Das Verkehrslexikon

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OLG Zweibrücken Beschluss vom 18.11.2009 - 1 SsBs 13/09 - Zur selbständigen Verfallsanordnung bei Überladung

OLG Zweibrücken v. 18.11.2009: Zur selbständigen Verfallsanordnung bei Überladung


Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 18.11.2009 - 1 SsBs 13/09) hat entschieden:
Kommt für einen Verkehrsverstoß (hier: Überladung) die Verantwortlichkeit von sowohl Fahrer wie auch Halter in Betracht, so besteht ein Verfahrenshindernis für das selbständige Verfallsverfahren nicht bereits dann, wenn allein das Bußgeldverfahren gegen den Fahrer mit einer Sachentscheidung rechtskräftig abgeschlossen worden ist (im Anschluss an OLG Koblenz zfs 2007, 108).


Siehe auch Die Verfallsanordnung im Bußgeldverfahren und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

Der Bußgeldrichter des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein hat gegen die beteiligte GmbH am 27. Februar 2009 den Verfall eines Geldbetrages von 302,17 € angeordnet, weil sie durch einen Verkehrsverstoß ihres Geschäftsführers (fahrlässige Anordnung und Zulassung von Lkw-Fahrten mit Überladung, §§ 31 Abs. 2, 34Abs. 6 Nr. 5, 69aAbs. 5 Nr. 3 StVZO; § 24 StVG; § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ) einen entsprechenden Wert erlangt habe ( § 29a Abs. 2, 4 OWiG ). Hiergegen richtet sich die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der Beteiligten. Aufgrund der rechtskräftigen Verhängung eines Bußgeldes gegen den bei den Transporten eingesetzten Fahrer des Unternehmens habe ein Verfahrenshindernis bestanden. Jedenfalls aber sei der festgesetzte Verfallsbetrag überhöht. Der Einzelrichter hat die Sache gemäß § 80a Abs. 1, Abs. 3 S. 1 OWiG wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Bußgeldsenat zur Entscheidung in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft ( §§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 87Abs. 5 und 6 OWiG ) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache führt das Rechtsmittel nur zu einem Teilerfolg.

Nach den Urteilsfeststellungen beschäftigt sich die Verfallsbeteiligte u.a. damit, durch angestellte Fahrer den Abraum von Baustellen mit Lkw zu Mülldeponien zu transportieren. Am 16., 24. und 25. Oktober 2007 wurde durch die Betreiberin der Deponie „H.…“ in Ludwigshafen am Rhein in insgesamt fünf Fällen festgestellt, dass bei der jeweils mit Bitumengemisch bzw. Erdreich und Steinen beladenen Lkw-Fahrzeugkombination, amtl. Kennzeichen HP-…, deren Halterin die Beteiligte ist, das zulässige Gesamtgewicht von 40 t deutlich überschritten war. Die Überladungen betrugen zwischen 11,07 und 22,9 % und ergaben die Gesamtmenge von 34,08 t. Wegen der Fahrten verhängte die Bußgeldstelle gegen den bei der Beteiligten angestellten Fahrer M.… S.… durch zwischenzeitlich rechtskräftigen Bescheid vom 24. Januar 2008 Geldbußen in Gesamthöhe von 370 €.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ergab sich auf dieser Grundlage kein Verfahrenshindernis für die vom Amtsgericht getroffene selbständige Verfallsanordnung.

Gemäß § 29a Abs. 2 OWiG kann der Verfall auch gegen einen Dritten angeordnet werden, wenn der Täter einer mit Geldbuße bedrohten Handlung für diesen gehandelt und der Dritte durch die Tat etwas erlangt hat. Nach Abs. 4 der Vorschrift kann auch der Verfall gegen den Dritten – nur – dann selbständig angeordnet werden, wenn gegen den Täter ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder es eingestellt wird. Ist also das Bußgeldverfahren gegen den Täter mit einer Sachentscheidung rechtskräftig abgeschlossen worden, tritt ein Verfahrenshindernis für das selbständige Verfallsverfahren ein ( OLG Köln NJW 2004, 3057; OLG Hamburg wistra 1997, 72 f.; Göhler, OWiG 15. Aufl. § 29a Rn. 29).

Im vorliegenden Fall allerdings stehen die Verantwortlichkeit von Fahrer und Halter nebeneinander. Dabei ist nur das Verfahren gegen den Fahrer mit der Verhängung einer Geldbuße abgeschlossen worden, während hinsichtlich der Halterverantwortlichkeit weder gegen die nunmehrige Verfallbeteiligte ( § 30 OWiG ) noch gegen ihren für sie handelnden Geschäftsführer ein Bußgeldverfahren durchgeführt worden ist. Das Oberlandesgericht Koblenz, das einen insoweit gleichgelagerten Sachverhalt zu entscheiden hatte, hat dazu die Auffassung vertreten, die selbständige Anordnung des Verfalls sei weiterhin möglich; Täter im Sinne des § 29a Abs. 4 OWiG sei hier der Geschäftsführer der Halterin, dem die Bußgeldbehörde eine gegenüber der vom Fahrer möglicherweise begangenen Ordnungswidrigkeit eigene, mit Geldbuße bedrohte Handlung anlaste ( OLG Koblenz zfs 2007, 108 f.; zustimmend Göhler a.a.O., § 29a Rn. 29).

Dieser Auffassung schließt sich auch der Senat an. Das vom OLG Koblenz vertretene Ergebnis steht im Einklang mit dem gesetzgeberischen Zweck des § 29a Abs. 4 OWiG. Danach soll aus prozesswirtschaftlichen Gründen zugleich gegen den Täter und als Annex gegen den durch die Tat begünstigten Dritten verhandelt werden, weil die Grundlage für die Verfallsanordnung gerade diejenige mit Geldbuße bedrohte Handlung ist, die auch den Gegenstand des Verfahrens gegen den Täter bildet (vgl. OLG Köln NJW 2004, 3057; OLG Hamburg wistra 1997, 72, 73; BT-Drucks. 10/318, S. 38). Kommen aber – wie hier, bei der Verantwortlichkeit von Fahrer und Halter – hinsichtlich einer Tat mehrere Personen als Täter einer Ordnungswidrigkeit in Betracht, schreibt das Gesetz eine Zusammenfassung der verschiedenen Verfahren gerade nicht vor; § 38 OWiG beschränkt sich insoweit auf eine Regelung der Zuständigkeit. Es besteht daher kein Grund, eine solche Bündelung aller Verfahren in den Fällen des § 29a OWiG zu verlangen.

Die von der Verteidigung angeführten weiteren obergerichtlichen Entscheidungen ergeben nichts anderes; entgegen der Anregung der Beschwerdeführerin kann die Sache daher auch nicht nach § 79 Abs. 3 OWiG; § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt werden.

Das Oberlandesgericht Frankfurt setzt sich in seinem im Jahr 2008 erlassenen Beschluss ( OLG Frankfurt DAR 2009, 97) mit der vorausgegangenen Entscheidung des OLG Koblenz ausdrücklich auseinander, sieht aber den Unterschied der Sachverhalte darin, dass das OLG Koblenz gerade den Geschäftsführer als Täter angesehen habe; im Verfahren des OLG Frankfurt dagegen wurde offenbar nur eine Ordnungswidrigkeit des Fahrers in Betracht gezogen. Ebenso stellt das OLG Celle ( NZV 2009, 50) darauf ab, dass die Verwaltungsbehörde den Verfall als Nebenfolge des Verfahrens gegen „die Disponentin“ eingestuft habe; auf den Ausgang des Bußgeldverfahrens gegen den Fahrer komme es daher nicht an. Auch die Oberlandesgerichte Köln ( NJW 2004, 3057) und Hamburg ( wistra 1997, 72) hatten nicht über den Fall zu entscheiden, dass mehrere Personen als Täter der Ordnungswidrigkeit in Betracht zu ziehen waren.

Auch in vorliegendem Fall war Grundlage der von der Verwaltungsbehörde getroffenen und im angefochtenen Urteil bestätigten Verfallsanordnung gerade der Ordnungswidrigkeits-Vorwurf gegen den Geschäftsführer der Beteiligten, und nicht derjenige gegen ihren Fahrer. In der Verfallsanordnung vom 29. Januar 2008 (Bl. 35, 36 d.A.) wird zwar darauf hingewiesen, dass gegen das Unternehmen als solches eine Geldbuße nicht festgesetzt worden sei. Auch hierdurch wird aber der Bezug zur Ordnungswidrigkeit des Geschäftsführers hergestellt, da gerade dessen Verhalten als Organ gemäß § 30 OWiG zur Festsetzung der Geldbuße gegen die juristische Person führen konnte, und weil ihm aufgrund dieser Organeigenschaft gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die Pflichtenstellung des Unternehmens zuzurechnen war. In dem angefochtenen Urteil schließlich wird unmittelbar auf die Ordnungswidrigkeit des Geschäftsführers abgestellt.

Die Voraussetzungen des § 29a Abs. 4 OWiG für die Anordnung des Verfalls im selbständigen Verfahren liegen danach vor. Der Geschäftsführer der Verfallsbeteiligten war Täter einer mit Geldbuße bedrohten Handlung ( § 29a Abs. 2 OWiG ). Wie die fehlerfreien und insoweit auch mit der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Ausführungen im angefochtenen Urteil ergeben, hat er die fraglichen Fahrten mit dem überladenen Fahrzeug angeordnet bzw. zugelassen und dabei fahrlässig gehandelt ( §§ 31 Abs. 2, 34Abs. 6 Nr. 5, 69aAbs. 5 Nr. 3 StVZO ). Wegen dieser Tat ist gegen den Geschäftsführer ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet worden ( § 29a Abs. 4 OWiG ). Die GmbH als Dritte hat durch seine Tat etwas erlangt, nämlich – wie vom Erstrichter ebenfalls zutreffend zugrunde gelegt – Erlöse aus den überladenen Mengen ( § 29a Abs. 2 OWiG ).

Allerdings räumt § 29a Abs. 2 OWiG ein Ermessen darüber ein, ob Verfall angeordnet werden soll; das tatrichterliche Urteil muss ergeben, dass das Gericht sich dessen bewusst war und sich nicht nur auf die Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung beschränkt hat ( OLG Koblenz zfs 2007, 108, 109; Göhler a.a.O., § 29a Rn. 19, 24). Hierzu enthält das angefochtene Urteil zwar keine ausdrücklichen Ausführungen; im Ergebnis zeigen sich aber dennoch keine Rechtsfehler.

Ein Absehen von der Verfallsanordnung kommt insbesondere in Betracht, wenn darin eine unbillige Härte liegen würde, weil dem erlangten Vorteil Ansprüche Dritter gegenüberstehen, oder weil der Entzug der Vorteile aus besonderen Gründen die Beteiligte wirtschaftlich besonders hart treffen würde (Göhler a.a.O., § 29a Rn. 24; BT-Drucks. 10/318, S. 37). Mit letztgenanntem Gesichtspunkt setzt sich Gericht im Rahmen der Bemessung des Verfallsbetrags ausdrücklich auseinander (Urteil S. 9 f.); dies geschieht fehlerfrei und in auch von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandeter Weise. Für Ansprüche Dritter bestehen nach den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte, wobei letztere – jedenfalls mit Rücksicht auf die eingeschränkten Anforderungen im Bußgeldverfahren ( BGHSt 39, 291, 299 f.; Göhler a.a.O., § 71 Rn. 42) – auch nicht als lückenhaft beanstandet werden können. Auch im Übrigen sind keine Gesichtspunkte erkennbar, wonach die Anordnung des Verfalls als ermessensfehlerhaft erscheinen könnte.

Nicht zutreffend erscheint dem Senat allerdings die Höhe des vom Amtsgericht festgesetzten Verfallsbetrags. Richtigerweise aber wurde von dem sog. „Brutto-Prinzip“ ausgegangen. Die Abschöpfung soll danach spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entsprechen, den der Täter oder Drittbegünstigte aus der Tat gezogen hat; gewinnmindernde Kosten sind nicht abzuziehen ( OLG Koblenz zfs 2007, 108, 111; Göhler a.a.O., § 29a Rn. 6). Hierzu folgt Erstrichter den Angaben des Geschäftsführers der Verfallsbeteiligten und stellt einen Entgeltzufluss in Höhe von 104 € fest.

Vom Senat nicht geteilt werden dagegen die weiteren Überlegungen des Erstrichters zur zusätzlichen Anrechnung ersparter Aufwendungen in Höhe von 198,94 €, die für den gesonderten Transport der überladenen Mengen angefallen wären. Diese weiteren Beträge würden die Unkosten darstellen, die der Verfallsbeteiligten erwachsen wären, wenn sie die überladenen Mengen auf legalem Wege hätte befördern und die im ersten Rechenschritt angesetzten Beträge ordnungsgemäß hätte erlangen wollen. Die Berechnung des Amtsgerichts liefe dabei darauf hinaus, dass die Beteiligte dann mit einer erheblichen Unterdeckung gearbeitet hätte.

Nach dem Bruttoprinzip sind die fraglichen Unkosten zwar nicht von den erzielten Mehrerlösen abzuziehen. Sie können aber auch andererseits nicht hinzugerechnet werden. Dies wäre offensichtlich, wenn auch das vom Amtsgericht zugrunde gelegte legale Ersatzgeschäft zumindest kostendeckend gewesen wäre. Für den hier unterstellten Fall der Unterdeckung kann nichts anderes gelten.

Der Ansatz ersparter Aufwendungen kann beim Verfall dann in Betracht kommen, wenn das Erlangte selbst wegen seiner Beschaffenheit nicht unmittelbar in einem Wert ausgedrückt werden kann (vgl. zu §§ 73, 73a StGB : OLG Düsseldorf wistra 1999, 477; AG Köln NStZ 1988, 274; – beide zu ersparten Deponiekosten bei illegaler Abfallablagerung; AG Gummersbach NStZ 1988, 460 zu ersparten Investitionen bei unterlassener Abwasserreinigung; s.a. Fischer, StGB 56. Aufl. § 73 Rn. 9; LK, StGB 12. Aufl. § 73 Rn. 22). Für eine zusätzliche Anrechnung neben den ihrerseits messbaren Zuflüssen sieht der Senat keinen Raum. Die in den Urteilsgründen erwähnte Entscheidung des OLG Koblenz (Beschluss vom 13.3.2007, 2 Ss 288/06 ) ergibt nichts anderes. In dem dort entschiedenen Fall waren Überlegungen zur Kalkulation der Transportentgelte erforderlich, nachdem die dortige Verfallsbeteiligte überhaupt keine Angaben zur Ermittlung der zugeflossenen Erlöse gemacht hatte.

Aufgrund der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen kann der Senat den Verfallsbetrag unmittelbar auf die erzielten Entgelte beschränken ( § 79 Abs. 6 OWiG; vgl. dazu Göhler a.a.O., § 79 Rn. 44 f., 47). Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen, wobei sich die Kostenfolgen nach § 79 Abs. 3 OWiG; § 473 Abs. 4 StPO richten.



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