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OLG Koblenz Urteil vom 07.11.2011 - 12 U 480/10 - Zum Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden unter dem Gesichtspunkt unfallbedingt vermehrter Bedürfnisse

OLG Koblenz v. 07.11.2011: Zum Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden unter dem Gesichtspunkt unfallbedingt vermehrter Bedürfnisse


Das OLG Koblenz (Urteil vom 07.11.2011 - 12 U 480/10) hat entschieden:
Verletzungsbedingte Aufwendungen, die der Verletzte für die Ausübung des Reitsports tätigt, sind nicht erstattungsfähig, wenn er das Betreiben des Reitsports erst nach dem Unfall aufgenommen hat.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Personenschaden und Vermehrte Bedürfnisse nach Unfallverletzungen und bei Personenschaden


Gründe:

I.

Die Klägerin macht Kosten für die Ausübung des Reitsports geltend.

Sie erlitt am 13.12.1980 einen Verkehrsunfall, der zur Amputation ihres linken Unterschenkels führte. Die Beklagte ist der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Unfallverursachers. Sie haftet unstreitig dem Grunde nach für die Unfallfolgen.

Die Klägerin übte ab 2006 den Reitsport auf einer Reitanlage in ...[Z] aus. Zuvor war sie jedenfalls bis 2005 seit dem Unfall nicht geritten. 2008 ließ die Klägerin einen auf ihre Verletzung abgestimmten Reitsattel anfertigen.

Sie begehrt u.a. die Kosten für die Anpassung und Maßanfertigung des Sattels, für Reitunterricht für Behinderte sowie Fahrtkostenersatz.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Mehraufwendungen für die Ausübung des Reitsports seien als Unfallfolge zu ersetzen.

Die Ausübung des Reitsports habe auch therapeutische Gründe.

Die Kosten seien der Höhe nach gerechtfertigt, da sie einen eigenen für sie angepassten Spezialsattel benötige und einen speziellen Reitunterricht für Behinderte in Anspruch nehmen müsse. Sie benötige eine Zeitschrift, die sie über Neuerungen in der Prothesentechnik unterrichte.

Die Klägerin hat beantragt,
  1. die Beklagte zu verurteilen 6.637,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 5.991,40 € seit dem 05.06.2009 an sie zu zahlen.

  2. die Beklagte zu verurteilen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 505,87 € an sie zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, therapeutisches Reiten sei für die Klägerin medizinisch nicht erforderlich. Die geltend gemachten Kosten seien, soweit überhaupt angefallen, überhöht und nicht erstattungsfähig.

Das Landgericht hat die Beklagte ganz überwiegend zur Zahlung verurteilt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagte trägt vor, die Aufwendungen der Klägerin seien kein verletzungsbedingter Mehrbedarf.

Entgangene Lebensfreude sei durch das gezahlte Schmerzensgeld ausgeglichen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen des Urteils insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Ausübung des Reitsports diene therapeutischen Zwecken.

Sie sei im Alter von 5 bis 9 Jahren regelmäßig geritten. Zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr sei sie etwas häufiger, danach bis zu dem Unfall nur noch geritten, wenn sich die Gelegenheit geboten habe.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Bezug genommen.


II.

Die Berufung hat Erfolg.

Die Klägerin kann die geltend gemachten Positionen nicht nach §§ 7, 11 StVG ersetzt verlangen.

Ein Zahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt notwendiger Heilungskosten (§§ 11 StVG, 249 BGB) steht der Klägerin nicht zu.

Sie hat nicht hinreichend dargelegt, inwieweit gerade das Reiten geeignet und erforderlich ist, die Folgen der Unfallverletzung zu lindern oder einer Verschlimmerung derselben entgegenzuwirken. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Unfall im Dezember 1980 ereignete, die Klägerin aber regelmäßig erst wieder 2006 das Reiten aufgenommen hat. Hier hätte es des Vortrages konkreter Tatsachen bedurft, inwiefern nach so langer Zeit die Wiederaufnahme des Reitens nunmehr einen therapeutischen Wert in Bezug auf die Unfallfolgen haben soll. Die Beklagte hat eine spezifische therapeutische Wirkung gerade des Reitens im Vergleich zu anderen weniger aufwändigen therapeutischen Maßnahmen detailliert bestritten. Demgegenüber reichte der bloße Hinweis auf eine Stabilisierung der Muskulatur und der Koordinationsfähigkeit durch das Reiten nicht aus. Insbesondere hat die Klägerin nicht substantiiert dargetan, wieso sich diese angestrebten Verbesserungen nicht auch durch andere Maßnahmen erreichen ließen.

Vor diesem Hintergrund war dem erstmals mit der Berufungserwiderung erfolgten Beweisangebot der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzugehen.

