Das Verkehrslexikon

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OVG Saarlouis Beschluss vom 30.09.2002 - 9 W 25/02 - Zur Unterscheidung von Konsumformen von THC kann die THC-COOH-Konzentration dienen

OVG Saarlouis v. 30.09.2002: Zur Unterscheidung von Konsumformen von THC kann die THC-COOH-Konzentration dienen




Das OVG des Saarlandes (Beschluss vom 30.09.2002 - 9 W 25/02) hat entschieden:

  1.  Die Blutanalyse stellt ein zuverlässiges Verfahren dar, um Feststellungen über die Konsumgewohnheiten bei Cannabiseinnahme zu treffen. Für die Unterscheidung eines einmaligen, gelegentlichen oder regelmäßigen Konsums kann auf die Konzentration des sich nur langsam abbauenden wirkungsfreien Metaboliten THC-COOH abgestellt werden. Dauernder oder gewohnheitsmäßiger beziehungsweise regelmäßiger Konsum ist ab einer THC-COOH-Konzentration im Bereich von 75 ng/ml beziehungsweise 0,075 mg/l anzunehmen. Wird dieser "Grenzwert" überschritten, liegen hinreichende konkrete Verdachtsmomente für eine auch bei Cannabis-Konsum mögliche dauerhafte, fahreignungsrelevante Absenkung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit auf der Grundlage eines über einen längeren Zeitraum erheblichen Drogenmissbrauchs vor, die die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung rechtfertigen, ohne dass es darauf ankommt, ob aus dem Überschreiten des Wertes bereits ein Konsummuster abgeleitet werden kann (1,4 ng/ml THC, 5 ng/ml THC-OH und 29 ng/ml THC-COOH).

  2.  Steht aufgrund eines ärztlichen Gutachtens fest, dass ein ehemaliger regelmäßiger Cannabis-Konsum nachweisbar war, sind bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Drogenkonsums darüberhinaus vorliegende Umstände, wie etwa weitere verkehrsmedizinische Feststellungen und Aussagen über eine zwischenzeitlich bestehende Drogenabstinenz, in die Bewertung einzubeziehen.

  3.  Aus einer kurzzeitigen - hier zweimonatigen - Drogenabstinenz kann allein noch nicht auf das Vorliegen einer stabilen Abstinenz geschlossen werden, ohne dass es darauf ankommt, ob nach regelmäßigem Cannabis-Konsum nach einem halben Jahr oder nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz die Fahreignung wieder zu bejahen ist.

  4.  Die Anlage 4 zur FeV und die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung sind zu der Frage, ob derjenige, der sich vom regelmäßigen Cannabis-Konsum abgewandt hat, seine Drogenabstinenz nachweisen oder sich stattdessen nach entsprechender Änderung der Konsumgewohnheit auch auf gelegentlichen Konsum mit nachgewiesenem Trennungsvermögen berufen kann, um seine Eignung zu beweisen, keine geeignete Bewertungsgrundlage.

  5.  Die Nichtbeachtung vorliegender Hinweise auf den Abstinenzwillen des Fahrerlaubnisinhabers in Verbindung mit der Tatsache, dass er nach verkehrsmedizinischer Begutachtung körperlich voll in der Lage gesehen wird, bei Fortführung der (bisher nur kurzzeitigen) Abstinenz, ein Kraftfahrzeug zu führen, und das Unterlassen weiterer Aufklärungsmaßnahmen führen zu Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit eines alleine auf den vormaligen regelmäßigen Cannabis-Konsum gestützten Fahrerlaubnisentzug, ohne dass im Rahmen der Prüfung nach § 80 V VwGO gesagt werden kann, dass der Bescheid nach Maßgabe der Prüfung durch die Widerspruchsbehörde sich als offensichtlich rechtswidrig erweisen wird. In einem derartigen Fall ist der Ausgang des Widerspruchsverfahrens als offen anzusehen.

