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VGH München Beschluss vom 14.06.2013 - 11 CS 13.1030 - Psychose und Fahreignung

VGH München v. 14.06.2013: Psychose und Fahreignung


Der VGH München (Beschluss vom 14.06.2013 - 11 CS 13.1030) hat entschieden:
Bei einem Betroffenen, der wiederholt und gegenüber verschiedenen Personen ernsthaft die Absicht äußert, eine Geisel zu nehmen und sich erschießen zu lassen, kann keine Rede davon sein, dass er seine Erkrankung aus dem psychotischen Formenkreis im Griff habe. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Fahrerlaubnisbehörde war vor diesem Hintergrund verpflichtet, erneut die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens zu verlangen.


Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis u.a. der Klassen BE, C1E und CE.

Aufgrund mehrerer Vorfälle forderte die Fahrerlaubnisbehörde vom Antragsteller die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation der Fachrichtung Psychiatrie. Das Gutachten wurde am 23. April 2012 erstellt. Dort wurde u.a. abschließend festgestellt:
„Diagnostisch ist von einer leichten Residualsympthomatik nach Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis auszugehen. Es handelt sich um ein gut remittiertes Krankheitsbild, das unter regelmäßiger Medikamenteneinnahme praktisch symptomfrei ist. Unter weiterführender nach ärztlicher Weisung eingenommener Medikation ist davon auszugehen, dass ein ausreichender Krankheitsrückfallschutz besteht. (…) Bei Herrn K. liegt mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis eine psychische Erkrankung vor, die die Fahreignung nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung in Frage stellt. Durch regelmäßige Medikamenteneinnahme nach psychiatrischer Weisung besteht Symptomfreiheit und Krankheitsrückfallschutz, so dass Herr K. wieder in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe I/II gerecht zu werden.“
Am 11. Dezember 2012 erfuhr die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund polizeilicher Mitteilung, dass der Antragsteller in einem öffentlichen Verkehrsmittel eine ihm fremde Frau angesprochen habe und ihr erklärt habe, dass er die letzten fünf Jahre als Pädophiler hingestellt worden sei und er sich somit von der Gesellschaft verachtet fühle. Weiter habe er angegeben, dass er seinem Leben ein Ende setzen wolle. Hierzu wolle er mit einer Schusswaffe in ein Hotel gehen und dort eine Geisel nehmen und sich dann beim Eintreffen der Polizei von den Beamten erschießen lassen. Der Polizei sei es anschließend gelungen, den Antragsteller aufzugreifen. Auch gegenüber der Polizei habe er mehrfach seine eben geschilderten Absichten wiederholt.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2012 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Vorlage eines Gutachtens eines Facharztes der Fachrichtung Psychiatrie innerhalb von zwei Monaten auf. Aufgrund der Vorfälle vom 7. Dezember 2012 bestehe erneut der Verdacht auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung.

Der Antragsteller legte das Gutachten nicht vor. Nach vorheriger Anhörung entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 18. Februar 2013 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller ließ Anfechtungsklage erheben und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen, den das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 8. April 2013 ablehnte. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beibringungsaufforderung sei gerechtfertigt gewesen, nachdem der Vorfall am 7. Dezember 2012 zeige, dass der Antragsteller die ihm verordneten Medikamente offenbar nicht mehr einnehme. Nachdem der Antragsteller das zu Recht geforderte Gutachten nicht beigebracht habe, habe die Fahrerlaubnisbehörde auf seine fehlende Fahreignung schließen dürfen.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung tragen seine Bevollmächtigten vor, der Vorfall vom 7. Dezember 2012 ändere an der Aussage des Fahreignungsgutachtens vom 30. April 2012 nichts. Dem Vorfall liege eine Mobbingattacke in der Arbeit gegenüber dem Antragsteller zugrunde. Der Antragsteller sei im Begriff gewesen, von seiner Arbeitsstelle zu seinem Hausarzt zu fahren, um sich dort in ärztliche Behandlung zu begeben. Die Bevollmächtigten des Antragstellers legten ein „ärztliches Attest“ vom 10. Mai 2013 eines Facharztes für Allgemeinmedizin vor, wonach sich der Antragsteller im Dezember 2012 wegen eines akuten Überlastungszustandes am Arbeitsplatz in hausärztlicher Behandlung befunden habe. Der Patient habe sich damals jederzeit unter Kontrolle gehabt.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug und macht sich diese zu eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Ergänzend wird Folgendes ausgeführt: Entgegen dem Beschwerdevorbringen beweist der Vorfall vom 7. Dezember 2012, dass sich der Antragsteller in Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung, die grundsätzlich Zweifel an der Fahreignung rechtfertigt (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 7.6 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), offenbar nicht unter Kontrolle hatte, so dass der Verdacht naheliegt, dass er entweder die ihm verordneten Medikamente zumindest vorübergehend nicht mehr eingenommen hatte oder aber die Psychose aus anderen Gründen wieder akut geworden war. Bei einem Betroffenen, der wiederholt und gegenüber verschiedenen Personen ernsthaft die Absicht äußert, eine Geisel zu nehmen und sich erschießen zu lassen, kann keine Rede davon sein, dass er seine Erkrankung aus dem psychotischen Formenkreis im Griff habe. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Fahrerlaubnisbehörde war vor diesem Hintergrund verpflichtet, erneut die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens zu verlangen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). An dem Bestehen von aufklärungsbedürftigen Fahreigungszweifeln vermag auch die Vorlage einer kurzen Bestätigung eines Facharztes für Allgemeinmedizin, aus der hervorgeht, dass sich der Betroffene irgendwann im Dezember 2012 in ärztlicher Behandlung dieses Facharztes befunden hat, und die ohne weitere Substantiierung behauptet, der Antragsteller habe sich jederzeit unter Kontrolle gehabt, nichts zu ändern.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V. mit den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 2, 46.3, 46.4 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).