Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Jena Beschluss vom 27.08.2013 - 1 Ss Rs 26/13 - Rückschluss von einer „typischen Handbewegung“ auf die Benutzung eines Mobiltelefons

OLG Jena v. 27.08.2013: Kein Rückschluss von einer „typischen Handbewegung“ auf die Benutzung eines Mobiltelefons


Das OLG Jena (Beschluss vom 27.08.2013 - 1 Ss Rs 26/13) hat entschieden:
Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann allein der Umstand, dass der Betroffene eine "typische Handbewegung" vorgenommen hat, die Schlussfolgerung, er habe ein Mobiltelefon an sein Ohr gehalten, nicht lückenlos und folgerichtig begründet werden.


Siehe auch Funktelefon - Handy-Benutzung - Gebrauch des Mobiltelefons


Gründe:

I.

Durch Bußgeldbescheid der Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle Artern – vom 02.12.2011 wurde gegen den Betroffenen wegen des Vorwurfs, er habe als Fahrer des LKW mit dem amtlichen Kennzeichen … am 17.11.2011 um 15:31 Uhr in Erfurt, An der Lache verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt, indem er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefon aufnahm oder hielt, eine Geldbuße in Höhe von 40,00 € verhängt.

In der auf seinen Einspruch vor dem Amtsgericht Erfurt durchgeführten Hauptverhandlung am 01.10.2012 wurde der Betroffene entsprechend dem Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 40,00 € verurteilt. Zur Beweiswürdigung ist in den Gründen des Urteils ausgeführt:
"Der Betroffene hat sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen.

Aufgrund der uneidlichen Aussagen von Polizeiobermeister S in der Hauptverhandlung ist das Gericht jedoch sicher davon überzeugt, dass der Betroffene so wie festgestellt ein Mobiltelefon benutzte, als er sein Transportfahrzeug führte.

Polizeikommissar S hat anschaulich und aus offensichtlich erkennbar präsentem Wissen geschildert wie er beobachtet hat, dass der Betroffene beim Führen seines Transportfahrzeuges ein Mobiltelefon benutzte. Er – Polizeikommissar S – sowie sein Kollege Polizeihauptmeister L hatten an der – aus Fahrtrichtung des Betroffenen gesehen – Linkskurve der Straße "An der Lache" eine Kontrollstelle zur allgemeinen Verkehrskontrolle sowie zur Kontrolle der Einhaltung der Gurtpflicht und eventueller Benutzung von Mobiltelefonen durch Kraftfahrzeugführer eingerichtet.

Der Zeuge Polizeikommissar S konnte sich auch genau daran erinnern, weshalb er sich zur Verkehrskontrolle des Betroffenen und seines PKW´s entschlossen hatte. Er hatte nämlich beobachtet, wie der Betroffene die für die Nutzung eines Mobiltelefons typische Handbewegung zu seinem Ohr hin machte und auch gesehen, wie der Betroffene die Hand wieder vom Ohr und in Richtung Mittelkonsole/Armaturenbrett bewegt hat. Offensichtlich hatte der Betroffene in diesem Moment die uniformierten Polizeibeamten wahrgenommen und wollte durch das Weglegen des Mobiltelefons dessen vorangegangene Nutzung vertuschen."
Gegen dieses Urteil beantragte der Betroffene am 02.10.2012 die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Nach Zustellung einer Ausfertigung des mit Gründen versehenen Urteils an seinen Verteidiger am 16.10.2012 begründete er die Zulassungsrechtsbeschwerde mit Schriftsatz seines Verteidigers am 16.11.2012 mit der Verletzung materiellen Rechts, wobei er insbesondere die vom Tatrichter vorgenommene Beweiswürdigung beanstandete.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 08.03.2013 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 23.08.2013 hat die zuständige Einzelrichterin des Bußgeldsenats die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache aus diesem Grunde sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Die Zulassung ist zur Klärung der Mindestanforderungen an die der Feststellung der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO zugrunde liegende tatrichterliche Beweiswürdigung erfolgt.


II.

1. Die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG.

a) Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben. Denn die im Urteil enthaltene Beweiswürdigung vermag die tatrichterliche Feststellung, der Betroffene habe ein Mobiltelefon i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO "benutzt", d.h. mit seinen Händen aufgenommen oder gehalten, nicht rechtsfehlerfrei zu tragen.

Ausweislich der Urteilsgründe hat der Tatrichter seine Überzeugung, der Betroffene habe mit seiner Hand ein Mobiltelefon an sein Ohr gehalten, auf die Angaben des Zeugen S gestützt. Dieser aber hat – wie sich aus den Urteilsausführungen eindeutig ergibt – gerade kein Mobiltelefon in den Händen des Betroffenen gesehen, sondern vielmehr nur eine "für die Nutzung eines Mobiltelefons typische Handbewegung zu seinem Ohr hin" wahrgenommen. Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann indes allein der Umstand, dass der Betroffene eine solche "typische Handbewegung" vorgenommen hat, die Schlussfolgerung, er habe ein Mobiltelefon an sein Ohr gehalten, nicht lückenlos und folgerichtig begründen, zumal eine Vielzahl von Gründen dafür denkbar ist, dass der Betroffene seine Hand (auch ohne ein Mobiltelefon) an sein Ohr geführt haben könnte. Ein solches weiteres belastendes Indiz könnte beispielsweise ein in Reichweite des Betroffenen auf dem Beifahrersitz oder der Ablage liegendes Mobiltelefon sein. Ob der Betroffene überhaupt ein Mobiltelefon in seinem PKW mitgeführt hat bzw. die als Zeugen vernommenen Polizeibeamten nach dem Anhalten des Betroffenen ein solches in seinem PKW wahrgenommen haben, ist dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen.

b) Der Senat hält die Ahndung des der Betroffenen zur Last gelegten Verkehrsverstoßes für nicht geboten, da nach der Aufhebung des angefochtenen Urteils auf die zugelassene Rechtsbeschwerde eine Zurückverweisung der Sache zu einer erneuten umfangreichen Beweisaufnahme – auch zum Vorhandensein eines Mobiltelefons im PKW des Betroffenen – führen würde, die im Hinblick auf die Bedeutung der Sache unangemessen wäre (vgl. Göhler-​Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 47 Rn. 41 m.w.N.). Die in jeder Lage des Verfahrens und damit auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz mögliche Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG bedarf im vorliegenden Fall nach §§ 47 Abs. 2 Satz 2, 75 Abs. 2 OWiG keiner Zustimmung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 und 4 StPO. Nach den vorstehenden Ausführungen besteht kein Anlass, die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen.