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Landgericht Neubrandenburg Beschluss vom 13.02.2012 - 8 Qs 21/12 - Anspruch des Betroffenen auf Verteidigung und Terminsverlegung im Bußgeldverfahren

LG Neubrandenburg v. 13.02.2012: Zum Anspruch des Betroffenen auf Verteidigung und Terminsverlegung im Bußgeldverfahren


Das Landgericht Neubrandenburg (Beschluss vom 13.02.2012 - 8 Qs 21/12) hat entschieden:
Auch im Bußgeldverfahren hat der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf Verteidigung durch einen Rechtsbeistand seiner Wahl. Bei der Abwägung des Interesses des Betroffenen an einer effektiven Verteidigung und dem Interesse des Gerichts an einem reibungslosen Verfahrensgang ohne hinnehmbare Verzögerungen, gebührt dem Verteidigungsinteresse im Zweifel der Vorrang. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen erstmaligen Antrag auf Terminsaufhebung handelt.


Siehe auch Die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren und Terminsverlegung


Gründe:

I.

Die Stadt Neubrandenburg erließ nach Anhörung des Betroffenen unter dem 09.08.2011 gegen diesen einen Bußgeldbescheid – Az.: 0111.59277 –, da der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h überschritten haben soll. Es wurde ein Verwarnungsgeld in Höhe von 80,00 € festgesetzt sowie Gebühren und Auslagen in Höhe von 23,50 €. Die Eintragung eines Punktes in das VZR ist vorgesehen.

Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene mit Schreiben seines Verteidigers vom 15.08.2011 Einspruch ein. Dem Einspruch wurde durch die Stadt Neubrandenburg nicht stattgegeben und das Verfahren über die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg dem Amtsgericht Neubrandenburg vorgelegt.

Das Amtsgericht Neubrandenburg beraumte den Termin für die Hauptverhandlung mit Verfügung vom 25.01.2012 auf den 14.02.2012, 10:55 Uhr, an. Der Verteidiger des Betroffenen erhielt die Ladung am 30.01.2012 und beantragte mit Schreiben vom 01.02.2012, eingegangen beim Gericht am gleichen Tage, die Aufhebung des anberaumten Termins, da er – der Verteidiger – an diesem Tag bereits einen längerfristig feststehenden anderen Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen habe.

Mit Verfügung des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 02.02.2012 wurde der Antrag des Betroffenen abgelehnt mit der Begründung, dass dies die Geschäftslage des Gerichts nicht zulasse. Das Aufkommen an Bußgeldsachen sei infolge der Kreisgebietsreform sehr hoch und ein neuer Termin kurzfristig nicht möglich. Es handele sich im Übrigen um einen einfach gelagerten überschaubaren Sachverhalt, bei dem die Verteidigung von einem Unterbevollmächtigten geführt werden könne.

Hiergegen legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 06.02.2012 Beschwerde ein, wobei er zur Begründung weiter ausführte, dass durch die Ablehnung der Terminsverlegung unschwer vermeidbar das Recht des Betroffenen beeinträchtigt sei, sich des Beistandes eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat der Verteidiger des Betroffenen die Fotokopie einer an den Verteidiger adressierten Ladung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 19.12.2011 zu einer Hauptverhandlung am 14.02.2012 um 10:00 Uhr nachgereicht.

Des Weiteren wurden zwei weitere Fotokopien des Amtsgerichts Schöneberg vom 19.12.2011 und des Landgerichts Berlin vom 29.11.2011 – jeweils Ladungen für den 14.02.2012 – gerichtet an Frau Rechtsanwältin ... und die Rechtsanwaltskanzlei vorgelegt. Der Verteidiger des Betroffenen versicherte anwaltlich, dass auch die beiden Sozien am 14.02.2012 verhindert seien. Im Übrigen seien diese nicht verkehrsrechtlich spezialisiert.

Das Amtsgericht Neubrandenburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen, da es diese bereits für unzulässig, weil nicht statthaft hielt.


