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OLG Hamm Urteil vom 14.11.1994 - 6 U 101/94 - Der Leasinggeber braucht sich bei der Inanspruchnahme des Schädigers aus der Verschuldenshaftung weder die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs noch ein Mitverschulden seines Leasingnehmers anspruchsmindernd zurechnen zu lassen

OLG Hamm v. 14.11.1994: Der Leasinggeber braucht sich bei der Inanspruchnahme des Schädigers aus der Verschuldenshaftung weder die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs noch ein Mitverschulden seines Leasingnehmers anspruchsmindernd zurechnen zu lassen


Das OLG Hamm (Urteil vom 14.11.1994 - 6 U 101/94) hat entschieden, dass sich der vom Halter verschiedene Eigentümer die Betriebsgefahr seine Fahrzeugs bei der Haftungsabwägung nicht entgegenhalten lassen muss:
Der Leasinggeber braucht sich bei der Inanspruchnahme des Schädigers aus der Verschuldenshaftung weder die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs noch ein Mitverschulden seines Leasingnehmers anspruchsmindernd zurechnen zu lassen.


Siehe auch Leasingfahrzeug - Leasingvertrag


Zum Sachverhalt: Die Kl. ist Eigentümerin und Leasinggeberin eines Pkw Toyota Supra, den sie aufgrund eines Leasingvertrages ihrem Leasingnehmer L in R. überlassen hatte. Am 21. 7. 1993 gegen 2.17 Uhr befuhr A mit diesem Fahrzeug die A 45 in Fahrtrichtung E In Höhe von L. geriet er in einer langgezogenen Rechtskurve gegen ein quer auf der mittleren Fahrspur stehendes, bei dem Bekl. haftpflichtversichertes Fahrzeug (Opel Kadett). Der Opel Kadett war von der Fahrbahn abgekommen, gegen die Leitplanken gestoßen und dann auf die mittlere Fahrbahn geraten. Die Kl. hat ihren Schaden auf 11413,10 DM beziffert (Sachschaden, Gutachterkosten und Kostenpauschale). Sie verlangt ihn in voller Höhe von dem Bekl. als Haftpflichtversicherer des Opel Kadett ersetzt. Sie hat die Auffassung vertreten, sie müsse sich weder ein Mitverschulden ihres Leasingnehmers noch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anrechnen lassen. Der Bekl. hat nach Klageerhebung 6674,46 DM gezahlt. Er hat eine Kürzung um 40% vorgenommen, weil den Leasingnehmer der Kl. wegen deutlich überhöhter Geschwindigkeit ein Mitverschulden treffe.

Das LG hat der Kl. im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung des Bekl. blieb ohne Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

Die Kl. kann den Bekl. gem. § 823 I BGB i.V. mit § 3 Nr. 1 PflVG auf Ersatz ihres vollen, der Höhe nach nicht streitigen Schadens in Anspruch nehmen. Denn der Fahrer des beim Bekl. haftpflichtversicherten Pkw Opel Kadett hat den Unfall mit seinen Folgen schuldhaft verursacht. Die Kl. muss auch weder nach § 17 StVG noch nach § 9 StVG, § 254 BGB wegen der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs (Pkw Toyota Supra) oder wegen eines etwaigen Mitverschuldens ihres Leasingnehmers eine quotenmäßige Kürzung ihrer Ansprüche hinnehmen.

1. Der Fahrer des Pkw Opel hat den Unfall, bei dem der Pkw der Kl. beschädigt wurde, schuldhaft verursacht. Er ist von der Fahrbahn abgekommen und hat dann die Gewalt über das Fahrzeug verloren mit der Folge, dass dieses schließlich als unbeleuchtetes Hindernis quer auf der mittleren Fahrspur der BAB zum Stillstand kam. Er hat dadurch den nachfolgenden Unfall widerrechtlich und schuldhaft verursacht und auf diese Weise das Eigentum der Kl. verletzt. Das Verschulden des Fahrers steht nach Anscheinsgrundsätzen fest, denn ein regelwidriges Abkommen von der Fahrbahn stellt einen typischen Geschehensablauf dar, der nach der Lebenserfahrung auf ein Verschulden des Fahrers hindeutet. Tatsachen, die gegen ein Verschulden des Fahrers des Pkw Opel sprechen könnten, hat der Bekl. nicht dargelegt.

