Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Urteil vom 21.10.2010 - 12 U 103/10 - Verkehrssicherungspflicht bei dem Risiko eines natürlichen Astbruchs

OLG Karlsruhe v. 21.10.2010: Zur Verkehrssicherungspflicht bei dem Risiko eines natürlichen Astbruchs im Bereich eines Parkplatzes


Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 21.10.2010 - 12 U 103/10) hat entschieden:
Das bei bestimmten Baumarten bestehende Risiko eines natürlichen Bruchs gesunder Äste begründet jedenfalls im Bereich von Parkplätzen keine Amtspflicht zur Beseitigung des gesamten Baumes oder wesentlicher Teile seiner Krone.


Siehe auch Astbruch und Verkehrssicherung und Verkehrssicherungspflicht


Gründe:

I.

Der Kläger verlangt Schadensersatz von der Beklagten aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Das Fahrzeug des Klägers Audi A6 mit dem amtlichen Kennzeichen ... wurde am 2009 auf dem Parkplatz am C-​Schwimmbad in M durch einen herabfallenden Ast beschädigt. Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks, auf dem das Fahrzeug des Klägers geparkt war und auf dem sich der streitgegenständliche Baum befindet.

Der Kläger macht folgenden Schaden geltend: Reparaturkosten i. H. v. € 1.239,80, Sachverständigenkosten i. H. v. € 386,75 sowie eine Pauschale von € 30,- für die ihm entstandenen allgemeinen Kosten. Darüber hinaus verlangt er Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von € 229,55. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten hat mit Schreiben vom 18.06.09 jegliche Zahlung abgelehnt.

Der Kläger hat behauptet, der abgebrochene Ast sei unbelaubt und morsch gewesen. Der Baum, von dem der Ast abgebrochen ist, sei vermorscht oder krank, was von außen erkennbar gewesen sei. Der Baum sei mind. 50 Jahre alt und alleine deswegen überwachungspflichtig. Bei einer Überwachung wäre das Gefahrenpotential entdeckt worden. Dass der Baum nach dem Astbruch beschnitten wurde, spräche auch dafür, dass der Baum nicht gesund sei.

Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 1.656,55 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Jahreszinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. € 229,55 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Jahreszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Baum sei in belaubtem Zustand am 29.07.08 einer sorgfältigen äußeren Besichtigung und damit einer gesundheitlichen Zustandsprüfung unterzogen worden, wobei der Baum keinerlei Defektsymptome aufgewiesen habe. Der abgebrochene Ast sei nicht etwa abgestorben, sondern voll belaubt und damit vital gewesen; auf die Frage der regelmäßigen Kontrollen durch die Beklagte käme es daher gar nicht an, da ein Anspruch des Klägers bereits an der fehlenden Ursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung scheitere.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 12. Mai 2010, auf dessen Feststellungen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Dabei stellt er darauf ab, dass die streitgegenständliche Baumart auch in gesundem Zustand eine Neigung zu einem Astabfall aufweise, so dass die Beklagte schon allein deshalb hätte einschreiten müssen und folglich ihre Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt hat.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst sämtlicher Anlagen Bezug genommen.


II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu.

a) Das Landgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass bezüglich der Verkehrssicherungspflicht für den streitgegenständlichen Parkplatz, der nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers der Beklagten gehört, eine öffentlich-​rechtliche Tätigkeit der Beklagten vorliegt. Denn gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) des Straßengesetzes für Baden-​Württemberg (StrG) gehören zu den öffentlichen Straßen auch Parkplätze, wenn sie wie hier gem. § 2 Abs. 1 StrG dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Dabei bestimmt § 59 StrG, dass die mit der Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Pflichten Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit darstellen.

b) Eine für den geltend gemachten Schaden kausale Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte liegt nicht vor.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden, insbesondere, wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Zwar stellt jeder Baum an einer Straße eine mögliche Gefahrenquelle dar, weil durch Naturereignisse sogar gesunde Bäume entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden können. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baumes von außen nicht immer erkennbar. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen; denn der Verkehr muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in solchen Fällen nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH, NJW 1965, 815; NJW 2004, 1381). Aus diesen Grundsätzen folgt die Pflicht zu regelmäßigen Kontrollen, wobei die Länge des Kontrollintervalls unterschiedlich beurteilt wird (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1994, 358; OLG Koblenz, NJW-​RR 1986, 1086 (eine Kontrolle im Jahr) einerseits und OLG Hamm, VersR 1997, 1148; OLG Düsseldorf, VersR 1992, 467 (zwei Sichtkontrollen im Jahr) andererseits, eingehend Schneider, VersR 2007, 743, 747 ff; Fürstenberg, DAR 2007, 293; Bauer, DAR 2008, 109).

