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Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 20.04.2004 - 2 BvR 297/04 - Anspruch auf rechtliches Gehör in OWi-Verfahren

BVerfG v. 20.04.2004: Zum Anspruch auf rechtliches Gehör in OWi-Verfahren


Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20.04.2004 - 2 BvR 297/04) hat entschieden:
Das Nichteingehen auf entscheidungserheblichen Vortrag wie auch die Nichtbeachtung des Wiedereinsetzungsantrages begründen eine Verletzung des nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes ergibt sich im Hinblick auf das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG für die Rechtsmittelgerichte auch die Pflicht, Verstöße gegen dieses Grundrecht seitens der Vorinstanzen zu beseitigen.


Siehe auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Rechtliches Gehör


Gründe:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hat (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Zur Erschöpfung des Rechtsweges gehört auch das Nutzen des Rechtsbehelfs, den § 33a StPO, der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren gilt, eröffnet. § 33a StPO ist dahingehend auszulegen, dass die Bestimmung jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlussverfahren erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 <247 ff.>; 42, 252 <255>; BVerfG, NStZ 1985, S. 277). Der Beschwerdeführer hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen, nach Erlass des Beschlusses des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. Januar 2004 sogleich das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Vielmehr hätte er zunächst mit Hilfe eines Antrages nach § 33a StPO den Versuch unternehmen müssen, eine Beseitigung der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zu erreichen. Dieser Weg steht ihm nach wie vor offen (BVerfG, NStZ-RR 2000, S. 110).

2. Im Rahmen eines Antrages nach § 33a StPO wird sich das Oberlandesgericht Koblenz näher mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob der Beschwerdeführer ordnungsgemäß zum Termin der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht geladen worden ist. Voraussetzung für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG ist unter anderem die ordnungsgemäße Ladung des Betroffenen zur Hauptverhandlung (§ 216 StPO i.V.m. § 71 OWiG). Das Fehlen dieser Voraussetzung kann auch - wie vorliegend erfolgt - im Rahmen einer Rechtsbeschwerde mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl. 2002, § 74 Rn. 48b m.w.N.). Das Amtsgericht hat die Frage der ordnungsgemäßen Ladung des Beschwerdeführers ohne nähere Begründung unter Hinweis auf eine Zustellungsurkunde bejaht. Ersichtlich ist mit dieser Zustellungsurkunde die an den Verteidiger des Beschwerdeführers gerichtete Ladung vom 22. Juli 2003 gemeint. Darin wird der Verteidiger als Zustellungsbevollmächtigter des Beschwerdeführers bezeichnet. Diese Urkunde trägt ferner das vom Amtsgericht erwähnte Datum "23. Juli 2003" auf dem Eingangsstempel des Verteidigers. Dieser hatte jedoch mit Schriftsatz vom 24. Juli 2003 mitgeteilt, dass er den Beschwerdeführer wegen dessen Auslandsaufenthaltes nicht von der Terminsladung habe informieren können. Er reiche deshalb das anliegende Empfangsbekenntnis unerledigt zurück. Diese Erklärung könnte dahingehend verstanden werden, dass der Verteidiger nicht über eine Vollmacht zur Entgegennahme von Ladungen verfügte.

Auf diesen für die Entscheidungsfindung zentralen Umstand geht das Amtsgericht im Rahmen der Gründe des angegriffenen Urteils nicht ein. Es lässt nicht erkennen, aus welchen konkreten Umständen es eine Vollmacht des Verteidigers zur Entgegennahme von Ladungen für den Beschwerdeführer herleiten will. Aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich im Übrigen, dass die Erteilung einer formularmäßigen Prozessvollmacht insoweit nicht ohne Weiteres ausreichend ist (vgl. OLG Köln, StV 1993, S. 402 ff.; OLG Düsseldorf, StV 1990, S. 536). Überdies lässt sich dem amtsgerichtlichen Urteil nicht entnehmen, dass die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG vom Amtsgericht geprüft worden sind. Weder wird auf die Frage einer ausreichenden Belehrung nach § 74 Abs. 3 OWiG noch auf die Frage einer genügenden Entschuldigung des Nichterscheinens zur Hauptverhandlung eingegangen. Abgesehen von diesen Gesichtspunkten ist auch der im Schriftsatz vom 14. August 2003 enthaltene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG unbeachtet geblieben. Dieser Antrag wurde gleichzeitig mit der Rechtsbeschwerde gestellt und war gegenüber dieser vorrangig zu bescheiden (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl. 2002, § 74 Rn. 49 m.w.N.). Das Nichteingehen auf entscheidungserheblichen Vortrag wie auch die Nichtbeachtung des Wiedereinsetzungsantrages begründen eine Verletzung des nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör. 4 Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes ergibt sich im Hinblick auf das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG für die Rechtsmittelgerichte auch die Pflicht, Verstöße gegen dieses Grundrecht seitens der Vorinstanzen zu beseitigen (vgl. BVerfGE 49, 252 <257>; BVerfG, NStZ 1985, S. 277). 5 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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