Das Verkehrslexikon

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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 11.09.2012 - 2 Ss-OWi 719/11 - Zum Durchfahrtsverbot für Lkw über 12 Tonnen und zur Mautumgehung

OLG Frankfurt am Main v. 11.09.2012: Zum Durchfahrtsverbot für Lkw über 12 Tonnen und zur Mautumgehung


Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.09.2012 - 2 Ss-OWi 719/11) hat entschieden:
  1. Ziffer a) zu lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs 1 StVO (überregionaler Güterverkehr) nimmt nur den an Hand von Frachtpapieren nachzuweisenden durchzuführende überregionalen Be- und Entladeverkehr bezogen auf ein Zielgrundstück im Verbotsbereich vom Durchgangsverkehrsverbot für Lkw über 12t aus.

  2. Ziffer b) zu lfd Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs 1 StVO (regionaler Güterverkehr) nimmt den Regionalgüterverkehr in einem Umkreis von 74 km um den Beladeort vom Durchfahrtsverbot aus. Wird dieser Bereich verlassen, endet die Privilegierung.

Siehe auch Mautsystem - Mautgebühren - Mautdaten und Güterkraftverkehr


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen ein Durchgangsverbot für LKWs über 12 t eine Geldbuße von 40 € festgesetzt.

Nach den Feststellungen hat der Betroffene mit dem von ihm gesteuerten LKW nebst Anhänger mit einem Gesamtgewicht von mehr als 12t die B ... (Umgehungsstraße) in Stadt1 sowie die Ausfahrt Stadt1 Mitte Einmündungsbereich B... befahren, obwohl auf diesen Strecken durch die Zusatzzeichen „Durchgangsverkehr“ und „12 Tonnen“ zu dem Verkehrszeichen 253 für Nutzfahrzeuge der von dem Betroffenen geführten Art nach § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO ein Verkehrsverbot für den Durchgangsverkehr angeordnet war. Die parallel zur B... laufende Autobahn ist mautpflichtig. Der Betroffene war beauftragt gewesen, Waren, die er in Stadt2 geladen hatte, in Stadt1 und Stadt3 auszuliefern. Zu diesem Zweck hatte er vor, den Anhänger seines LKWs auf einem innerhalb des Verbotsbereichs gelegenen Parkplatz vorübergehend (für ca. 12 Stunden) abzustellen, um ihn auf dem Rückweg von Stadt3 in Stadt1 auszuladen. Dem Betroffenen waren nach den Feststellungen die gesamten Verkehrsregelungen ebenso die Verbotsregelung für die B... in diesem Bereich bekannt.

Gegen diese Verurteilung wendet sich der Betroffene mit seinem nach §§ 79 Abs. 1 S. 2, 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG statthaften, auch form- und fristgerecht angebrachten und ebenso begründeten, auf die Sachrüge gestützten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er vertritt im Ergebnis die Ansicht, dass kein verbotener Durchgangsverkehr vorliege, wenn er einen Anhänger in der Verbotszone abstelle um diesen später in der Verbotszone zu entladen, die Fahrt aber zwischenzeitlich zu einem außerhalb der Verbotszone liegenden anderen Entladeort fortsetze.

Dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist die Generalstaatsanwaltschaft, auch wenn sie ihn in der Sache für erfolglos hält, beigetreten, weil nach ihrer Auffassung die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zu nachfolgenden entscheidungserheblichen Fragen,
  1. ob nach Nr. 1a der Erläuterung zu lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO ein sogenannter unzulässiger Durchgangsverkehr vorliegt, wenn die Fahrt allein dazu dient, einen Anhänger vorrübergehend im Verbotsbezirk abzustellen;

  2. sinngemäß, ob die Anwendung der Nr. 1b der Erläuterung lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO dann ausgeschlossen ist, wenn bei ein und derselben Fahrt eines der Fahrziele innerhalb (sog. Regionalgüterverkehr) und ein weiteres Fahrtziel außerhalb des 75 km Umkreises vom Beladeort liegt,
erforderlich sei.

