Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 12.03.2014 - 11 CS 14.176 - Fahrtenbuchauflage bei Ahndung eines punkterelevanten Verkehrsverstoßes

VGH München v. 12.03.2014: Zur Fahrtenbuchauflage bei Ahndung eines punkterelevanten Verkehrsverstoßes


Der VGH München (Beschluss vom 12.03.2014 - 11 CS 14.176) hat entschieden:
Bereits im Fall der erstmaligen Begehung eines Verkehrsverstoßes, der im Fall seiner Ahndung zur Eintragung von wenigstens einem Punkt im Verkehrszentralregistergesetz geführt hätte, ist die Auferlegung eines Fahrtenbuches gerechtfertigt und verhältnismäßig. Nicht nur ein Verkehrsverstoß, der den Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, rechtfertigt eine Fahrtenbuchauflage.


Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage - Fahrtenbuch führen


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen.

Er ist Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... Mit diesem Fahrzeug wurde am 17. Mai 2013 auf der Bundesautobahn A 96 bei einer Geschwindigkeit von 119 km/h der erforderliche Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug erheblich unterschritten; er betrug weniger als 5/10 des halben Tachowerts. Diese Feststellung wurde durch Abstandsmessung mittels Video und durch Frontfoto dokumentiert. Den ihm durch das Polizeiverwaltungsamt zugeleiteten Anhörungsbogen vom 29. Mai 2013 sandte der Antragsteller nicht zurück. Daraufhin ersuchte das Polizeiverwaltungsamt unter dem 19. Juni 2013 die zuständige Polizeiinspektion, den verantwortlichen Fahrzeugführer festzustellen und anzuhören. Unter dem 16. Juli 2013 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingestellt, nachdem er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte und der Fahrzeugführer nicht ermittelt werden konnte.

Mit Bescheid vom 12. September 2013 ordnete die Straßenverkehrsbehörde nach vorheriger Anhörung des Antragstellers für den Zeitraum bis 31. März 2014 in sofort vollziehbarer Weise die Führung eines Fahrtenbuchs an.

Das Verwaltungsgericht München lehnte mit Beschluss vom 18. Dezember 2013 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 12. September 2013 ab. Nach summarischer Prüfung bestünden gegen die Fahrtenbuchanordnung gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zur Rechtfertigung einer Fahrtenbuchauflage müssten Verkehrsvorschriften in nennenswertem Umfang verletzt worden sein. Bereits ein einziger nicht unwesentlicher Verstoß genüge. Grundsätzlich reiche ein lediglich mit einem Punkt bewerteter Verkehrsverstoß, ohne dass es darauf ankäme, ob eine konkrete Gefährdungssituation vorgelegen habe. Nach den Umständen des Einzelfalls sei die Polizei nicht in der Lage gewesen, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Sie habe nicht weitere wahllose und zeitraubende kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen betreiben müssen.

Mit seiner gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde macht der Antragsteller geltend, die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrtenbuchs seien nicht gegeben. Die Ermittlung des Fahrzeugführers sei nicht unmöglich gewesen. Hätten die Polizeibeamten sorgfältig ermittelt, hätten sie feststellen können, dass sich der Name seines volljährigen Sohns neben dem des Antragstellers befinde. Umfeldermittlungen etwa durch Nachfragen in der Nachbarschaft seien nicht durchgeführt worden. Das wäre zumutbar und naheliegend gewesen. Der Ermittlungsbericht sei insoweit unvollständig und könne nicht als Grundlage für eine Ermessensentscheidung herangezogen werden. Auch wären Ermittlungen zu Verwandten in der Heimatstadt K... zu fordern gewesen. Die ergebnislose Recherche in der internen Polizeivorgangsverwaltung sei nicht ausreichend. Die Berufung des Antragstellers auf sein Aussageverweigerungsrecht stehe einem Mindestmaß an Ermittlungen nicht entgegen. Letztlich werde mit der Anordnung des Fahrtenbuchs die Berufung des Antragstellers auf sein Aussageverweigerungsrecht sanktioniert. Materiell rechtlich sei die Fahrtenbuchanordnung unverhältnismäßig. Der Verkehrsverstoß sei nicht erheblich gewesen und lasse keinen Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Antragstellers und eine davon ausgehende Gefährdung des Straßenverkehres zu. Die Begründung, dass mit der Fahrtenbuchauflage künftige unaufklärbare Verstöße verhindert werden sollten, reiche nicht aus.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.


II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist unmöglich und die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO zulässig, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80; B.v. 21.10.1987 – 7 B 162/87 – Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 12 und Nr. 18; B.v. 23.12.1996 – 11 B 84/96).

