagten verursachten Kollisionen Sachschäden. Die voraussichtlichen Reparaturkosten für diese Schäden hat die Strafkammer für den Vito und den Mazda mit jeweils ca. 1.200 €, für den Skoda mit ca. 650 € und für den von dem Angeklagten gesteuerten, angemieteten BMW mit etwa 23.000 € festgestellt. Darüber hinaus verletzte sich KOK Bä. im Rahmen des Geschehens auf dem Wendehammer, als er die Beifahrerseitenscheibe des BMW mittels eines Nothammers einschlug, um so trotz der verriegelten Fahrzeugtüren in das Innere des Fahrzeugs zu gelangen, an einer Glasscherbe an der Hand.


Zur subjektiven Tatseite des Geschehens zum Nachteil des KHK D. hat das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es die Strafkammer "für plausibel" halte, dass der Angeklagte mehrfach zu KHK D. herübergeschaut habe. Dies liege nahe, da dieser - neben dem BMW herlaufend - versucht habe, die Fahrerscheibe mit seiner Dienstwaffe einzuschlagen. Andererseits habe es sich um eine hoch dynamische Situation gehandelt, in der eine "Vielzahl von Stressoren", namentlich "allein vier von drei Seiten her attackierende Polizeibeamte" auf den Angeklagten einwirkten. Gleichzeitig habe der Angeklagte die Verkehrssituation erfassen müssen, um seine Fluchtmöglichkeiten abschätzen zu können. "Naturgemäß sei sein Blick daher immer wieder nach vorne gerichtet gewesen". Dies reiche für "zweifelsfreie Feststellungen" zu "entsprechender Kenntnis des Angeklagten von der Zwangslage des KHK D. " nicht aus. Schließlich "lasse sich vernünftigerweise auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraute, dass KHK D. sich rechtzeitig vor dem Eintritt einer konkreten Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit zurückziehen und nicht weiter neben dem BMW herlaufen würde".

2. Die infolge der Einklemmung des KHK D. zwischen den Fahrzeugfronten des Vito und des BMW herbeigeführte Verletzung sowie die durch KOK Bä. bei Gelegenheit des Einschlagens der Fensterscheibe der Beifahrertür erlittene Verletzung hat die Strafkammer jeweils unter Verneinung eines Vorsatzes nach § 223 StGB als fahrlässige Körperverletzung gewürdigt. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Körperverletzung durch Zufahren auf KOK K. hat sie aufgrund fehlenden Körperverletzungsvorsatzes und - hilfsweise - wegen freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch durch die spontane, von dem Zeugen wegführende Lenkbewegung verneint. Gleichermaßen hat sie eine versuchte Körperverletzung zum Nachteil des KOK Be. erwogen und wegen fehlenden Körperverletzungsvorsatzes abgelehnt. In dem gezielten Auffahren auf den Vito und den Mazda, um die Weiterfahrt durch ein Freirammen zu erzwingen, hat das Landgericht einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB gesehen. Die durch Zufahren auf den Zeugen KOK Be. herbeigeführte provozierte Freigabe des Fluchtwegs durch das zur Seite Springen des Zeugen hat es als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie als tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Alt. 2, § 114 Abs. 1, Abs. 2 StGB bewertet. Hinsichtlich der Polizeibeamten KHK D. , KOK Bä. und KOK K. hat sie diese Tatbestände mangels entsprechenden Vorsatzes nicht als verwirklicht angesehen. Hinsichtlich der vorsätzlichen Beschädigungen des BMW, des Vito und des Skoda - nicht jedoch des Mazda - hat sie auf eine Sachbeschädigung erkannt. Das Fortsetzen der Flucht nach den von dem Angeklagten insoweit nach den Feststellungen wahrgenommenen Zusammenstößen mit erheblichen Beschädigungen mit dem Vito und dem Skoda hat sie als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort bewertet. Zudem hat sie den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen.

Für sämtliche Delikte ist sie vom Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit aufgrund der ununterbrochenen Fluchtfahrt und damit von Tateinheit ausgegangen (§ 52 StGB).




II.

Die zuungunsten des Angeklagten unbeschränkt eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Körperverletzungsvorsatz hinsichtlich des Geschehens zum Nachteil von KHK D. verneint hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 16 f.; Urteil vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206, 207) einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Erfolg als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Erfolges abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement; vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 ‒ 4 StR 266/20 Rn. 9; Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 17; Urteil vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15 Rn. 12). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 403/20 Rn. 16; Urteil vom 7. Juli 2016 ‒ 4 StR 558/15 Rn. 14 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Sowohl der Ausschluss des Wissenselements (aa) als auch des Willenselements (bb) des bedingten Vorsatzes durch die Strafkammer begegnet vorliegend durchgreifenden rechtlichen Bedenken.




aa) Das Landgericht hat das Wissenselement des bedingten Vorsatzes betreffend einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt. Denn anders als beim direkten Vorsatz ist beim bedingten Vorsatz ein sicheres Voraussehen des tatbestandlichen Erfolges durch den Täter nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 - 4 StR 327/00, juris Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2005 - 1 StR 65/05, juris Rn. 16, jeweils zu § 226 Abs. 2 StGB; BeckOKStGB / Kudlich, § 1 5 Rn. 17; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 72; SSW-StG B/Momsen, 5. Aufl., § 15 Rn. 44). Stattdessen reicht es aus, wenn der Täter die bloße Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 ‒ 4 StR 266/20; Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 17; Beschluss vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, juris Rn. 12). Das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes kann daher nicht - wie vorliegend geschehen - allein mit der Begründung verneint werden, dass keine zweifelsfreien Feststellungen dazu getroffen werden konnten, dass der Angeklagte "die Zwangslage" des Polizeibeamten und damit die den tatbestandlichen Erfolg auslösende Situation tatsächlich wahrnahm.

bb) Auch ist die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe "vernünftiger Weise" darauf vertrauen dürfen, dass sich KHK D. zurückziehe, ist nicht beweiswürdigend unterlegt. Der Ausschluss des voluntativen Vorsatz-elements ist daher ebenfalls nicht tragfähig.

