Das Verkehrslexikon

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OLG Bamberg Beschluss vom 18.03.2009 - 2 Ss OWi 153/09 - Zu den notwendigen Angaben im Urteil bei der Verwendung eines Sachverständigengutachtens

OLG Bamberg v. 18.03.2009: Zu den allgemeinen Urteilsanforderungen im Bußgeldverfahren und zur Verwertung eins Sachverständigengutachtens zur Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 18.03.2009 - 2 Ss OWi 153/09) hat entschieden:
  1. Auch im Bußgeldverfahren hat der Tatrichter bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen darzulegen, welche Feststellungen er getroffen hat, auf welche für erwiesen erachteten Tatsachen er seine Überzeugung stützt, wie sich der Betroffene eingelassen hat und warum die für einen Schuldspruch erforderlichen weiteren Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 05.05.2008 - 3 Ss OWi 300/08 = VerkMitt. 2008, Nr. 47 = VRS 114, 456 ff.).

  2. Hat das Gericht zur Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen gehört und sich seinem Gutachten ohne weiteres angeschlossen, müssen in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und sachverständigen Darlegungen wiedergegeben werden. Das Urteil hat die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, und die Art dieser Folgerungen wenigstens insoweit mitzuteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

Siehe auch xxx und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Entscheidungsgründe:

"I.

Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 17.06.2008 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h eine Geldbuße von 200,00 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.

Auf den Einspruch des Betroffenen hin sprach ihn das Amtsgericht am 17.10.2008 von dem ihm zur Last gelegten Vorwurf frei. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Amtsgericht Folgendes aus:
„Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht zweifelsfrei fest, dass die festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug) von 148 km/h dem Fahrzeug des Betroffenen zuzuordnen ist. Aufgrund der insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen A. steht fest, dass die erforderlichen Funktionstests ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Die Messung selbst wurde jedoch nicht am gleichen Standort durchgeführt wie der Test der Visiereinrichtung. Der Zeuge hat auf dem Lichtbild Nr. 3 der Anlage IV des Sachverständigengutachtens seinen Standort als Punkt vor dem blauen Häuschen markiert. Obwohl der Zeuge bei seiner Vernehmung angegeben hat, dass bei der Messung des Fahrzeugs des Betroffenen der Ring frei war, sich also weder Schild noch Leitpfosten im Ring befunden hätten, hat das Gericht aufgrund des mündlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen F. Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe. Der Sachverständige hat den Messablauf nachgestellt, wobei er jedoch aufgrund der Angaben im Messprotokoll die Messung von dem Standort aus durchgeführt hat, an dem die Funktionstests durchgeführt wurden. Aus der Anlage IV zum Gutachten ergibt sich, dass bei einer Messung von dieser Stelle aus 2 Verkehrszeichen im Ring waren. Nachdem der Zeuge A. auf Befragung durch den Sachverständigen erklärt hat, dass er nicht von dieser Stelle aus gemessen hat und seinen Messstandort mit einem Punkt auf Bild 3 der Anlage skizziert hat, hat der Sachverständige noch einmal nachgerechnet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei einer Messung wie vorliegend in einer Entfernung von 448,7 m die Winkeländerung gegen 0 geht und deshalb auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich zwei Verkehrsschilder, von denen eines schräg stand, im Ring befunden haben. Insbesondere durch das schräg stehende Verkehrsschild kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Laserstrahlen umgelenkt wurden und die Messung kann deshalb nicht zweifelsfrei dem Fahrzeug des Betroffenen zugeordnet werden.

Die Angaben des Sachverständigen sind für das Gericht nachvollziehbar und es bleiben deshalb Zweifel an den Angaben des Zeugen A., dass der Ring tatsächlich frei war. Diese Zweifel müssen zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden und es ist deshalb zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass die Messung nicht zweifelsfrei seinem Fahrzeug zugeordnet werden kann. Damit liegt eine nicht verwertbare Messung vor und der Betroffene war freizusprechen.“
Mit der gegen diese Entscheidung geführten Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die Gegenerklärung der Verteidigung vom 26.02.2009 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.

II.

Der gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist - zumindest vorläufig - ein Erfolg nicht zu versagen.

1. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Feststellungen im Rahmen der Beweiswürdigung lückenhaft sind und damit den Anforderungen der §§ 261, 267 Abs. 5 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG nicht entsprechen.

a) Wenn auch in Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 71 Rn. 106, Göhler OWiG 14. Aufl. § 71 Rn. 42 f., jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen.

b) Bei einem freisprechenden Urteil müssen die Urteilsgründe gemäß § 267 Abs. 5 StPO ergeben, ob der Betroffene für nicht überführt (Freispruch aus tatsächlichen Gründen) oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angesehene Tat nicht zu ahnden ist (Freispruch aus rechtlichen Gründen). Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter regelmäßig darlegen, welche Feststellungen er getroffen hat, auf welche für erwiesen erachteten Tatsachen das Gericht seine Überzeugung stützt, wie sich der Betroffene eingelassen hat und - in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise der Sachverhaltswürdigung - aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen weiteren Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist ( OLG Köln VRS 65, 174; OLG Brandenburg DAR 1998, 44; OLG Hamburg NStZ 2006, 528/529; OLG Bamberg, Beschlüsse vom 29.03.2007 - 3 Ss OWi 1650/2006 und vom 05.05.2008 - 3 Ss OWi 300/08 = VerkMitt. 2008, Nr. 47 = VRS 114, 456 ff.; Göhler § 71 Rn. 43).

