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OLG Karlsruhe Urteil vom 30.01.2009 - 1 U 192/08 - Zum Mitverschulden eines betrunkenen Beifahrers bei Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt

OLG Karlsruhe v. 30.01.2009: Zum Mitverschulden eines betrunkenen Beifahrers bei Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt


Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 30.01.2009 - 1 U 192/08) hat entschieden:
  1. In der Teilnahme eines Beifahrers an einer Autofahrt trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers liegt ein Verstoß gegen die eigenen Interessen.

  2. Im Rahmen des § 254 BGB gilt § 827 Satz 2 BGB entsprechend. Danach kann ein Beifahrer für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich sein, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Beifahrer zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte.

  3. Bei der Bemessung des Mitverschuldens eines Beifahrers darf nicht übersehen werden, dass den einen Verkehrsunfall verursachenden betrunkenen Fahrzeugführer in der Regel eine größere Verantwortung trifft als den geschädigten Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat.

    Auch ein wegen Alkoholisierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem Pkw mitnimmt, hat dafür zu sorgen, dass sich der Mitfahrer anschnallt.

Siehe auch Alkoholisierter oder übermüdeter Kfz-Führer und Selbstgefährdung des Beifahrers als Mitverschulden an eigenen Verletzungen und Stichwörter zum Thema Alkohol


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Schäden, die er als Beifahrer bei einem Unfallereignis erlitten hat, bei dem der Beklagte Fahrer des Fahrzeuges war.

Am 15.09.2007 erlitt der Kläger anlässlich eines Verkehrsunfalls, bei dem der Beklagte infolge alkoholischer Beeinflussung auf der Bundesautobahn 7 bei km 763,920 von der Fahrbahn abgekommen ist, schwere Verletzungen. Der Schaden des Klägers ist nicht ansatzweise bezifferbar. Zu dem Unfall kam es wie folgt: Am 15.09.2007 besuchte der Kläger mit dem Beklagten die so genannten Highland-Games in Ellwangen. Der Beklagte fuhr mit seinem Fahrzeug, in dem der Kläger Mitfahrer war. Der Kläger hatte bereits vor Antritt der Fahrt erheblich Alkohol genossen. Auch auf dem Fest wurde in erheblichen Mengen Alkohol getrunken. Gegen Mittag traten unter zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen die Parteien den Rückweg an, wobei der Beklagte als Fahrer das Fahrzeug lenkte und der Kläger mitfuhr. Auf der Bundesautobahn 7 bei km 763,920 verursachte der Beklagte ohne Einwirkung Dritter einen Verkehrsunfall, wobei das Fahrzeug zumindest auch mit der rechten Seite an den Leitplanken entlang schleifte und schließlich so an den Leitplanken zum Stehen kam, dass der aus dem Fahrzeug Fenster hängende Arm des Klägers zwischen Fahrzeug und Leitplanken zumindest eingeklemmt wurde. Der Kläger wurde im Fahrzeug herum geschleudert und erlitt beim Aufprall auf die Leitplanke schwerste Kopfverletzungen an der rechten Kopfhälfte. Die rechte Gesichtshälfte (von der Nase bis zum Hinterkopf) war zertrümmert. Die Weichteile des Oberarms (im Ellbogenbereich) waren abgeschürft. Der Ellbogen, die Finger und das Handgelenk waren mehrfach gebrochen. Aufgrund seiner Verletzungen wurde der Kläger mit einem Rettungshubschrauber in ein Unfallkrankenhaus in Ulm transportiert. Der Kläger ist auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt.

Bei dem Beklagten wurde um 13:45 Uhr ein Blutalkoholgehalt von 3,14 Promille gemessen.

Der Kläger hat behauptet:

Er habe nach längerem und intensivem Genuss eines Getränks, dass bei den Highland-Games in so genannten Hörnern ausgeschenkt worden sei, ein starkes Müdigkeitsgefühl bei sich bemerkt. Er erinnere sich noch, dass er sich auf dem Boden an einen Grenzpfahl habe setzen müssen, weil er nicht mehr habe stehen können. Aller Voraussicht nach sei er dort in einen komaähnlichen Tiefschlaf gefallen. Er erinnere sich ab diesem Zeitpunkt an nichts mehr, was in der Folgezeit passiert sei. Es müsse so gewesen sein, dass er von einer dritten Person, möglicherweise dem Beklagten, in das Fahrzeug des Beklagten verbracht worden sei. Er habe in diesem Fahrzeug geschlafen. Ob er auf die Rücksitzbank gelegt worden sei oder auf den Vordersitz, wisse er nicht. Gegen Mittag habe der Beklagte noch keinen betrunkenen Eindruck gemacht. Der Beklagte müsse, unbemerkt von den anderen, mit seinem Auto losgefahren sein. Im Fahrzeug habe sich - auf Grund zu starken Alkoholgenusses nicht mehr wahrnehmungsfähig - der Kläger befunden. Da der Kläger in einem komaähnlichen Tiefschlaf auf für ihn nicht erklärliche Weise in das Fahrzeug gelangt sei, scheide ein etwaiges Mitverschulden aus. Er bestreite mit Nichtwissen, dass er nicht angeschnallt gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger sämtlichen Schaden zu 100% zu ersetzen hat, der dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 15.09.2007 als Insasse in dem auf den Beklagten zugelassen Fahrzeug ... entstanden ist, soweit dieser Schaden nicht auf Grund Gesetzes auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet:

