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OLG Koblenz Beschluss vom 20.01.2014 - 3 W 695/13 -Ordnungsgeld wegen Überschreitens der Bearbeitungsfrist durch Sachverständigen

OLG Koblenz v. 20.01.2014: Zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen Überschreitens der Bearbeitungsfrist durch Sachverständigen


Das OLG Koblenz (Beschluss vom 20.01.2014 - 3 W 695/13) hat entschieden:
  1. Gemäß § 411 Abs. 2 ZPO kann das Gericht gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld festsetzen, wenn der Sachverständige die gemäß § 411 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist zur Vorlage des Gutachtens versäumt hat. § 411 Abs. 2 Satz 3 ZPO verlangt, dass das Ordnungsgeld vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht wurde. Dies soll erst nach Rückfrage beim Sachverständigen erfolgen, verbunden mit dem Hinweis auf die Haftung für Schäden bei Verfahrensverzögerung. Für Schäden durch eine leichtfertige, Nachteile für die Prozessbeteiligten billigend in Kauf nehmende Gutachtensverzögerung haftet der Sachverständige unter Umständen neben dem das Beschleunigungsgebot verletzende Gericht (in Anknüpfung an BGH, Urteil vom 4. November 2010, III ZR 32/10, NJW 2011, 1072).

  2. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes kommt nicht in Betracht, wenn der Sachverständige trotz mehrfach gewährter Nachfristsetzung sich für seine verspätete Vorlage des Gutachtens im Hinblick auf die Aufarbeitung von Rückständen ausreichend entschuldigt hat.

Siehe auch Der Sachverständigenbeweis in den verschiedenen Verfahrensarten und Der Sachverständigenbeweis im Zivilverfahren


Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Beschluss vom 12.04.2013 (GA 817) zum Sachverständigen bestellt. Das Gutachten sollte binnen 3 Monaten erstattet werden (GA 319). Nach Ablauf der gesetzten Bearbeitungsfrist wurde das Gutachten nicht vorgelegt. Die nachfolgenden Sachstandsanfragen vom 26.08 (GA 846 RS) und vom 10.09.2013 (GA 862 RS) blieben unbeantwortet. Daraufhin wurde dem Sachverständigen mit Beschluss vom 24.09.2013 (GA 867) eine Nachfrist bis zum 15.10.2013 gesetzt und ihm ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 1.000,00 € für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs angedroht. Mit Schreiben vom 02.10.2013 (GA 870) beantragte der Sachverständige wegen Krankheit und Urlaub, die Nachfrist bis zum 24.10.2013 zu verlängern. Mit Beschluss vom 04.10.2013 (GA 871) wurde die Frist dementsprechend verlängert. Das Gutachten ging innerhalb der verlängerten Frist nicht ein. Unter dem 05.11.2013 (GA 876)wurde gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld von 500,00 € festgesetzt und zugleich eine weitere Nachfrist zur Erstattung des Gutachtens bis zum 29.11.2013 gesetzt unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 1.000,00 € für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs. Am 06.11.2013 (GA 880) ging das Gutachten bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 12.11.2013 (GA 896) bat der Sachverständige um Aufhebung des Ordnungsgeldes gebeten, da er aus gesundheitlichen Gründen die gesetzte Frist versäumt habe. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2013 (GA 898) dieses Schreiben als sofortige Beschwerde ausgelegt und seinen Beschluss vom 05.11.2013 dahingehend abgeändert, dass das gegen ihn verhängte Ordnungsgeld auf 300,00 € herabgesetzt wird. Im Übrigen hat es der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 19.11.2013 (GA 892) keine Bedenken gegen die Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses erhoben. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 26.11.2013 (GA 895) die Auffassung vertreten, dass für die Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses keine Grundlage bestehe, weil die mit der Ordnungsgeldandrohung verbundene bereits verlängerte Frist zum 24.10.2013 nicht eingehalten worden sei.


II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 411 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 409 Abs. 2 ZPO zulässig und begründet.

1) Das Landgericht hat zunächst zutreffend das Schreiben des Sachverständigen vom 12.11.2013 als sofortige Beschwerde ausgelegt. Es hat der sofortigen Beschwerde nur teilweise abgeholfen, weil der Beschwerdeführer die ihm wirksam gesetzte Nachfrist bis zum 24.10.2013 versäumt habe, so dass die Ordnungsgeldfestsetzung nicht zu beanstanden sei.

