Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Berlin Urteil vom 16.03.2011 - 11 K 17.11 - Geschwindigkeitsmessung mit dem TRAFFIPAX TraffiStar S 330

VG Berlin v. 16.03.2011: Zur Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät TRAFFIPAX TraffiStar S 330


Das Verwaltungsgericht VG Berlin (Urteil vom 16.03.2011 - 11 K 17.11) hat entschieden:
  1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Traffipax Traffistar S 330 ist ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (Anschluss an Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts, Senat für Bußgeldsachen, vom 14. April 2008 - 1 Ss 281/07).

  2. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die Messungen im Britzer Tunnel fehlerhaft sind. Einer erkennbar wenig wahrscheinlichen oder ins Blaue aufgestellten Behauptung braucht das Gericht weder im Wege der Amtsermittlung noch im Rahmen eines Beweisantrages nachzugehen (wie OVG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - OVG 5 N 41.01 -).

Siehe auch Das Messgerät TRAFFIPAX TraffiStar S 330 und Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Fahrtenbuchanordnung des Beklagten.

Der 39-​jährige Kläger war Halter des Pkw mit dem polizeilichen Kennzeichen B..., mit dem nach Auffassung des Beklagten am Mittwoch, den 26. Mai 2010 um 11.22 Uhr in 12347 Berlin auf der Bundesautobahn (BAB) 100, Tunnel Ortsteil Britz Röhre Süd Richtung BAB 113 die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Toleranzabzug um 22 km/h überschritten wurde.

Der Polizeipräsident in Berlin leitete daraufhin gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren (A...) ein und übersandte unter dem 16. Juni 2010 einen Anhörungsbogen. Am 22. Juli 2010 meldeten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers und baten um Akteneinsicht. Der Polizeipräsident übersandte am 26. Juli 2010 den Bußgeldvorgang zur Einsichtnahme und teilte gleichzeitig mit, einer Begründung – insbesondere aber der Bekanntgabe des Fahrzeugführers zur Tatzeit oder des in Frage kommenden Personenkreises – wurde bis zum 20. August 2010 entgegengesehen. Danach sei davon auszugehen, dass der Kläger den tatsächlichen Führer des Kraftfahrzeuges nicht benenne. Mit Schreiben vom 11. August 2010 trugen die Prozessbevollmächtigten des Klägers vor, ihr Mandant bestreite, mit seinem Pkw am 26. Mai 2010 an dem vorgenannten Ort anstelle 80 km/h nach Toleranzabzug 102 km/h gefahren zu sein. Die Ordnungsgemäßheit der Videoüberwachungsanlage werde bestritten. Wie allgemein bekannt, seien die Messungen im Britzer Tunnel nicht ordnungsgemäß, da hier Fehler bei der Überwachungsanlage vorliegen würden.

Der Polizeipräsident bat den Abschnitt 56 mit der Durchführung weiterer Ermittlungen. Über das Ergebnis dieser Ermittlungen übersandte der Abschnitt 56 unter dem 15. August 2010 folgenden Bericht:
„Am Dienstag, dem 03.08.2010, wurde die Wohnanschrift des Fahrzeughalters zum Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B... aufgesucht.

Auf Klingeln öffnete die Mutter des Herrn R... die Wohnungstür.

Nach Bekanntgabe des Grundes meines Erscheinens erklärte Frau R..., dass ihr Sohn sich auf der Arbeit befindet. Eine in der Wohnung durchgeführte fernmündliche Rücksprache mit Herrn R... ergab, dass er zur Sache keine Angaben machen und einen Rechtsanwalt einschalten wird.

Eine Vorlage des Beweisfotos der Mutter, Frau R..., nach rechtlicher Belehrung, erkannte diese eine Bekannte ihres Sohnes.

Herr R... selbst wurde am 12.08.2010 auf seiner Arbeitsstelle aufgesucht und angetroffen. Nach Belehrung und Einsichtnahme des Beweisfotos erklärte er weiterhin, dass er keine Angaben zur Sache macht und bereits ein Rechtsanwalt eingeschaltet ist.