Der Kläger sei auf der Unfallfahrt nicht ordnungsgemäß angeschnallt gewesen und habe auf dem Beifahrersitz gesessen. Die Tatsache, dass der Kläger nicht angeschnallt gewesen sei, ergebe sich aus den polizeilichen Ermittlungen, die im Strafverfahren gegen den Beklagten geführt worden seien. Die Polizei habe festgestellt, dass der Anschnallgurt auf der Beifahrerseite aufgerollt und funktionsfähig gewesen sei. Dies gereiche dem Kläger zum Mitverschulden, weil seine Verletzungen ausschließlich darauf zurückzuführen seien, dass er nicht angeschnallt gewesen sei. Weiter ergebe sich liege ein Mitverschulden des Klägers darin, dass er in Kenntnis der erheblichen Alkoholisierung des Beklagten mit diesem mitgefahren sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H.. Mit Urteil vom 17.07.2008, auf das wegen der Feststellungen und aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger sämtlichen Schaden zu 25% zu ersetzen hat, der dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 15.09.2007 gegen 12:55 Uhr auf der Bundesautobahn 7, Kempten Richtung Würzburg bei km 763,920, als Insasse in dem auf den Beklagten zugelassen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... entstanden ist, soweit dieser Schaden nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergeht und die weitergehende Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet der Kläger sich mit der Berufung, mit der er zunächst seine auf die Feststellung 100%er Ersatzpflicht gerichtete Klage weiterverfolgte. Nachdem der Senat ihm Prozesskostenhilfe nur in eingeschränkten Umfang bewilligte, nahm er dem entsprechend seine Berufung teilweise zurück und beantragt zuletzt
wie nunmehr zuerkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und verteidigt das Landgerichtsurteil, soweit es ihm günstig ist.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten des Strafverfahrens gegen den Beklagten des Amtsgerichts Ellwangen lagen dem Senat ebenso wie dem Landgericht zu Informationszwecken vor.


II.

Die Berufung ist zulässig und in dem zuletzt verfolgten Umfang auch begründet.

Der zulässige Feststellungsantrag gegen den Beklagten ist gemäß §§ 7 Abs. 1, 18, 9 StVG, 823 Abs. 1, 847 Abs. 1, 254 BGB in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Beklagte für den Unfall vom 15.9.2007 einzustehen hat. Er war infolge des genossenen Alkohols (BAK um 13:45 Uhr: 3,14 Promille) nicht in der Lage, ein Fahrzeug sicher zu führen. Dadurch ist er während der Fahrt auf der BAB 7 bei km 763 in Richtung Würzburg gegen 12:55 Uhr u.a. von der Fahrbahn abgekommen und nach rechts gegen die Leitplanke geraten, wodurch der mitfahrende Kläger schwer verletzt wurde.

Der Streit der Parteien ging ausschließlich darum, ob dem Kläger gemäß § 9 StVG, § 254 BGB ein Mitverschulden zur Last gelegt werden kann und wie hoch dieses gegebenenfalls zu bemessen ist. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der Kläger nicht angeschnallt und dies wirkte sich auf das Ausmaß der von ihm erlittenen Verletzungen aus.

Der Senat teilt indessen nicht die Auffassung des Landgerichts, wonach der Mithaftungsanteil des Klägers wegen nichtangelegter Sicherheitsgurte mit 50 % sowie deswegen, weil er sich einem betrunkenen Kfz-Fahrer anvertraute, bzw. im Hinblick auf § 827 Satz 2 BGB mit 25 % und in der Summe mit 75 % anzusetzen sei.

Zwar ist der rechtliche Ansatz zutreffend, wonach in der Teilnahme an der Heimfahrt trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers ein Verstoß gegen die eigenen Interessen des klagenden Beifahrers zu sehen ist und im Rahmen des § 254 BGB § 827 Satz 2 BGB entsprechend gilt (vgl. dazu auch OLG Saarbrücken VersR 1968, 905; BGH VersR 1971, 473; OLG Hamm VersR 1997, 126; OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.12.2006 - 10 U 177/05 -). Danach ist der Kläger für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Kläger zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte.

Bei der Gesamtwürdigung des Mitverschuldens des Klägers darf jedoch nicht übersehen werden, dass den Beklagten als Fahrer eine größere Verantwortung traf als den klagenden Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. § 21a StVO Rdnr 26 m.w.N.). Auch ein wegen Alkoholisierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem Pkw mitnimmt, hat dafür zu sorgen, dass sich der Mitfahrer anschnallt. (vgl. OLG Hamm NZV 1996,33).

Der Haftungsanteil des Beklagten erscheint danach dem Senat unter Zugrundelegen der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen insgesamt mit zwei Dritteln, der Mitverschuldensanteil des Klägers mit einem Drittel angemessen bewertet.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97, 516 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).