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Bundesarbeitsgericht Urteil vom 07.12.1988 - 5 AZR 757/87 - Forderungsübergang von Lohnfortzahlungsansprüchen

BAG v. 07.12.1988: Zum Forderungsübergang von Lohnfortzahlungsansprüchen


Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 07.12.1988 - 5 AZR 757/87) hat entschieden:
Wird ein Arbeiter durch Verschulden eines Dritten arbeitsunfähig krank und schließt er mit der Haftpflichtversicherung des Dritten einen Abfindungsvergleich, der sämtliche aus dem Schadensfall herrührenden Ansprüche betrifft, so muss er sich dieses Rechtsgeschäft gegenüber seinem Arbeitgeber jedenfalls dann zurechnen lassen ("vertreten" iS von § 5 Satz 2 LFZG), wenn er bei Abschluss des Vergleichs damit rechnen muss, dass sich noch Folgen aus dem Schadensfall in Gestalt weiterer Erkrankungen einstellen werden, die einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber entstehen lassen.


Siehe auch Forderungsübergang im Schadensfall und Arbeitsrecht und Verkehrsrecht


Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Lohnzahlung. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, gegen die Lohnforderungen des Klägers mit Gegenforderungen aufzurechnen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 11. Februar 1980 als Arbeiter beschäftigt. Er wurde am 25. Juni 1984 auf einer Straßenbaustelle der Beklagten von einem Personenkraftwagen angefahren und verletzt. Wegen dieses unverschuldeten Unfalls musste der Kläger vom 25. Juni bis zum 5. August 1984 stationär behandelt werden. Die Beklagte gewährte ihm Lohnfortzahlung in Höhe von 5.132,20 DM. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers, die VdK Versicherung der Kraftfahrt AG (im folgenden kurz: VdK), erstattete der Beklagten diesen Betrag gemäß § 4 Abs. 1 LFZG, indem sie das Geld den von der Beklagten beauftragten Rechtsanwälten K und Kö überwies. Rechtsanwalt K unterrichtete die Beklagte hierüber mit Schreiben vom 28. November 1984 und rechnete anschließend mit ihr ab.

Der Kläger beauftragte auch seinerseits die Rechtsanwälte K und Kö mit der Durchsetzung seiner Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung. In einem Schreiben vom 11. Januar 1985 wies Rechtsanwalt K die VdK darauf hin, der Kläger müsse erneut das Krankenhaus aufsuchen, um die unmittelbar nach dem Verkehrsunfall eingesetzten Metallteile aus Knie und Schienbein entfernen zu lassen. Der weitere Krankenhausaufenthalt des Klägers dauerte vom 15. Juli bis zum 23. August 1985.

Mit Schreiben vom 17. Juli 1985 übersandte Rechtsanwalt K dem Kläger einen ihm von der VdK zugeleiteten Vordruck einer Abfindungserklärung mit der Bitte um Vervollständigung, Unterzeichnung und Rücksendung. In dieser Abfindungserklärung heißt es unter anderem wie folgt:
"Nach Zahlung einer Entschädigung von DM 15.000,00 - in Worten DM fünfzehntausend - wovon ein Gesamtvorschuss von DM 8.000,00 abzuziehen ist, sollen alle Ansprüche, die von mir/uns oder meinem/unserem Rechtsnachfolger aus Anlass des obigen Schadens gegen den Versicherer, den Versicherungsnehmer und die mitversicherten Personen, sowie deren Rechtsnachfolger etwa geltend gemacht werden könnten, für jetzt und alle Zukunft endgültig und vollständig abgefunden sein. Mir/uns ist bekannt, dass durch diese Regelung alle Schäden aus dem oben angeführten Ereignis auch soweit sie nicht voraussehbar sind, abgegolten sein sollen. Ich/wir erklären, dass ich/wir aus Anlass des erwähnten Schadens von keiner anderen Seite (z. B. einem Sozialversicherer, Privatversicherer, Arbeitgeber, Sozialamt oder sonstigen Dritten) eine Leistung oder Entschädigung erhalten oder beansprucht und den Schaden auch nicht anderweitig angemeldet habe/n, ..."
Der Kläger unterschrieb die Abfindungserklärung am 20. Juli 1985 im Krankenhaus. Für die Zeit seines Krankenhausaufenthaltes gewährte die Beklagte dem Kläger, und zwar erstmals zum 31. Juli 1985, 4.400,08 DM brutto an Lohnfortzahlung; weiter führte sie als Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung 787,61 DM an die Einzugsstelle ab. Im Auftrage der Beklagten verlangte Rechtsanwalt K unter dem 9. September 1985 von der VdK wiederum Erstattung. Die VdK lehnte mit Schreiben vom 16. September 1985 unter Hinweis auf die vom Kläger unterzeichnete Abfindungserklärung ab.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 1986 erklärte die Beklagte gegen die Lohnansprüche des Klägers die Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch, den sie damit begründete, der Kläger habe im Jahre 1985 wegen der Abfindungsvereinbarung vom 20. Juli 1985 zu Unrecht Lohnfortzahlung erhalten. Die Beklagte behielt ab November 1986 einen Teil des Nettolohnes des Klägers ein: im November 460,00 DM, im Dezember 250,00 DM, im Januar 1987 100,00 DM und im Februar 1987 200,00 DM. Der Kläger hält das Vorgehen der Beklagten für ungerechtfertigt und verlangt Auszahlung der einbehaltenen Beträge.

Demgemäß hat er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.010,00 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht: Der Kläger habe für die Zeit vom 15. Juli bis zum 23. August 1985 den Lohn fortgezahlt erhalten, obwohl seinem Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Satz 1 Nr. 2 LFZG entgegengestanden habe. Da die Abfindungserklärung auch den Verdienstausfall für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Juli und August 1985 umfasst habe, habe der Kläger durch seine Unterschrift den in § 4 Abs. 1 LFZG vorgesehenen Übergang von Ersatzansprüchen gegen den Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherung auf sie, die Beklagte, schuldhaft verhindert. Er müsse daher den zu Unrecht erhaltenen Betrag gemäß §§ 812, 813 BGB zurückzahlen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.


Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht für die Monate November 1986 bis Februar 1987 ein Anspruch auf Restlohn in Höhe von 1.010,00 DM netto nicht mehr zu, weil die Beklagte mit Gegenansprüchen aus rechtsgrundloser Bereicherung wirksam aufgerechnet hat.

I.

1. Der Arbeiter behält bei Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG). Das gilt auch, wenn ein Dritter die Krankheit des Arbeiters verschuldet hat. Kann der Arbeiter aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadenersatz wegen des Verdienstausfalles beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeiter nach dem Lohnfortzahlungsgesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt hat (§ 4 Abs. 1 LFZG). Nach § 4 Abs. 2 LFZG ist der Arbeiter verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruches erforderlichen Angaben zu machen. Kommt er dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, hat der Arbeitgeber ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht (§ 5 Satz 1 Nr. 1 LFZG). Verhindert der Arbeiter in von ihm zu vertretender Weise den Übergang eines Schadenersatzanspruchs gegen einen Dritten auf den Arbeitgeber, hat der Arbeitgeber ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht (§ 5 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 LFZG). Dies kann gleichbedeutend mit Anspruchsverlust sein (vgl. Feichtinger, Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, AR-​Blattei, Krankheit III, F I 3 b; Marienhagen, Lohnfortzahlungsgesetz, Stand September 1988, § 5 Rz 8).

2. Der Arbeiter kann den Übergang des Schadenersatzanspruchs auf den Arbeitgeber dadurch verhindern (d. h. unmöglich machen, unterbinden, vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984, 6. Band, S. 502), dass er mit dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung einen Abfindungsvergleich (§ 779 BGB) schließt, auf seine Forderung gegenüber dem Schädiger verzichtet (§ 397 BGB) oder seine Forderung gegen den Schädiger an einen anderen abtritt (§ 387 BGB). Der in der Praxis weitaus häufigste Fall der Verhinderung im Sinne des § 5 Satz 1 Nr. 2 LFZG wird der mit der Haftpflichtversicherung geschlossene Abfindungsvergleich sein. Verständlicherweise ist der unfallgeschädigte Arbeiter daran interessiert, längere Rechtsstreitigkeiten mit möglicherweise unsicherem Ausgang und allen damit verbundenen Belastungen zu vermeiden. Derartige Rechtsgeschäfte berühren die Rechtsstellung des Arbeitgebers zunächst nicht. Denn der Arbeitgeber kann einen Entschädigungsanspruch bei Dritthaftung nach § 4 LFZG erst dann erlangen, wenn er selbst an den Arbeiter Lohnfortzahlung gewährt hat. Um die Rechtsstellung des Arbeitgebers bei einem Rechtsgeschäft des Arbeiters wegen dessen Schadenersatzanspruchs gegen einen Dritten nicht zu gefährden, ist der Arbeiter verpflichtet, dem Arbeitgeber die erforderliche Mitteilung zu machen, damit dieser nicht Lohnfortzahlung gewährt, obwohl ihm gegenüber dem Dritten ein Erstattungsanspruch nicht mehr zusteht. Die Verpflichtung des Arbeiters zur Unterrichtung des Arbeitgebers folgt ebenfalls aus § 4 Abs. 2 LFZG.

