Das Verkehrslexikon

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OLG Koblenz (Urteil vom 01.12.2003 - 12 U 772/02 - Zur allgemeinen Verschuldenshaftung des Fahrschülers

OLG Koblenz v. 01.12.2003: Zur allgemeinen Verschuldenshaftung des Fahrschülers


Das OLG Koblenz (Urteil vom 01.12.2003 - 12 U 772/02) hat entschieden:
  1. Ein Fahrschüler unterliegt grundsätzlich keiner StVG-Haftung. Ihn trifft jedoch gegenüber dritten Verkehrsteilnehmern die allgemeine Verschuldenshaftung, wenn er einen Fahrfehler begeht, den er auch unter Berücksichtigung seiner Ausbildungssituation nach Maßgabe seines subjektiven Wissens und Könnens unschwer hätte vermeiden können (hier Beginn des Linksabbiegens, obwohl zunächst wegen des herannahenden Fahrzeugs an der Mittellinie gehalten wurde).

  2. An die Pflicht des Fahrlehrers, seinen Fahrschüler ständig im Auge zu behalten und seine Fahrweise sorgfältig zu überwachen, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Naht auf der Gegenfahrbahn in schnellem Tempo ein anderer Pkw, muss der Fahrlehrer durch genaues Beobachten darauf achten, dass der Fahrschüler den deshalb bereits an der Mittellinie eingenommenen Haltestand des Schulfahrzeugs bis zur Vorbeifahrt des entgegenkommenden Pkw beibehält. Er muss bereits in dem Augenblick, in dem sich der Fahrschüler situationswidrig anschickt, die typischen einer Wiederanfahrt vorausgehenden Bedienungsbewegungen zu machen, sofort eingreifen, um eine solche Wiederanfahrt schon vor ihrem bewegungsmäßigen Beginn zu vermeiden.

  3. Allein der Umstand, dass ein an der Mittellinie haltendes Fahrzeug als Fahrschulfahrzeug gekennzeichnet ist, begründet noch keine erhöhte Sorgfaltspflicht des Gegenverkehrs.

Siehe auch Fahrschule / Fahrlehrer / Fahrschüler


Aus den Entscheidungsgründen:

"... II. Aufgrund seiner nicht zu beanstandenden Feststellungen hat das Landgericht zutreffend eine Verschuldenshaftung der Beklagten zu 1) und 2} gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB mit 9 Abs. 3 S. l StVO wegen Unfall Verursachung durch Verletzung der Vorfahrt; des Klägers angenommen sowie eine damit korrespondierende Mithaftung der Beklagten zu 3) als Haftpflichtversicherer.

1. Zwar gelten für die Beklagte zu 1) als damaliger Fahrschülerin haftungsrechtliche Besonderheiten. Eine Kraftfahrzeugführerhaftung der Beklagten zu 1} gemäß § 18 Abs. l StVG aufgrund vermuteten Verschuldens, dem ein Fahrer nur bei Gelingen des Entlastungsbeweises entgehen kann, scheidet von vornherein aus. Da sie sich auf einer Übungsfahrt zur Erlangung der Fahrerlaubnis befand, galt gemäß § 2 Abs. 15 StVG der sie begleitende und beaufsichtigende Fahrschullehrer, der Beklagte zu 2), als Kraftfahrzeugführer. Die Beklagte zu 1) war damit aber nicht jeder eigenen Verantwortlichkeit enthoben. Vielmehr galt für sie im Außenverhältnis zu dritten Verkehrsteilnehmern die allgemeine Verschuldenshaftung gemäß § 823 BGB. Sie greift durch, wenn ein Fahrschüler einen Fahrfehler begeht, den er auch unter Berücksichtigung seiner Ausbildungssituation nach Maßgabe seines subjektiven Wissens und Können unschwer hätte vermeiden können. Das ist hier der Fall. Die Einleitung und Durchführung des ihr als Fahrschülerin nur allgemein vorgegebenen Linksabbiegefahrmanövers oblag der Beklagten zu 1) in eigener Entscheidung, wenn auch unter Aufsicht des Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) hat sich ordnungsgemäß nach vorherigem Setzen des Linksblinkers unmittelbar neben der Mittellinie eingeordnet und dort nach eigener Erklärung zunächst gehalten, da sie von vorn das rote Auto des Klägers sah. Wenn sie anschließend, obwohl dieses Fahrzeug unstreitig mit hoher Geschwindigkeit auf der Gegenfahrbahn herannahte, dennoch mit dem Linksabbiegen begann, so gereicht ihr dies zum Verschulden (§ 276 BGB). Sie missachtete damit eine einfache und nächstliegende Sicherheitsvorsorge, die auch schon jedem Fußgänger vor Überqueren einer Straße vertraut ist, und dies um so mehr, als sie wegen des Fahrzeugs des Klägers zunächst schon gestoppt hatte und dann doch noch trotz seines schnellen Herannahens den Abbiegevorgang durchführen wollte. Ein solches Verhalten ist grundsätzlich als Verletzung der allergeringsten Sorgfalt, also als grob fahrlässig zu bewerten. Selbst wenn man bei der Beklagten zu 1) aufgrund ihrer Situation als Fahrschülerin in einem Auto diesen strengen Maßstab noch nicht gelten lassen wollte, so müsste ihr Verhalten jedenfalls als leichte Fahrlässigkeit bewertet werden. Es sind keinerlei Umstände dafür ersichtlich, dass die Klägerin mit der Einleitung und Durchführung des Linksabbiegemanövers überfordert wurde, und erst recht wurde dies zu keinem Zeitpunkt von den Beklagten behauptet.