Der Ordnungsgeldbeschluss sei auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Sachverständige die ihm gesetzten Fristen nachträglich genügend entschuldigt habe. Der Beschwerdeführer habe die Fristversäumung im Schreiben vom 12.11.2013 mit gesundheitlichen Gründen begründet. Der Hinweis sei zu allgemein gehalten, um die verspätete Erstattung des Gutachtens zu entschuldigen (§§ 402, 381 ZPO). Der Gutachter habe die ursprüngliche Frist bereits um 2 Monate überschritten als ihm eine Nachfrist von nochmals 4 Wochen gesetzt worden sei, die wiederum um 1 1/2 Wochen verlängert worden sei. Bereits in seinem Verlängerungsantrag sei von krankheitsbedingten Rückständen sowie Urlaub die Rede gewesen. Die Formulierung des Schreibens ließe darauf schließen, dass die Erkrankung vorüber gewesen sei und der Sachverständige dabei sei, die gelaufenen Rückstände abzuarbeiten. Über das Ausmaß der Rückstände habe der Beschwerdeführer nichts mitgeteilt. Aus dem Schreiben vom 12.11.2013 ergebe sich auch nicht, dass der Sachverständige erneut erkrankt wäre. Die ihm gesetzte Nachfrist sei daher ausreichend bemessen. Allerdings sei das Ordnungsgeld herabzusetzen. Bei der Höhe der Bemessung des Ordnungsgeldes habe das Gericht alle Umstände, die für und gegen den Beschwerdeführer sprechen, gegeneinander abzuwägen. Danach erscheine die Verhängung eines ersten Ordnungsgeldes von 300,00 € ausreichend. Zwar sei zu Lasten des Beschwerdeführers zu werten, dass er sich vor der Verhängung des Ordnungsgeldes nicht um eine ausreichende Zusammenarbeit mit dem Gericht bemüht habe. So seien mehrere Sachsstandsanfragen unbeantwortet geblieben. Allerdings habe er sich nach der Festsetzung des Ordnungsgeldes um eine Erklärung bemüht und es sei nicht auszuschließen, dass aufgrund seiner Erkrankung so viele Rückstände aufgelaufen seien, dass er gehindert gewesen sei, das Gutachten rechtzeitig zu erstatten. Auch wenn dies wegen der fehlenden Präzisierung und wegen des Umstands, dass er einen weiteren Verlängerungsantrag hätte stellen können, als Aufhebungsgrund nicht ausreichend sei, rechtfertige es doch eine Herabsetzung des Ordnungsgeldes auf 300,00 €.

2) Die vom Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss dargelegten Erwägungen rechtfertigen nicht die Aufrechterhaltung des Ordnungsgeldbeschlusses in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 16.12.2013 (GA 898).

