Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Beschluss vom 26.07.2000 - 322 Ss 101/00 (OWi) - Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Bundesstraße für einen Ortsunkundigen

OLG Celle v. 26.07.2000: Zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Bundesstraße für einen Ortsunkundigen


Das OLG Celle (Beschluss vom 26.07.2000 - 322 Ss 101/00 (OWi)) hat entschieden:
Geschwindigkeitsbegrenzende Verkehrszeichen gelten jedenfalls für einen Ortsunkundigen nur für die Fahrtrichtung, in der sie aufgestellt und für den Betroffenen sichtbar sind. Auf einer Bundesstraße muss ein Ortsunkundiger auch nicht aufgrund der Besonderheiten der Örtlichkeit, hier: Wohnhaus und Einmündung zweier untergeordneter Straßen, darauf schließen, dass dort die Geschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt ist.


Siehe auch Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsverstöße und Streckenverbote


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 110 DM verurteilt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 21. Oktober 1999 gegen 17.18 Uhr mit einem Pkw die B 214 in der Gemarkung B... mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 100 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war im Messbereich durch das Zeichen 274 auf 70 km/h beschränkt. Der nicht ortskundige Betroffene hatte zunächst die B 214 aus Richtung S... in Richtung N... befahren und dabei sowohl vor der Ortschaft B... in der Ortschaft selbst und bei deren Verlassen jeweils deutlich sichtbar aufgestellte Schilderpaare mit dem Verkehrszeichen 274 passiert und wahrgenommen, durch die die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt wurde. Der Betroffene erkannte sodann, dass er sich verfahren hatte, und hielt rechts in der Einfahrt eines landwirtschaftlichen Anwesens, um die Straßenkarte zu studieren. Ca. 75 Meter weiter in Fahrtrichtung N... waren erneut am Fahrbahnrand deutlich sichtbare Verkehrszeichen 274 aufgestellt, durch die auch für den weiteren Straßenverlauf die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt wurde. Der Betroffene wendete jedoch sein Fahrzeug und setzte die Fahrt nunmehr in Fahrtrichtung S... fort. Ca. 100 Meter vor Erreichen eines unmittelbar vor der Ortschaft B... aufgestellten Verkehrszeichens 274, durch das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt wurde, wurde die Geschwindigkeit des vom Betroffenen gefahrenen Pkw gemessen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war bereits in diesem Bereich auf 70 km/h beschränkt. Entsprechende Verkehrsschilder waren aus Fahrtrichtung N... gesehen insgesamt viermal teils einseitig, teils beidseitig über eine Strecke von 2500 Metern aufgestellt, zuletzt unmittelbar vor dem Wendepunkt des Betroffenen im Bereich der Hofeinfahrt. Zum Zeitpunkt der Messung hatte der Betroffene nach dem Wenden noch kein Verkehrszeichen 274 passiert.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen gleichwohl einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung schuldig gesprochen. Nach Auffassung des Amtsgerichts hätte der Betroffene bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nach seinem Wendemanöver erkennen können, dass er bei Fortsetzung der Fahrt in Richtung S... weiterhin einen Bereich der B 214 befuhr, in dem auch für diese Fahrtrichtung die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h galt. Dies ergebe sich aus der geschilderten Örtlichkeit und der Besonderheit, dass der Betroffene durch die im Bereich des Wendepunkts aufgestellten Verkehrszeichen 274 auf eine Fortgeltung der Geschwindigkeitsbeschränkung hingewiesen wurde. Er hätte auch bedenken müssen, dass zumindest in der Praxis Geschwindigkeitsbeschränkungen in aller Regel für beide Fahrtrichtungen eines bestimmten Streckenabschnitts gelten, auch wenn dies gesetzlich nicht zwingend geboten sei. Dies gelte auch dann, wenn keine beidseitige Bebauung vorhanden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner durch Beschluss vom 20. Juli 2000 zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.


II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Urteils und zur Freisprechung des Betroffenen.

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung nicht. Sie vermögen einen Fahrlässigkeitsvorwurf gegen den Betroffenen nicht zu begründen.

Der Betroffene hatte zum Zeitpunkt der Messung kein in Fahrtrichtung S... aufgestelltes Verkehrszeichen 274 passiert. Die drei anderen Schilderpaare, die für den Verkehr aus Richtung S... in Richtung N... die Geschwindigkeit auf 70 km/h begrenzten und die der Betroffene auf der Hinfahrt passiert hatte, entfalteten das Gebot der Geschwindigkeitsbeschränkung nur in der Fahrtrichtung, in der sie aufgestellt und für den Betroffenen sichtbar waren (vgl. OLG Celle NJW 1962, 408; OLG Oldenburg Nds. Rpfl. 1995, 135; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. StVO § 39 Rdn. 32). Sie galten nicht für die nach dem Wenden eingeschlagene Gegenrichtung.

Als Ortsunkundiger musste der Betroffene auch nicht wissen, dass auch in Richtung S... in dem gesamten Bereich die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch mehrfach aufgestellte Verkehrszeichen 274 auf 70 km/h begrenzt war. Aus der im Urteil geschilderten Örtlichkeit - ein links der B 214 gelegenes Wohnhaus und Einmündungsbereiche zweier untergeordneter Straßen links und rechts - brauchte der Betroffene nicht auf eine Geschwindigkeitsbeschränkung zu schließen. Ein solcher Schluss hätte nur nahe gelegen, wenn es sich bei dem Haus oder den Einmündungen um sichtbare Gefahrenquellen gehandelt hätte. Dafür enthalten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte.

Schließlich musste der Betroffene auch nicht aufgrund des Umstandes, dass in Fahrtrichtung N... eine Geschwindigkeitsbeschränkung bestand, davon ausgehen, dass eine solche auch für die Gegenrichtung angeordnet sein würde. Zwar mag in der Praxis häufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Richtungen eines Streckenabschnitts gelten; wobei sich die Streckenabschnitte mit beschränkter Geschwindigkeit für die gegenläufigen Fahrtrichtungen keineswegs decken müssen. Nach Abschnitt II der Verwaltungsvorschriften zu den Zeichen 274, 276 und 277 ist eine solche Beschränkung aber für nur eine Fahrtrichtung durchaus zulässig. Von dieser Möglichkeit machen die Verwaltungsbehörden auch Gebrauch. Umstände, die eine Geltung der Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Fahrtrichtung hier auch für einen Ortsunkundigen nahegelegt hätten, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

Die Aufhebung des angefochtenen Urteils zwingt nicht zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Weitere Feststellungen sind nicht zu erwarten. Die danach vom Senat vorzunehmende Prüfung ergibt, dass der Betroffene vom Vorwurf der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung freizusprechen ist.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.