bb) Im vorliegenden Fall steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht auf Grund der Aussage der Zeugen B. und P. fest, dass der abgefallene Ast weder morsch noch unbelaubt war. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-​Ing. L ist gibt es keine Anzeichen für eine Krankheit des Baumes; jedoch könne auch von einem gesunden Baum ein Ast abfallen, wobei die hier betroffene Baumart „Götterbaum“ nach den Ausführungen des Sachverständigen zu einer Gruppe von Bäumen gehört, die zu einem plötzlichen und unvermittelten Abbrechen von Zweigen neigt (AS I 65).

Hinsichtlich des Astbruchs bei Baumarten, die gelegentlich auch gesunde Äste abwerfen (insb. Pappeln), begründet die Auswahl der Baumart allein keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, auch wenn im Einzelfall die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung bei einer bestimmten Baumart näher als bei anderen Baumarten liegt (OLG Düsseldorf, NJW-​RR 1995, 726). Allerdings ist zum Teil über die bestehende Baumkontrollpflicht hinaus ein präventives Entfernen der in den Verkehrsraum hineinragenden Äste verlangt worden (OLG Köln, VersR 1994, 1489; ablehnend Schneider, a.a.O. m.w.N.). Dies würde jedoch darauf hinauslaufen, gesunde Bäume dieser Arten naturwidrig erheblich zu stutzen oder im gesamten Verkehrsbereich zu entfernen (vgl. OLG Koblenz, NZV 1998, 378). Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine uneingeschränkte Verkehrssicherungspflicht gefordert werden kann und folglich nicht verlangt werden kann, dass eine Straße völlig frei von Mängeln und Gefahren ist (BGH, NJW 1965, 815). Zum anderen hat das Oberlandesgericht Karlsruhe bereits an anderer Stelle darauf abgehoben, dass es grundsätzlich begrüßenswert ist, wenn eine Stadt im Stadtkern einen möglichst hohen Baumbestand unterhält, und dass im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht nur das Zumutbare gefordert werden kann, so dass nicht jeder herabfallende Ast oder umstürzende Baum zu einer Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen führt (OLG Karlsruhe, VersR 1994, 358). Insofern hat das Oberlandesgericht Koblenz zutreffend darauf verwiesen, dass gelegentlicher natürlicher Astbruch, für den vorher keine besonderen Anzeichen bestehen, zu den naturgebundenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken gehört und dass die Wahrscheinlichkeit, durch den Astbruch gesunder Baumäste einen Schaden zu erleiden, wesentlich geringer ist als die Gefahr durch andere erlaubte Risiken wie beispielsweise den Kfz-​Verkehr als solchen (OLG Koblenz, a.a.O.; Schneider, a.a.O.). Daher treffen die Beklagte im vorliegenden Fall über die Baumkontrollpflicht und die sich hieraus für den Einzelfall ergebenden Maßnahmen hinaus keine weiteren Pflichten, insbesondere keine Pflicht zu einer präventiven Stutzung oder Entfernung eines gesunden Baumes.

cc) Es kann dahingestellt bleiben, ob die vor dem Unfalltag von der Beklagten behauptete Sichtkontrolle tatsächlich stattgefunden hat und ob das zeitliche Kontrollintervall ausreichend ist. Denn das Landgericht hat zu Recht selbst bei einer unterstellten Pflichtverletzung der Beklagten durch unzureichende Kontrolle die Ursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden verneint. Dieser Nachweis obliegt dem Geschädigten (BGH, NJW 2004, 1381). Er muss daher beweisen, dass eine ordnungsgemäßen Überwachung zu weiteren Maßnahmen Anlass gegeben hätte (vgl. OLG Hamm, VersR 1993, 1452). Dies ist jedoch im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, da es nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-​Ing. L gerade keine Anzeichen für eine Erkrankung des Baumes gegeben hat und dieser bei einer Kontrolle folglich als gesunder Baum nicht aufgefallen wäre.

2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere liegt keine divergierende Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte vor. Denn die o.g. Entscheidung des OLG Köln betrifft Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf den fließenden Verkehr, während der hier zu entscheidende Fall einen Parkplatz und damit den ruhenden Verkehr mit einem weit geringeren Gefährdungspotential betrifft.