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Verwaltungsgericht Bremen Beschluss vom 28.01.2011 - 5 V 38/11 - Fahrerlaubnisentzug nach Verweigerung der Drogenanamnese

VG Bremen v. 28.01.2011: Zum Fahrerlaubnisentzug nach Verweigerung der Drogenanamnese


Das Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 28.01.2011 - 5 V 38/11) hat entschieden:
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn der Betreffende sich zwar medizinisch untersuchen lässt und an der Laboruntersuchung mitgewirkt, er jedoch die Angaben zur Drogenanamnese und damit einen wesentlichen Teil der Untersuchung verweigert.


Siehe auch Drogen-Screening und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

I.

Der 1979 geborene Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Dem Antragsteller wurde im Juli 1997 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt; diese wurde im August 1997 auf die Klasse 1a erweitert. Am 30. Juli 2010 wurde der Antragsteller an einer im Umfeld des Festivals „Reggae Jam 2010“ eingerichteten Kontrollstelle der Polizei in Gehrde kontrolliert. Ein vor Ort durchgeführter Drogentest verlief positiv. Da der Antragsteller in die Entnahme einer Blutprobe nicht einwilligte, wurde diese richterlich angeordnet. Der Endbefund der Blutanalyse der Laborarztpraxis Osnabrück vom 07. August 2010 ergab Blutwerte von 2,7 ng/ml THC und 55,6 ng/ml THC-​COOH. Ausweislich der vom Polizeikommissariat Bersenbrück wegen einer Straftat nach § 29 BtMG gefertigten Strafanzeige vom 10. August 2010 war der Antragsteller bei der Kontrolle im Besitz von Betäubungsmitteln. Laut Mitteilung des Polizeikommissariats Bersenbrück an das Stadtamt Bremen vom selben Tag soll der Antragsteller bei der Kontrolle angegeben haben, gelegentlich Cannabis zu konsumieren. Gegenüber dem die Blutentnahme durchführenden Arzt hatte der Antragsteller Angaben über die Einnahme von Drogen ebenso verweigert wie eine Kooperation bei der körperlichen Untersuchung.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2010 forderte das Stadtamt Bremen als Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Ausräumung von Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens zu der Frage „Liegt bei Herrn/Frau X Cannabiskonsum vor, der die Fahreignung in Frage stellen kann (Anlage 4 Fahrerlaubnis-​Verordnung - FeV)?“ auf, wobei Untersuchung, Blutentnahme und Urinprobe innerhalb von acht Tagen zu erfolgen hätten. Am 19. November 2010 sprach der Antragsteller beim Stadtamt Bremen persönlich vor und übergab ein Gutachten des TÜV Nord vom 14. November 2010. Danach war die Untersuchung der Blut-​und Urinprobe vom 02. November 2010 negativ auf Betäubungsmittel verlaufen. Unter dem Punkt Drogenanamnese fand sich in dem Gutachten folgende Angabe: „Herr X verweigert Angaben. Das habe ihm sein Rechtsanwalt so gesagt“. In der Zusammenfassung des Gutachtens hieß es: „Bei Herrn X konnte aktueller Cannabiskonsum und auch der Konsum anderer Drogen durch die chemisch-​toxikologische Analyse nicht nachgewiesen werden. Angaben zur Konsumanamnese wurden verweigert. Somit kann die behördliche Fragestellung nicht beantwortet werden. Eine weitere Abklärung könnte durch eine medizinisch-​psychologische Untersuchung erfolgen.“ Laut Aktenvermerk des Mitarbeiters der Fahrerlaubnisbehörde, dem das Gutachten am 19. November 2010 übergeben wurde, gab der Antragsteller bei der persönlichen Vorsprache an, noch nie Drogen konsumiert zu haben; dies habe er auch bei der Begutachtung erklärt. Er habe nach seiner Auffassung alles getan, was man von ihm verlangt habe. Weitere Aufklärungsmaßnahmen werde er nicht mitmachen.

