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OLG Hamburg Urteil vom 30.10.1998 - 14 U 97/98 - Formularmäßige Überbürdung der Sach- und Preisgefahr

OLG Hamburg v. 30.10.1998: Zur Wirksamkeit der formularmäßigen Überbürdung der Sach- und Preisgefahr auf den Leasingnehmer


Das OLG Hamburg (Urteil vom 30.10.1998 - 14 U 97/98) hat entschieden:
Die Überbürdung der Sach- und Preisgefahr auf den Käufer in AGB ist wegen Verstoßes gegen AGBG § 9 zumindest dann unwirksam, wenn ihm nicht zugleich alle mit dem Untergang der Kaufsache im Zusammenhang stehenden Ersatz- und Versicherungsansprüche abgetreten werden.


Siehe auch Leasingfahrzeug - Leasingvertrag und Leasingvertrag - Gewährleistung für Fahrzeugmängel


Gründe:

Die Berufung ist zulässig und auch sachlich begründet.

1. Der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus der "Rücknahmevereinbarung" vom 13./21. November 1995 gegen den Beklagten nicht zu.

a) Der Beklagte ist von der Verpflichtung, den Rückkaufpreis zu zahlen, gemäß § 323 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. BGB freigeworden, weil die Klägerin ihrerseits den Rückkaufgegenstand nicht liefern kann, wofür weder sie noch der Beklagte verantwortlich sind.

Die Klägerin hat sich verpflichtet, dem Beklagten im Wege des Rückkaufes den "Leasinggegenstand" zurückzuübereignen und zurückzuliefern (§ 433 Abs. 1 BGB). Als Leasinggegenstand war das Kraftfahrzeug Dodge, unstreitig ein Chrysler Voyager, bezeichnet, das die Klägerin ihrerseits vom Beklagten erworben hatte. Nach eigenem unstreitigen Vortrag der Klägerin brannte das Fahrzeug am 4. Juli 1996 in Polen vollständig aus und stellt seitdem einen "ausgebrannten Blechklumpen" dar, von dem auch die Klägerin nicht weiß, wo er sich befindet. Selbst wenn aber die Klägerin dem Beklagten den besagten ausgebrannten Blechklumpen liefern würde, könnte das nicht mehr als vertragsgemäße, etwa nur mangelhafte Leistung angesehen werden. In diesem Sinne versteht der Senat auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes NJW 90, 2546 (= WM 90, 882, hier erste Anl. 1 des Beklagten). Der Gewährleistungsausschluss gemäß Ziff. II 2 Abs. 2 der Rücknahmevereinbarung kann demgegenüber also nicht zur Anwendung kommen, selbst wenn er als solcher wirksam vereinbart worden sein sollte.

b) Die Anwendbarkeit des § 323 BGB ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass etwa die Sach- und Preisgefahr wirksam auf den Beklagten überbürdet worden wäre. Allerdings enthält die Rücknahmevereinbarung in Ziff. II 3 letzter Satz eine dahingehende Bestimmung, welche lautet "Die Zahlungsverpflichtung der Firma bleibt von einer etwaigen Nichtlieferbarkeit des Leasinggegenstandes ausdrücklich unberührt". Diese Klausel ist jedoch unwirksam. Es ist unstreitig geworden, dass es sich bei den Klauseln der Rücknahmevereinbarung um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt.

Es ist schon zweifelhaft, ob nicht die genannte Klausel schon gemäß § 3 AGBG unwirksam ist, da sie sich als überraschende Klausel darstellen könnte. Sie ist nämlich zum einen überraschend nach ihrem sachlichen Inhalt, da damit völlig von der gesetzlichen Regelung des § 323 BGB abgewichen werden soll mit der Folge, dass der Beklagte den Rückkaufpreis zahlen soll, obwohl er ohne eigenes Vertretenmüssen den Rückkaufgegenstand nicht erhält. Sie ist zum anderen überraschend nach ihrer Stellung im Vertrage als letzter, in keiner Weise hervorgehobener Satz der Ziff. II 3, die sich im übrigen nur mit der Berechnung des Rückkaufpreises befasst.

