Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 14.05.2013 - 11 CS 13.606 - Fahrtenbuchauflage für mehrere Firmenfahrzeug - Flottenfahrtenbuch

VGH München v. 14.05.2013: Zur Fahrtenbuchauflage für mehrere Firmenfahrzeuge bei Verletzung der kaufmännischen Aufzeichnungsobliegenheit


Der VGH München (Beschluss vom 14.05.2013 - 11 CS 13.606) hat entschieden:
Aus der Buchführungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch über die Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung“ ergibt sich zwar keine unmittelbare Pflicht, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne vorzuhalten. Jedoch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, auch Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Die Vernachlässigung dieser Pflicht lässt den Schluss auf eine mangelnde Mitwirkungsbemühen bei der Fahrerermittlung und somit die Verhängung einer Flottenfahrtenbuchauflage zu.


Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage


Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der ihr gegenüber verfügten Verpflichtung, ein Fahrtenbuch für die auf sie zugelassenen Kraftfahrzeuge zu führen.

Am 24. Oktober 2012 missachtete der Fahrer des Lkws mit dem amtlichen Kennzeichen ... dessen Halterin die Antragstellerin ist, ein durch Zeichen 277 zu § 41 StVO angeordnetes Überholverbot. Mit Schreiben vom 22. November 2012 forderte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt die Antragstellerin auf, den verantwortlichen Fahrzeugführer zu benennen und dessen Personalien mitzuteilen. Die Antragstellerin beantwortete dieses Schreiben nicht. Das Bußgeldverfahren wurde am 4. Januar 2013 eingestellt.

Das Landratsamt Regensburg gab der Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Januar 2013 Gelegenheit, sich bis zum 28. Januar 2013 zu dem beabsichtigten Erlass einer Fahrtenbuchauflage zu äußern. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit, dank intensiver Anstrengungen sei es der Antragstellerin nunmehr gelungen, Herrn B. als Fahrer ausfindig zu machen.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2013 verpflichtete das Landratsamt Regensburg die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für jedes auf sie zugelassene Kraftfahrzeug und für die an deren Stelle tretenden Fahrzeuge für die Dauer von sechs Monaten ab dem fünften Tag nach Zustellung dieses Bescheides ein Fahrtenbuch zu führen, in dem jede Fahrt einzutragen sei.

Dagegen ließ die Antragstellerin Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg erheben. Gleichzeitig wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Februar 2013, auf den Bezug genommen wird, abgelehnt wurde.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung trägt ihr Bevollmächtigter vor, das Verwaltungsgericht gehe fälschlicherweise davon aus, dass die Antragstellerin keine Bereitschaft gezeigt habe, an der Ermittlung des Täters mitzuwirken. Das Gericht mutmaße, die Geschäftsleitung arbeite einen Einsatzplan aus, an den sich die Fahrer zu halten hätten. Die Antragstellerin habe bislang jedoch keine Fahrtenbücher geführt, die Zuordnung der Mitarbeiter erfolge je nach Arbeitsanfall zu verschiedenen Baustellen am Morgen des jeweiligen Tages. Es stehe ihr auch frei, solche Fahrtenbücher zu führen. Selbst bei Annahme einer Obliegenheit sei sie jedenfalls nach Ablauf eines Monats nicht mehr zur Aufbewahrung der Fahrtenbücher verpflichtet. Mit den ihr zur Verfügung stehenden Informationen habe die Antragstellerin im Rahmen der Zeugenbefragung den Fahrer nicht benennen können. Ein Lichtbild des Fahrers bei Begehung der Tat sei der Antragstellerin nicht vorgelegt worden. Die Fahrtenbuchauflage sei damit ermessensfehlerhaft. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich am Tag des Eingangs der Zeugenbefragung eine Mitarbeiterin der Antragstellerin telefonisch mit dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt in Verbindung gesetzt habe und nach einem Lichtbild des Fahrers gefragt habe. Diese Bemühungen seien im Beschluss des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht berücksichtigt worden.

Auch sei die verspätete Anhörung kausal für die verzögerte Täterfeststellung. Die Antragstellerin habe mangels Aufzeichnungen versucht, mittels Befragung der Fahrer den Täter zu ermitteln. Dass ihr dies zunächst nicht gelungen sei, sei auch dem Zeitablauf zwischen der Tatbegehung und dem Zugang der Zeugenbefragung geschuldet. Erst durch die erneute Befragung zu der gegenständlichen Anordnung habe der Täter ermittelt werden können.

Zudem sei von einem Ermessensausfall bezüglich der Anordnungsdauer auszugehen, da der Bescheid des Landratsamtes keine Begründung für die Dauer der angeordneten Fahrtenbuchauflage enthalte.

Der Antragsgegner trat der Beschwerde entgegen.

Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Es begegnet keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht auf ein fehlendes Mitwirkungsbemühen der Antragstellerin geschlossen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats (B.v. 29.4.2008 – 11 CS 07.3429; B.v. 17.1.2013 – 11 ZB 12.2769 – jeweils juris) ergibt sich aus der Buchführungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch über die Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung“ zwar keine unmittelbare Pflicht, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne vorzuhalten. Jedoch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, auch Geschäftsfahrten längerfristig – und somit auch entgegen der Annahme des Antragstellers nicht nur einen Monat - zu dokumentieren. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. Es kann angesichts der Dokumentationsobliegenheit unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten nach seinen Kontenbüchern in Verbindung mit Belegmappen, Einsatzplänen oder Ähnlichem zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Nachdem es sich um eine Obliegenheit handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Dokumentation der Fahrten in der einen oder anderen Form erfolgt ist. Wird, wie im Fall der Antragstellerin, der Obliegenheit nicht entsprochen, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht. Auf die Nichtvorlage von Fotos betreffend den Verkehrsversstoß am 24. Oktober 2012 kann es deshalb nicht ankommen. Ebenfalls unbehelflich ist der Hinweis des Bevollmächtigten der Antragstellerin, aufgrund der telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt sei das Mitwirkungsbemühen der Antragstellerin ersichtlich. Der Antragstellerin war jedenfalls mit Zusendung des Schreibens zur Zeugenbefragung vom 22. November 2011, dessen Zugang sie nicht bestritten hat, der mit dem auf sie zugelassenen Fahrzeug begangene Verkehrsverstoß bekannt.

2. Ebenfalls nicht durchgreifen kann die Beschwerde mit der Begründung, die verspätete Anhörung sei kausal für die verzögerte Täterfeststellung. Das Verwaltungsgericht habe in diesem Zusammenhang zu Unrecht unterstellt, dass der Täter der Antragstellerin bekannt habe sein müssen. Der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13. Oktober 1978 (Buchholz 442.16, § 31a StVZO Nr. 5.) entwickelte Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Fahrzeughalters nur „regelmäßig“ gilt und kein formales Tatbestandskriterium des § 31a Abs. 1 StVZO sowie keine starre Grenze darstellt. Vielmehr beruht die Fristbestimmung auf dem Erfahrungssatz, dass eine Person Vorgänge des persönlichen Lebensbereichs aus den letzten 14 Tagen im Regelfall wird erinnern oder jedenfalls noch rekonstruieren können. Die Zweiwochenfrist gilt nicht für vom Regelfall abweichende Gestaltungen, in denen – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Ihre Nichteinhaltung ist unschädlich, wenn fest steht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist. Von der ausnahmsweise Nichtgeltung der Zweiwochenfrist ist hiernach auszugehen, wenn ein Kaufmann im Sinne des Handelsrechts oder sonstiger Gewerbetreibender Halter des Fahrzeugs ist, mit dem die Verkehrszuwiderhandlung begangen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2008 – 11 CS 07.3429 – juris). In diesem Fall ist die verzögerte Anhörung nicht ursächlich für die unterbliebene Feststellung des Fahrers, da eine Identifizierung des Fahrzeuglenkers keine Anforderungen an das Erinnerungs-, sondern an das Erkenntnisvermögen des Fahrzeughalters stellt.

3. Die Auffassung der Antragstellerin, es liege ein Ermessensausfall bezüglich der Anordnungsdauer vor, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. § 31 StVZO enthält keine Aussage darüber, für welche Zeitspanne die Führung eines Fahrtenbuches anzuordnen ist. Die Beantwortung dieser Frage bleibt vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen der Behörde überlassen, die hierbei lediglich die zwingenden Vorgaben der Rechtsordnung, insbesondere den Gleichbehandlungs- und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu beachten hat. Ein Fall intendierten Ermessens kann jedoch insoweit angenommen werden, als die Führung eines Fahrtenbuches den ihr zugedachten Zweck nur dann erfüllen kann, wenn sie für eine gewisse Dauer angeordnet wird, wobei sechs Monate im „unteren Bereich einer effektiven Kontrolle“ liegen (vgl. BVerwGE, U.v. 17.5.1995 – 11 C 12-94 – juris). Verlangt die Behörde vom Halter eines Fahrzeugs die Führung eines Fahrtenbuches nur für diese Zeitspanne, hat sie damit zum Ausdruck gebracht, dass sie sich insoweit mit der geringstmöglichen Beschwer begnügt (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2010 – 11 CS 10.357 – juris). In einem solchen Fall erscheint die Darlegung von Ermessenserwägungen zur Frage der Dauer der Fahrtenbuchauflage entbehrlich. Denn dann vollzieht die Behörde eine Norm, die ihr im Regelfall eine bestimmte Ermessensausübung vorgibt. Liegt kein atypischer Sachverhalt vor, versteht sich hier das Ergebnis der Abwägung von selbst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs.2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).