Auch bei der Prüfung des voluntativen Elements eines bedingten Vorsatzes ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 ‒ 4 StR 558/15 Rn. 14; Urteil vom 19. April 2016 ‒ 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 f. mwN; Urteil vom 25. April 2019 ‒ 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608, 609; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 19). Dabei müssen alle im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände in den Blick genommen und erörtert werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NStZ 2020, 602 Rn. 23; Urteil vom 25. April 2019 ‒ 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608 Rn. 16; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 19; Urteil vom 26. November 2014 ‒ 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516 f.; Beschluss vom 27. August 2013 ‒ 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35; Beschluss vom 10. Juli 2007 ‒ 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307).

Daran fehlt es hier. Eine vertrauensstiftende Tatsachenbasis, auf deren Grundlage der Angeklagte vorliegend vom Ausbleiben eines Körperverletzungserfolgs vernünftigerweise hätte ausgehen können, hat die Strafkammer nicht dargelegt. Diese liegt angesichts der auch aus Opfersicht dynamischen, von vielfachen Interaktionen geprägten Tatsituation nicht auf der Hand. Gleiches gilt vor dem Hintergrund der Erwägung des Landgerichts, dass es "plausibel" sei, dass der Angeklagte mehrfach zu dem mit seiner Dienstwaffe auf die Scheibe der Fahrertür einwirkenden Polizeibeamten herübergeschaut habe und sich mithin dessen Position im Bereich zwischen den Fahrzeugflanken des Vito und des BMW im engen zeitlichen Kontext zu der verletzungsherbeiführenden Tatsituation grundsätzlich bewusst war. Angesichts dieser Umstände hätte es für die Annahme eines entsprechenden Vertrauens des Angeklagten auf einen glimpflichen Ausgang weiterer Darlegungen bedurft.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, insbesondere auch zum bisherigen Suchtverhalten des Angeklagten, zum Vortatgeschehen und zum äußeren Tatgeschehen sind hiervon nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie zu den bindend gewordenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.



4. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Annahme eines Zusammenhangs i.S.d. § 46b Abs. 1 StGB der durch den Angeklagten offenbarten Tat des Betäubungsmittelhandels in nicht geringer Menge des gesondert verfolgten W. nach der gemeinsamen Flucht aus dem Maßregelvollzug mit der dem Angeklagten hier zur Last liegenden Tat begegnet auf der Grundlage der Feststellungen rechtlichen Bedenken. Danach war der Angeklagte am Tattag mit dem durch einen Dritten angemieteten BMW, nachdem er zunächst in den Vormittagsstunden "ohne konkretes Ziel in der Gegend herum" gefahren und dann den Zeugen L. zwecks gemeinsamen Betäubungsmittelkonsums aufgesucht hatte, anschließend im Stadtgebiet von H. unterwegs, um sich mit einer Bekannten zu treffen. Ein deliktischer Kontext zu etwaigen Betäubungsmittelgeschäften des W. ergibt sich hieraus nicht. Der bloße Umstand, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt ein auf Rechnung des W. von einem Dritten angemietetes Kraftfahrzeug nutzte und es bei Gelegenheit dieser Nutzung zu dem festgestellten objektiven Tatgeschehen kam, genügt für die Annahme eines Zusammenhangs i.S.d. § 46b Abs. 1 StGB nicht (zur Auslegung vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 527/14, juris Rn. 5; Beschluss vom 3. Februar 2021 - 4 StR 305/20, juris Rn. 6; Beschluss vom 21. Juli 2020 ‒ 3 StR 141/20, juris Rn. 5; vgl. außerdem Beschluss vom 27. Januar 2015 ‒ 5 StR 603/14 [tatplangemäßer Weiterverkauf an einen Hehler]; Beschluss vom 15. Juli 2015 - 5 StR 209/15; Beschluss vom 28. Oktober 2015 - 5 StR 436/15).

b) Schließlich wird sich das neue Tatgericht, sollte es erneut zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kommen, eingehender als bisher mit der Erfolgsaussicht der Maßregel zu befassen haben.

Dabei wird das Landgericht die Umstände der längerfristig geplanten Flucht des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug und insbesondere auch seines Verhaltens nach der Flucht in den Blick zu nehmen haben (zur Berücksichtigung prognoseungünstiger Faktoren vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - 4 StR 506/20, juris Rn. 10; Beschluss vom 17. Januar 2023 - 5 StR 525/22, juris Rn. 14 mwN). Welchen positiven Einfluss eine erneute Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf das durch die bisherige Therapie offenbar unbeeinflusste Konsum- und Delinquenzverhalten des u.a. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorgeahndeten Angeklagten haben und weshalb diese im Gegensatz zur vorausgegangenen Anordnung nunmehr Aussicht auf Erfolg haben soll, bedarf der Darlegung.

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