Hat das Amtsgericht - wie hier - zur Ordnungsmäßigkeit des Geschwindigkeitsmessvorgangs einen Sachverständigen gehört und sich dessen Gutachten ohne weitere Erwägungen angeschlossen, so müssen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 267 Rn. 13 m.w.N.). Der Tatrichter muss die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, und die Art dieser Folgerungen wenigstens insoweit im Urteil mitteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich ist.

Vorliegend ist dem angefochtenen Urteil zwar zu entnehmen, dass das Amtsgericht einen Sachverständigen zu Rate gezogen hat. Über den Fachbereich dieses Sachverständigen enthält das Urteil jedoch keine Angaben und leidet bereits von daher an einem Darstellungsmangel, da nicht überprüft werden kann, ob der Sachverständige über die erforderliche Sachkunde auf dem Gebiet der Laser-Messtechnik verfügt (vgl. OLG Koblenz DAR 2006, 101). Des Weiteren bedarf es im Urteil der Mitteilung, welches Messgerät zur Anwendung gekommen ist. Erforderlich ist auch die Darlegung des Straßenverlaufs, der genauen Positionen des Messbeamten bzw. des Sachverständigen bei Nachstellung des Messvorgangs vor Ort und des gemessenen Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Messung sowie der Art und des Standorts der angeblich im Zielerfassungsbereich befindlichen Verkehrsschilder. Letztlich ist im Urteil festzustellen, von welcher Strahlenaufweitung der Sachverständige für den Messbereich des anvisierten Fahrzeugs ausgegangen ist und warum im hier konkreten Fall unter Berücksichtigung des verwendeten Messgerätes, der nach Art und Größe in Betracht kommenden „Spiegeloberfläche“, ihrer Reflexionsgüte, ihrer Ausrichtung zum Straßenverlauf und des Auftreffwinkels des Laserstrahls eine Spiegelreflexion mit der Folge einer fehlerhaften Zuordnung des Messergebnisses nicht auszuschließen ist.

Im Hinblick darauf, dass die sonstige Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung eine Veränderung eines Anknüpfungspunktes (Standort des Messbeamten) für das Sachverständigengutachten ergeben hat, hätte das Amtsgericht zudem genauer darlegen müssen, weshalb der veränderte Anknüpfungspunkt - ohne erneute Nachstellung des Messverlaufs durch den Sachverständigen vor Ort - zu keiner Änderung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens geführt hat.

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil des Amtsgerichts nicht gerecht. Es gibt lediglich das Ergebnis der sachverständigen Überprüfung des Messvorgangs wieder, ohne aber die Nachprüfung des gefundenen Ergebnisses zu ermöglichen. Soweit die Tatrichterin - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - Erkenntnisse aus Lichtbildern gewonnen hat, die als „Anlage zum Sachverständigengutachten“ bezeichnet werden, hat sie nicht eindeutig und ausdrücklich im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf diese verwiesen. Diese Lichtbilder wurden damit nicht zum Gegenstand der Urteilsurkunde gemacht und sind daher ohne ihre inhaltliche Beschreibung durch die Tatrichterin der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht zugänglich.

Wegen dieser Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe ist der Senat außerstande, allein anhand der Urteilsurkunde zu prüfen, ob das angefochtene Urteil insbesondere hinsichtlich seines materiellen Ergebnisses frei von Rechtsfehlern ist.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Für die weitere Verhandlung und Entscheidung sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:

a) Der Grundsatz in dubio pro reo ist keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel. Er besagt nichts darüber, wie der Tatrichter die Beweise zu würdigen hat, sondern greift erst nach abgeschlossener Beweiswürdigung ein, weshalb er auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht anzuwenden ist (Meyer-Goßner § 261 Rn. 26).

b) Unabhängig von der Frage, ob das (zuletzt) gefundene Ergebnis des Sachverständigen, es könne (lediglich) nicht ausgeschlossen werden, dass sich Verkehrsschilder im Messring befunden hätten, auf hinreichenden Anknüpfungstatsachen basierte, steht dieses Ergebnis als solches nicht zwingend im Widerspruch zur hier vorliegenden Zeugenaussage des Messbeamten, wonach der Messring bei der von ihm durchgeführten Messung frei gewesen sei. Sofern sich für den Tatrichter gleichwohl Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage ergeben, bedarf es zur Vermeidung von Lückenhaftigkeit im Rahmen der Beweiswürdigung einer eingehenden, über die bloße Wiedergabe des vom Sachverständigen ermittelten Ergebnisses hinausgehenden Begründung, die aus der Gesamtschau der erhobenen Beweise unter Abwägung ihres jeweiligen Beweiswertes nachvollziehbare Gesichtspunkte darlegt, aus denen die Zweifel erwachsen.

IV.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG durch Beschluss.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter."