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Verwaltungsgericht Berlin Urteil vom 24.01.2014 - 4 K 374.12 - Anfechtung von Mautbescheiden

VG Berlin v. 24.01.2014: Zur Klage gegen Bescheide über Mautgebühren


Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 24.01.2014 - 4 K 374.12) hat entschieden:
Nach § 2 Satz 1 BFStrMG ist Mautschuldner die Person, die während der mautpflichtigen Benutzung von Straßen im Sinne des § 1 BFStrMG (die hier nicht streitig ist) entweder Eigentümer oder Halter des Motorfahrzeugs ist (Nr. 1) oder über den Gebrauch des Motorfahrzeugs bestimmt (Nr. 2) oder das Motorfahrzeug führt (Nr. 3). Der sogenannte schwache Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO) eines fortgeführten Unternehmens ist jemand, der über den Gebrauch des Motorfahrzeugs dieses Unternehmens im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2 BFStrMG bestimmt.


Siehe auch Mautsystem - Mautgebühren - Mautdaten und Güterkraftverkehr


Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um vier Mautbescheide.

Nach Aktenlage erlangte die Klägerin, die eine Nutzfahrzeugvermietung betreibt, durch Mietkaufverträge die Lastkraftwagen mit den amtlichen Kennzeichen D... 633 und D... 480, für die sie die Kraftfahrzeugsteuer zahlte. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind die Fahrzeuge durch sie nach AKB versichert (Nr. 10). Die Versicherungsbeiträge sind in die Miete miteinkalkuliert. Der Mieter hat das Transportgerät sorgfältig unter Beachtung der Hersteller- bzw. Vermieteranweisungen auf seine Kosten zu pflegen (Nr. 15). Die Kosten für die üblichen in die Miete einkalkulierten Verschleiß-​, Reparatur- und Wartungsarbeiten ... einschließlich der technischen Untersuchung trägt der Vermieter, wenn die Arbeiten in seinem Depot oder ... in einer von ihm bezeichneten Werkstatt ausgeführt werden (Nr. 15.3).

Die Klägerin vermietete und übergab die beiden Fahrzeuge unter Einbeziehung ihrer AGB im November 2011 (D... 480) für ein Jahr bzw. im Februar 2012 (D... 633) für ein halbes Jahr an die Spedition F... GmbH. Über deren Vermögen wurde am 28. Februar 2012 die vorläufige Insolvenzverwaltung zur Sicherung des Schuldnervermögens vor nachteiligen Veränderungen angeordnet. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt M... bestimmt, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde. Dieser setzte den Speditionsbetrieb unter Verwendung der beiden von der Klägerin gemieteten Fahrzeuge fort. Die Fahrzeuge, die der Schadstoffklasse Euro 4 angehören, wurden als eine Fahrzeugkombination mit fünf Achsen und einem zulässigen Gesamtgewicht von 12 Tonnen oder mehr auf der Bundesautobahn A 9 bzw. A 95 festgestellt und zwar
- am 14. März 2012 beide Fahrzeuge um 1:58 Uhr bzw. 6:08 Uhr
- am 18. April 2012 um 2:42 Uhr und
- am 25. April 2012 um 3:59 Uhr jeweils das Fahrzeug D... 633.
Zu diesen Zeiten waren die zur Mauterhebung in die Fahrzeuge eingebauten Geräte durch die Klägerin abgeschaltet, weil die Spedition F... GmbH bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter nicht alle Zahlungen an die Klägerin geleistet hatte.

Am 1. Mai 2012 wurde über das Vermögen der Spedition F... GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Auf die Anhörung der jeweiligen Nacherhebung machte die Klägerin jeweils geltend, dass die Fahrzeuge zu den Feststellungszeitpunkten vermietet gewesen seien. Sie sei weder Eigentümer noch Halter der Fahrzeuge gewesen und komme auch aus anderen Gründen nicht als Mautschuldner in Betracht.

Die Beklagte setzte die nachträglich zu entrichtende Maut mit Bescheiden je vom 3. Juli 2012 je über 91,50 € fest. Die Klägerin erhob dagegen unter dem 13. Juli 2012 anwaltlich vertreten Widerspruch. Das Bundesamt für Güterverkehr wies den Widerspruch gegen jeden Bescheid je mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2012, zugestellt jeweils am 11. September 2012, zurück. Darin heißt es, die Klägerin sei Halter der Fahrzeuge gewesen. Wegen des drohenden Mautausfallrisikos richte sich die Forderung gegen die Klägerin und nicht gegen die Spedition F... GmbH.

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2012 Klage erhoben und vertieft ihr Vorbringen. Sie meint, bei der Ausgestaltung und tatsächlichen Handhabung der Mietverhältnisse nicht Halter und auch sonst nicht Mautschuldner zu sein. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 30. November 2012 (Bl. 47 bis 56 d. A.) und vom 14. Januar 2014 (Bl. 102 bis 112 d. A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Beklagten je vom 3. Juli 2012 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheids des Bundesamts für Güterverkehr je vom 28. August 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die Bescheide, sieht die Klägerin als seinerzeitigen Halter der Fahrzeuge an und hält ihre Auswahl unter den Gesamtschuldnern für fehlerfrei. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 22. Januar 2013 (Bl. 82 bis 94 d. A.) und 23. Januar 2014 (Bl. 134 bis 138 d. A.) Bezug genommen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. November 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Ein Ausdruck der Verwaltungsvorgänge hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.