Auf die Möglichkeit der Auferlegung eines Fahrtenbuches wurde Herr R... hingewiesen. Herr R... selbst scheidet als Fahrzeugführer zur Tatzeit aus.“
Das Bußgeldverfahren wurde am 1. September 2010 eingestellt, da diejenige Person, die die Ordnungswidrigkeit begangen hatte, nicht festgestellt werden konnte.

Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten ordnete daraufhin mit Bescheid vom 20. September 2010 an, dass für das oben genannte Fahrzeug oder ein zu bestimmendes Ersatzfahrzeug für die Dauer eines Jahres nach Unanfechtbarkeit dieser Verfügung ein Fahrtenbuch zu führen sei. Mit seinem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass die Überwachungsanlage nicht ordnungsgemäß arbeite. Er habe nie in Frage gestellt, dass er nicht der Fahrer sei. Insofern sei der Vorwurf, er habe den Fahrzeugführer nicht benannt, unzutreffend.

Das Landesamt holte daraufhin eine Stellungnahme der für die Überwachungsanlagen zuständigen Fachdienststelle ein. Diese teilte unter dem 29. Oktober 2010 folgendes mit:
„Zum Zeitpunkt der Messung lagen keine Meldungen über Störungen der Überwachungsanlage vor.

Die Daten werden automatisch eingeblendet und wurden korrekt übernommen.“
Das Landesamt wies den Widerspruch nunmehr durch Bescheid vom 6. Dezember 2010 - zugestellt am 9. Dezember 2010 - als unbegründet zurück.

Mit seiner am Montag, den 10. Januar 2011 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren sein Begehren weiter. Ergänzend hierzu trägt er vor, alles spreche dafür, dass die Messung fehlerhaft sei, denn es seien zwei Tatvorwürfe erhoben worden, eine Anhörung und ein Verwarnungsgeld. Beides zusammen sei unlogisch und ergebe keinen Sinne, weil in beiden Fällen die gleiche Örtlichkeit angegeben worden sei. Beide Geschwindigkeiten divergierten.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 20. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Der Beklagte hat die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift zutreffend bejaht und sein Ermessen fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.

Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es der Begründung des Verwaltungsaktes und des Widerspruchsbescheides folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Diesen zutreffenden Ausführungen ist zunächst lediglich hinzuzufügen, dass das Gericht keine Zweifel daran hat, dass mit dem Fahrzeug des Klägers am 26. Mai 2010 auf der BAB 100 im Tunnel Ortsteil Britz die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Toleranzabzug um 22 km/h überschritten worden ist. Zur Überzeugung des Gerichts ist der mit dem Fahrzeug des Klägers begangene erhebliche Verkehrsverstoß ordnungsgemäß mit dem Radarmessgerät Traffipax Traffistar S 330 festgestellt worden. Nach der Rechtsprechung des Thüringer Oberlandesgerichts - Senat für Bußgeldsachen - (Beschluss vom 14. April 2008 - 1 Ss 281/07 -, zitiert nach juris, der sich die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 2. Juli 2009 - VG 11 K 97.09 - angeschlossen hat) ist die Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Traffipax Traffistar S 330 ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung dar (vgl. zum Begriff OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 13. Januar 2011 - OVG 1 N 125.10 -). Nach dem Inhalt des vorliegenden Bußgeldvorgangs war das am Tatort eingesetzte Gerät bis Ende 2011 geeicht.

Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete Fehlmessung sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst erkennbar. Die in der Fachliteratur (vgl. Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 9. Aufl., S. 135 ff.) wiedergegebene Darstellung der Arbeitsweise des bei der Messung eingesetzten Systems lassen nach Auffassung des Gerichts eine Fehlmessung ausgeschlossen erscheinen. Nach der Darstellung bei Beck/Löhle (a.a.O. S. 136) erfolgt die Geschwindigkeitsermittlung auf der Basis einer Weg-​Zeitmessung. Auf der überwachten Fahrspur sind drei piezoelektrische Drucksensoren in Abständen von jeweils einem Meter im Fahrbahnbelag eingelassen; sie bilden die drei Messstrecken. Überfährt ein Fahrzeug die drei Piezosensoren, werden die Sensorsignale dem Piezo-​Vorverstärker zugeführt, der drei voneinander unabhängige Zeitmessungen für die Messstrecken durchführt. Hieraus wird dann die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, das auf dieser Fahrspur fährt, ermittelt. Bei dieser Arbeitsweise sind Messfehler nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich auszuschließen, wenn sonst keine Bedenken an der ordnungsgemäßen Arbeitsweise der Messanlage bestehen.

Die im Bußgeldverfahren vom Kläger aufgestellte Behauptung, es sei allgemein bekannt, dass die Messungen im Britzer Tunnel nicht ordnungsgemäß seien, ist ohne jede Substanz und offensichtlich ins Blaue hinein aufgestellt worden. Bei einer wenig wahrscheinlichen oder ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung braucht das Gericht weder im Wege der Amtsermittlung noch eines Beweisantrages diesem Vorbringen nachzugehen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - OVG 5 N 41.01 -).

Auch der Hinweis des Klägers gegen das zweite gegen ihn eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren (A...) vermag eine Fehlerhaftigkeit der Messung für das auf ihn damals zugelassene Tatfahrzeug mit dem polizeilichen Kennzeichen B... zu begründen. Es trifft zwar zu, dass die Bußgeldstelle unter dem oben genannten Aktenzeichen gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren eingeleitet hat, wobei das dortige Tatfahrzeug allerdings das polizeiliche Kennzeichen B... trug und sich ausweislich der Tatfotos auf der Fahrspur neben dem Fahrzeug des Klägers befand. Dieses Bußgeldverfahren ist dann eingestellt worden und hatte seine Erklärung darin, dass das Kennzeichen vom falschen Messplatz abgelesen worden war. Angesichts der Arbeitsweise des am Tatort eingesetzten Systems ist nach Auffassung des Gerichts jedoch auszuschließen, dass diese Bilder die Messung der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Klägers beeinflusst haben können. Für das neben dem Fahrzeug des Klägers fahrende Fahrzeug mit dem Kennzeichen B... wurde im Übrigen eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 8 km/h ermittelt, woraus ebenfalls erkennbar wird, dass für jede Fahrspur ein eigenes Messsystem installiert worden ist, das die Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der jeweiligen Fahrspur getrennt von den daneben fahrenden Fahrzeugen ermittelt und kontrolliert.

Auch die übrigen Voraussetzungen für eine rechtmäßige Fahrtenbuchanordnung liegen vor, denn der Kläger war zur Überzeugung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise bereit, an der Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen erheblichen Verkehrsverstoßes mitzuwirken. Der Kläger war mit dem Schreiben der Bußgeldstelle vom 26. Juli 2010 anlässlich der Gewährung der Akteneinsicht für seine Prozessbevollmächtigten ausdrücklich aufgefordert worden, zur Person des Tatzeitfahrers Stellung zu nehmen und er hat hierzu keine Angaben gemacht, auch nicht am 12. August 2010, als er von dem ermittelnden Polizeibeamten auf seiner Arbeitsstelle aufgesucht wurde. Seine Mutter hat anlässlich ihrer Befragung sogar erklärt, sie erkenne auf den Tatfotos eine Bekannte ihres Sohnes, d.h. also eine Frau als Tatzeitfahrerin. Unter Berücksichtigung des vorliegenden Ausweisfotos des Klägers spricht auch nach Auffassung des Gerichts mehr für eine Fahrerin als dafür, dass der Kläger zur Tatzeit selbst gefahren ist. Diese Frage kann letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Kläger in keiner Weise im Bußgeldverfahren zu erkennen gegeben hat, dass er - wie jetzt behauptet - selbst gefahren ist.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.