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Landgericht Berlin Urteil vom 03.02.2005 - 17 O 223/04 - Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug vor Einholung der Weisung des Versicherers repariert

LG Berlin v. 03.02.2005: Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug vor Einholung der Weisung des Versicherers repariert


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 03.02.2005 - 17 O 223/04) hat entschieden:
Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug vor Einholung der Weisung des Versicherers repariert. Die Obliegenheit, Weisungen des Versicherers einzuholen, geht über die bloße Anzeige des Versicherungsfalles hinaus.


Siehe auch Obliegenheitsverletzungen / Leistungsfreiheit und Regress der Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte mit der Klage wegen der Folgen eines in den Einzelheiten zwischen den Parteien streitigen Verkehrsunfalls auf Leistungen aus einer Fahrzeugversicherung (in der Form der Vollkaskoversicherung) in Anspruch, die sie für ihren Pkw BMW 730 bei der Beklagten nach Maßgabe von deren Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (mit Stand vom 1. Oktober 2002, im Folgenden: AKB) mit einer Selbstbeteiligung von 300 € in der Vollkaskoversicherung und 150 € in der Teilkaskoversicherung abgeschlossen hatte.

Am 9. Dezember 2003 (Dienstag) befuhr der Ehemann der Klägerin gegen 12:10 Uhr mit dem genannten Pkw auf dem Industriegelände an der Rennbahn K in Berlin einen Betonweg in Richtung S-Bahn K. Als er einen vor ihm fahrenden Pkw Opel Omega überholen wollte, kam es zu einer Kollision mit diesem Fahrzeug, wobei der Pkw der Kl. beschädigt wurde.

Der Ehemann der Klägerin beauftragte noch am 9. Dezember 2003 die D. Automobil GmbH mit der Erstellung eines Schadensgutachtens. Die Reparatur des Fahrzeugs erfolgte bei der BMW-Niederlassung in der H.straße und war am 23. Dezember 2003 beendet.

Nachdem mit einer vollständigen Regulierung durch den Unfallgegner nicht zu rechnen war, meldete die Klägerin über das Maklerbüro ... GmbH am 7. Januar 2004 den Schaden bei der Beklagten als Kaskoschaden an.

Die Klägerin begehrt Zahlung der Reparaturkosten.

Die Beklagte macht geltend, die Kl. habe den Schaden nicht vertragsgemäß innerhalb einer Woche, sondern erst am 30. Dezember 2003 gemeldet. Sie habe ihr eine Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs nicht ermöglicht, sondern den Schaden erst nach Reparatur des Fahrzeugs gemeldet.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, § 49 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (im Folgenden: VVG), § 12 Abs. 1 Satz 5 Buchstabe g, § 13 AKB zu.

Nach den genannten Bestimmungen hat in der Schadensversicherung der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsnehmer den dadurch verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen, wobei der Schadensersatz in Geld zu leisten ist; Leistungsgrenze ist gemäß § 13 Abs. 1 Buchstabe a AKB der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs oder seiner Teile am Tage des Schadens, soweit in den folgenden Absätzen nichts Weiteres bestimmt ist. Die Fahrzeugversicherung im Sinne der §§ 12 ff. AKB (Kaskoversicherung) umfasst u. a. die Beschädigung, die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeugs und deckt den unmittelbar an dem versicherten Fahrzeug als Transportmittel entstehenden Sachschaden, soweit dieser etwa durch einen Unfall, d. h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis, hervorgerufen wird (§ 12 Abs. 1 Satz 5 Buchstabe g AKB).

Die Klage ist bereits unschlüssig, der Vortrag der Klägerin rechtfertigt ihren Klageantrag nicht (vgl. § 331 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO).

Die Klägerin hat die Höhe der nunmehr erstattet verlangten Reparaturkosten nicht substantiiert dargelegt, die Reparaturkostenrechnung hat sie nicht eingereicht. Trotz der gerichtlichen Auflage vom 9. September 2004, zu Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs vorzutragen und die entsprechenden Unterlagen einzureichen, bzw. des erneuten Hinweises vom 28. Dezember 2004, zur Höhe der geltend gemachten Reparaturkosten fehle substantiierter Vortrag, hat es die Klägerin dabei bewenden lassen, lediglich das Sachverständigengutachten in Kopie vorzulegen.

...

Selbst wenn der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte zustünde, insbesondere weil am 9. Dezember 2003 tatsächlich der Versicherungsfall „Unfall“ eingetreten war, wovon im Folgenden zu Gunsten der Klägerin ausgegangen werden soll, kann sich die Beklagte zu Recht darauf berufen, dass sie jedenfalls - die Frage der rechtzeitigen Anzeige des Versicherungsfalls nach Maßgabe von § 7 a Abschnitt I Abs. 1 Satz 1 AKB soll dahinstehen - wegen Obliegenheitsverletzungen der Klägerin gemäß § 7 a Abschnitt VIII i. V. m. Abschnitt IV Satz 1 AKB nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden ist.

Nach den genannten Vorschriften besteht Leistungsfreiheit der Beklagten u. a. dann, wenn die Versicherungsnehmerin ihre in § 7 a Abschnitt IV Satz 1 AKB aufgeführte besondere Obliegenheit verletzt, vor der Verwertung oder vor Beginn der Wiederinstandsetzung des Fahrzeuges die Weisung des Versicherers einzuholen, soweit ihr dies billigerweise zugemutet werden kann.

Erkennbarer Zweck der Obliegenheit ist es, dem Versicherer eine Untersuchung vor einer eventuellen Beseitigung von Spuren zu ermöglichen. Die Feststellung des Schadens soll durch dessen voreilige Beseitigung nicht erschwert werden. Vielmehr muss dem Versicherer vor Beginn der Reparatur Gelegenheit gegeben werden, den Schaden zu besichtigen.

Es handelt sich um eine Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs. 3 VVG, deren Verletzung vor allem dann entschuldigt ist, wenn der vom Versicherungsnehmer auf die Absicht der alsbaldigen Schadensbeseitigung durch Wiederinstandsetzung des Fahrzeugs hingewiesene Versicherer mit einer Antwort und ggf. Weisung zögert, da mehr als ein kurzfristiges, auf einige Tage beschränktes Zuwarten zumindest bei Gebrauchsunfähigkeit des Kraftfahrzeugs schon deshalb nicht erwartet werden kann, weil nach den Versicherungsbedingungen der dadurch bedingte Ausfallschaden nicht ersetzt wird.

Die Klägerin hat diese Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag unstreitig verletzt. Nach ihrem eigenen Vortrag hat sie - durch ihren Ehemann - lediglich telefonisch „den Schaden“ am 15. Dezember 2003 dem Maklerbüro ... (dort der Angestellten Frau ...) gemeldet, welche die Meldung noch am gleichen Tag telefonisch dem Sachbearbeiter ... (oder ...) der Beklagten weiter gemeldet haben soll. Damit wäre die Klägerin allenfalls ihrer allgemeinen Pflicht, den Versicherungsfall an sich anzuzeigen (vgl. § 33 Abs. 1 VVG, § 7 a Abschnitt I Abs. 1 AKB) nachgekommen. Sie hat damit jedoch weder angezeigt, dass eine Wiederinstandsetzung unmittelbar bevorstehe, die Spuren des Schadens demnächst beseitigt werden, noch eine Weisung der Beklagten eingeholt; sie hat auch den Schadensumfang nicht ausreichend mitgeteilt, wozu sie allerdings auf Grund des eingeholten Gutachtens der D. Automobil GmbH vom 15. Dezember 2003 in der Lage gewesen wäre.

Die Obliegenheit, Weisungen des Versicherers einzuholen, geht über die bloße Anzeige des Versicherungsfalls hinaus (vgl. Beckmann in: Honsell, Berliner Kommentar zum VVG, § 62 VVG Rdnr. 37; Römer in: Römer/Langheid, Kommentar zum VVG, 2. Aufl., § 62 VVG Rdnr. 9; Jacobsen in: Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl., § 7 AKB Rdnr. 128 f., der darauf hinweist, dass der Versicherungsnehmer dann eine weitere Weisung des Versicherers nicht einzuholen brauche, wenn er in der Schadensanzeige die Beschädigung am Fahrzeug so weit beschrieben habe, dass sich der Versicherer bereits hieraus eine Vorstellung vom Schadensumfang machen könne; in diese Richtung auch Voit/Knappmann in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 62 VVG Rdnr. 24: „vollständige Schadensanzeige“).

Es ist im Übrigen auch weder von der Klägerin dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Klägerin die Einholung der Weisung der Beklagten vor Beginn der Reparatur nicht zumutbar gewesen wäre.

Liegt damit der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung vor, so wird gesetzlich vermutet, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt habe (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG). Dass sie weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat, hat die Klägerin weder dargelegt noch gar glaubhaft gemacht bzw. unter Beweis gestellt.

Auf die sogenannte Relevanzrechtsprechung des BGH kommt es hier nicht an, weil diese voraussetzt, dass die Obliegenheitsverletzung letztlich folgenlos geblieben ist, was die Klägerin darzulegen und zu beweisen hätte (vgl. BGH, NJW-RR 1993 S. 1049 = VersR 1993 S. 830). Die vorsätzliche Verletzung der Obliegenheit ist jedoch nicht folgenlos geblieben. Der Beklagten war eine Besichtigung und Begutachtung des beschädigten Fahrzeugs, insbesondere auch auf die nunmehr streitigen Vorschäden, nicht möglich.

Auch eine Belehrung über den Anspruchsverlust bei vorsätzlicher folgenloser Obliegenheitsverletzung, die bei der sogenannten Aufklärungsobliegenheit im Sinne von § 34 VVG gefordert wird, ist hier - ersichtlich - entbehrlich. ..."



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