Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 07.01.2014 - 3 Ws (B) 651/13 - 162 Ss 136/13 - Geschwindigkeitsverstoß - Geldbuße und Regelfahrverbot

KG Berlin v. 07.01.2014: Geschwindigkeitsverstoß - Geldbuße und Regelfahrverbot


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 07.01.2014 - 3 Ws (B) 651/13 - 162 Ss 136/13) hat entschieden:
  1. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren kann das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Nr. 2 OWiG einen Beweisantrag ablehnen, wenn eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, es den Sachverhalt für geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nach seinem pflichtgemäßen Ermessen nicht erforderlich ist.

  2. Bei dem Messverfahren ProViDa handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren zur Messung der Geschwindigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sodass die Mitteilung des Messverfahrens und des in Abzug gebrachten Toleranzwerts im Urteil grundsätzlich ausreicht.

  3. Verhängt das Gericht eine Geldbuße von 500 € statt der vom Bußgeldkatalog vorgesehenen 250 € und ist der Betroffene zudem arbeitslos, so muss es im Urteil Feststellungen zu den persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen treffen.

Siehe auch Der Beweisantrag im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren und Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen im Bußgeldverfahren


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen wegen einer vorsätzlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h) eine Geldbuße von 500,00 Euro festgesetzt und ihm für die Dauer eines Monats verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird, hat teilweise (vorläufigen) Erfolg.

1. Die nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet im Sinne von §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO, soweit sie Verfahrensfehler rügt.

Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Nr. 2 OWiG einen Beweisantrag ablehnen kann, wenn eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, es den Sachverhalt für geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nach seinem pflichtgemäßen Ermessen nicht erforderlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2009 - 3 Ws (B) 533/09 -; Seitz in: Göhler, OWiG 16. Auflage, § 73 Rn. 11 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Tatrichter hat sich im Urteil mit dem Beweisantrag auseinandergesetzt, die bereits erhobenen Beweise gewürdigt und ist insbesondere aufgrund der für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen PK S… zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass keine konkreten Anhaltspunkte für eine nicht-​anlassbezogene Geschwindigkeitsmessung vorlagen. Soweit die Rechtsbeschwerde aus dem Umstand, dass die Videoaufzeichnung unmittelbar vor der Messsequenz eine Aufnahme der Heckkamera des Messfahrzeugs zeigt, eine nicht anlassbezogene Messung herleiten will, hat das Amtsgericht diese Behauptung nachvollziehbar widerlegt. So hat das Gericht im Urteil überzeugend ausgeführt, dass der Zeuge PK S… glaubhaft dargelegt habe, dass die Heckkamera wegen einer vorangegangenen Messung noch eingeschaltet gewesen sei. Weder die Ausführungen in der Revisionsbegründung noch in der Gegenklärung decken Tatsachen oder Umstände auf, die das Gericht dazu hätten veranlassen müssen, den beantragten Beweis zu erheben. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass auf dem ersten sichtbaren Bild der vorliegenden Videoaufzeichnung (Einstellung Heckkamera, Uhrzeit 16:44:04 Uhr) kein Fahrzeug zu identifizieren ist. Demzufolge fehlt es ersichtlich an konkreten Anhaltspunkten für die unter Beweis gestellte Behauptung.

Soweit die Revision beanstandet, das Amtsgericht habe nicht ausreichend festgestellt, dass der Zeuge PK S… über die erforderliche Ausbildung zum hier verwendeten Messverfahren verfügt, dringt sie mit ihrem Vorbringen ebenfalls nicht durch. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Urteil hinreichend deutlich zu entnehmen ist, dass sich der Tatrichter aufgrund der Aussage des Zeugen PK S… davon überzeugt hat, dass dieser eine entsprechende Ausbildung absolviert hat. Dass ein Ausbildungsnachweis zur Akte gereicht wurde, führt nicht zwingend zu dem in der Gegenerklärung gezogenen Schluss, dass der Zeuge nur diese eine Ausbildung absolviert hat. 2. Auf die Sachrüge war der Schuldspruch hingegen zu berichtigen.

Entgegen der Annahme des Amtsgerichts ist hier § 42 Abs. 1 StVO und nicht § 42 Abs. 2 StVO einschlägig. Im Übrigen war der Tenor hinsichtlich der konkret begangenen Ordnungswidrigkeit und der weiteren anzuwendenden Vorschriften zu ergänzen.