2. Den Beklagten zu 2) als Fahrlehrer trifft ein unfallursächliches Verschulden deshalb, weil er die unstatthafte Einleitung des Abbiegevorgangs nicht schon im Ansatz der Ausführung mit der Wirkung unterbunden hat, dass es zu der Linksabbiegebewegung erst gar nicht gekommen wäre, die der Kläger nachvollziehbar als eine unmittelbar bevorstehende Sperrung seiner Fahrbahn mit der Reaktionsaufforderung zur sofortigen Gefahrenabwehrbremsung werten konnte und müsste. Ein Fahrlehrer ist verpflichtet, seinen Fahrschüler ständig im Auge zu behalten und seine Fahrweise sorgfältig zu überwachen. Um ein ordnungsgemäßes Fahren gewährleisten zu können, muss er jederzeit in der Lage sein, sofort einzugreifen, wenn die Fahrweise des Schülers das erfordert. An die Erfüllung dieser Pflichten des Fahrlehrers ist zum Schütze der Verkehrsteilnehmer aber auch des Fahrschülers ein strenger Maßstab anzulegen (BGH NJW 1969, 2197). Für den Beklagten zu 2) war ebenso wie für die Beklagte zu 1) schon zu dem Zeitpunkt, als man noch an der Mittellinie hielt, erkennbar, dass auf der Gegenfahrbahn in schnellem Tempo ein anderer Pkw herannahte. Der Beklagte zu 2) konnte und müsste nun durch genaues Beobachten darauf achten, dass der Haltestand bis zur Vorbeifahrt des entgegenkommenden Pkw beibehalten wurde. Er hätte bereits in dem Augenblick, als die Beklagte zu 1 ) sich anschickte, die typischen einer Wiederanfahrt vorausgehenden Bedienungsbewegungen zu machen, sofort eingreifen können und müssen, um eine solche Wiederanfahrt schon vor ihrem bewegungsmäßigen Beginn zu vermeiden. Dies hat er nach Überzeugung des Senats unentschuldbar versäumt.

3. Ein Mitverschulden des Klägers an der Verursachung des Unfalls ist tatsachenmäßig nicht belegbar. ... Allein der Umstand, dass das an der Mittellinie haltende Fahrzeug als Fahrschulfahrzeug gekennzeichnet war, vermag noch keine erhöhten Sorgfaltspflichten des entgegenkommenden Verkehrs, etwa zur deutlichen Herabsetzung der an sich zulässigen Geschwindigkeit u.a., zu begründen. Zwar sind Fälle vorstellbar, etwa bei einem ausnahmsweise zulässigen Fahren mit verkürztem Abstand bei angespannter Aufmerksamkeit, in denen dem Umstand, dass das vorausfahrende Fahrzeug von einem Fahrschüler gefahren wird, durch eine angemessene Gefahrenvorsorge Rechnung zu tragen und unter Umständen sogar ganz von einer riskanten aber situationsbedingt zulässigen Fahrweise abzusehen ist. Im Streitfall sind entsprechende Sonderumstände oder gar schon vorher gesehene Auffälligkeiten in der Fahrweise des Fahrschulwagens nicht gegeben. Der Kläger durfte, zumal auch keinerlei Verkehrsstress und die Aufmerksamkeit ablenkende Faktoren bestanden, darauf vertrauen, dass bei einem stehenden Fahrzeug von dessen Fahrer und insbesondere dem aufsichtspflichtigen Fahrlehrer sein Durchfahrtrecht akzeptiert werde. Die Betriebsgefahr des Klägers, der den Unabwendbarkeitsnachweis nicht angetreten hat, hat das Landgericht mit 25 % keinesfalls zu gering bemessen. ..."








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