Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 30.05.2006 - VI ZR 174/05 - Zur Bedeutung von Kosten einer konkreten Ersatzbeschaffung und eines konkret erzielten Restwerts bei fiktiver Schadensabrechnung

BGH v. 30.05.2006: Zur Bedeutung von Kosten einer konkreten Ersatzbeschaffung und eines konkret erzielten Restwerts bei fiktiver Schadensabrechnung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens.


Der BGH (Urteil vom 30.05.2006 - VI ZR 174/05) hat entschieden:
  1. Der Geschädigte, der bei der tatsächlichen Veräußerung des unfallbeschädigten Fahrzeuges weniger erzielt, muss sich nicht generell auf den von seinem Sachverständigen geschätzten höheren Restwert verweisen lassen. Vielmehr kann er seiner Schadensberechnung grundsätzlich den konkret erzielten Restwertbetrag zugrunde legen.

  2. Der Geschädigte muss sich an der Wahl der fiktiven Schadensabrechnung festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der geltend gemachten Nebenkosten den im Wege der fiktiven Schadensabrechnung erhaltenen Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.

Siehe auch Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis und Totalschaden und Umsatzsteuerersatz - Differenzbesteuerung


Zum Sachverhalt:

Die Klägerin macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 23. Juni 2003 geltend, bei dem ihr PKW, ein Mitsubishi Lancer, Erstzulassung Februar 1995, einen Totalschaden erlitten hat. Die Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht zwischen den Parteien dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch um die Höhe des anzurechnenden Restwertes des unfallbeschädigten Fahrzeuges und um die Frage, ob neben dem vom Sachverständigen geschätzten Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeuges auch die konkret angefallenen Kosten für Telefon, Internet und Überführung des ersatzweise beschafften Fahrzeuges zu ersetzen sind.

Die Klägerin hat zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches zu einem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Fahrzeuges in Höhe von 4.834,93 € (netto) und zu einem Restwert von 240 € gelangte. Bei dem Verkauf des Fahrzeuges an einen Schrotthändler erzielte sie für den Restwert lediglich 200 €. Die Klägerin hat den Schaden auf Gutachtenbasis abgerechnet, wobei die Beklagte einen Restwert von 240 € in Abzug brachte. Unter Einschaltung eines gewerblichen Vermittlers erwarb die Klägerin schließlich ein Gebrauchtfahrzeug derselben Marke und desselben Typs, Erstzulassung November 1994, zum Preis von 3.465,00 €, nachdem der Vermittler dieses über eine Internet-Recherche in einem 120 km vom Wohnort der Klägerin entfernten Ort gefunden hatte. Für die "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" (Telefon, Internet, Überführungskosten) hat der Vermittler 371,20 € in Rechnung gestellt.

Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich des restlichen Restwertes in Höhe von 24 € (10 % von 240 €) und hinsichtlich der "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung der Klägerin hat ihr das Berufungsgericht weitere 16 € hinsichtlich des Restwertes zugesprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte hinsichtlich dieser beiden Positionen ihr Klageabweisungsbegehren - mit teilweisem Erfolg - weiter.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Die Revision hat keinen Erfolg, soweit das Berufungsgericht der Klägerin im Rahmen der Schadensberechnung lediglich den tatsächlich erzielten Restwert für das unfallbeschädigte Fahrzeug schadensmindernd angerechnet hat.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Geschädigte im Totalschadensfall, wenn er von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges beheben will, nur Ersatz des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes verlangen kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 372; 143, 189, 193; vom 21. Januar 1992 VI ZR 142/91 VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 VI ZR 181/92 VersR 1993, 769; vom 7. Dezember 2004 VI ZR 119/04 VersR 2005, 381 und vom 12. Juli 2005 VI ZR 132/04 VersR 2005, 1448).

Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 12. Juli 2005 VI ZR 132/04 aaO m.w.N.) ausgesprochen hat, steht eine solche Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, das auch für die Frage gilt, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nach der "subjektbezogenen Schadensbetrachtung" im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat. Der Geschädigte leistet dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, aaO; vom 21. Januar 1992 VI ZR 142/91 aaO, 458; vom 6. April 1993 VI ZR 181/92 aaO, 770; vom 7. Dezember 2004 VI ZR 119/04 aaO, 382 und vom 12. Juli 2005 VI ZR 132/04 aaO).

Entgegen der Auffassung der Revision muss sich der Geschädigte, der bei der tatsächlichen Veräußerung des unfallbeschädigten Fahrzeuges weniger erzielt, nicht generell auf den von seinem Sachverständigen geschätzten höheren Restwert verweisen lassen. Vielmehr kann er seiner Schadensberechnung grundsätzlich den konkret erzielten Restwertbetrag zugrunde legen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2005 VI ZR 132/04 aaO). Dies gilt auch dann, wenn der Fahrzeugschaden wie hier im Übrigen fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet wird. Die Einstellung des konkret erzielten Restwertbetrages in die Schadensabrechnung stellt dann keine unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung (dazu unten 2.), sondern die Behauptung des Klägers zur Höhe des erzielbaren Restwertes dar und kann dann als Grundlage für die gemäß § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung dienen. Auch in diesem Rahmen sind der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer nicht an dem Vorbringen gehindert, auf dem regionalen Markt hätte ein höherer Restwert erzielt werden müssen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2005 VI ZR 132/04 aaO). Bei allen durch Schadensschätzung nicht zu behebenden Zweifeln muss der Tatrichter den Vortrag der Parteien ggf. durch Beweiserhebung nachgehen. Unter den Umständen des vorliegenden Falles begegnet es aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht sich in Ausübung des ihm nach § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Ermessens bei der Schätzung des konkreten Schadens an dem konkret erzielten Verkaufspreis orientiert hat, der geringfügig unter dem vom Sachverständigen geschätzten lag. Darüber hinaus zeigt die Revision keinen Sachvortrag der im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB darlegungs und beweisbelasteten Beklagten auf, wo der Kläger den vom Sachverständigen geschätzten Verkaufspreis auf dem regionalen Markt tatsächlich hätte erzielen können. Im Übrigen weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, dass die Beklagte im vorliegenden Fall durch Anwaltsschreiben vom 27. Juni 2003 sogar davon unterrichtet worden sei, dass sich zum geschätzten Restwert von 240 € kein Interessent finden lasse und ihr anheim gestellt worden sei, einen Interessenten zu benennen. Hierauf habe die Beklagte nicht reagiert, sondern sich lediglich pauschal auf die Erwägung zurückgezogen, der vom Gutachter geschätzte Restwert sei maßgebend.

2. Die Revision hat dagegen Erfolg, soweit sie sich gegen die Zuerkennung der "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" in Höhe von 371,20 € wendet.

Die von der Klägerin insoweit geltend gemachten Nebenkosten für die tatsächlich erfolgte Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges sind bereits deshalb nicht ersatzfähig, weil die Klägerin die für sie günstigere Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens gewählt hat. An dieser Art der Schadensabrechnung muss sie sich jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der geltend gemachten Nebenkosten den im Wege der fiktiven Schadensabrechnung erhaltenen Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 VI ZR 361/02 VersR 2004, 1575 und vom 15. Februar 2005 VI ZR 172/04 VersR 2005, 665, 667). Auf die Frage, ob und ggf. inwieweit die geltend gemachten Kosten überhaupt ersatzfähig sind, kommt es deshalb im vorliegenden Fall nicht an. ..."