Jedenfalls aber ist die Klausel wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam, weil sie den Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die vorgesehene Belastung des Beklagten mit der Sach- und Preisgefahr weicht völlig von der gesetzlichen Leitlinie für die Verteilung der Gefahr des zufälligen Unterganges gemäß § 323 BGB ab. Die Klägerin versucht sich damit ihrer vertraglichen Kardinalpflicht, dem Beklagten für den von ihm zu zahlenden Kaufpreis ein Kraftfahrzeug zu liefern, zu entziehen. Dann hätte die Klägerin, um auch den berechtigten Interessen des Beklagten gerecht zu werden, zumindest alle ihr in diesem Zusammenhang zustehenden Ersatzansprüche in den AGB an den Beklagten abtreten müssen (vgl. die Entscheidung OLG Düsseldorf, ZIP 83, 1092, hier Anl. 4, die zwar das Leasingverhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer selbst betrifft, aber vorliegend ebenfalls herangezogen werden kann). Das ist mit den vorliegenden AGB jedoch nicht geschehen. Ziff. II 4 regelt nur die Abtretung von Ansprüchen "aus Sach- und Rechtsmängeln", wozu jedoch die Kaskoversicherungsansprüche gegen den Kaskoversicherer nicht gehören. Dass letztere durch die AGB nicht abgetreten wurden, sieht offenbar auch die Klägerin selbst, da sie ja nachträglich dem Beklagten eine derartige Abtretung angeboten hat und die Feststellung begehrt, dass der Beklagte sich insoweit in Annahmeverzug befinde. Der Umstand, dass die Klägerin nachträglich die Abtretung dieser Ansprüche angeboten hat, kann den AGBG-​Verstoß der AGB nicht heilen (vgl. auch OLG Düsseldorf a.a.O.).

Es ist auch nicht so, dass schutzwürdige Interessen der Klägerin etwa zwingend eine andere Bewertung gebieten würden. Sie hätte es ja durchaus in der Hand gehabt, sich wirksam auch gegen das Risiko des zufälligen Unterganges des Leasinggegenstandes voll abzusichern -- wenn denn auch der Beklagte das gewollt hätte --​, indem sie sich zum Beispiel eine Bürgschaft oder einen Schuldbeitritt des Beklagten hätte erklären lassen. Das ist jedoch nicht geschehen.

2. Ist somit der Beklagte von seiner Verpflichtung zur Zahlung des Rückkaufpreises freigeworden, kommt auch eine Verpflichtung, eine nachträglich ihm angebotene Abtretung von Kaskoversicherungsansprüchen anzunehmen, mit der er hätte in Verzug geraten sein können, schon im Ansatz nicht mehr in Betracht. Die Klage ist deshalb auch insoweit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die übrigen prozessualen Nebenentscheidungen entsprechen §§ 708 Ziff. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO. Eine Zulassung der Revision gemäß § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO kommt nicht in Betracht, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch der Senat mit seiner Entscheidung von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.

Die Rechtsausführungen der Klägerin in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 2. Oktober 1998 vermögen keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. März 1998 (NJW 98, 2284 ff.) betrifft das Verhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer, in welchem in der Tat die formularmäßige Abwälzung der Sach- und Gegenleistungsgefahr auf den Leasingnehmer leasingtypisch und grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Vorausgesetzt ist dabei aber, dass - wie auch im konkreten vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall - der Leasingnehmer das Leasingfahrzeug erst einmal erhalten hat. Die Regelung entspricht insoweit der gesetzlichen Regelung im Kaufrecht nach Übergabe der verkauften Sache (§ 446 Abs. 1 BGB). Dem ist jedoch der vorliegende Fall gerade nicht vergleichbar, in welchem es nicht um das Verhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer geht, sondern um das (Rück-​)Kaufverhältnis der Parteien. Hier soll der Beklagte nach Auffassung der Klägerin den Kaufpreis zahlen, obwohl die Klägerin ihm den Kaufgegenstand von vornherein überhaupt nicht liefern kann. Das kann nicht Rechtens sein. Der Senat vermag der Klägerin auch nicht darin zu folgen, dass von der Übergabe der Kaufsache an den Beklagten im Sinne des § 446 BGB auszugehen sei -- dann allerdings hätte der Beklagte die Gefahr des zufälligen Unterganges schon nach § 446 BGB zu tragen gehabt. Die Übergabe der Kaufsache hätte durch Verschaffung des unmittelbaren Besitzes erfolgen müssen (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 57. Aufl., § 446, Rnr. 6 i. V. m. § 433, Rnr. 7). Dass mittelbarer Besitz verschafft wird, genügt nur dann, wenn vertragsgemäß nur dieser verschafft werden soll (Palandt/Putzo, § 446, Rnr. 6). Davon ist vorliegend nicht auszugehen. Ziff. II 2 betrifft nur die davon unabhängige Frage der Übereignung. Im übrigen hat die Klägerin dem Beklagten auch nicht einmal mittelbaren Besitz an der geschuldeten Kaufsache verschafft und kann das auch nicht, da -- wie eingangs ausgeführt -- die Kaufsache schon zuvor untergegangen ist. Der ausgebrannte Blechklumpen stellt nicht das von der Klägerin zu liefernde Kraftfahrzeug dar.