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OLG Koblenz Beschluss vom 18.12.2012 - 1 SsBs 91/12 - Konkurrenzen bei mehreren Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten

OLG Koblenz v. 18.12.2012: Zum Konkurrenzen bei mehreren Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten


Das OLG Koblenz (Beschluss vom 18.12.2012 - 1 SsBs 91/12) hat entschieden:

1.  Ein Wochen- oder Doppelwochenverstoß eines Lkw-Fahrers beginnt erst, wenn der Fahrer das Fahrzeug trotz Erreichens der Höchstlenkzeit nicht abgestellt bzw. wieder in Gang gesetzt hat. Erst diese Handlung ist eine ahndungswürdige Gesetzesverletzung und somit für die Prüfung der Konkurrenzen relevant. Wochen- oder Doppelwochenverstöße setzen weder Überschreitungen der Tageslenkzeiten voraus noch haben derartige Gesetzesverletzungen zwangsläufig Wochen- oder Doppelwochenverstöße zur Folge.

2.  Eine natürliche Handlungseinheit setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen mehreren ahndungsrechtlich erheblichen Verhaltensweisen in einem einheitlichen Handlungsablauf voraus, der das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitlich zusammengefasstes Tun kenntlich macht.



Siehe auch

Fahrpersonal im Straßenverkehr - Lenkzeiten - Ruhezeiten - EG-Kontrollgerät

und

Tatmehrheit oder Tateinheit bei Lenkzeitverstößen


Gründe:

1. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen mehrerer Verstöße gegen Sozialvorschriften im Straßenverkehr, zur Tateinheit verklammert durch einen sog. Doppelwochenverstoß, zu einer Geldbuße von 300 € verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat Erfolg, weil das schriftliche Urteil in sich widersprüchlich ist.

Laut Tenor wurde der Betroffene wegen einer fahrlässigen Überschreitung der Doppelwochenlenkzeit in Tateinheit mit drei Fällen fahrlässiger Tageslenkzeitüberschreitung, einem Fall vorsätzlicher Tageslenkzeitüberschreitung, einem Fall vorsätzlicher Tagesruhezeitverkürzung sowie einem Fall fahrlässiger Tagesruhezeitverkürzung verurteilt. Demgegenüber wird ihm in der rechtlichen Würdigung in allen Fällen fahrlässiges Fehlverhalten zur Last gelegt. Tatrichterliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite, die diesen Widerspruch auflösen könnten, fehlen gänzlich. Zudem werden in der rechtlichen Würdigung 8 Ordnungswidrigkeiten aufgeführt, im Tenor dagegen 7.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 10. Dezember 2012 zutreffend darlegt, führen diese Widersprüche zur Urteilsaufhebung.

2. Für die erneute Hauptverhandlung wird auf folgendes hingewiesen:

a) Auch für ein Urteil in Bußgeldsachen gilt § 267 StPO. Nach dessen Abs. 1 müssen im Falle einer Verurteilung „die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden.“ Dies erfordert eine geschlossene Darstellung der Tatsachen, die unter die objektiven und subjektiven Merkmale eines Straf- oder Bußgeldtatbestands zu subsumieren sind. Damit ist es nicht zu vereinbaren, wenn sich die „Feststellungen“ zum Tatgeschehen darauf beschränken, dass lediglich ein einen längeren Zeitpunkt umfassender Ausdruck der Daten aus dem EG-Kontrollgerät in die Urteilsgründe kopiert wird und die der Verurteilung zugrundeliegenden konkreten Fakten – und dies auch nur in objektiver Hinsicht – erst in der rechtlichen Würdigung dargestellt werden. Die Daten sind das Beweismittel; die ohnehin notwendige Konkretisierung gehört nicht erst in die rechtliche Würdigung, sondern, ergänzt um einzelfallbezogene Tatsachen zur subjektiven Tatseite, in die Feststellungen zur Tat. In der rechtlichen Würdigung ist es dann ausreichend, den jeweils in Betracht kommenden Bußgeldtatbestand zu bezeichnen.

b) Die weitverbreitete Annahme, Wochen- oder Doppelwochenverstöße verklammerten alle sonstigen innerhalb des fraglichen Zeitraums begangenen Verstöße gegen die Sozialvorschriften im Straßenverkehr ohne weiteres zur Tateinheit, bedarf einer kritischen Überprüfung.

aa) Da es in der Regel um verschiedene Handlungen geht, denen regelmäßig auch verschiedene Tatentschlüsse bzw. Nachlässigkeiten zugrunde liegen, dürfte „echte“ Idealkonkurrenz im Sinne des § 19 OWiG in den meisten Fällen zu verneinen sein.

bb) Da das Führen eines LKW nicht per se eine Ordnungswidrigkeit, sondern ein grundsätzlich legales Verhalten ist, beginnt der Wochen- oder Doppelwochenverstoß erst dann, wenn der Fahrer das Fahrzeug trotz Erreichens der Höchstlenkzeit nicht abgestellt bzw. wieder in Gang gesetzt. Erst diese Handlung ist eine ahndungswürdige Gesetzesverletzung und somit für die Prüfung der Konkurrenzen relevant. Für die Zeit davor liegt auch keine Dauerordnungswidrigkeit vor, mit der sich andere Gesetzesverletzungen überschneiden könnten. Es ist aber fraglich, ob zwischen zwei Gesetzesverletzungen liegendes legales Verhalten diese allein deshalb zur Tateinheit verklammern kann, weil ein Zusammenhang mit derselben beruflichen Tätigkeit besteht.

cc) Wochen- oder Doppelwochenverstöße setzen weder Überschreitungen der Tageslenkzeiten – und schon gar nicht die Missachtung von Pausenregelungen – voraus noch haben derartige Gesetzesverletzungen zwangsläufig Wochen- oder Doppelwochenverstöße zur Folge. Wenn ein LKW-Fahrer montags 6 Stunden durchfährt und erst dann eine Pause von 45 Minuten einlegt, verstößt er zwar gegen Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006, leistet dadurch aber keinen wie auch immer gearteten tatbestandserheblichen Beitrag zu dem Wochenverstoß, zu dessen Begehung er sich samstags entschließt.


dd) Eine natürliche Handlungseinheit setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen mehreren menschlichen, ahndungsrechtlich erheblichen Verhaltensweisen in einem einheitlichen Handlungsablauf voraus, der das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitlich zusammengefasstes Tun kenntlich macht (siehe auch BGH v. 17.07.1997 - 1 StR 208/97 juris Rn. 14; BGH v. 14.03.2012 - 2 StR 561/11 - juris Rn. 13). Das mag in Einzelfällen gegeben sein, etwa wenn bei einer Fahrt zunächst die Tageslenkzeit überschritten und kurz darauf auch die 56-Stunden-Grenze des Art. 6 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 561/2006 missachtet wird. Dies setzt aber entsprechende tatrichterliche Feststellungen voraus.

ee) Es liegt keine rechtliche Handlungseinheit vor, weil es an einem Tatbestand fehlt, dessen Umschreibung eine Mehrheit von gleich- oder verschiedenartigen ahndungswürdigen Handlungen voraussetzt oder in Betracht kommen lässt.

c) Dem verständlichen Bestreben, die finanziellen Folgen zu begrenzen, die sich aus § 20 OWiG wegen des Fehlens einer § 53 Abs. 1 StGB entsprechenden Regelung ergeben können, kann durch eine einzelfallbezogene Bemessung der Geldbußen Rechnung getragen werden.

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