Das Verkehrslexikon

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VGH München Urteil vom 15.12.2009 - 11 BV 08.2502 - Zur Löschung von Punkten bei Verzicht auf die Fahrerlaubnis

VGH München v. 15.12.2009: Zur Löschung von Punkten bei Verzicht auf die Fahrerlaubnis


Der VGH München (Urteil vom 15.12.2009 - 11 BV 08.2502) hat entschieden:
§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ist im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dann in Verzichtsfällen anzuwenden, wenn seine Nichtanwendung einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten würde. Das ist nach Auffassung des Senats aber nicht generell der Fall. Allerdings wäre es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn einem Betroffenen die Löschung der Punkte verwehrt bliebe, der nach dem Verzicht auf die Fahrerlaubnis und der Ablieferung seines Führerscheins die Voraussetzungen für deren Wiedererteilung erfüllt und dem die Fahrerlaubnis auch tatsächlich wiedererteilt wird.


Siehe auch Das Punktsystem - Fahreignungs-Bewertungssystem und Die Fahrerlaubnis im Verwaltungsrecht


Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Anordnung des Beklagten, mit der ihm aufgegeben wurde, auf eigene Kosten an einem Aufbauseminar teilzunehmen.

Aufgrund zahlreicher Verkehrsverstöße forderte das Landratsamt Berchtesgadener Land den Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2005 zur Vorlage eines Fahreignungsgutachtens auf. Die Vorlagefrist wurde zuletzt bis 31. Januar 2006 verlängert. Ausweislich eines von ihm unterzeichneten Vermerks sprach der Kläger am 9. Februar 2006 beim Landratsamt vor und erklärte, er könne das Gutachten aus finanziellen Gründen nicht erstellen lassen. Auch müsse er am 19. März 2006 ein Fahrverbot antreten. Im März stelle er wieder einen Antrag und mache dann die MPU. Nach dem Aktenvermerk verzichtete der Kläger freiwillig auf seine Fahrerlaubnis und gab seinen Führerschein am 13. Februar 2006 ab. Nach Vorlage zweier Fahreignungsgutachten stimmte die Fahrerlaubnisbehörde einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung anstelle einer erneuten medizinisch-psychologischen Begutachtung zu. Am 21. September 2006 wurde dem Kläger ein neuer Kartenführerschein der Klasse B ausgehändigt.

Nach einer am 19. Dezember 2006 ausgesprochenen Verwarnung, einem weiteren Verkehrsverstoß am 21. Februar 2007 und aufgrund der Annahme eines Standes von 16 Punkten ordnete das Landratsamt mit Bescheid vom 26. Oktober 2007 die Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar an. In die Punktewertung des Landratsamtes fanden im Umfang von 13 Punkten Zuwiderhandlungen aus der Zeit vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 21. September 2006 Eingang. Die bis zum 16. Juni 2005 erreichten 17 Punkte waren am 15. Dezember 2006 nach § 4 Abs. 5 StVG auf 13 Punkte reduziert worden.

Gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2007 ließ der Kläger Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht München erheben. Nachdem er an einem Aufbauseminar teilgenommen hatte, beantragte er festzustellen, dass die Anordnung des Landratsamtes vom 26. Oktober 2007 rechtswidrig ist. Der Punktestand sei nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 21. September 2006 auf Null zu setzen gewesen. Die Hauptsache habe sich zwar erledigt, er wolle aber die Kosten für das Aufbauseminar zurückerstattet haben.

Das Verwaltungsgericht stellte mit Urteil vom 22. Juli 2008 fest, dass die Anordnung des Landratsamtes vom 26. Oktober 2007 rechtswidrig gewesen ist. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Die streitgegenständliche Anordnung habe sich nach zulässiger Erhebung der Anfechtungsklage erledigt, weil der Kläger ihr nachgekommen sei. Er habe auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung, da ihm durch deren Befolgung Kosten entstanden seien, die er im Wege der Amtshaftung erstattet erhalten wolle. Dass der Kläger keinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt habe, führe nicht dazu, dass ein Amtshaftungsanspruch von vornherein ausscheide.