Zu beiden vorliegend entscheidungserheblichen Fragen liegt derzeit soweit ersichtlich keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so dass der Senat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen hat.


II.

Das Amtsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Anfahren eines Parkplatzes in einem für den Durchgangsverkehr gesperrten Bezirk zum bloßen Abstellen des Anhängers weder der Ausnahmeregelung nach Ziffer 1a noch 1b zu lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO unterfällt.

Rechtsgrundlage des Durchfahrtsverbotes ist die 15. Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung vom 18.11.2005 (BR-Drucksache 824/05), mit der der Gesetzgeber auf die Zunahme des Schwerlastverkehrs mit Fahrzeugen über 12 t zulässigen Gesamtgewichts auf bestimmten Bundes-, Landes- und Kreisstraßen in Folge der Einführung der Autobahnmaut für schwere Nutzfahrzeuge durch die Autobahnmautgesetze (ABMG) zum 01.01.2005 durch die Änderung des § 41 Abs. 2 Nr. 6 StVO reagiert und den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit eröffnet hat, bestimmte Straßen für den Durchgangsverkehr von über 12 t zur Mautvermeidung zu sperren. Sinn und Zweck der Verordnung ist nach der gesetzgeberischen Begründung die Wohnbevölkerung, insbesondere in den Ortsdurchfahrten von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen von dem Ausweichverkehr und den damit einhergehenden zusätzlichen Lärm- und Abgasemissionen zu entlasten. Des Weiteren soll das Verbot der Regelung von Verkehrsabläufen und des Verkehrsverhaltens dienen, die durch die Mauteinführung bedingt sind (sog. Mautumgeher).

Ein derartiges Verbot ist vorliegend für die B ... erfolgt.

Was Durchgangsverkehr im Sinne dieser Vorschrift ist, hat der Gesetzgebers in der Erläuterung zu lfd. Nr. 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO vom 18.11.2005 (BR-Drucksache 824/05 Seite 2) negativ umschrieben. Danach liegt „Durchgangsverkehr nicht vor“ soweit die jeweilige Fahrt
  1. dazu dient, einem Grundstück an der vom Verkehrsverbot betroffenen Straße oder an einer Straße, die durch die vom Verkehrsverbot betroffene Straße erschlossen wird, zu erreichen oder zu verlassen; oder

  2. dem Güterverkehr im Sinne des § 1 Abs. 1 des Güterkraftverkehrsgesetzes in einem Gebiet innerhalb eines Umkreises vom 75 Kilometer, gerechnet in der Luftlinie vom Mittelpunkt des zu Beginn einer Fahrt ersten Beladeortes des jeweiligen Fahrzeuges (Ortsmittelpunkt), dient; dabei gehören alle Gemeinden, deren Ortsmittelpunkt innerhalb des Gebietes liegt, zu dem Gebiet; oder

  3. mit in § 1 Abs. 2 des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge bezeichneten Fahrzeugen durchgeführt wird.
Ausgenommen von dem Verkehrsverbot ist eine Fahrt, die auf ausgewiesenen Umleitungsstrecken (Zeichen 421, 442, 454 bis 459 oder Zeichen 460 und 466) durchgeführt wird, um besonderen Verkehrslagen Rechnung zu tragen.

Während die Ziffer c) eine Ausnahme zur Regelung verkehrsspezifischer Sondersituationen vorsieht, sollen die Ziffern a) und b) bei Aufrechterhaltung des generellen Durchfahrtverbots den Gemeingebrauch des Straßenraums sicherstellen (vgl. BR-Drucks. 824/05 S. 7). Ziffer a) regelt primär den überregionalen Güterverkehr (BR-Drucks. 824/05 S. 5), während Ziffer b) zur Sicherstellung des regionalen Wirtschaftsverkehrs weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich des Verbots vorsieht (BR-Drucks. 824/05 S. 7).

