Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil vom 03.02.2004 - 3 K 03.1572 - Eintragungen im VZR über allgemeine Verkehrsordnungswidrigkeiten sind keine Zusatztatsachen im Sinne von § 14 Abs 1 S 4 FeV

VG Augsburg v. 03.02.2004: Eintragungen im VZR über allgemeine Verkehrsordnungswidrigkeiten sind keine Zusatztatsachen im Sinne von § 14 Abs 1 S 4 FeV




Das Verwaltungsgericht Augsburg (Urteil vom 03.02.2004 - 3 K 03.1572) hat entschieden:

   Zusatztatsachen im Sinne von § 14 Abs 1 S 4 FeV sind - außer den in Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung genannten Umstände - nur solche, die einen Bezug zum gelegentlichen Cannabiskonsum haben und einen Rückschluss darauf zulassen, dass sich die Einnahme des Rauschmittels verkehrsgefährdend auswirken kann. Eintragungen im Verkehrszentralregister über allgemeine Verkehrszuwiderhandlungen gehören nicht dazu.

Siehe auch
Zusatztatsachen bei gelegentlichem Konsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der Kläger erhielt am 7. August 1997 die Fahrerlaubnis der Klasse 1 B. Die Polizeiinspektion Bad Wörishofen teilte dem Landratsamt Unterallgäu (Landratsamt) am 22. Juli 1998 mit, dass der Kläger vom Amtsgericht Memmingen am 25. Mai 1998 wegen Cannabiskonsums verurteilt worden sei. Ein daraufhin in Auftrag gegebenes Facharztgutachten vom 29. Oktober 1998 stellte einen gelegentlichen Cannabiskonsum fest. Am 30. Juli 1999 erhielt der Kläger die Fahrerlaubnis der Klasse B. Die Polizeiinspektion Bad Wörishofen teilte dem Landratsamt am 14. November 1999 mit, dass der Kläger in einen Unfall verwickelt gewesen sei. Man habe eine Blutalkoholkonzentration von 0,69 Promille festgestellt. Das Amtsgericht Memmingen verurteilte den Kläger deswegen am 3. Mai 2000; in den Gründen ist festgestellt, dass der Kläger Alkohol und Cannabis konsumiert habe. Ein im Vorfeld dieses Verfahrens erstelltes rechtsmedizinisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass im Blut des Klägers 34 mg/L THC-COOH festgestellt worden seien. Der Wirkstoff THC sei als Spur vorhanden gewesen. Insgesamt habe sich kein Hinweis ergeben, dass der Kläger bei der Fahrt unter Drogen gestanden sei. Das Landratsamt forderte daraufhin die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Der TÜV Kempten kam in seiner Ausarbeitung vom 22. November 2000 zu einem für den Kläger positiven Ergebnis.




Am 5. Dezember 2000 verwarnte das Landratsamt den Kläger, weil zu seinen Lasten acht Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen waren. Daraufhin nahm dieser an einem Kurs teil, was zu einem Abzug von zwei Punkten führte. Durch Urteil des Amtsgerichts Memmingen vom 29. Mai 2002 wurde der Kläger wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Er hatte innerhalb der Frist eines Fahrverbots ein Kraftfahrzeug geführt. Das Landratsamt verwarnte den Kläger daraufhin am 14. Oktober 2002. Es seien derzeit 16 Punkte im Verkehrszentralregister enthalten.

Die Polizeiinspektion Mindelheim teilte dem Landratsamt unter dem 6. Januar 2003 mit, dass der Kläger am 18. Dezember 2002 Cannabis konsumiert habe. Das Amtsgericht Memmingen ahndete das Vergehen durch Strafbefehl vom 11. April 2003.

Am 14. Januar 2003 forderte das Landratsamt vom Kläger die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis zum 2. März 2003. Das Gutachten sei notwendig, um seinen Drogenkonsum zu klären. Hingewiesen wurde auf den letzten aktenkundig gewordenen Cannabiskonsum, die frühere Rauschmittelauffälligkeit sowie den Punktestand im Verkehrszentralregister. Der Kläger legte das geforderte Gutachten nicht vor.

