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OLG Bamberg Beschluss vom 14.01.2009 - 2 Ss OWi 1623/08 - Zum Entschuldigungsgrund einer Erkrankung im Falle des Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung

OLG Bamberg v. 14.01.2009: Zum Entschuldigungsgrund einer Erkrankung im Falle des Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 14.01.2009 - 2 Ss OWi 1623/08) hat entschieden:
  1. Ein Sachvortrag zum Entschuldigungsgrund der Erkrankung erfordert für seine Schlüssigkeit zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes. Dies kann durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen erfolgen, ohne dass diesen die Art der Erkrankung zu entnehmen sein muss. Anderenfalls bedarf es zumindest entsprechenden Sachvortrags zu Art und Auswirkung der geltend gemachten Erkrankung, um dem Gericht die Grundlage für eine rechtliche Bewertung zu bieten, ob dem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar ist.

  2. Die pauschale und ausschließliche Mitteilung des Verteidigers, der Betroffene sei erkrankt, genügt diesen Anforderungen nicht und begründet keine Verpflichtung des Gerichts, bei etwaigen Zweifeln weitere Feststellungen im Freibeweisverfahren zu treffen.

Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 23.08.2007 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 31.05.2007 auf der A 70 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 78 km/h eine Geldbuße von 500,00 € und ein Fahrverbot von 3 Monaten verhängt. Den gegen diesen Bußgeldbescheid zulässigen Einspruch verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 16.06.2008 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG. Zur Begründung ist ausgeführt:
„Der Betroffene legte gegen den in der Urteilsformel bezeichneten Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch ein. Die Ladung, welche die Belehrung nach § 74 Abs. 3 OWiG und über die Folgen eines nicht genügend entschuldigten Ausbleibens enthielt, wurde ordnungsgemäß zugestellt. Das Ausbleiben ist nicht genügend entschuldigt. Der Einspruch wurde daher nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.“
Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Betroffene macht insbesondere geltend, die Tatrichterin habe sein Ausbleiben zu Unrecht als nicht entschuldigt beurteilt.


II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben, jedoch nicht begründet.

a) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 19.12.2008 erfüllt die Verfahrensrüge die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Da ein Prozessurteil im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG nur mit der Verfahrensrüge angefochten werden kann (Göhler OWiG 14. Aufl. § 74 Rn. 48 b), ist es grundsätzlich erforderlich, alle den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 344 Rn. 24).

Das Vorbringen in der Rechtsbeschwerdebegründung enthält die Mitteilung, wann und mit welchem Inhalt der Schriftsatz der Verteidigung vom 16.06.2008 vor Verhandlungsbeginn beim Amtsgericht eingegangen ist. Dies genügt zur Überprüfung, ob das Gericht eine ihm bekannte Tatsache rechtlich unzutreffend gewürdigt oder sich mit ihr in den Urteilsgründen nicht auseinandergesetzt hat bzw. eine Tatsache nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl es diese hätte zur Kenntnis nehmen können. Einer Mitteilung, ob die Erkrankung zugleich mit einer Verhandlungs- oder zumindest Reiseunfähigkeit des Betroffenen verbunden war und in welchen Umfang eine solche dem Gericht bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, bedurfte es dagegen nicht.

b) Die Verfahrensrüge bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Nach dem durch die Verfahrensakten bewiesenen Rechtsbeschwerdevorbringen liegt der Formrüge folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Hauptverhandlung am 16.06.2008 war auf 16.00 Uhr anberaumt. Mit am selben Tag um 15.11 Uhr übermitteltem Telefax teilte der Verteidiger mit, „dass der Betroffene nicht zum Termin erscheinen“ könne, weil er „erkrankt“ sei. Weitere Mitteilungen waren in dem Schriftsatz nicht enthalten, Anlagen nicht beigefügt.

Zur Hauptverhandlung erschienen ausweislich des Sitzungsprotokolls weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf daraufhin den Einspruch des Betroffenen durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.

aa) Zwar ist die (lediglich formularmäßige) Begründung des Urteils, der Betroffene sei ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben (§74 Abs. 2 OWiG), nicht frei von Rechtsfehlern, weil das – dem Beschwerdevorbringen zufolge – vor der Hauptverhandlung dem Amtsgericht per Telefax übermittelte Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen im angefochtenen Urteil nicht gewürdigt worden ist. Die Nichterörterung in dem angefochtenen Verwerfungsurteil lässt darauf schließen, dass das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen überhaupt nicht berücksichtigt hat, obwohl es hätte berücksichtigt werden können und müssen (vgl. OLG Köln NZV 2003, 439). Für die Frage des Entschuldigtseins kommt es nicht darauf an, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. OLG Bamberg DAR 2008, 305 m.w.N.; KK/Senge OWiG 2. Aufl. § 74 Rn. 35; Göhler OWiG 14. Aufl. § 74 Rn. 31). Da erfahrungsgemäß nicht selten noch am Terminstag bei Gericht schriftliche oder telefonische Mitteilungen über eine Verhinderung des Betroffenen eingehen, gebietet es die Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht, dass der Richter sich vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine entsprechende Nachricht vorliegt (BayObLG VRS 83, 56; OLG Köln a.a.O.; OLG Düsseldorf VRS 96, 130; KK/Senge a.a.O.; Göhler a.a.O. jeweils m.w.N.). War - wie hier - ein Entschuldigungsschreiben über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Gericht bereits eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters belanglos (OLG Düsseldorf a.a.O.; KK/Senge a.a.O.).

bb) Das Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsfehler (§§ 337 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil der vom Betroffenen vorgebrachte Entschuldigungsgrund in der hier vorliegenden Form von vornherein nicht geeignet war, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung genügend zu entschuldigen (vgl. BayObLG NStZ-RR 1999, 187/188; OLG Hamm VRS 86, 55; OLG Köln VRS 93, 186; OLG Jena VRS 93, 350).

Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (OLG Bamberg DAR 2008, 217). Dabei trifft den Betroffenen hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes zwar grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis. Erforderlich ist jedoch, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind (OLG Bamberg a.a.O.). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Beschwerdeführer, um dem Gebot der Rechtswegerschöpfung als Voraussetzung für eine Erfolg versprechende Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zu genügen, alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen hat, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern, wozu auch gehört, dass er seiner prozessualen Darstellungslast durch rechtzeitigen Vortrag aller ihn begünstigenden Umstände entsprochen hat (BVerfG NJW 2005, 3769; NStZ-RR 2005, 346).

Eine Krankheit stellt einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Köln DAR 1987, 267). Ein Sachvortrag, der dem Gericht eine Bewertung von „Krankheit“ eines Betroffenen als Entschuldigungsgrund nach diesen Kriterien ermöglichen soll, erfordert für seine Schlüssigkeit daher zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes, also eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. BSGE 35, 10/12). Dies kann durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen, wie Atteste, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Krankschreibungen erfolgen (vgl. OLG Jena VRS 111, 148; ZfSch 2007, 532; OLG Naumburg ZfSch 2000, 514; OLG Hamm VRA EN-Nr. 334/2006), ohne dass diesen die Art der Erkrankung zu entnehmen sein muss (vgl. BayObLG VRS 95, 279) und die so lange als genügende Entschuldigung zu gelten haben, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht (OLG Frankfurt NJW 1988, 2965).

Anderenfalls bedarf es zumindest entsprechenden Sachvortrags zu Art oder Auswirkung der geltend gemachten Erkrankung, um dem Gericht die Grundlage für eine rechtliche Bewertung zu bieten, ob dem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar ist (vgl. BayObLG NJW 1998, 172).

Vorliegend beschränkte sich der Verteidiger des Betroffenen ohne Beifügung oder auch nur Ankündigung einer ärztlichen Bescheinigung auf die eigene pauschale und ausschließliche Mitteilung, der Betroffene sei erkrankt. Dies genügt nicht den oben dargelegten Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag und bietet darüber hinaus dem Tatgericht keinerlei Anhaltspunkte, bei etwaigen Zweifeln an der Richtigkeit des Vorbringens weitere Feststellungen im Freibeweisverfahren zu treffen (vgl. KK/Senge a.a.O. § 74 Rn. 35; Göhler a.a.O. § 74 Rn. 29 jeweils m.w.N.). Die Aufklärungspflicht des Gerichts setzt nämlich erst dann ein, wenn die an sich schlüssigen, eine Unzumutbarkeit des Erscheinens indizierenden Tatsachenbehauptungen vom Gericht nicht als glaubwürdig angesehen werden. Diesbezüglich musste sich der Verteidiger umso mehr zu einem schlüssigen Sachvortrag veranlasst sehen, als es sich vorliegend bereits um die zweite – angebliche - Erkrankung des Betroffenen innerhalb von zwei Monaten handelte, die dem Gericht erst am Verhandlungstag weniger als eine Stunde vor Verhandlungsbeginn per Telefax mitgeteilt werden konnte, während sie dem Verteidiger offenbar wiederum so frühzeitig bekannt war, dass er trotz auswärtigen Kanzleisitzes eine vergebliche Anreise zur Hauptverhandlung trotz eines eigentlich erforderlichen rechtzeitigen Fahrtantritts noch vermeiden konnte. Unter diesen Umständen war mit Zweifeln des Gerichts am Zutreffen des Entschuldigungsgrundes zu rechnen und diesen zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für den Betroffenen durch möglichst konkreten Sachvortrag zu begegnen.

Die nach Erlass des amtsgerichtlichen Verwerfungsurteils im weiteren Verlauf des Verfahrens im Rahmen des Begründungsschriftsatzes zum Wiedereinsetzungsantrag und zur Rechtsbeschwerde vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 16.06.2008 – eine konkrete Beschreibung der angeblichen Erkrankung am Hauptverhandlungstag und weitergehende Glaubhaftmachung ist unterblieben - hatte außer Betracht zu bleiben. Insoweit wird auch seitens des Rechtsbeschwerdeführers nicht vorgetragen, dass diese zum Zeitpunkt der Verwerfungsentscheidung bereits beim Amtsgericht eingegangen war, weshalb dieser (neue) Tatsachenvortrag vom Rechtsbeschwerdegericht nicht berücksichtigt werden konnte (BayObLG NStZ 2003, 98).

2. Auch die zulässig erhobene allgemeine Sachrüge bleibt ohne Erfolg. Diese führt bei einem Prozessurteil – wie hier – nur zur Nachprüfung von Verfahrenshindernissen (BGHSt 21, 242; 46, 230). Für solche liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.