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OLG Rostock Beschluss vom 27.04.2011 - 2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 - Zur fehlerhaften Nichtbescheidung eines Entpflichtungsantrags für die Hauptverhandlung

OLG Rostock v. 27.04.2011: Zur fehlerhaften Nichtbescheidung eines Entpflichtungsantrags für die Hauptverhandlung


Das OLG Rostock (Beschluss vom 27.04.2011 - 2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11) hat entschieden:
Der Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will. Wird eine solche Bitte übersehen und daher nicht beschieden, ist der Erlass eines Verwerfungsurteils gegen den dann nicht erschienenen Betroffenen rechtsfehlerhaft.


Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Der Landrat des Landkreises Güstrow hat mit Bußgeldbescheid vom 14.01.2010 gegen den Betroffenen wegen einer am 18.09.2009 als Führer einer Zugmaschine begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft bei gleichzeitiger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons eine Geldbuße von 60 Euro festgesetzt.

Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Güstrow in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers mit Urteil vom 19.01.2011 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG als unbegründet verworfen, weil der Betroffene, ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein, in der Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht, weil über einen von seinem Verteidiger gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entschieden worden sei. Die Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil hätten deshalb nicht vorgelegen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet beantragt.


II.

Der Zulassungsantrag erweist sich mit der den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Rüge der rechtsfehlerhaften Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG als erfolgreich. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht über den vor Verhandlungsbeginn gestellten Antrag des Betroffenen, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht entschieden und deshalb das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat. Darin liegt eine Versagung des rechtlichen Gehörs, die nach § 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde bedingt und zugleich deren zumindest vorläufigen Erfolg indiziert.

Mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass der Betroffene bereits anlässlich der Ladung zu der zunächst auf den 04.10.2010 anberaumten Hauptverhandlung durch seinen unter- und vertretungsbevollmächtigten Verteidiger mit Schreiben vom selben Tag erklärt hat, er wolle an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen, räume jedoch ein, zur Tatzeit und an der im Bußgeldbescheid bezeichneten Örtlichkeit der Fahrer der eingemessenen Zugmaschine gewesen zu sein. Hingegen bestreite er die ihm vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung ebenso wie den Gebrauch eines Mobiltelefon während der Fahrt. Bei dem auf dem Lichtbild der Verkehrsüberwachungsanlage erkennbaren und von ihm benutzten Gerät habe es sich um die in das Fahrzeug eingebaute CB-Funkanlage gehandelt. Auch vor der auf den 19.01.2011 anberaumten Hauptverhandlung hat der Betroffene erneut durch seinen Verteidiger erklären lassen, er wolle nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen. Zugleich hat er beanstandet, dass über den Antrag des Verteidigers, ihm Einsicht in den Messfilm zu gewähren, noch immer nicht entschieden worden sei.

Damit hat der Betroffene einen wirksamen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gestellt. Ein solcher Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will (KK-Senge OWiG 3. Aufl. § 73 Rdz. 16; Seitz in Göhler OWiG, 15. Aufl. § 73 Rdz. 4; OLG Bamberg, Beschl. vom 25.03.2009 - 2 Ss OWi 1326/2008; OLG Brandenburg, Beschl. vom 05.11.2008 - 2 Ss (OWi) 180 B/08. Es braucht - insbesondere bei wiederholter Antragsstellung - auch nicht darauf hingewiesen werden, dass sich der Betroffene bereits früher zur Sache eingelassen hat, wenn sich dies aus den Akten ergibt (Seitz a.a.O.).

Zwar können sich vorliegend durchaus Zweifel daran ergeben, ob der Betroffene mit den von der Verteidigung ganz offensichtlich bewusst so apokryph gewählten Erklärungen, er "wolle" nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen, statt einen dahingehenden Antrag zu stellen, eine Entscheidung nach § 73 Abs. 2 OWiG herbeiführen wollte, oder ob dies Ausdruck einer schlichten Weigerung gewesen sein sollte, seiner grundsätzlichen Verpflichtung aus § 73 Abs. 1 OWiG nachzukommen. Andererseits spricht jedoch gerade der Umstand, dass diese Erklärungen nicht vom Betroffenen selbst stammen, sondern - und dies gleich zweimal jeweils kurz vor Verhandlungsbeginn - für ihn von seinem Verteidiger abgegeben wurden, dafür, dass hier jeweils ein ganz bewusst verklausulierter Entbindungsantrag angebracht wurde, um damit die Grundlage für die nunmehr angebrachte Gehörsrüge zu schaffen. Bei verbleibenden Unsicherheiten hierüber hätte es deshalb die richterliche Fürsorgepflicht geboten, diese durch Nachfrage bei Betroffenen auszuräumen.

Über diesen Entbindungsantrag hat das Amtsgericht weder gesondert entschieden, noch sich, insbesondere nachdem er - offenbar wiederum absichtlich - erst sehr kurzfristig vor Verhandlungsbeginn angebracht wurde, in den Gründen des Verwerfungsurteils damit befasst. Beides wäre indes erforderlich gewesen. Das Amtsgericht hätte spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung über den Entbindungsantrag entscheiden und, wenn es ihm nicht stattgegeben hätte, in den Gründen des Verwerfungsurteils darüber befinden müssen, ob der Betroffene etwa deshalb, weil er diesen Antrag - bewusst - derart kurzfristig angebracht hat, dass eine Entscheidung darüber vor Verhandlungsbeginn nicht mehr möglich war, der Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben ist (vgl. dazu Seitz a.a.O. § 74 Rdz. 32).

Darin, dass das Amtsgericht den vor Verhandlungsbeginn angebrachten Entbindungsantrag übersehen oder übergangen und gleichwohl den Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör (OLG Hamm NZV 2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578). Dabei macht es - was die Generalstaatsanwaltschaft verkennt - keinen Unterschied, ob das Amtsgericht den Entbindungsantrag mit rechtlich tragfähiger Begründung hätte ablehnen können. Allein entscheidend ist, dass es eine verfahrenserhebliche Erklärungen des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht - wie auch immer - darüber entschieden hat.



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