II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 304 Abs. 1 StPO. Sie ist insbesondere nicht unstatthaft. Zwar ist eine ablehnende Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts im Hinblick auf § 305 Abs. 1 StPO in der Regel unanfechtbar. Sie ist jedoch nach der von der Kammer geteilten herrschenden Meinung ausnahmsweise dann statthaft, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für Verfahrensbeteiligte eine besondere selbständige Beschwer bewirkt, weil sie zum Beispiel unschwer vermeidbar das Recht des Betroffenen beeinträchtigt, sich des Beistandes eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung evident ist (OLG Dresden, Beschl. v. 28.06.2004, Az.: 1 Ws 121/04 m. w. N., zitiert nach juris). Dies macht der Betroffene durch seinen Verteidiger vorliegend geltend, wenn er vorträgt, dass sowohl sein Wahlverteidiger als auch dessen Sozien aufgrund anderer Hauptverhandlungstermine, deren Terminsbestimmung, zumindest soweit es den Wahlverteidiger betrifft, sehr weit vor derjenigen durch das Amtsgericht Neubrandenburg erfolgte und er ausschließlich zu seinem Wahlverteidiger Vertrauen habe.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Zwar ergibt sich aus dem Grundsatz der Terminshoheit nach § 213 StPO eine Einschränkung der Überprüfbarkeit der Verfügung dahingehend, dass lediglich die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Ermessensspielraumes bei der Entscheidung über die Terminierung nachprüfbar sind.

Vorliegend ist die Ermessensausübung jedoch evident fehlerhaft, da dem Betroffenen das Recht auf die freie Wahl seines Verteidigers unzumutbar verkürzt wird. Zwar gibt es kein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf einen bestimmten Verteidiger. Überdies hat ein Betroffener gemäß § 228 Abs. 2 StPO keinen Anspruch darauf, im Falle der Verhinderung des Verteidigers die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Gleichwohl ist dem berechtigten Interesse des Betroffenen auf Verteidigung durch einen Rechtsbeistand seiner Wahl im Rahmen der erforderlichen Abwägung mit dem Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens angemessen zu berücksichtigen, wobei dem Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang gebührt (OLG Hamm, Beschl. v. 22.07.2010, Az.: III-3 RBs 200/10, 3 RBs 200/10 m. w. N., zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall war dem Interesse des Betroffenen an dem Beistand durch seinen Wahlverteidiger der Vorrang einzuräumen. Das gilt umso mehr, als dass es sich um den erstmaligen Antrag auf Terminsaufhebung handelte, sodass die Gefahr einer Beeinträchtigung eines reibungslosen Verfahrensganges ohne nicht hinnehmbare Verzögerungen von vornherein nicht bestand.

Zudem hatten Betroffener und Verteidiger keinen Einfluss auf die Terminsfestlegung, die hier im Übrigen sehr kurzfristig erfolgte. Zwar hat ein Verteidiger kein Recht auf vorherige Terminsabsprache. Wird jedoch das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt, dass dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminsanberaumung hätte nehmen können, kann die Terminsverfügung prozessordnungswidrig sein. Auch hier kommt wiederum erschwerend hinzu, dass es sich um die erstmalige Beantragung einer Terminsaufhebung handelt und die Einschränkung des Wahlrechts des Betroffenen unschwer vermeidbar gewesen wäre.

Der Antrag des Betroffenen war durch die Angabe des Terminstages und des Amtsgerichts auch insoweit substantiiert begründet, als dass unschwer eine telefonische Überprüfung dieses Termins beim Amtsgericht Königs Wusterhausen hätte erfolgen können. Zumindest aber gaben die Angaben des Verteidigers genügend Anlass, im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichtes auf die Nachreichung entsprechender Nachweise wie etwa Ablichtungen der Terminsladungen – auch für die Sozien – hinzuwirken.

Überdies erfolgte der Terminsverlegungsantrag unverzüglich nach Erhalt der Terminsladung, sodass für eine womöglich telefonische Absprache einer terminlichen Verschiebung am Verhandlungstag selbst oder einer anderen auch früheren – Terminierung ausreichend Zeit verblieb.


III. Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung § 467 Abs. 1 StPO.