Entscheidungsgründe:

Über die Klage hat infolge des Beschlusses vom 8. November 2013 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Einzelrichter zu entscheiden. Rückübertragung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist mangels einer Änderung der Prozesslage nicht in Betracht gekommen. Die Übertragungsentscheidung gründet darauf, dass die Kammer wiederholt mit ähnlichen Fallgestaltungen befasst war. Erst die mündliche Verhandlung hat erkennen lassen, dass die Streitsache grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Klage ist begründet, weil die Bescheide jedenfalls ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO) und damit rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Vermögensrechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Mauterhebung für die Fahrten im Jahr 2012 richtet sich nach dem Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) in der bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung Bundesfernstraßenmautgesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I 2550) gültigen Fassung. Nach § 2 Satz 1 BFStrMG ist Mautschuldner die Person, die während der mautpflichtigen Benutzung von Straßen im Sinne des § 1 BFStrMG (die hier nicht streitig ist) entweder Eigentümer oder Halter des Motorfahrzeugs ist (Nr. 1) oder über den Gebrauch des Motorfahrzeugs bestimmt (Nr. 2) oder das Motorfahrzeug führt (Nr. 3). Nach § 2 Satz 2 BFStrMG haften mehrere Mautschuldner als Gesamtschuldner. Das eröffnet der Beklagten ein Auswahlermessen. Ob die Klägerin überhaupt als Mautschuldner in Betracht kam, kann hier dahinstehen. Kam sie dafür mangels Haltereigenschaft nicht in Frage, sind die Bescheide bereits wegen dieses Verstoßes rechtswidrig. War sie aber Halter, woran man hier möglicherweise zweifeln mag, dann ist die getroffene Auswahlentscheidung ermessensfehlerhaft, weil sie den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht als weiteren Mautschuldner in Betracht zog. Der vorläufige Insolvenzverwalter war jemand, der während der mautpflichtigen Benutzung über den Gebrauch des Motorfahrzeugs bestimmte (§ 2 Satz 1 Nr. 2 BFStrMG). Da der Fahrzeugführer gesondert in § 2 BFStrMG aufgeführt ist, kann damit nicht nur derjenige gemeint sein, der es eigenhändig gebraucht, sondern insbesondere derjenige, der den Fahrzeugführer etwa in Ausübung seines arbeitsrechtlichen Direktionsrechts anweist, dass und wozu er das Motorfahrzeug zu gebrauchen hat. Das trifft auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zu. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt das Gericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters, wenn dieser bestellt wird, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. Danach war er hier ermächtigt, Forderungen einzuziehen, die Kasse zu führen sowie Konten auf den Namen des Schuldners zum Zwecke der Insolvenzgeldvorfinanzierung zu eröffnen. Indes ist anerkannt, dass er über diese gerichtliche Bestimmung hinaus bei einem – wie hier - fortgeführten Unternehmen dieses fortzuführen hat. In diesem Fall geht die Unternehmerstellung in arbeits-​, steuer-​, sozial- und handelsrechtlicher Beziehung zwingend auf ihn über (vgl. Kreft, InsO, 6. Aufl. 2011, § 22 Rn. 22; Braun, InsO, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 25). Aus der Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen, folgt die Rechtsmacht, alle der Fortführung zweckdienlichen Entscheidungen zu treffen (vgl. Schmidt, InsO, 18. Aufl. 2013, § 22 Rn. 9). Diese Rechtsposition umfasst die Befugnis, über den Gebrauch der (gemieteten) Betriebsmittel – hier der Lastkraftwagen – zu bestimmen, was der für die Spedition F... GmbH bestellte vorläufige Insolvenzverwalter nach der unangegriffenen, plausiblen Darstellung der Klägerin tat, indem er die von der Klägerin gemieteten Fahrzeuge weiter einsetzte und die Fahrer beauftragte, mautpflichtige Straßen zu befahren. Unerheblich ist, ob der „schwache“ Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 2 InsO für seine Amtsausübung haftet (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 60 InsO). Denn seine gesamtschuldnerische Haftung für die Maut wird nicht durch diese insolvenzrechtlichen Normen begründet, sondern durch § 2 Satz 1 Nr. 2 BFStrMG. Ob die Beklagte zulässigerweise trotz des vorläufigen Insolvenzverwalters die Klägerin hätte heranziehen dürfen, ist hier nicht zu entscheiden. Denn die Bescheide kranken bereits daran, dass die Beklagte diese Alternative nicht erwog.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit entspricht § 167 VwGO und den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO. Die Berufung ist nach den §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob der sogenannte schwache Insolvenzverwalter eines fortgeführten Unternehmens jemand ist, der über den Gebrauch des Motorfahrzeugs dieses Unternehmens im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2 BFStrMG bestimmt, grundsätzliche Bedeutung hat.

Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf bis zu 400,00 Euro festgesetzt.