  6.  Zur hauptsacheoffenen Interessenabwägung im Einzelfall der hier gegebenen Sachlage.


Siehe auch
THC-COOH-Wert und Cannabis-Konsumformen
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Aus den Entscheidungsgründen:


"... kann im Falle der Antragstellerin entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung nach Maßgabe summarischer Prüfung im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren anzustellenden Vorausbeurteilung der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass ihr Widerspruch erfolglos bleiben wird, weil der dem Verfahren zugrundeliegende Bescheid des Antragsgegners sich als offensichtlich rechtmäßig darstellte. Nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist der Ausgang jenen Verfahrens vielmehr als offen anzusehen. Die demnach anzustellende hauptsacheoffene Interessenabwägung fällt zu Gunsten des privaten Interesses der Antragstellerin daran aus, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von ihrer Fahrerlaubnis weiter Gebrauch machen zu können, da dem grundsätzlich bestehenden öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs vor unter Drogeneinfluss fahrenden Kraftfahrzeugführern nach den hier vorliegenden Erkenntnissen, die zum Entzug der Fahrerlaubnis geführt haben, nicht der Vorrang einzuräumen ist mit der Folge, dass ihrem Antrag nach § 80 V 1 VwGO zu entsprechen ist. Daraus folgt zugleich, dass die Antragstellerin nach § 80 V 3 VwGO Anspruch auf Rückgabe des von ihr unter dem Eindruck der Zwangsmittelandrohung abgegebenen Führerscheines hat. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:




Zu Recht hat der Antragsgegner das toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom 26.7.2001 zum Anlass genommen, ihr mit Schreiben vom 20.9.2001, ergänzt durch Schreiben vom 16.10.2001, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens unter Fristsetzung und Androhung der Entziehung der Fahrerlaubnis aufzugeben, da Tatsachen für die regelmäßige Einnahme von Cannabis, die nach Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV (zu den §§ 11, 13 und 14) die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen, vorlagen (§§ 3 VIII StVG, 14 I 1 Nr. 2 FeV). Anlässlich der Verkehrskontrolle durch die Verkehrspolizeiinspektion - Verkehrskommissariat Merzig - am 17.6.2002, gegen 02:25 Uhr, ist eine Blutprobe der Antragstellerin, die nach ihren Angaben mit ihrem Pkw vom "Zillo Festival" am Stausee Losheim auf dem Heimweg war, angeordnet worden, weil diese - obgleich sonst unauffällig, orientiert und ohne Ausfallerscheinungen - dadurch aufgefallen war, dass bei äußerst blasser Gesichtsfarbe ihre Bindehäute wässrig glänzten, sie angegeben hat, "am 13.6.2001 einen Joint geraucht zu haben", ein vor Ort mit Einverständnis der Antragstellerin durchgeführter Drogenvortest (Drugwipe THC) auf möglichen Konsum von THC hindeutete und ein daraufhin auf der Polizeiwache ebenfalls mit Einverständnis durchgeführter Urintest (Mahsan - Schnelltest DOA4/MET) hinsichtlich THC ein eindeutig positives Ergebnis erbrachte. Die toxikologische Begutachtung der Blutprobe am 26.7.2001 ergab Werte von 0,014 mg/l Tetrahydrocannabinol, 0,005 mg/l Hydroxy-THC und 0,29 mg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure. Auf dieser Grundlage wird dort weiter darauf hingewiesen, dass die festgestellte Konzentration an Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure für einen chronischen Konsum von Cannabis durch die Antragstellerin spreche. Diese Feststellung entspricht den anerkannten, auf wissenschaftlichen Expertisen beruhenden Standards, wonach die Blutanalyse ein zuverlässiges Verfahren darstellt, um Feststellungen über die Konsumgewohnheiten bei Cannabiseinnahme zu treffen, und für die Unterscheidung eines einmaligen, gelegentlichen oder regelmäßigen Konsums nicht die THC-Konzentration herangezogen wird, sondern die Konzentration des sich nur langsam abbauenden wirkungsfreien Metaboliten THC-COOH.

   Vgl. Himmelreich, Cannabis-Konsum und seine rechtlichen Folgen für den Führerschein im Verkehrs-Verwaltungsrecht, DAR 2002, 26, 28 f; Grotenhermen in Grotenhermen /Karus (Hrsg.), Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt, 2002, 297, 306 f.

Dauernder oder gewohnheitsmäßiger bzw. regelmäßiger Konsum wird dabei ab einer THC-COOH-Konzentration im Bereich von 75 ng/ml bzw. 0,075 mg/l angenommen.

   Himmelreich, a.a.O.




Dieser "Grenzwert" war im Falle der Antragstellerin Ende Juli 2001 mit 0,29 mg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure eindeutig überschritten. Damit lagen bei ihr hinreichend konkrete Verdachtsmomente für eine auch bei Cannabis-Konsum mögliche dauerhafte fahreignungsrelevante Absenkung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit auf der Grundlage eines über einen längeren Zeitraum erheblichen Drogenmissbrauchs vor,

   vgl. dazu den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20.6.2002 - 1 BvR 2062/96 -, zfs 2002, 454, 458, der zwar noch zu §§ 4 I StVG a.F., 15b StVZO a.F. ergangen ist, sich aber aufgrund der neuesten Erkenntnisse zur Frage der Vereinbarkeit der Einschränkung der Grundrechte aus Art. 2 I, 1 I GG durch Maßnahmen zur Prüfung der Kraftfahreignung verhält

die die verlangte ärztliche Begutachtung rechtfertigten, ohne dass es darauf ankommt, ob aus dem Überschreiten dieses Wertes bereits ein Konsummuster abgeleitet werden kann.

   Vgl. dazu kritisch Brenner-Hartmann u.a. in Schubert u.a., Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2002, S. 115


Nachdem die Antragstellerin dieser Anordnung Folge geleistet und am 15.1.2002 das ärztliche Gutachten des Dr. med. S. vom 4.1.2001 (richtig: 2002) vorgelegt hat, hat der Antragsgegner ihr die Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 4.2.2002 entzogen. Nach Maßgabe der summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren ist nach Auffassung des Senats offen, ob diese Entscheidung nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Durchführung des Widerspruchsverfahrens Bestand haben wird, weil die dortige Prüfung im Hinblick auf das Ergebnis des vorgelegten ärztlichen Gutachtens weitere Ermittlungen erfordert, deren Ergebnis nicht vorausbeurteilt werden kann. Die verkehrsfachärztliche Begutachtung hat zwar ergeben, dass bei der Antragstellerin jedenfalls bis Ende Oktober 2001 (Erstuntersuchung Drogenscreening im Haar und im Urin vom 25.10.2001) regelmäßige Einnahme von Cannabis vorlag. Ihr ist aber weiter zu entnehmen, dass zum letztmaligen Untersuchungsdatum, dem 17.12.2001, kein nachweisbarer Drogenabusus mehr bestanden hat. Dies wird im Gutachten dahingehend zusammenfassend bewertet, dass ein ehemaliger regelmäßiger Drogenkonsum nachweisbar war, der aber seit Ende Oktober 2001 nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Die auf diesen Befund hin ergangene Entziehungsverfügung des Antragstellers, die wesentlich auf den daraus hervorgehenden nachgewiesenen regelmäßigen Cannabis-Konsum gestützt ist, kann aber nicht als offensichtlich rechtmäßig angesehen werden, da sie aus allen zu bewertenden Umständen nur den letztgenannten Aspekt berücksichtigt und die übrigen verkehrsmedizinischen Feststellungen des Gutachtens ebenso unberücksichtigt lässt wie die dort bestätigte, zumindest zweimonatige Drogenabstinenz der Antragstellerin. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass aus der gutachtlich bestätigten abstinenten Zeit, ohne dass es vorliegend darauf ankommt, ob nach regelmäßigem Cannabis-Konsum nach einem halben Jahr oder nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz die Fahreignung zu bejahen ist,

   vgl. dazu einerseits Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV, wobei diese sich nur auf den Fall der Abhängigkeit von Cannabis beziehen dürfte, und andererseits die Empfehlungen im o.a. Gutachten vom 4.1.2001; vgl. dazu i.ü. Himmelreich, a.a.O., S. 29

alleine noch nicht auf das Vorliegen einer stabilen Abstinenz geschlossen werden kann. Andererseits stellt sich die Frage, ob jedenfalls in einem Falle, wie dem Vorliegenden, überhaupt dem Umstand der Abstinenz der allein entscheidende Eignungsbeleg zukommen kann, wie dies Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV bezogen auf ihre Ziffer 9.3 vorsieht, weil als die Kraftfahreignung nicht tangierende Konsumgewohnheit auch der gelegentliche Konsum von Cannabis bei nachgewiesenem Trennungsvermögen anzusehen ist.

   Vgl. zum letzteren unter Hinweis auf den aktuellen Stand von Forschung und Wissenschaft: BVerfG, a.a.O., S. 457 ff.




Damit stellt sich die Frage, ob derjenige, der sich vom regelmäßigen Cannabis-Konsum abgewandt hat, seine Drogenabstinenz nachweisen muss oder sich stattdessen nach entsprechender Änderung der Konsumgewohnheit auch auf gelegentlichen Konsum mit nachgewiesenem Trennungsvermögen berufen kann, um seine Eignung zu beweisen. Hierzu bieten weder die Anlage 4 zur FeV noch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung eine geeignete Bewertungsgrundlage. Der Kommentierung zur Begutachtungs-Leitlinie




   vgl. Brenner-Hartmann u.a., in Schubert u.a., a.a.O., S. 124

ist insoweit zu entnehmen, es sei unmissverständlich zu fordern, dass immer dann, wenn die Fahreignung ausgeschlossen war, was also auch für den regelmäßigen Konsum von Cannabis gelte, die Anforderungen an die Fahreignung allein bei Abstinenz wieder gegeben seien. Dies sei auch nachvollziehbar, da eine zweckbedingte Veränderung des Konsummusters im Hinblick auf die angestrebte Fahrerlaubnis von nur sehr geringer Stabilität sein werde. Wenn ein regelmäßiger Konsum von Cannabis bereits zu sozialen Nachteilen und/oder körperlichen und psychischen Problemen geführt habe, die zu einer Änderung des Konsummusters gezwungen hätten, sei Abstinenz zu fordern, da in allen anderen Fällen durch die immanent vorherrschenden Rückfallbedingungen eine erneute Wiederaufnahme früheren Konsumverhaltens zu befürchten sei. Die so als unabdingbar erhobene Abstinenzforderung leuchtet zwar hinsichtlich des Vorliegens der zuletzt als bereits manifestiert vorausgesetzten Auswirkungen des regelmäßigen Konsums auf Körper und Seele ein, erscheint aber dann, wenn diese Folgewirkungen noch nicht eingetreten sind, als wenig plausibel. Die ärztliche Begutachtung der Antragstellerin beschreibt den bei ihr im Zeitpunkt der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis erreichten Zustand der - wenn auch erst kurzzeitigen - Abstinenz, die unter dem Druck des Verfahrens bewirkt worden sein dürfte, dahingehend, dass sie "in höchstem Maße die Anforderungen an die FEV .. erfüllt" und alleine der frühere Drogenkonsum mittelfristig einer weiteren Kontrolle durch eine nochmalige Haaranalyse und entsprechende Urinscreenings über einen Zeitraum von einem halben Jahr in adäquaten Abständen von vier bis sechs Wochen sowie der Vorstellung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung bedürfe. Ungeachtet des so attestierten Zustandes und ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen, wie sie aus den ärztlichen Empfehlungen hervorgehen, zu ergreifen, hat der Antragsgegner die Fahrerlaubnis entzogen. Die Nichtbeachtung der vorliegenden Hinweise auf den Abstinenzwillen der Antragstellerin in Verbindung mit der Tatsache, dass sie nach der gutachterlichen Äußerung körperlich voll in der Lage gesehen wird, bei Fortführung der Abstinenz, ein Kraftfahrzeug zu führen (vgl. dazu auch die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Gutachters vom 23.5.2002; Bl. 94 GA) und das Unterlassen weiterer Aufklärungsmaßnahmen führen zu Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des dem Verfahren zugrundeliegenden Bescheides, weil dieser alleine auf den vormaligen regelmäßigen Cannabiskonsum abstellt, ohne dass gesagt werden kann, dass der Bescheid nach Maßgabe der Prüfung durch die Widerspruchsbehörde sich als offensichtlich rechtswidrig erweisen wird. Die Widerspruchsbehörde wird nämlich unter Berücksichtigung aller dargestellten Fallumstände die bisher nicht eingeleiteten Aufklärungsmaßnahmen nachholen müssen, um die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung beurteilen zu können. Deshalb ist der Ausgang des Widerspruchsverfahrens derzeit offen.

