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Landgericht LG Nürnberg-Fürth Beschluss vom 18.11.2009 - 8 S 6446/09 - Besitzer eines scheckheftgepflegten Fahrzeugs kann Stundensätze einer Fachwerkstatt verlangen

LG Nürnberg-Fürth v. 18.11.2009: Besitzer eines scheckheftgepflegten Fahrzeugs kann Stundensätze einer Fachwerkstatt verlangen


Das Landgericht LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 18.11.2009 - 8 S 6446/09) hat entschieden:
Steht die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, kann es zwar für den Geschädigten gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, wenn das Fahrzeug stets in einer Fachwerkstatt gewartet und repariert wurde.


Siehe auch Stundenlohnsätze - Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung


Gründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 519 f. ZPO). In der Sache ist das Rechtsmittel begründet.

A.

In tatsächlicher Hinsicht wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen (§ 540. Abs. 1 S. 1 Nr: 1 ZPO). Das Amtsgericht hat der Klage auf restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall hinsichtlich geltend gemachter fiktiver Reparaturkosten in einer markengebundenen Fachwerkstatt über 695,45 EUR in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.


B.

Das Amtsgericht hat eine Leistungspflicht der Beklagten zu Unrecht bejaht.

Das Amtsgericht hat einen generellen Anspruch auf Ersatz der fiktiven Kosten für die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt angenommen und eine Gleichwertigkeit der von der Beklagten genannten Reparaturwerkstätte aus rechtlichen Gründen verneint.

1. Zwischenzeitlich liegt jedoch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09 vor, wonach zwar der Geschädigte seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Bestätigung des Senatsurteils , BGH VI ZR 398/02; BGHZ 155, 1.ff.). Will aber der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, muss der Schädiger darlegen und ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht.

Im vorliegenden Fall kommt die Kammer zur Überzeugung, dass eine Reparatur in der von der Beklagten genannte Reparaturwerkstätte ... GmbH in Nürnberg vom Qualitätsstandard her der Reparatur einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Die Beklagte hat hierzu entsprechende Ausführungen gemacht und dies auch mit Hinweis auf die Zertifizierung durch die Dekra dargelegt. Dies wurde im einzelnen von der Klagepartei nicht substantiiert bestritten.

Es war daher für den Kläger zumutbar, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen.

2. Die Voraussetzungen, die der BGH in seiner neuesten Rechtsprechung entwickelt hat, wonach im Ausnahmefall eine Unzumutbarkeit der Verweisung gegeben sein kann, liegen hier nicht vor.

a) Steht die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, kann es zwar für den Geschädigten gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Denn bei neuen bzw. neuwertigen Kraftfahrzeugen muss sich der Geschädigte im Rahmen der Schadensabrechnung grundsätzlich nicht auf Reparaturmöglichkeiten verweisen lassen, die ihm bei einer späteren Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten, einer Herstellergarantie und/oder von Kulanzleistungen Schwierigkeiten bereiten könnten. Im Interesse einer gleichmäßigen und praxisgerechten Regulierung bestehen deshalb bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen eine (generelle) tatrichterliche Schätzung der erforderlichen Reparaturkosten nach den Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt.

b) Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren Fahrzeugen kann - wie vom Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen - die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, "scheckheftgepflegt" oder ggf. nach einem Unfall repariert worden ist. Dabei besteht - wie entsprechende Hinweise in Verkaufsanzeigen belegen - bei einem großen Teil des Publikums insbesondere wegen fehlender Überprüfungsmöglichkeiten die Einschätzung, dass bei einer (regelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kraftfahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt ist. Deshalb kann auch dieser Umstand es rechtfertigen, der Schadensabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer dem Geschädigten eine ohne Weiteres zugängliche, gleichwertige und günstigere Reparaturmöglichkeit aufzeigt. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt (zur sekundären Darlegungslast vgl. etwa BGHZ 163, 19, 26), dass er sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen oder - im Fall der konkreten Schadensberechnung - sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belegt.

c) Im vorliegenden Fall ist das geschädigte Fahrzeug älter als drei Jahre. Der Kläger hätte daher nach der neuesten Rechtsprechung des BGH darlegen und beweisen müssen, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Ein Vortrag hierzu fehlt seitens der Klagepartei gänzlich; so dass eine Unzumutbarkeit aus dem unter Buchstabe b) genannten Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt. Ein Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten in einer markengebundenen Fachwerkstätte besteht daher nicht. Auf die Berufung der Beklagten war das amtsgerichtliche Urteil deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.