2. Die Kl. muss sich weder die Betriebsgefahr ihres Pkw Toyota noch ein etwaiges Mitverschulden ihres Leasingnehmers anspruchsmindernd zurechnen lassen. a) Der Anspruch der Kl. ist nicht nach § 17 I 2 StVG zu kürzen. Denn diese Bestimmung regelt den Schadensausgleich zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeughaltern. Die Kl. als Leasinggeberin war jedoch nicht Halterin ihres Fahrzeugs; Halter war vielmehr allein ihr Leasingnehmer (BGH, NJW 1983, 1492 [1493]).

§ 17 I 2 StVG kann entgegen der Ansicht von Schmitz (NJW 1994, 302; a.A. schon BGH, NJW 1965, 1273 [1274] zum Anspruch des geschädigten Sicherungseigentümers) nicht erweiternd dahin ausgelegt werden, dass sich auch der Eigentümer, der nicht zugleich Halter ist, wie ein Halter die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs und ein etwaiges Mitverschulden seines Fahrers zurechnen lassen muss. Dem steht zunächst der insoweit eindeutige Wortlaut entgegen; § 17 I 2 StVG spricht den Schaden des Halters an, nicht den des Eigentümers. Dem steht ferner entgegen, dass die Frage, wann sich der Eigentümer der beschädigten Sache im Rahmen der Gefährdungshaftung nach dem StVG ein Fremdverschulden zurechnen lassen muss, ausdrücklich geregelt ist, und zwar in § 9 StVG. Vor allem aber steht einer derartigen erweiternden Auslegung des § 17 1 2 StVG der Regelungszweck entgegen. Danach soll, ebenso wie bei § 254 BGB, derjenige eine Anspruchskürzung hinnehmen müssen, der dem Anspruchsgegner im Falle einer Schädigung selbst ersatzpflichtig wäre; nur unter dieser Voraussetzung kann dem Geschädigten sein eigener Schadensbeitrag anspruchsmindernd zugerechnet werden (BGH, NJW 1972, 1415; 1983, 1492 [1493]; Greger, Zivilr. Haftung im Straßenverkehr, 2. Aufl., § 17 StVG Rdnr. 41). Nach einem Verkehrsunfall mit einem Leasingfahrzeug können aber nur der Leasingnehmer als Halter und ggf. der Fahrer auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, nicht dagegen der Leasinggeber als Eigentümer.

b) Die Kl. braucht auch nicht gem. § 254 BGB eine Anspruchskürzung hinzunehmen.

aa) Ein eigenes Mitverschulden trifft die Kl. nicht. Sie braucht sich auch nicht ein etwaiges Mitverschulden ihres Leasingnehmers zurechnen zu lassen. Er war nicht ihr Verrichtungsgehilfe i. S. des § 831 BGB. Es bestand auch keine für die Anwendung der §§ 254, 278 BGB erforderliche Sonderverbindung zwischen ihr und dem Schädiger bzw dessen Haftpflichtversicherer; eine solche entstand vielmehr erst durch den Unfall.

bb) Die Kl. braucht sich auch nicht die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs anspruchsmindernd zurechnen zu lassen. Zwar ist anerkannt, dass im Rahmen des § 254 BGB auch ohne mitwirkendes Verschulden und über den Wortlaut hinaus eine Anspruchskürzung wegen „mitwirkender Betriebsgefahr” in Betracht kommen kann; Voraussetzung ist aber, dass ihre Mitwirkung in haftungsrechtlich zurechenbarer Weise geschehen ist (BGH, NJW 1993, 1493; Greger, § 9 StVG Rdnr. 4). Das ist jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall; die Kl. als Leasinggeberin hat nicht für die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs einzustehen, sie könnte nicht von dem gegnerischen Geschädigten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

cc) Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf § 9 StVG gerechtfertigt.

Zwar hätte sich die Kl. als Leasinggeberin im Rahmen einer Inanspruchnahme des Bekl. aus der Gefährdungshaftung nach §§ 7, 18 StVG ein mitwirkendes Verschulden des Leasingnehmers gem. § 9 StVG zurechnen lassen müssen. Denn nach § 9 StVG hat sich im Rahmen der Haftung aus §§ 7, 18 StVG der Eigentümer der beschädigten Sache das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, wie eigenes Mitverschulden zurechnen zu lassen; die Haftungsabwägung erfolgt dann nach § 254 BGB. Diese Regelung ist im Rahmen der Gefährdungshaftung auch zu Lasten des Leasinggebers anwendbar (Klimke, VersR 1988, 329; Greger, § 9 StVG Rdnr. 17; LG Hamburg, VersR 1986, 483; s. auch BGH, NJW 1965, 1273 [1274]); das ist in der Entscheidung des BGH vom 22. 3. 1983 (VersR 1983, 657 = NJW 1983, 1492) offenbar übersehen worden (Greger, § 9 StVG Rdnr. 17, Fußn. 14), ebenfalls in der Entscheidung vom 26. 11. 1985 (NJW 1986, 1044).

Hier nimmt die Kl. den Bekl. aber aus der Verschuldenshaftung in Anspruch, die Haftung des Schädigers und die evtl. Mithaftung der Kl. als Nicht-Halterin beurteilen sich deshalb allein nach §§ 823, 254 BGB. Die in § 9 StVG vorgesehene erweiterte Mithaftung des geschädigten Eigentümers gilt hier nicht. Auch eine analoge Anwendung des § 9 StVG scheidet aus. Es besteht insbesondere keine Gesetzeslücke; denn bei der Regelung des § 9 StVG handelt es sich um eine gesetzliche Sonderregelung für den Bereich der Gefährdungshaftung, die die verschärfte Haftung teilweise ausgleichen soll (BGH, NJW 1965, 1273 [1274]; VersR 1992, 455 [456]; s. insoweit auch Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 32. Aufl., § 9 StVG Rdnr. 24; Schmitz, NJW 1994, 302; a.A. Klimke, VersR 1986, 330).

dd) Der Senat sieht auch kein übergeordnetes Bedürfnis dafür, jedenfalls dann, wenn wie beim Leasingfahrzeug Eigentümer und Halter ausnahmsweise nicht identisch sind, dennoch die Betriebsgefahr des Leasingfahrzeugs und das Mitverschulden des Fahrers im Rahmen der Haftungsabwägung zu Lasten des Leasinggebers zu berücksichtigen.

Hat der Leasingnehmer den Unfall mitverschuldet, kann der Leasinggeber beide Schädiger in Anspruch nehmen, und zwar nach § 840 I BGB als Gesamtschuldner. Es ist dann deren Sache, gem. § 426 BGB untereinander den Gesamtschuldnerausgleich herbeizuführen. Es ist auch nicht unbillig, wenn der Leasinggeber sich bei Ansprüchen aus der Gefährdungshaftung das Mitverschulden des Leasingnehmers unmittelbar zurechnen lassen muss, bei Ansprüchen aus der Verschuldenshaftung dagegen nicht. Zur unmittelbaren Berücksichtigung des Mithaftungsanteils des Leasingnehmers zu Lasten des Leasinggebers bedürfte es einer entsprechenden Zurechnungsnorm, die aber bei Ansprüchen aus der Verschuldenshaftung fehlt.

Zwar kann diese rechtliche Bewertung dazu führen, dass die Betriebsgefahr des Leasingfahrzeugs endgültig unberücksichtigt bleibt, z. B. dann, wenn der Leasinggeber den Leasingnehmer wegen fehlenden Verschuldens nicht in Anspruch nehmen kann – in Betracht kommen nur Ansprüche aus § 823 BGB bzw aus c. i. c.; entgegen BGH, NJW 1983, 1492 1493 wohl nicht solche aus §§ 7, 18 StVG – und der Leasingnehmer deshalb auch nicht gegenüber dem Zweitschädiger zum Gesamtschuldnerausgleich verpflichtet ist. Diese Situation kann aber auch sonst im Haftpflichtrecht eintreten. So kann z.B. der Insasse des einen Fahrzeugs auch dann, wenn die Inanspruchnahme des eigenen Halters oder Fahrers an § 8a StVG scheitert, Halter und Fahrer des anderen Fahrzeugs aus §§ 7, 18 StVG auf Ersatz seines vollen Schadens in Anspruch nehmen, ohne sich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs, in dem er mitgefahren ist, zurechnen lassen zu müssen; auch der Gesamtschuldnerausgleich entfällt dann wegen des fehlenden Gesamtschuldnerverhältnisses. Beim Kinderunfall bleibt evtl. sogar das Mitverschulden der Eltern endgültig unberücksichtigt, wenn sie ihrem Kind gegenüber wegen des milderen Haftungsmaßstabs des § 1664 1 BGB nicht haften (BGH, NJW 1988, 2667; Senat, NJW 1993, 542). Die Grundsätze über den gestörten Gesamtschuldnerausgleich sind in derartigen Fällen schon deshalb nicht anwendbar, weil der weitere Schädiger schon keinen Haftungstatbestand verwirklicht hat.

Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass die Besserstellung des Eigentümers, der nicht Halter ist, gegenüber dem Eigentümer, der zugleich Halter ist, im Haftpflichtrecht gesetzlich gewollt ist. ..."



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