Kernziel des Verbots ist die Verhinderung der sog. Mautumgeher und damit primär der in Ziffer a) geregelte überregionale Güterverkehr. Vom Wortlaut wird zunächst eine Kausalverknüpfung zwischen Fahrt und Ziel innerhalb der Verbotszone hergestellt. Damit sind schon alle Fahrten, die kein Ziel in der Verbotszone haben, verbotener Durchgangsverkehr (vgl. BR-Drucks 825/05 S. 5). Liegt das Fahrtziel innerhalb der Verbotszone, reicht dies alleine nicht aus, da nach dem Wortlaut nur solche Ziele privilegiert sind, die in der Erschließungsfunktion des Grundstücks begründet sind. Damit wird auf die objektiv bestimmbare Funktion des Zielgrundstücks abgestellt und nicht auf die subjektiven Interessen des Fahrers, oder die wirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers. Als weitere Einschränkung folgt aus der Kausalitätsverknüpfung - „dass die Fahrt (mit einem Lkw über 12t) ... dem Grundstück ... dient“ -, dass zur Erfüllung dieses Funktionszwecks die Fahrt mit dem Lkw über 12t notwendig ist. Damit bleibt nur der durchzuführende Be- und Entladeverkehr bezogen auf das Zielgrundstück vom Verbot ausgenommen. Alle anderen Fahrten mögen ggf. wirtschaftlich sinnvoll sein, aus Sicht des Betroffenen zweckmäßig, ihm ggf. die Routenplanung erleichtern und aus sonstigen Gründen wünschenswert sein, sie sind aber nicht notwendig mit der Erschließungsfunktion des betroffenen Grundstücks verknüpft.

So ist eine Tankstelle im Verbotsbereich zwingend für die Aufrechterhaltung ihrer Funktion als Tankstelle auf die Lieferung von Treibstoff mit Tanklastzügen von über 12t angewiesen. Sie ist hingegen nicht darauf angewiesen, dass Tanklastzüge von über 12t bei ihr tanken. Gleiches gilt z. B. für Parkplätze, Raststätten u. Ä, deren Erschließungsfunktion nicht davon abhängt, dass Lkws über 12t auf ihnen halten.

Diese enge Auslegung ist auch im Vergleich zu Ziffer b) zwingend, da auch diese für den Regionalverkehr vorgesehene großzügigere Ausnahmeregelung auf den Beladeort abstellt.

Sie ist auch von Sinn und Zweck der Vorschrift geboten. Der Schutz der Wohnbevölkerung vor zusätzlichen Lärm und Abgasemissionen sowie Vermeidung ungünstiger Auswirkungen auf Verkehrsablauf und Verkehrsverhalten durch die Einführung der Maut, kann nur bei einer klaren und eindeutigen Regelung sichergestellt werden, die nicht darauf abstellt, ob aus Sicht der Betroffenen das Anfahren innerhalb der Verbotszone sinnvoll oder wirtschaftlich geboten erscheint. Nur wenn die Fahrt in die Verbotszone dem Be- oder Entladen bei einem Betrieb innerhalb der Verbotszone dient, was durch den Fahrer mit Hilfe von Frachtpapieren nachgewiesen werden muss, ist er privilegiert. Alle anderen Fahrten sind Durchgangsverkehr und damit im Sinne der Vorschrift verboten.

Sollte es im Einzelfall zu besonderen Härten kommen, z. B. dann, wenn sog. Wohnanrainer im Verbotsbezirk mit dem LKW zur Übernachtung in ihren Wohnort fahren, dann dient diese Fahrt zwar nicht der Erschließungsfunktion des Grundstücks, da der Fahrer auch mit einem anderen Fahrzeug zu seinem Wohnort hätte fahren können und sein LKW außerhalb der Verbotszone parken kann. Es liegt aber andererseits, auch wenn durch die Fahrt zusätzlicher Lärm und Abgasemissionen entstehen, kein klassischer Fall der Mautumgehungen vor. Diese möglicherweise entstehenden Härten, die allenfalls wenige Einzelfälle betreffen können, sind Folgen der gesetzgeberischen Systematik eines generellen Verbotes mit Privilegierungsvorbehalt und können über die Straßenverkehrsbehörden durch die Erteilung sog. Sondergenehmigungen im Einzelfall abgefangen werden. Sie sind jedenfalls nicht geeignet, als ungenannte Sonderausnahmetatbestände die klare Verbotsregelung der Vorschrift zu unterlaufen.