Die zulässige Klage sei auch begründet, da die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtswidrig gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG, auf den die Anordnung gestützt worden sei, seien bei ihrem Erlass nicht gegeben gewesen, weil sich für den Kläger nicht mindestens 14 Punkte ergeben hätten. Aufgrund seines Verzichts auf die Fahrerlaubnis im Februar 2006 sei der Punktestand auf Null zu reduzieren gewesen. Dies folge aus der entsprechenden Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG. Zwar solle § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht gelten, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergebe. Denn durch die Regelung sollten Manipulationen des Punktesystems durch taktisch geschickte Verzichte verhindert werden. Diese nachvollziehbare Erwägung des Gesetzgebers greife aber im Fall des Verzichts wegen einer zu erwartenden und gebotenen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht. Da der Kläger der Gutachtensanordnung vom 11. Oktober 2005 auch innerhalb der verlängerten Frist nicht nachgekommen sei, sei seine Nichteignung im Zeitpunkt seiner Verzichtserklärung bzw. im Zeitpunkt der Abgabe seines Führerscheins gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV festgestanden. Ihm wäre daher die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V. mit § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen gewesen. Ein taktisch geschicktes Manöver durch den Verzicht sei mithin ausgeschlossen. Der Verzicht auf die Fahrerlaubnis sei nur zur Vermeidung eines anfechtbaren kostenpflichtigen Entziehungsbescheides erfolgt und habe damit sowohl dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers wie auch dem berechtigten Interesse der Fahrerlaubnisbehörde gedient. Die Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verzicht darauf würden bezüglich der Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Gesetz gleich behandelt (§ 20 Abs. 1 FeV). Auch werde der Verzicht auf die Fahrerlaubnis im Verkehrszentralregister ebenso wie die Entziehung gespeichert (§ 28 Abs. 3 Nr. 7 StVG). Sogar innerhalb des Punktesystems folge aus § 4 Abs. 11 Satz 2 StVG, dass der Verzicht einer Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich gleichstehe. Dass im Fall des Verzichts das Punktekonto in jedem Fall bis zur Tilgung der zugrunde liegenden Eintragungen bestehen bleiben solle, scheide angesichts der Tilgungsfristen von zwei bis zehn Jahren nach § 29 Abs. 1 Satz 2 StVG aus. Eine derartige Ungleichbehandlung zwischen Fahrerlaubnisinhabern, die es auf eine Entziehung ankommen ließen, und denen, die sich einsichtig zeigten und angesichts der zwingend gebotenen Entziehung auf ihre Fahrerlaubnis verzichteten, sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG sei daher so auszulegen, dass er auch im Fall des Verzichts anwendbar sei, wenn der Verzicht erfolge, um eine zwingende Entziehung nach § 3 Abs. 1 StVG zu vermeiden.

Gegen dieses Urteil legte der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ein. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass infolge des Verzichts auf die Fahrerlaubnis der Punktestand im Verkehrszentralregister auf Null gesunken sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG sei ein Verzicht nicht mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis gleichzustellen. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf die Fälle des Verzichts könne nicht erfolgen. Die analoge Anwendung einer Vorschrift setze zunächst eine unbewusste Regelungslücke voraus. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber aber den Verzicht in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG bewusst nicht aufgenommen. Es treffe zwar zu, dass in § 20 Abs. 1 FeV, § 28 Abs. 3 Nr. 7 und § 4 Abs. 11 Satz 2 StVG der Verzicht mit einer Entziehung gleichgestellt werde. Daraus lasse sich jedoch nicht schließen, dass eine entsprechende Gleichstellung auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG zu erfolgen habe. Vielmehr ergebe sich gerade aus einem Umkehrschluss zu den zitierten Normen, dass im Anwendungsbereich dieser Vorschrift keine Gleichstellung des Verzichts mit einer Entziehung erfolgt sei.

Eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG auch im Falle des Verzichts würde in der Praxis zu nicht hinnehmbaren Unsicherheiten führen, da der Zeitpunkt, ab dem eine „drohende und gebotene Entziehung“ vorliege, objektiv oft nicht hinreichend bestimmbar sei. Jedenfalls könne sich der Fahrerlaubnisinhaber hierauf nicht berufen, solange die Entziehung ihm von Seiten der Fahrerlaubnisbehörde nicht im Wege einer Anhörung angekündigt worden sei. Zu einer solchen Anhörung sei es beim Kläger nicht gekommen. Tatsächlich habe der Kläger auf die Fahrerlaubnis verzichtet, weil er das Gutachten aus finanziellen Gründen nicht habe erstellen lassen können, nicht weil er von der Fahrerlaubnisbehörde schon zu diesem Zeitpunkt als ungeeignet zur Fahrzeugführung angesehen worden wäre. Den Schluss aus § 11 Abs. 8 FeV, bei dem es sich auch um eine Ermessensentscheidung handle, habe die Fahrerlaubnisbehörde noch nicht gezogen gehabt.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. Juli 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er führt aus, dass in Fällen, in denen eine zwingende Entziehung in Frage komme und dem Fahrerlaubnisinhaber gleichzeitig angeboten worden sei, eine Verzichtserklärung aus Kostengründen abzugeben, die unterschiedliche Rechtsfolge gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Zudem dürfe die Fahrerlaubnisbehörde nicht den Anschein erwecken, dass Entziehung und Verzicht gleichzusetzen seien, sondern müsse auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen hinweisen.