Soweit der Tatrichter von einer tatsächlichen Geschwindigkeit von 123 km/h und demzufolge von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h ausgegangen ist, ist dies unzutreffend. Sowohl bei dem vom Amtsgericht angenommenen Toleranzabzug von 6,72 km/h als auch bei einem Toleranzabzug von 5% (6,4 km/h), der bei Geschwindigkeitsmesswerten oberhalb von 100 km/h im Regelfall erforderlich und ausreichend ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. Mai 2008 - 3 Ws (B) 123/08 - nach juris Rn. 3; 17. Mai 2000 - 3 Ws (B) 189/00 - nach juris Rn. 8; 9. November 1998 - 3 Ws (B) 543/98 - nach juris Rn. 7 und 11. Mai 1998 - 3 Ws (B) 209/98 - nach juris Rn. 5), ergibt sich bei einem Messergebnis von 128 km/h eine tatsächliche Geschwindigkeit von abgerundet 121 km/h. Der Grenzwert der überhöhten Geschwindigkeit von 41 km/h (vgl. Bußgeldkatalog, Anhang zu Nr. 11 der Anlagen, Tabelle 1 c laufende Nummer 11.3.7) ist gleichwohl überschritten.

Im Übrigen deckt die Revision hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler auf. Bei ProViDa handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren zur Messung der Geschwindigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 29, 291), sodass die Mitteilung des Messverfahrens und des in Abzug gebrachten Toleranzwerts im Urteil grundsätzlich ausreicht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2008 a.a.O. Rn. 2; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 42. Auflage, § 3 StVO Rn. 62 a m.w.N.).

2. Der Rechtsfolgenausspruch kann keinen Bestand haben.

Das Amtsgericht hat eine Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro verhängt, die damit erheblich über der nunmehr bei 250,00 Euro anzusetzenden Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG liegt (vgl. Gürtler in: Göhler a.a.O., § 17 Rn. 24), sodass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats genauere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen als Bemessungskriterium für die Höhe der Geldbuße zu treffen sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Dezember 2013 - 3 Ws (B) 637/13 -, 16. September 2013 - 3 Ws (B) 429/13 -, 4. Juli 2013 - 3 Ws (B) 291/13 -,14. Februar 2013 - 3 Ws (B) 41/13 -, 17. Februar 2012 - 3 Ws (B) 52/12 -, 15. Juni 2011 - 3 Ws (B) 226/11 -; VRS 124, 338 [339]). Zwar kann auch in solchen Fällen von einer näheren Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse abgesehen werden, wenn sie erkennbar nicht vom Durchschnitt abweichen und der Tatrichter eine Geldbuße festsetzt, die dem Bußgeldkatalog entspricht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. September 2013 a.a.O., 4. September 2012 - 3 Ws (B) 396/12 -, 20. Februar 2012 - 3 Ws (B) 75/12 - und 15. Juni 2011 a.a.O -; Gürtler a.a.O.) Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Der Tatrichter hat die Regelbuße, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit der Tabelle 1 Buchstabe c Nr. 11.3.7 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV 200,00 Euro beträgt, um das Zweieinhalbfache erhöht. Darüber hinaus ist dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, dass der Betroffene Arbeitslosengeld II bezieht. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind somit gerade nicht durchschnittlich (vgl. OLG Dresden DAR 2006, 222 f. m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hätte es insbesondere konkreterer Feststellungen zu etwaigen Unterhaltsverpflichtungen des Betroffenen und den Einkommensverhältnissen seiner Ehefrau (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2013 a.a.O.) sowie zu Schulden und Vermögen bedurft (vgl. OLG Dresden a.a.O). Fehlen derartige Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, so sind die Erwägungen zur Bemessung der Rechtsfolge materiell-​rechtlich unvollständig und unterliegen daher der Aufhebung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. September 2013 und 17. Februar 2012 jeweils a.a.O.). Solche Feststellungen sind auch deshalb veranlasst, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter rechtsfehlerfrei von Erörterungen nach § 18 OWiG abgesehen hat (Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2013 a.a.O; VRS a.a.O.; Gürtler, a.a.O., § 18 Rn. 2).

Aufgrund der bestehenden Wechselwirkung zwischen der Höhe der Geldbuße und dem Fahrverbot unterliegt auch Letzteres der Aufhebung (vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2013 a.a.O.).

Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurück, § 79 Abs. 6 OWiG.