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OLG Brandenburg Beschluss vom 28.10.2003 - 2 Ss (OWi) 148Z/02 - Zur Zulässigkeit eines zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Entpflichtungsantrags

OLG Brandenburg v. 28.10.2003: Zur Zulässigkeit eines zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Entpflichtungsantrags


Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 28.10.2003 - 2 Ss (OWi) 148Z/02) hat entschieden:
Der Betroffene kann einen Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache stellen, sofern noch nicht zur Sache selbst verhandelt worden ist.


Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Das Polizeipräsidium O setzte gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 24 km/h ein Bußgeld von 145,00 DM fest. Nachdem der Betroffene gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt hatte, verhandelte die Amtsrichterin in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers zur Sache; anschließend setzte sie die Hauptverhandlung aus, um einen Sachverständigen mit einem Gutachten zur Geschwindigkeitsmessung zu beauftragen. Nachdem das Gutachten vorlag, verhandelte die Amtsrichterin erneut in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers und unterbrach sodann die Hauptverhandlung. Im Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am 12. Februar 2002 erschien der Betroffene nicht, wohl aber sein Verteidiger, der den Antrag stellte, seinen Mandanten von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Daraufhin hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verworfen. Zum Entpflichtungsantrag des Verteidigers heißt es in den Urteilsgründen: "Der Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen war abzulehnen, da er nicht vor der Hauptverhandlung gestellt wurde bzw. eine Entscheidung nicht zu Beginn der Hauptverhandlung möglich war (vgl. Göhler, OWiG, § 73 Rn. 4)". Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen und sein Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Hier kam einzig dieser Zulassungsgrund in Betracht, weil die Verwaltungsbehörde eine Geldbuße von nicht mehr als 200,00 DM gegen den Betroffenen festgesetzt hatte und die Überprüfung der Anwendung materiell-rechtlicher Normen zur Fortbildung des Rechts ausgeschlossen ist, weil es sich bei dem angefochtenen Urteil um ein Prozessurteil handelt.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat der Betroffene in einer den Anforderungen einer Verfahrensrüge genügenden Weise (§§ 79 Abs. 3 S. 1, 80 Abs. 2 S. 1 OWiG in Verbindung mit 344 Abs. 2 S. 2 StPO) ausgeführt, dass sein Recht auf Gehör verletzt worden sei. Dazu war es hier nicht erforderlich, darzulegen, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird, zu den für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, sondern auch dann, wenn sich das Gericht weigert, eine Stellungnahme des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung zu erwägen (zum zweiten Teil dieses Gebotes vergl. Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Komm. zum GG, Rdn. 94 zu Art. 103). Der Betroffene trägt in der Begründung seiner Rechtsbeschwerde dem Sinne nach vor, das Amtsgericht hätte kein Prozessurteil erlassen dürfen, sondern es hätte ihn auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden und auf Grund der Beweisaufnahme, einschließlich seiner Einlassung in dem unterbrochenen Termin, in seiner Abwesenheit eine Entscheidung in der Sache treffen müssen. Damit führt er zugleich in ausreichender Weise aus, dass das Recht auf Gehör unter dem zweiten der beiden genannten Aspekte verletzt worden sei.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht durfte den Entpflichtungsantrag nicht bereits aus den in dem Verwerfungsurteil genannten Gründen, die sich allein auf den Zeitpunkt der Antragstellung beziehen, ablehnen. Vielmehr hätte es sich mit der Frage befassen müssen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) erfüllt waren, und gegebenenfalls – in einem eigenen Beschluss oder aber in dem Verwerfungsurteil selbst – die Gründe darlegen müssen, aus denen es diese Voraussetzungen als nicht erfüllt ansieht. Schon auf Grund dieses Darlegungsmangels ist das angefochtene Urteil aufzuheben, weil der Senat auf Grund dieses Mangels nicht überprüfen kann, ob das Amtsgericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gewahrt hat.

Ein Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung kann – entgegen der Auffassung von G auf die sich das Amtsgericht gestützt hat – noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 S. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 StPO) gestellt werden, sofern noch nicht zur Sache selbst verhandelt worden ist (ebenso Senge in KK-OWiG, 2. Aufl., Rn. 18, 19 zu § 73; OLG Naumburg ZfS 2002, 595). Ist ein Betroffener bei Aufruf der Sache nicht erschienen und legt sein Verteidiger für ihn eine Entschuldigung vor, so hat das Gericht diese Entschuldigung zu überprüfen und gegebenenfalls in dem Verwerfungsurteil darzulegen, aus welchen Gründen sie die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen soll. Es gibt keinen Grund, bei einem Entpflichtungsantrag anders zu verfahren. Der Wortlaut des Gesetzes und die Gesetzesmaterialien sprechen nicht dagegen (vgl. OLG Naumburg, a.a.O.).



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