Mit Verfügung vom 22. Dezember 2010, zugestellt am 28. Dezember 2010, entzog das Stadtamt Bremen dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, forderte ihn zur Abgabe des Führerscheins auf und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung führte es aus, das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten beantworte die im Aufforderungsschreiben vom 20. Oktober 2010 gestellte Frage nicht. Grund sei die mangelnde Mitwirkung des Antragstellers bei der Drogenanamnese. Der Antragsteller habe jegliche Angaben zur relevanten Vorgeschichte verweigert. Die Anamnese sei jedoch unverzichtbarer Bestandteil der Untersuchung, da sonst die gestellte Frage nicht beantwortet werden könne. Nach allgemeingültiger Auffassung gehöre die Erhebung der Vorgeschichte durch den untersuchenden Arzt zu jeder Untersuchung. Anderenfalls würde eine Befunderhebung oder Diagnose nicht möglich sein. Genau darauf sei es bei der geforderten Untersuchung angekommen. Die Verweigerung von Angaben zur Vorgeschichte sei damit einer Weigerung zur Untersuchung gleichzustellen. Die sich daraus ergebenden Nachteile gingen zu Lasten des Antragstellers. Dem Antragsteller werde unterstellt, dass er ihm bekannte und seine Eignung ausschließende Mängel verbergen wolle. Die sofortige Vollziehung sei im Interesse der Verkehrssicherheit geboten, da man unterstelle, dass die Eignungsmängel derart gravierend seien, dass sich diese bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auswirken würden. Von einer Anhörung sei wegen der Eilbedürftigkeit der Sache abzusehen. Gegen die Fahrerlaubnisentziehung legte der anwaltlich vertretene Antragsteller am 14. Januar 2011 Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden wurde.

Der Antragsteller hat am 13. Januar 2011 um einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht ersucht. Er trägt vor, vor einer Fahrerlaubnisentziehung müsse die Behörde klären, ob der Kraftfahrer sich der Begutachtung tatsächlich habe entziehen wollen. Insbesondere sei im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes eine weitere Beweiserhebung notwendig, wenn gegen das Gutachten substantiierte Einwendungen vorgebracht würden. Bei seiner persönlichen Vorsprache am 19. November 2010 habe er solche substantiierten Einwendungen vorgebracht. Auf den Vorhalt der Verweigerung der Drogenanamnese habe er dem Behördenmitarbeiter erklärt, dass er die Angaben zur Drogenanamnese nicht verweigert habe, sondern dass er gegenüber der untersuchenden Ärztin deutlich gemacht habe, dass er – außer am 30. Juli 2010 – keinen anderweitigen Drogenkonsum gehabt habe; die Formulierung im Gutachten sei von der Ärztin eingesetzt worden. Diese Umstände hätten zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch die Behörde führen müssen, und zwar in Form eines Ergänzungsgutachtens bzw. einer Nachfrage bei der untersuchenden Ärztin. Tatsächlich sei es so gewesen, dass die Ärztin ihn bei der Untersuchung aufgefordert habe, einen Zettel mit Fragen zum Vorkonsum auszufüllen. Er habe sodann sämtliche Fragen zu einem Vorkonsum mit einem Strich „beantwortet“. Auf Nachfrage habe er der Ärztin mitgeteilt, dass er keine Angaben zu etwas machen könne, was er nicht getan habe bzw. was nicht vorgelegen habe. Es habe kein Konsumverhalten in Bezug auf Drogen, insbesondere Cannabis gegeben. Die Ärztin habe ihn sodann darauf hingewiesen, dass er keine Angaben zu machen brauche, weil er Beschuldigter einer Straftat sei. Auf die Frage der Ärztin, was sie vor diesem Hintergrund in Bezug auf den bisherigen Drogenkonsum in das Gutachten aufnehmen solle, habe er geantwortet, dass er mangels bisherigen Drogenkonsums hierzu keine Angaben machen könne. Nachdem er darauf hingewiesen habe, dass er sich noch durch seinen Rechtsanwalt beraten lassen wolle, habe die Ärztin die Aufnahme der späteren Formulierung in das Gutachten angekündigt.