Die demnach vom Senat vorzunehmende hauptsacheoffene Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Es ist anerkannt, dass das private Interesse eines Bürgers am Erhalt der Fahrerlaubnis dann zurücktreten muss, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert, wobei das Sicherheitsrisiko deutlich über demjenigen liegen muss, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist.

   Vgl. BVerfG, a.a.O., S. 459



Vorliegend sprechen keine hinreichenden Anhaltspunkte in diesem Sinne dafür, dass die Antragstellerin nach dem von ihr gezeigten Abstinenzwillen und der gutachterlich bestätigten Abstinenzzeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine Gefahr in diesem Sinne darstellt, wobei unerheblich ist, dass die Entscheidung zur Abstinenz möglicherweise nur unter dem Druck des Verfahrens erfolgt ist und sich im Hauptsacheverfahren als nicht stabil erweist. Im übrigen hat die Antragstellerin sich am 14.5.2002 einer Urinuntersuchung unterzogen, die nach Angabe des Gutachters Dr. med. S. vom 23.5.2002 negativ ausfiel. Zwar kann dieses Untersuchungsergebnis wegen des zeitlichen Abstandes zum vorangegangenen Drogentest nicht als zwingender Beleg für die Fortführung der Abstinenz angesehen werden; indiziell deutet deren Ergebnis aber darauf hin, dass der Abstinenzwille der Antragstellerin weiter besteht. Hinzu tritt entscheidend, dass dem vorgelegten Gutachten zu entnehmen ist, dass sie körperlich voll in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Es ist mithin jedenfalls nicht (mehr) von einer Gefährdung des Straßenverkehrs durch die Antragstellerin auszugehen, die das private Interesse der Antragstellerin an der Teilnahme am Straßenverkehr überwiegt. Im übrigen hat es die Widerspruchsbehörde in der Hand, bereits jetzt zur Vorbereitung der Entscheidung im Widerspruchsverfahren weitere Aufklärungsmaßnahmen gegenüber der Antragstellerin etwa durch engmaschige Drogenscreenings, wie sie der Gutachter empfohlen hat, unter Fristsetzung zu ergreifen, um den bestehenden Abstinenzwillen der Antragstellerin zu überprüfen, und schließlich in einem medizinisch-psychologischen Gutachten zu prüfen, ob die Eignung der Antragstellerin besteht und die Entziehung der Fahrerlaubnis zu Recht erfolgt ist oder nicht. Bei Nichteinhaltung der gesetzten Fristen oder positivem Testergebnis bleibt es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag nach § 80 VII VwGO zu stellen. ..."

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