Übertragen auf den vorliegenden Fall, führt dies dazu, dass der Wunsch des Betroffenen seinen LKW-Anhänger im Verbotsbereich abzustellen, weil es wirtschaftlich sinnvoll sei zunächst ohne Anhänger den überregionalen Warenverkehr nach Stadt3 durchzuführen, keine Privilegierung nach Ziffer a) darstellt, da bei dieser Fahrt der notwendige Entladevorgang nicht durchgeführt wurde und auch nicht werden sollte. Die (Hin)fahrt diente alleine dem vorliegenden unprivilegierten Überregionalverkehr.

Der Betroffene ist vorliegend auch nicht nach Ziffer b) privilegiert.

Die Auslieferungsfahrt von Stadt2 nach Stadt1 wäre zwar grundsätzlich nach Ziffer b) privilegierter Regionalgüterverkehr, da zwischen dem Beladerort in Stadt2 und dem Entladeort in Stadt1 weniger als 75 km liegen. Nach den Feststellungen hatte der Betroffene aber nicht vor, auf der streitgegenständlichen (Hin)Fahrt den Anhänger zu entladen. Der Betroffene kombiniert vorliegend in derselben Fahrt unprivilegierten Überregionalverkehr mit grds. privilegiertem Regionalverkehr.

Nach der Legaldefinition des Verordnungsgebers liegt privilegierter Regionalverkehr aber nur in einem Umkreis von 75 km um den Beladeort vor. Wird dieser Bereich verlassen, endet die Privilegierung und lebt ohne neuen Privilegierungsgrund auch nicht wieder auf. Vorliegend wäre entweder die Hinfahrt oder die Rückfahrt privilegiert, je nachdem auf welcher Fahrt der Anhänger entladen worden wäre. Eine der Fahrten hätte zwingend auf der mautpflichtigen Autobahn stattfinden müssen. Um dies zu umgehen, hat der Betroffene auf dem Hinweg den Anhänger nicht entladen, in der Absicht sich diesen Ausnahmegrund auch für die Rückfahrt zu erhalten. Damit diente aber bereits die Hinfahrt nicht der Sicherstellung des regionalen Güterverkehrs und war vom Tatsächlichen nicht tatbestandsmäßig im Sinne der Ziffer b).

Das Amtsgericht hat vorliegend auch im Ergebnis zutreffend beim Betroffenen Vorsatz angenommen und einen vorsatzausschließenden (unvermeidbaren) Verbotsirrtum nach § 11 Abs. 2 OWiG verneint.

Nach den Feststellungen hatte dem Betroffenen, dessen Handeln davon getragen war, das Durchfahrtsverbot bewusst zu umgehen, schon nicht die Vorstellung gefehlt, etwas Unerlaubtes zu tun. Der Betroffene hatte vielmehr bereits vor seiner Fahrt in seiner Laiensphäre den Umfang des Durchfahrtsverbots durchaus zutreffend erfasst und versucht, durch konstruktive Gestaltung seiner Fahrt, dieses zu umgehen. Damit liegt schon im Tatsächlichen beim Betroffenen kein Irrtum über die Rechtslage vor, wenn er wie hier, auch ohne die Entscheidung des Senats zu kennen, bereits die Vorstellung hatte, möglicherweise Unrecht zu tun und diese Möglichkeit, wie sein Handeln zeigt, in seinen Willen aufgenommen hatte (vgl. Göhler-Gürtler OWiG 16. Aufl. § 11 Rn. 33; BGH LM Nr. 6 zu § 59). Auf die Frage der Unvermeidbarkeit kommt es damit nicht mehr an.


III.

Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung vom Grundsatz stand. Der Senat reduziert aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falls die Geldbuße jedoch auf 30 EUR.