Die Klägerin kann die geltend gemachten Kosten auch nicht unter dem Gesichtspunkt vermehrter Bedürfnisse (§ 843 Abs. 1 2. Alt. BGB) oder eines einmaligen Mehrbedarfs (§§ 249, 251 BGB) verlangen.

Vermehrte Bedürfnisse umfassen unfallbedingte Mehraufwendungen, die diejenigen Nachteile ausgleichen sollen, die dem Verletzten infolge dauernder Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen (BGH NJW-RR 2004, 671).

Regelmäßig muss es sich dabei um Aufwendungen handeln, die dauerhaft und regelmäßig erforderlich sind und nicht der Wiederherstellung der Gesundheit dienen (BGH a.a.O., 672).

Daneben können aber ausnahmsweise einmalig anfallende Kosten nach §§ 249, 251 BGB zu ersetzen sein, wenn durch die einmalige Anschaffung eines Hilfsmittels ein erhöhtes Bedürfnis des Verletzten befriedigt werden kann (BGH a.a.O., 672).

Die Mehraufwendungen sind aber nur dann zu ersetzen, wenn die Schädigung zu gesteigerten Bedürfnissen des Verletzten zur Aufrechterhaltung des vor dem schädigenden Ereignis gewohnten Lebensstils geführt hat.

Davon abzugrenzen sind diejenigen Fälle, in denen der Geschädigte mit dem Schadensersatzbegehren ein Bedürfnis verfolgt, in gleicher Weise wie vor dem Unfall persönlichen Neigungen bei der Freizeitgestaltung uneingeschränkt nachgehen zu können. Diese Freiheit kann bei einer irreversiblen körperlichen Schädigung in tatsächlicher Hinsicht nicht wiederhergestellt werden. Insoweit liegt eine immaterielle Beeinträchtigung der Lebensfreude vor, deren Ausgleich unter dem Gesichtspunkt der Bemessung eines Schmerzensgeldes zu erfolgen hat (vgl. BGH NJW-RR 2004, 671, 672 und NJW-RR 1992, 792, 793).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht der Klägerin kein Zahlungsanspruch im Hinblick auf die durch das Reiten und die Sattelanfertigung angefallenen Kosten zu. Unfallbedingte Einschränkungen bei der Ausübung des Reitens als Freizeitsport, wie sie die Klägerin erlitten hat, können nicht beseitigt werden. Sie sind grundsätzlich über die Regelungen zum immateriellen Schadensersatz zu kompensieren.

Verhältnismäßigkeitserwägungen im Hinblick auf entstehende Kosten spielen bei dieser Unterscheidung, anders als die Klägerin meint, keine entscheidende Rolle (vgl. BGH NJW-RR 1992, 792, 793).

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt der Pflicht des Schädigers zur Ermöglichung der Aufrechterhaltung des bis zum Unfall gewohnten Lebensstandards (vgl. BGH NJW 2004, 671, 672 und NJW 2006, 1271, 1274, 1275). Dazu hätte eine regelmäßige Ausübung des Reitsports zu den gewohnten Verhältnissen der Klägerin vor dem Unfall gehören müssen. Weder der schriftsätzliche Vortrag der Klägerin noch ihre persönliche Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 17.10.2011 haben hierfür ausreichende Anhaltspunkte erbracht. Selbst unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausübung des Reitsports für ihr Leben vor dem Unfall von so prägender Bedeutung war, dass sich die Wiederaufnahme des Reitsports als Ausdruck der Aufrechterhaltung eines erreichten Lebensstandards darstellt. Die Klägerin selbst hat hierzu vorgetragen, zwischen dem 5. und 9. Lebensjahr regelmäßig und danach etwa vom 10. bis zum 13. Lebensjahr immerhin noch häufiger geritten zu sein. In der Folge sei ihr das Reiten in den Jahren bis zu dem Unfall noch gelegentlich für eine Reitstunde im Urlaub möglich gewesen. Ein fester Lebensbestandteil war das Reiten zu diesem Zeitpunkt demnach nicht mehr.

Für diese Bewertung spricht auch die erhebliche zeitliche Distanz von über 25 Jahren zwischen dem zuletzt vor dem Unfall gelegentlich ausgeübten Reitsport und dem 2006 wieder aufgenommenen Hobby. Wäre die Ausübung des Reitsports für die Klägerin ein prägender Bestandteil ihres Lebensstandards gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie schon wesentlich früher versucht hätte, zum Reiten zurückzukehren.

Die Klägerin kann schließlich auch die Kosten für den Bezug einer Fachzeitschrift nicht mit der Begründung ersetzt verlangen, dies sei nötig, um sich über Fortschritte bei der Prothesentechnik zu informieren. Sie hat nicht dargelegt, wieso es erforderlich sein soll, sich insoweit über eine Zeitschrift zu informieren. Es liegt nahe, dass entsprechende Informationen über Sanitätshäuser oder über das Internet kostenfrei zu erlangen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.064 € festgesetzt.