Mit Schreiben vom 3. September 2009 wies der Senat die Beteiligten darauf hin, dass im Falle des Verzichts ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG möglicherweise dadurch vermieden werden könne, dass eine Punktelöschung zugunsten des Verzichtenden durch Tilgung der Eintragungen im Verkehrszentralregister gemäß § 29 Abs. 3 StVG erreicht werden könnte.

Auf den Inhalt der daraufhin vom Kläger am 15. September 2009 und vom Beklagten am 4. November 2009 abgegebenen Stellungnahmen wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sich die Beteiligten hiermit schriftsätzlich einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Anordnung des Landratsamts vom 26. Oktober 2007, mit der der Kläger zur Teilnahme an einem Aufbauseminar verpflichtet wurde, rechtswidrig gewesen ist. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt vor der Entscheidung über die Anfechtungsklage erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Anordnung vom 26. Oktober 2007 hat sich nach zulässiger Erhebung der Anfechtungsklage erledigt, weil ihr der Kläger durch Teilnahme an einem Aufbauseminar nachgekommen ist.

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, weil er die ihm durch die Teilnahme am Aufbauseminar entstandenen Kosten im Wege eines Amtshaftungsprozesses erstattet haben will. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. vom 8.12.1995 BVerwGE 100, 83/91) kann die Absicht, einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) bei den ordentlichen Gerichten geltend machen zu wollen, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts begründen. Der Annahme eines Feststellungsinteresses steht hier nicht entgegen, dass der vom Kläger beabsichtigte Amtshaftungsprozess offensichtlich aussichtslos wäre, weil es der Kläger vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hätte, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels, nämlich eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Rechtsmittel im Sinn des § 839 Abs. 3 BGB sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinn, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden dadurch abzuwenden, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt oder berichtigt wird. Dazu gehören auch Anträge auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO (Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl. 2010, § 839 RdNr. 69 m.w.N.).

Da die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG sofort vollziehbar ist, hätte der Kläger sie nur dann nicht befolgen müssen, wenn er mit einem gegen ihre sofortige Vollziehung gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Erfolg gehabt hätte.

Hinsichtlich des erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Schaden ist im Grundsatz darauf abzustellen, wie das Fachgericht über den Rechtsbehelf nach Auffassung des über den Ersatzanspruch urteilenden Gerichts richtigerweise hätte entscheiden müssen (Palandt, a.a.O., RdNr. 73). Angesichts der sich im vorliegenden Verfahren stellenden schwierigen materiell-rechtlichen Fragen ist nicht absehbar, welche Auffassung das für den Amtshaftungsprozess zuständige Zivilgericht zu der Frage vertreten würde, wie über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Aus diesem Grund kann nicht unterstellt werden, dass der Kläger es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch das Stellen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO abzuwenden.

Die Anordnung vom 26. Oktober 2007 war rechtswidrig, weil sie nicht auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gestützt werden konnte. Nach dieser Bestimmung hat die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber den Inhabern einer Fahrerlaubnis die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach Absatz 8 anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn sich für den Betroffenen 14 aber nicht mehr als 17 Punkte ergeben. Diese Voraussetzungen waren bei Erlass der Anordnung nicht gegeben, weil sich für den Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mindestens 14 Punkte ergaben. Denn sein Punktestand hätte bei Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 21. September 2006 wegen seines Verzichts auf die Fahrerlaubnis vom 9. Februar 2006 zumindest im Wege einer fiktiven Löschung auf Null reduziert werden müssen. Dies folgt aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG, dessen Anwendung auf den Fall des Klägers durch den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG geboten ist.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG werden, wenn die Fahrerlaubnis entzogen oder eine Sperre (§ 69 a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs) angeordnet worden ist, die Punkte für die vor dieser Entscheidung begangenen Zuwiderhandlungen gelöscht. Der Gesetzgeber hat diese Regelung ganz bewusst nicht auf den Fall des Verzichts auf die Fahrerlaubnis erstreckt, wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 2 StVG ergibt. Dort heißt es: "Zur Löschung der Punkte kommt es nur im Fall der Entziehung, nicht jedoch beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis. Hier bleibt das Punktekonto (bis zur Tilgung der zugrundeliegenden Eintragungen) weiterhin bestehen" (BR-Drs. 821/96 S. 52, 71, abgedruckt in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 4 RdNr. 3).

