Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Urteil vom 12.05.2005 - 14 U 232/04 - Zum Unfall beim Vorbeifahren an einer Straßenahninsel

OLG Celle v. 12.05.2005: Zum Unfall beim Vorbeifahren an einer Straßenahninsel


Das OLG Celle (Urteil vom 12.05.2005 - 14 U 232/04) hat entschieden:
Ein Kraftfahrer, der an einer Straßenbahnhalteinsel vorbeifährt, braucht nicht deshalb schon mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren, weil Fußgänger auf die Straße laufen könnten. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass sein Vorrecht beachtet werden wird.


Siehe auch Fußgänger - Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Ein Verschulden des Beklagten zu 1 am Zustandekommen des Verkehrsunfalls ist nicht feststellbar, worauf der Senat bereits mit Verfügung vom 14. Januar 2005 (Bl. 167 d. A.) hingewiesen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte nun mit einer Geschwindigkeit von unter 20 km/h gefahren ist, wie das Landgericht unter Berücksichtigung des sehr kurzen Anhalteweges angenommen hat, oder, wie die Klägerin mit der Berufung weiterverfolgt, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 20 km/h (wie die Klägerin mit der Berufung unter Bezugnahme auf die Aussage ihrer Schwester und entsprechende Berechnungen behauptet, vgl. Bl. 161 unten d. A.) oder gar 30 km/h (wie sich aus der Schätzung einer im Berufungsverfahren als neues Beweismittel angebotenen weiteren Zeugin ergeben soll, auch wenn diese im Widerspruch zu der in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Berechnung stünde). Auch eine Geschwindigkeit von 20 oder 30 km/h wäre dem Beklagten zu 1 in der Verkehrssituation vor der Kollision nämlich nicht ohne weiteres als Verschulden anzulasten. Der Beklagte zu 1 befuhr zur Hauptverkehrszeit die P.straße, einen der bedeutendsten ... Verkehrswege, stadteinwärts. Auch wenn er dabei an einer in der Straßenmitte gelegenen, aber mit einer eigenen Verkehrsinsel versehenen Straßenbahnhaltestelle vorbeigefahren ist, in die soeben (in etwa gleichauf mit dem Beklagten zu 1) eine Straßenbahn einfuhr, weshalb die Warnblinkleuchten an einem Verkehrsschild über der Straße (vgl. Foto Bl. 57 unten d. A.) im Betrieb gewesen sein könnten, war der Beklagte zu 1 entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gehalten, seine Geschwindigkeit auf Schritttempo zu reduzieren.

Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die (damals rd. 6 ½ Jahre alte) Klägerin bereits an der Straßenseite der rechtsseitig geparkten Pkw gestanden hätte und dort sichtbar gewesen wäre, was aber nach dem erstinstanzlichen Beweisergebnis nicht festgestellt werden kann. Allein die Tatsache, dass in der Mitte der P.straße eine Straßenbahnhaltestelle gelegen ist (welche auch die Klägerin erreichen wollte) und dass ein Zeichen 133 nach § 40 StVO in diesem Bereich angebracht ist, unter welchem sich gelbe Warnblinkleuchten befinden, ändert daran nichts. Diese Beschilderung soll ersichtlich Verkehrsteilnehmer vor denjenigen Gefahren warnen, die im Zusammenhang mit eingefahrenen Straßenbahnen und ihren ein und aussteigenden Fahrgästen bestehen können, insbesondere, weil zu befürchten ist, dass Aussteiger auf direktem Wege versuchen könnten, die Fahrbahn zu überqueren. Eine solche Gefahr konnte sich im vorliegenden Fall aber schon deswegen nicht verwirklichen, weil die Straßenbahn in die Haltestelle erst einfuhr (sie war in etwa gleichauf mit dem Beklagten zu 1). Die Warnbeschilderung dient ersichtlich nicht dem Zweck, Fußgängern das Überqueren der P.straße vom Bürgersteig zur „Fußgängerinsel“ an der Straßenbahnhaltestelle zu erleichtern oder gefahrlos möglich zu machen (anderenfalls hätte dort ein Zebrastreifen oder eine Fußgängerbedarfsampel angebracht werden müssen). Mit Fußgängern, die die Verkehrsinsel an der Straßenbahnhaltestelle erreichen wollen, ist schließlich immer, und nicht nur bei gerade einfahrenden Straßenbahnen zu rechnen. Angesichts dessen, dass die Straßenbahn neben ihm die Haltestelle noch nicht erreicht und auch noch nicht angehalten hatte, musste der Beklagte zu 1 nicht mit unvorsichtigen Aussteigern rechnen und seine Geschwindigkeit auf weniger als 20 (oder 30) km/h reduzieren.

Auch die von der Klägerin in der Berufungsbegründung zitierte Bestimmung des § 20 StVO sowie die Literatur und Rechtsprechung hierzu besagt nichts anderes. Die Vorschrift greift schon deswegen nicht ein, weil sich die Straßenbahnhaltestelle im vorliegenden Fall nicht auf der von Autos befahrenen Fahrbahn der P.straße befand, sondern an einer eigenen Haltestelleninsel, an der ein Kraftfahrer darauf vertrauen darf, dass Wartende und Aussteigende nicht unverhofft auf die Fahrbahn treten (vgl. BGH NJW 1967, 981 = MDR 1967, 579, auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, Rn. 8 zu § 20 StVO). Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1 ohnehin jedenfalls mit einer deutlich niedrigeren Geschwindigkeit gefahren ist, als auf der P.straße generell zulässig. Auch nach dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung ergibt sich aus dem kurzen Anhalteweg des Fahrzeugs des Beklagten (selbst nach der Aussage der Schwester der Klägerin war dieses bereits eineinhalb Fahrzeuglängen nach dem Kollisionspunkt zum Stehen gekommen) keine höhere Geschwindigkeit als 20 km/h. Dem entspricht es auch, dass es die Klägerin gewesen ist, die gegen das Fahrzeug des Beklagten seitlich gegengelaufen ist und nicht etwa der Beklagte die Klägerin mit seiner Fahrzeugfront erfasst hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der zu beurteilende Sachverhalt auch von dem, der der Entscheidung des OLG Naumburg (OLGR Naumburg 1996, 61 f.) zugrunde liegt und bei dem ein Kraftfahrer in einem Wohngebiet, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war, mit einer Geschwindigkeit von 31 km/h gefahren ist. ..."



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