Gemäß § 411 Abs. 2 ZPO kann das Gericht gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld festsetzen, wenn der Sachverständige die gemäß § 411 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist zur Vorlage des Gutachtens versäumt hat. § 411 Abs. 2 S. 3 ZPO verlangt, dass das Ordnungsgeld vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht wurde. Dies soll erst nach Rückfrage beim Sachverständigen erfolgen, verbunden mit dem Hinweis auf die Haftung für Schäden bei Verfahrensverzögerung. Für Schäden durch eine leichtfertige, Nachteile für die Prozessbeteiligten billigend in Kauf nehmende Gutachtensverzögerung haftet der Sachverständige unter Umständen neben dem das Beschleunigungsgebot verletzende Gericht (Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, § 411 Rn. 6 und7; § 402 Rn. 10; BGH, Urteil vom 04.11.2010 - III ZR 32/10 - NJW 2011, 1072 Rn. 22). Der Sachverständigenbeweis ist häufige Ursache für eine überlange Verfahrensdauer. Der Richter ist daher gehalten, auf eine zügige Gutachtenserstellung hinzuwirken (EGMR, Urteil vom 21.10.2010 - 43155/08 - NJW 2011, 1055). Unvertretbare Nachsicht mit dem Sachverständigen kann Amtshaftungsansprüche begründen (Zöller/Greger, aaO, § 411 Rn. 6; BGH, Urt. v. 04.11.2010 - III ZR 32/10 - NJW 2011, 1072 Rn. 22).Bei zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (OLG Schleswig, Urteil vom 02.02.2012 - 11 U 144/10 - BeckRS 2012, 19670; OLG Celle, Urteil vom 23.06.2011 - 16 U 130/10 - NJW-​Spezial 2012, 250; OLG Schleswig, Urteil vom 02.02.2012 - 11 U 144/10 - BeckRS 2012, 19670; Bamberger/Roth-​Reinert in BeckOK BGB, 29. Edition 01.11.2013, § 839 Rn. 98; Stein/Itzel/Schwall, Rn 634-​636). Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab (BGH, Urteil vom 10.07.2003 - III ZR 155/02 - NJW 2003, 3052 = BGHZ 155, 306; Urteil vom 04.11.2010 - III ZR 32/10 - MDR 2011, 32 = WM 2011, 323-328 = BauR 2011, 544 ff. = VersR 2011, 494-498 = NJW 2011, 1072-1076; OLG Schleswig, Urteil vom 02.02.2012 - 11 U 144/10 - BeckRS 2012, 19670; OLG Celle, Urteil vom 23.06.2011 - 16 U 130/10 - NJW-​Spezial 2012, 250; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Auflage 2012, Rn 634-​636). Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab (BGH, Urteil vom 03.07.2003 - III ZR 326/02 - BGHZ 155, 306 = NJW 2003, 3052; BGH, Urteil vom 04.11.2010, aaO).. Der Amtshaftungsanspruch bleibt von der neu geschaffenen Entschädigungsgrundlage des § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauer von Gerichtsverfahren unberührt. Zwischen beiden Anspruchsgrundlagen besteht Anspruchskonkurrenz (Bamberger/Roth-​Reinert in BeckOK, aaO, Rn 122a; Ossenbühl, DVBl 2012, 857, 859).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss hat der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 12.11.2013 ausreichend dargelegt, dass er unverschuldet das Gutachten zu spät an das Landgericht vorgelegt hat. Der Beschwerdeführer hat die Fristversäumung im Schreiben vom 12.11.2013 nicht nur mit gesundheitlichen Gründen begründet, sondern auch dargelegt, dass zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 05.11.2013 das Gutachten bereits vor dem 04.11.2013 fertig gestellt und geschrieben worden sei. Das Gutachten sei am 06.11.2013 bei Gericht eingegangen. Das Landgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluss selbst ausgeführt, dass aufgrund der Erkrankung des Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden könne, dass Rückstände aufgelaufen seien und er deshalb gehindert gewesen sei, das Gutachten innerhalb der Nachfrist vorzulegen. Dies rechtfertigt nicht nur eine Herabsetzung des Ordnungsgeldes, sondern genügt als ausreichende Entschuldigung, um den Ordnungsgeldbeschluss des Landgerichts in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses aufzuheben.

Der Umstand, dass der Gutachter die ursprüngliche Frist bereits um 2 Monate überschritten hat, als ihm eine Nachfrist von nochmals 4 Wochen gesetzt worden ist, die nochmals um 1 1/2 Wochen verlängert wurde und bereits in seinem Verlängerungsantrag von krankheitsbedingten Rückständen sowie Urlaub die Rede gewesen ist, genügt nicht allein als Grund für die Aufrechterhaltung des Ordnungsgeldbeschlusses, auch wenn die Formulierung des Schreibens mit dem Landgericht durchaus darauf schließen lässt, dass die Erkrankung vorüber gewesen ist und der Sachverständige im Begriff war, die gelaufenen Rückstände abzuarbeiten. Unerheblich ist, dass der Sachverständige über das Ausmaß der Rückstände nichts mitgeteilt hat. Auch kommt es nicht darauf an, ob sich aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 12.11.2013 nicht ergibt, dass er erneut erkrankt wäre.

Der angegriffene Beschluss in Gestalt des teilweisen Abhilfe- bzw. Nichtabhilfeschlusses vom 16. Dezember 2013 war aus den dargelegten Gründen aufzuheben.