Mit Bescheid vom 7. April 2003 entzog das Landratsamt dem Kläger (sofort vollziehbar) die Fahrerlaubnis. Den Widerspruch wies die Regierung von Schwaben durch Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2003 zurück.

Die Klage dagegen war erfolgreich.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist insbesondere, wenn Krankheiten oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach § 46 Abs. 3 FeV ist die Behörde berechtigt, bei Zweifeln an der Fahreignung die in §§ 11 bis 14 FeV genannten Maßnahmen zu ergreifen. Unter den dort jeweils genannten Voraussetzungen kann insbesondere auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangt werden. Wird ein zu Recht gefordertes Gutachten nicht beigebracht, kann die Behörde nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hieraus auf die Fahrungeeignetheit des Betreffenden schließen.




Vorliegend ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die das Landratsamt berechtigt hätte, vom Kläger die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu verlangen. § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV, auf den das Landratsamt in erster Linie abstellt, gibt der Behörde die Befugnis, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu verlangen, wenn eine gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Als weitere Tatsachen in diesem Sinne sind insbesondere die in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung genannten Umstände anzusehen. Fahreignung ist dabei zu verneinen, wenn zur gelegentlichen Einnahme von Cannabis fehlendes Trennverhalten, zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen hinzu kommt, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust eingetreten ist. Diese Regelbeispiele sind vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere gibt es beim Kläger keinen Hinweis auf fehlendes Trennverhalten. Bei der Fahrt, die zu dem Unfall geführt und vom Amtsgericht Memmingen am 3. Mai 2000 geahndet wurde, lag kein Wirkstoffgehalt vor, der Rückschlüsse auf drogenbedingte Fahruntüchtigkeit zugelassen hätte. Das wird von dem im Strafverfahren eingeholten rechtsmedizinischen Gutachten vom 7. Januar 2000 bestätigt. Andere, von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung nicht genannte Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Hinweis, dass der Kläger immer wieder gelegentlich Cannabis zu sich nimmt, ist keine Zusatztatsache, sondern Grundvoraussetzung für die Anwendung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4. Nicht als Zusatztatsache können auch die Verkehrszuwiderhandlungen angesehen werden, die zur Eintragung von zuletzt 16 Punkten im Verkehrszentralregister geführt haben. Wie sich aus den Regelbeispielen entnehmen lässt, sind als Zusatztatsachen nur solche Umstände anzusehen, die in einem inneren Zusammenhang zu dem Drogenkonsum stehen. Weshalb der gelegentliche Drogenkonsum des Klägers deshalb besonders verkehrsgefährdend sein soll, weil er - ohne unter Einfluss des Rauschmittels zu stehen - Verkehrsordnungswidrigkeiten begeht, konnte der Beklagte nicht näher darlegen.



Die Gutachtensanforderung kann auch nicht auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützt werden. Danach kann die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahrereignung stehen oder bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen, verlangt werden. Die Anwendung der Vorschrift ist schon deshalb fraglich, weil der Kläger nur eine Straftat begangen hat, die Vorschrift aber von Straftaten, also mindestens zwei spricht. Im Übrigen spricht gegen die Anwendung dieser Vorschrift, dass § 4 StVG eine Sonderregelung für sogenannte Mehrfachtäter enthält. Weshalb die Straftat, die der Kläger begangen hat, so herausragend sein soll, dass sie eine Abweichung von dem Regel /Ausnahmeverhältnis begründen soll, konnte der Beklagte nicht erläutern. Hierfür gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen hat der Beklagte auch nicht darauf abgestellt, die Fahreignung unter dem Gesichtspunkt der Begehung einer Verkehrsstraftat zu überprüfen. Aus dem Anforderungsschreiben ergibt sich vielmehr ohne weiteres, dass das Landratsamt Aufklärungsbedarf im Hinblick auf den Drogenkonsum des Klägers hatte.

§ 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist - unbeschadet der Frage, ob diese Bestimmung im Entziehungsverfahren überhaupt Anwendung findet - schon deshalb nicht einschlägig, weil sie voraussetzt, dass bereits ein Drogenkonsum festgestellt wurde, der zur Fahrungeeignetheit geführt hat. Bei nur gelegentlichem Cannabiskonsum ist die Bestimmung unanwendbar. ..."

- nach oben -



Datenschutz    Impressum