Die Ermittlungsmaßnahmen der zuständigen Polizeiinspektion waren hier angemessen, denn die Behörde hat in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen ergriffen, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können (BVerwG, B.v. 21.10.1987, a.a.O.). Lehnt der Fahrzeughalter, wie hier der Antragsteller, unter ausdrücklichem Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht die Mitwirkung an der weiteren Aufklärung ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, aber kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer zu betreiben (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.1994 – 11 B 130.93 – VRS 88, 158 ff.; B.v. 9.12.1993 – 11 B 113/93; B.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310 ff.). Es kann dahinstehen, ob, wie vom Antragsteller nun behauptet, Hinweise darauf vorhanden gewesen wären, dass sein Sohn bei ihm lebt, denn aus dem bei der Behördenakte befindlichen Foto von der Videomessung ist ersichtlich, dass es sich bei der fahrenden Person mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht um einen jungen Mann handelt. Warum sonst die Feststellung seines Sohnes als möglichem Mitnutzer des Kraftfahrzeugs zur Ahndung des Verkehrsverstoßes hätte beitragen können, legt der Antragsteller nicht dar. Die Feststellung, dass der Antragsteller ledig ist und kein weiterer Name auf dem Briefkasten und dem Klingelbrett seiner Wohnung steht, sowie die ergebnislos gebliebene Recherche in der internen Polizeivorgangsverwaltung waren nach den Umständen des Einzelfalls ausreichend. Insbesondere musste die Polizei nicht ins Blaue hinein nach Verwandten des laut Behördenakte in M... geborenen und in M... wohnhaften Antragstellers in K... forschen, zumal nicht davon ausgegangen werden konnte, dass sich die befragten Familienmitglieder selbst oder gegenseitig belasten würden.

2. Bereits im Fall der erstmaligen Begehung eines Verkehrsverstoßes, der – wie hier – im Fall seiner Ahndung zur Eintragung von wenigstens einem Punkt im Verkehrszentralregistergesetz geführt hätte, ist die Auferlegung eines Fahrtenbuches gerechtfertigt und verhältnismäßig, weil es sich um einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht i.S.d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO handelt. Nicht erforderlich ist, dass es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.5.1995 – 11 C 12/94 – BVerwGE 98, 227/229; B.v. 9.9.1999 – 3 B 94/99 – BayVBl 2000, 380). Ferner ist es nicht erforderlich, dass eine Wiederholungsgefahr besteht (BVerwG, B.v. 23.6.1989 – 7 B 90/89 – NJW 1989, 2704), so dass auch die bloße Androhung einer Fahrtenbuchauflage für den Fall einer erneuten Zuwiderhandlung, bei der der verantwortliche Fahrzeugführer nicht festgestellt werden kann, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kein milderes, ebenfalls in Betracht kommendes Mittel wäre (zuletzt BayVGH, B.v. 8.11.2013 – 11 CS 13.1950).

Soweit der Antragsteller vorträgt, ein Verkehrsverstoß, der nicht auch den Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulasse, rechtfertige keine Fahrtenbuchauflage, kann auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. In seiner Entscheidung vom 17. Mai 1995 (11 C 12.94 – BVerwGE 98, 227) stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt ist, wenn nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt wird, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt. Es kann dahinstehen, ob darin das Erfordernis der Unzuverlässigkeit als zusätzlicher Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit von Fahrtenbuchauflagen zum Ausdruck kommt. Denn der hier in mitten stehende Verkehrsverstoß zeigt jedenfalls, dass der Fahrzeugführer oder die Fahrzeugführerin am Steuer des Kfz, dessen Halter der Antragsteller ist, bereit ist, eine erhebliche Straßenverkehrsgefährdung in Kauf zu nehmen, um selbst schneller voran zu kommen. Darin drückt sich eine auf die Straßenverkehrsteilnahme bezogene charakterliche Unzuverlässigkeit aus, zumal die Unterschreitung des erforderlichen Abstands bei hoher Geschwindigkeit latent ein großes Risiko birgt. Ergibt sich aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses die Notwendigkeit, zu bremsen, wird ein Unfall unvermeidbar.

Derjenige Fahrzeughalter, der unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer solchen Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, darf durch das Führen eines Fahrtenbuches zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden (BVerwG vom 23.6.1989 – 7 B 90.89 – NJW 1989, 2704).

3. Der Halter eines Kraftfahrzeugs kann auch nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Ein doppeltes "Recht", nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches "Recht" widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch der Antragsteller für sich gegenüber anderen in Anspruch nimmt (vgl. BVerfG, B.v. 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81 – NJW 1982, 568; BVerwG, B.v. 22.6.1995 – 11 B 7/95 – BayVBl 1996, 156; B.v. 11.8.1999 – 3 B 96/99 – BayVBl 2000, 380; BayVGH, B.v. 10.4.2006 – 11 CS 05.1980; v. 2.8.2007 – 11 ZB 06.1759; B.v. 20.3.2008 – 11 ZB 08.432; B.v. 22.4.2008 – 11 ZB 07.3419; B.v. 12.6.2008 – 11 CS 08.587; B.v. 30.9.2008 – 11 CS 08.1953; B.v. 7.11.2008 – 11 CS 08.2650; B.v. 28.3.2011 – 11 CS 11.360; B.v. 1.2.2012 – 11 CS 11.2640; B.v. 24.6.2013 – 11 CS 13.1079).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.11 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php)



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