Der Antragsteller beantragt,
  1. die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Entziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.10.10 wiederherzustellen.

  2. der Antragsgegnerin aufzugeben, den von ihm bei ihr zwischenzeitlich bereits abgelieferten Führerschein unverzüglich wieder auszuhändigen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, zu einer Untersuchung gehöre auch eine Drogenanamnese. Dazu habe der Antragsteller Angaben verweigert. Der Tatbestand der mangelnden Mitwirkung sei erfüllt. Der Antragsteller sei bei der persönlichen Vorsprache darauf hingewiesen worden, dass es seine Aufgabe sei, eventuelle Fehler im Gutachten korrigieren zu lassen, da er Auftraggeber des Gutachtens gewesen sei. Diese Möglichkeit habe er nicht wahrgenommen, was zu seinen Lasten gehe. Offenkundige Unrichtigkeiten seien im Gutachten nicht zu erkennen, so dass keine Veranlassung bestehe, für eine Ergänzung bzw. Korrektur zu sorgen. Der Hinweis des Antragstellers, dass er noch nie Drogen konsumiert habe, sei angesichts des Ergebnisses der Blutuntersuchung vom 30. Juli 2010 nicht nachvollziehbar und somit als Schutzbehauptung zu werten. Zu einer Klärung der Widersprüchlichkeit sei er nicht bereit.


II.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Das Begehren, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung vom 22. Dezember 2010 wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO statthaft. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufgrund der entsprechenden Anordnung in der Verfügung sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Gleiches gilt für die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins in Ziffer 2 der Verfügung. Das Begehren hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. In materieller Hinsicht erweist sich die Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung als eilbedürftig; gegen sie sind auch materiell-​rechtliche Bedenken nicht zu erheben.

II.1. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Die Vorschrift erfordert eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung, worin das besondere öffentliche Interesse an einer ausnahmsweisen sofortigen Vollziehbarkeit besteht und weshalb das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von dem angefochtenen Verwaltungsakt betroffen zu werden, hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse zurücktreten muss. Eine maßgebliche Funktion der Begründungspflicht besteht darin, den Betroffenen über die Gründe, die für die behördliche Entscheidung maßgeblich gewesen sind, zu unterrichten (vgl. Schoch in: Schoch/Schmidt-​Aßmann/Pietzner, VwGO Kommentar, Stand: Sept. 2007, § 80 Rdnr. 176; Schmidt in: Eyermann, VwGO Kommentar, 12. Aufl., 2006, § 80 Rdnr. 42). Der Begründungspflicht ist daher nur dann genügt, wenn die Gründe für das öffentliche Vollzugsinteresse für den Betroffenen hinreichend erkennbar sind. Eine solche, den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechende Begründung für den angeordneten Sofortvollzug enthält die Verfügung vom 22. Dezember 2010. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dem Antragsteller unterstellt, dass seine Eignungsmängel so gravierend seien, dass sie sich jederzeit – auch im Verlauf eines evtl. folgenden Verwaltungsstreitverfahrens – bei seiner Teilnahme am Straßenverkehr auswirken würden, ohne dass er dies verhindern könne bzw. wolle. Schließlich seien die konkreten Eignungsmängel und deren Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit aufgrund der fehlenden Mitwirkung nicht bekannt. Diese Ausführungen weisen einen konkreten Fallbezug auf und unterrichten den Antragsteller hinreichend über die Gründe für den Sofortvollzug.

II.2. In der Sache überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung das private Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung einstweilen bis zu einer Klärung der Rechtmäßigkeit der Verfügung im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen, im Fall des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Voraussetzung für die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ist, dass das Interesse des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt. Das Gericht ist hierbei nicht auf eine Überprüfung der Begründung der handelnden Behörde beschränkt, sondern kann die für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Argumente selbst ermitteln und gegeneinander abwägen (st. Rspr. des OVG Bremen, z. B. Beschl. v. 11.06.1986, Az. 1 B 14/86; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 80 Rdnr. 152ff.). Im Rahmen dieser vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem derzeitigen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; umgekehrt über- wiegt bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht des Widerspruchs das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweisen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsache als offen, erfordert die Entscheidung über die Aussetzung des Vollzugs eine Abwägung des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug mit dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können. Der Rechtsbehelf des Antragstellers verspricht nach derzeitigem Erkenntnisstand keinen Erfolg in der Hauptsache, denn die angefochtene Verfügung vom 22. Dezember 2010 stellt sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig dar. Private Interessen des Antragstellers, denen ein höheres Gewicht als dem öffentlichen Interesse an der baldigen Durchsetzung der Regelung zuzumessen wäre, sind nicht ersichtlich.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 3 Abs. 1, 11 Abs. 2 und 8, 46 Abs. 1 und 3 der Fahrerlaubnis-​Verordnung (FeV). Nach §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. § 11 Abs. 2 FeV regelt allgemein, in welcher Weise Bedenken gegen die Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers nachzugehen ist. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen; Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. An der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt es nach Ziffer 9.2.1 der Anlage 4, wenn von der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auszugehen ist. Gemäß Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV ist bei einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis nicht mehr von der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges auszugehen, wenn eine Trennung von Konsum und Fahren nicht gegeben ist.

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass der Betroffene in der Gutachtensanordnung auf diese Folge hingewiesen wurde, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1999, Az. 3 B 150/99 - NZV 2000, 345 -).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsteller hat sich zwar medizinisch untersuchen lassen und an der Laboruntersuchung mitgewirkt, er hat jedoch die Angaben zur Drogenanamnese und damit einen wesentlichen Teil der Untersuchung verweigert. Die ärztliche Untersuchung soll nach dem Grundsatz der Anlassbezogenheit und Nachvollziehbarkeit neben der medizinischen Untersuchung (Gesamtkörperstatus), der Laboruntersuchung (polytoxisches Drogenscreening nach forensischen Kriterien) und der anlassbezogenen Wertung vorliegender Stellungnahmen (z.B. Entlassungs- oder Therapieberichte im Hinblick auf Erkrankungen sowie deren Verlauf und/oder auf Drogenkonsum) auch eine Anamnese (Vorgeschichte) umfassen. Schwerpunkt hierbei ist die Suchtanamnese mit Konsumdiagnostik, d. h. Angaben zu Erstkonsum, Erstintoxikation, Beginn eines regelmäßigen Konsums, Dauer und Häufigkeit des Konsums, subjektiv erlebte Drogenwirkung/bisher erlebte Entzugssymptomatik, Vernachlässigung früherer Interessen zu Gunsten von Beschaffung/Konsum, bisher erfahrene negative Konsequenzen in familiärer und sozialer Hinsicht, Bewältigungsmechanismen/Ressourcen in der Familie/Bezugsgruppe, gesundheitliche Folgen des Drogenkonsums, aktueller Konsumstatus (Schubert/Schneider/Ei-​senmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Auflage 2005, Kapitel 3.12.1). Das Gutachten muss zwischen Anamnese und gegenwärtigem Befund unterscheiden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, 2009, § 11 FeV Rdnr. 18). Wird die Anamnese vom Betroffenen verweigert, so macht er die verlangte Untersuchung unmöglich. Dieses Unmöglichmachen der verlangten Untersuchung steht einer Weigerung gleich (Hent​schel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rdnr. 22).

Die Beibringungsaufforderung vom 20. Oktober 2010 war formell und materiell rechtmäßig. Die Anordnung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, genügte den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Die Fahrerlaubnisbehörde hat in der Anordnung mitgeteilt, dass die Frage der Kraftfahreignung des Antragstellers zu klären sei, nachdem er am 30. Juli 2010 unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt habe. Zu klären sei, ob Anhaltspunkte für einen gelegentlichen, regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Konsum von Cannabisprodukten vorlägen. Die Anordnung enthält auch die erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen und die Angabe, von welchen Ärzten die Begutachtung durchgeführt wird. Außerdem ist der Antragsteller auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).

Die Gutachtenanordnung war auch materiell rechtmäßig. Sie hatte ihre Grundlage in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV. Danach ist die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens von der Fahrerlaubnisbehörde anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz vorliegt. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Antragsteller hat am 30. Juli 2010 ein Kraftfahrzeug geführt, obwohl er unter dem Einfluss von Cannabis stand. Hinzu kommt, dass der Antragsteller ausweislich der Strafanzeige vom 10. August 2010 bei der Kontrolle auch im Besitz von Betäubungsmitteln war, was im vorliegenden Fall ein zusätzliches Indiz für gelegentlichen Konsum darstellt. Ob der Antragsteller darüber hinaus gegenüber den Polizeibeamten einen gelegentlichen Cannabiskonsum eingeräumt hat, ist angesichts der Drogenfahrt und des Betäubungsmittelbesitzes nicht mehr erheblich. Aufgrund dieser Umstände hatte die Fahrerlaubnisbehörde hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Antragsteller werde Cannabisgebrauch und das Führen eines Kraftfahrzeuges nicht trennen (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 14 FeV, 40. Auflage 2009, Rdnr. 2).

Der Schluss der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers ist aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Ausweislich der Angaben im Gutachten des TÜV Nord vom 14. November 2010 hat der Antragsteller Angaben zur Drogenanamnese verweigert, so dass die Beantwortung der Fragestellung im Schreiben vom 20. Oktober 2010 nicht möglich war. Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt habe weiter aufklären müssen. Die Fahrerlaubnisbehörde ist ihrer Sachaufklärungspflicht im vorliegenden Verfahren hinreichend nachgekommen. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BremVwVfG ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen, d.h. dass die Sachverhaltsermittlung grundsätzlich Aufgabe der Behörde ist. Dies schließt die Hinzuziehung eines Sachverständigen ein, soweit die Behörde selbst nicht über den notwendigen Sachverstand verfügt. Dementsprechend hat die Fahrerlaubnisbehörde hier zur Klärung der Fahreignung des Antragstellers die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens gefordert. Zu einer weiteren Beweiserhebung und Sachaufklärung ist die Fahrerlaubnisbehörde ihrerseits nur verpflichtet, wenn das beigebrachte Gutachten ersichtliche Mängel aufweist oder der Betroffene substantiierte Einwendungen gegen das Gutachten erhebt. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im beigebrachten Gutachten. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für ein „Missverständnis“ zwischen dem Antragsteller und der Gutachterin ersichtlich. Die Ausführungen des Antragstellers zum Zustandekommen der streitgegenständlichen Formulierungen im Gutachten des TÜV Nord vom 14. November 2010 sind unglaubhaft; das Gericht wertet sie als Schutzbehauptung. Die Angaben im Gutachten sind unmissverständlich. Danach hat der Antragsteller sämtliche Angaben zum bisherigen Drogenkonsum verweigert. Dies betrifft ersichtlich auch den am 30. Juli 2010 festgestellten Drogenkonsum. Auch aus dem Vortrag des Antragstellers ergibt sich, dass sich die Verweigerung von Angaben auf den Vorfall vom 30. Juli 2010 erstreckte. Anderenfalls würde der vom Antragsteller in Bezug genommene Hinweis der Ärztin darauf, dass er keine Angaben zu machen brauche, weil er Beschuldigter einer Straftat sei, keinen Sinn machen. Eine Straftat steht vorliegend nur wegen der Drogenfahrt vom 30. Juli 2010 im Raum. Der Antragsteller trägt selber vor, dass er gegenüber der Ärztin erklärt habe, dass er mangels bisherigen Drogenkonsums dazu keine Angaben machen könne. Diese Angaben sind eindeutig; sie nehmen den Drogenkonsum anlässlich der Fahrt vom 30. Juli 2010 nicht aus. Für die Richtigkeit der Angaben im Gutachten spricht zudem, dass der Antragsteller selber vorgetragen hat, gegenüber der Ärztin eingewendet zu haben, dass er sich von seinem Rechtsanwalt beraten lassen wolle. Auch aus der Behördenakte ergibt sich, dass der Antragsteller bei seiner persönlichen Vorsprache am 19. November 2010 angegeben hat, noch nie Drogen konsumiert zu haben und dies auch bei der Begutachtung angegeben zu haben. Der gegenteiligen Behauptung des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren, wonach er gegenüber der Ärztin erklärt haben will, er habe „außer an dem besagten 30.07.2010“ keine Drogen konsumiert, schenkt das Gericht angesichts der Widersprüchlichkeit seines Vortrags im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren keinen Glauben. Angesichts des von der Laborarztpraxis Osnabrück am 07. August 2010 festgestellten Cannabiskonsums sind die Angaben des Antragstellers zum fehlenden Drogenkonsum offensichtlich unrichtig. Die Fahrerlaubnisbehörde ging daher zutreffend davon aus, dass der Antragsteller durch sein Verhalten die verlangte Untersuchung unmöglich gemacht hat. Dies ist nach obigen Ausführungen mit einer Weigerung zur Beibringung des angeforderten Gutachtens gleichzusetzen.

Gegen eine weitere Aufklärungspflicht der Fahrerlaubnisbehörde spricht zudem, dass der Antragsteller bei seiner Vorsprache am 19. November 2010 nach Aktenlage erklärt hat, dass er weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht „mitmachen“ werde. Vor diesem Hintergrund versprachen weitere Aufklärungsmaßnahmen keinen Erfolg, d.h. sie wären ungeeignet gewesen. Im Übrigen war der Antragsteller – nicht die Behörde – Auftraggeber der Begutachtung und hat daher als Vertragspartner die Möglichkeit zur Einwirkung auf den Gutachter. Nur der Auftraggeber hat einen Anspruch auf Aushändigung des Gutachtens und nur mit seiner Zustimmung darf es unmittelbar der Behörde oder Dritten zugeleitet werden, sonst steht die Schweigepflicht nach § 203 StGB entgegen (Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrzeugeignung, 6. Aufl., S. 15; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rdnr. 20). Die Richtigstellung einer „missverständlichen Formulierung“ im Gutachten obliegt damit dem Antragsteller als Auftraggeber. Bemühungen in dieser Richtung hat der Antragsteller ersichtlich nicht unternommen.

Nachdem sie gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung geschlossen hatte, hatte die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG, § 46 Abs. 1 S. 1 FeV zu entziehen.

Gründe dafür, dass abweichend vom Regelfall (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 zur FeV) hier besondere Umstände vorliegen, die die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden vom Antragsteller auch nicht vorgetragen.

II.3. Die Verpflichtung des Antragstellers zur Ablieferung des Führerscheins folgt aus den §§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, 47 Abs. 1 FeV. Die Androhung von Verwaltungszwang beruht auf §§ 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 Nr. 1 und 14 Bremisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (BremVwVG) und ist nach derzeitiger Erkenntnis nicht zu beanstanden.

II.4. Es besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, denn diese dient der Abwehr von Gefahren, die mit einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am öffentlichen Straßenverkehr einhergehen. Angesichts der Weigerung des Antragstellers ist eine Einschätzung des Ausmaßes der von ihm ausgehenden Gefahren nicht möglich. Dies geht zu Lasten des Antragstellers, so dass sein Interesse, einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiter ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Gefahrenabwehr zurücktreten muss.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Neben dem Auffangstreitwert für die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Personenkraftwagen), war die Fahrerlaubnis der Klasse 1a (Leichtkrafträder) mit einem halben Auffangstreitwert zu berücksichtigen.