Die bewusste Nichterfassung des Verzichts auf die Fahrerlaubnis in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG steht einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf diesen Fall entgegen, weil es sich insoweit nicht um ein versehentliches, dem Normzweck zuwiderlaufendes Regelungsversäumnis des Gesetzgebers handelt (vgl. BVerwG vom 11.9.2008 Az. 2 B 43/08 m.w.N.), das Voraussetzung für eine analoge Gesetzesanwendung wäre. Ob man mit dem Verwaltungsgericht Freiburg (Beschluss vom 11.9.2008 Az. 1 K 1546/08) und dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 21.7.2009 Az. 9 L 564/09) von einer planwidrigen Regelungslücke ausgehen kann, wenn der Betroffene mit dem Verzicht lediglich einer bevorstehenden behördlichen Entziehung der Fahrerlaubnis zuvorkommen wollte, erscheint zweifelhaft, weil solche Fälle in der Behördenpraxis häufig vorkommen und nicht ohne weiteres unterstellt werden kann, dass der Gesetzgeber diese Problematik nicht gesehen hat.

§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ist jedoch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dann in Verzichtsfällen anzuwenden, wenn seine Nichtanwendung einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten würde.

Das ist nach Auffassung des Senats aber nicht generell der Fall. Insbesondere verletzt die Nichtberücksichtigung des Verzichts bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktesystem (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn eine Punktelöschung aufgrund eines Verzichts würde in diesem Fall eine Umgehung des § 4 Abs. 10 StVG bedeuten, der eine Frist von sechs Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Wirksamkeit der Entziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG vorsieht, und in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zum Nachweis der wiederhergestellten Kraftfahreignung vorschreibt. Diese Umgehungsmöglichkeit hat der Gesetzgeber zu Recht ausschließen wollen.

Dagegen wäre es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn einem Betroffenen die Löschung der Punkte verwehrt bliebe, der nach dem Verzicht auf die Fahrerlaubnis und der Ablieferung seines Führerscheins die Voraussetzungen für deren Wiedererteilung erfüllt und dem die Fahrerlaubnis auch tatsächlich wiedererteilt wird. Denn diese beim Kläger vorliegende Fallkonstellation stimmt im Wesentlichen mit derjenigen überein, bei der einem Fahrerlaubnisinhaber außerhalb des Punktesystems die Fahrerlaubnis entzogen wird, er daraufhin den Führerschein abliefert, aber im weiteren Verlauf die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erfüllt und danach auch eine neue Fahrerlaubnis erhält.

Zwar bestehen bei der erstgenannten Fallkonstellation zugunsten des Verzichtenden geringfügige Vorteile wegen der nur den Adressaten einer Fahrerlaubnisentziehung treffenden Regelungen des § 11 Abs. 3 Nr. 9 a, § 13 Satz 1 Buchst. d und § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV. So sieht § 11 Abs. 3 Nr. 9 a FeV vor, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden kann, wenn die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war. Nach § 13 Satz 1 Buchst. d FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen und Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war. Schließlich ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war. Der Senat hält die durch diese Regelungen bedingten Vorteile für den Verzichtenden aber im vorliegenden Zusammenhang für geringfügig, weil sie die nach § 11 Abs. 3, § 13 Satz 1 Nr. 2 und § 14 Abs. 2 FeV bestehenden zahlreichen weiteren Möglichkeiten zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht berühren. Diese Vorteile rechtfertigen es deshalb nicht, einem Betroffenen in der oben beschriebenen Fallkonstellation wegen seines Verzichts im Unterschied zum Adressaten einer Entziehungsmaßnahme die Löschung der Punkte nach der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorzuenthalten.

Dass der Kläger nach seinem Verzicht auf die Fahrerlaubnis am 9. Februar 2006 und der Ablieferung seines Führerscheins die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nachgewiesen hatte, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 21. September 2006 hätte der Kläger somit zumindest im Wege einer fiktiven Löschung so behandelt werden müssen, als ob die Punkte für die von ihm vor dem Verzicht begangenen Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr gelöscht worden wären.

Tatsächlich könnte eine Löschung der für den Kläger bis zu seiner Verzichtserklärung angefallenen Punkte über eine entsprechende Anwendung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 StVG erfolgen, ohne dass diese Frage hier einer abschließenden Erörterung bedarf.

Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Frage der Auslegung und eventuellen Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG im Falle eines Verzichts auf die Fahrerlaubnis grundsätzliche Bedeutung hat.



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