Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Urteil vom 3.01.2005 - 14 U 64/03 - Zur Tierhalterhaftung bei einem Verkehrsunfall durch freilaufende Pferde auf einer Bundesstraße

OLG Celle v. 03.01.2005: Zur Tierhalterhaftung bei einem Verkehrsunfall durch freilaufende Pferde auf einer Bundesstraße


Das OLG Celle (Urteil vom 03.01.2005 - 14 U 64/03) hat entschieden:
Ein (leichter) Verstoß des Kraftfahrers gegen das Sichtfahrgebot kann hinter dem erheblichen mitwirkenden Verschulden des Tierhalters vollständig zurücktreten, dessen vier Pferde nach dem Ausbruch aus einer unmittelbar an einer Bundesstraße gelegenen unzureichend gesicherten Weide auf der Fahrbahn nur schwer erkennbare Hindernisse bildeten.


Siehe auch Tierhalterhaftung/Tiergefahr und Betriebsgefahr


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten für die Folgen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch, der sich am 14. November 2000 gegen 04:50 Uhr auf der Bundesstraße 215 in Richtung M. kurz vor der Abzweigung nach R. ereignete und in Folge dessen vier Pferde ums Leben kamen, die zuvor von einer seinem Bruder gehörenden und an die Bundesstraße angrenzenden Weide entlaufen waren. Das Landgericht hat die Klage nach der Durchführung einer Beweisaufnahme zum Unfallhergang - u. a. durch die Einholung des Gutachtens des Kfz-Sachverständigen Dipl.-Ing. K.-H. B. vom 27. November 2002 (lose im hinteren Aktendeckel) - mit der Begründung abgewiesen, dass der Unfall für den Beklagten zu 1 als Fahrer des Unfall verursachenden VW-Busses unabwendbar gewesen sei.

Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung verwiesen wird, wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, dass der Unfall für den Beklagten zu 1 nicht nur kein unabwendbares Ereignis dargestellt habe, sondern dass diesen an dem Unfallgeschehen angesichts seines Fahrverhaltens auch ein Verschulden treffe. Er - der Kläger - brauche sich dagegen kein Mitverschulden vorwerfen zu lassen, weil die Zaunanlage der Weide, aus der die Tiere ausgebrochen seien, besonders gut geeignet gewesen sei, ein Entlaufen der Pferde zu verhindern. Im Übrigen wiederholt und vertieft der Kläger im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 31.209,26 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 19. Mai 2001 zu zahlen,

hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens der Dipl.-Ing. agr. C. M. vom 30. Juni 2004 (lose im hinteren Aktendeckel), auf das ebenfalls verwiesen wird.

Die Ermittlungsakten 514 Js 668/01 Staatsanwaltschaft Verden waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.


II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Ihm stehen gegenüber den Beklagten wegen der Folgen des Verkehrsunfalls vom 14. November 2000 keine Schadensersatzansprüche zu.

Zwar bestehen an der Aktivlegitimation des Klägers keine begründeten Zweifel. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Senats unter I. 2. seines Beschlusses vom 6. November 2003 wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts spricht auch einiges dafür, dass den Beklagten zu 1 an dem Unfall ein (leichtes) Verschulden trifft, weil er gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) verstoßen hat. Die von ihm zum Unfallzeitpunkt eingehaltene Geschwindigkeit von 70 90 km/h war nach den Feststellungen des Sachverständigen B. zu hoch, um den Unfall nach der Wahrnehmung der dunkelfarbigen und daher nur schwer erkennbaren Pferde auf der Fahrbahn noch durch ein rechtzeitiges Abbremsen zu vermeiden.

Ein etwaiges leichtes Verschulden des Beklagten zu 1 an dem Zustandekommen des Unfalls tritt hier jedoch ebenso wie die von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 ausgehende Betriebsgefahr vollständig hinter dem ganz erheblichen Mitverschulden des Klägers zurück, das dieser sich zurechnen lassen muss. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten war er zwar nicht verpflichtet, die Pferde nachts von der Koppel zu nehmen und in einem Stall unterzubringen. Die Einfriedung der Weide musste jedoch - nicht zuletzt wegen deren Lage an der Bundesstraße 215 - besonders hohen Anforderungen genügen, um ihre Schutzfunktion auch bei einem panikartigen Ausbruchsversuch der Pferde zu erfüllen.

Dies war hier nicht der Fall. Der Zaun der Weide des Bruders des Klägers entsprach in seiner Ausführung nicht dem Standardkoppelzaun für Pferde, wie er - in Ermangelung von DIN-Vorschriften o. ä. - beispielsweise von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung empfohlen wird. Nach den Feststellungen der Sachverständigen M. in ihrem Gutachten vom 20. Juni 2004 ist zunächst der weite Pfahlabstand zu bemängeln, der zwischen ca. 5,25 m und ca. 8 m statt empfohlener 3 m - 3,5 m liegt und der eine größere Ausdehnung des zur Einfriedung verwendeten Gummibandes ermöglicht. Darüber hinaus sind die Gummibänder mit 2,5 cm statt empfohlener mindestens 7 cm deutlich zu schmal. Sie sind zudem mit zu kleinen Nägeln an den Holzpfählen befestigt, was zur Folge hat, dass sich an den Befestigungsstellen Risse bilden und die Zug- bzw. Druckstabilität des ohnehin zu schmalen Gummibandes zusätzlich erheblich herabgesetzt wird. Wegen der weiteren Feststellungen der Sachverständigen M. zu der hier in Rede stehenden Zaunanlage wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihr Gutachten Bezug genommen.

Neben den beschriebenen keineswegs unwesentlichen Mängeln der Zaunanlage, die vermieden worden wären, wenn der Kläger bzw. sein Bruder die erforderliche Sorgfalt bei deren Errichtung und Unterhaltung beobachtet hätte, ist hier zu berücksichtigen, dass von den insgesamt vier Pferden, die bei dem Verkehrsunfall vom 14. November 2000 tödlich verletzt worden sind, eine (deutliche) Tiergefahr ausgegangen ist, die die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1 ganz erheblich überschritten hat. Auch dieser Umstand rechtfertigt es, dessen Mitwirkungsbeitrag hier gänzlich hinter dem deutlichen Mitverschulden des Klägers an dem Zustandekommen des Unfalls zurücktreten zu lassen.

Da sich die Berufung des Klägers gegen das Klage abweisende erstinstanzliche Urteil nach alledem unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt als begründet erweist, war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach muss der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.