Der Arbeiter muss die Verhinderung des Anspruchsüberganges auf den Arbeitgeber allerdings im Sinne des § 276 BGB zu vertreten haben (vgl. Feichtinger, aaO, F I 3 a; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, § 5 Rz 15; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., Stand Oktober 1988, § 5 Rz 20; Kehrmann/Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 5 Rz 7; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl., § 5 Rz 15; Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 6. Aufl., § 5 Rz 2, die allerdings entgegen dem Gesetzeswortlaut nur vorsätzliches Handeln des Arbeiters gelten lassen wollen; zum Begriff des Verhinderns i. S. des § 162 BGB vgl. ferner BGH Urteil vom 17. Mai 1965 - III ZR 239/64 - BB 1965, 1052).

3. Hat der Arbeitgeber Lohnfortzahlung gewährt, obwohl ihm gemäß § 5 Satz 1 Nr. 2 LFZG ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht zustand, so kann er die Rückzahlung des Lohnes gemäß § 813 Abs. 1 BGB verlangen (vgl. Kaiser/Dunkl, aaO, § 5 Rz 19; Brecht, aaO, § 5 Rz 14; Schmatz/Fischwasser, aaO, § 5 Rz 23). Ein Fall des § 814 BGB läge nur dann vor, wenn der Leistende positive Kenntnis vom Fehlen der Leistungsverpflichtung hätte (vgl. (MünchKomm-​Lieb, § 814 Rz 7). Kennt ein Vertreter die Rechtslage und damit die Nichtschuld, so kommt es auf sein Wissen nur dann an, wenn er seinerseits als Vertreter die Leistung erbringt (BGHZ 73, 202, 204).

II.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte für die Zeit des zweiten Krankenhausaufenthaltes des Klägers (15. Juli bis 23. August 1985) zur Lohnfortzahlung nicht verpflichtet war, sondern ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 5 Satz 1 Nr. 2 LFZG hatte. Es hat weiter zutreffend erkannt, dass die Beklagte mit einem Anspruch auf Rückzahlung (§ 813 BGB) gegen die Lohnzahlungsansprüche des Klägers für die Zeit von November 1986 bis Februar 1987 aufrechnen konnte. Die Angriffe der Revision gegen die Begründung des Landesarbeitsgerichts dringen nicht durch:

1. Der Kläger hat den Abfindungsvergleich mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen auch im Verhältnis zu der Beklagten zu vertreten. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung lag er im Krankenhaus und wusste, dass er Lohnausfall hatte und dass ihm deswegen demnächst Lohnfortzahlungsansprüche gegen die Beklagte zustehen würden. Ihm war bewusst, dass seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch das Verhalten eines Dritten verursacht war. Wenn er sich wegen seiner Ansprüche gegen den Dritten von dessen Haftpflichtversicherung abfinden ließ, musste ihm klar sein, dass diese Umstände auch die Beklagte und ihre Rechtsstellung gegenüber der Versicherung betrafen. Daher hat er die aus dem Abfindungsvergleich sich ergebende Rechtsfolge, nämlich die Verhinderung des Forderungsübergangs gemäß § 4 LFZG, im Sinne des § 5 Satz 2 LFZG zu vertreten.

2. Entgegen der Ansicht der Revision muss sich die Beklagte das Wissen des Rechtsanwalts K von dem Abfindungsvergleich nicht zurechnen lassen.

a) Als der Kläger die Abfindungserklärung unterschrieb, waren Lohnfortzahlungsansprüche gegen die Beklagte noch nicht fällig. Das ergibt sich aus dem unstreitigen Teil des Tatbestandes, wonach die Beklagte dem Kläger erstmals zum 31. Juli 1985 Lohnfortzahlung gewährte. Im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung des Klägers war für die Beklagte daher noch kein konkreter Schaden eingetreten, bei dessen Entstehung Rechtsanwalt K - nach den Vorstellungen der Revision als Vertreter der Beklagten - mitgewirkt hätte.

b) Rechtsanwalt K hat für die Beklagte im Herbst 1984 Schadenersatzansprüche im Rahmen des § 4 LFZG gegen die Versicherungsgesellschaft des Schädigers durchgesetzt. Die Angelegenheit war im November 1984 erledigt. Er konnte daher im Juli 1985 den Kläger vertreten, ohne dass dadurch seine anwaltlichen Pflichten gegenüber der Beklagten hätten beeinträchtig werden können. Für die Beklagte wurde er erst wieder im September 1985 tätig, als diese von der Versicherungsgesellschaft die Lohnfortzahlung an den Kläger für die Zeit von Juli bis August 1985 erstattet haben wollte. Kollisionen aus dem Mandatsverhältnis zu der Beklagten und zu dem Kläger sind nicht erkennbar. Daher braucht sich die Beklagte das Verhalten des Rechtsanwalts K oder seine Kenntnisse von den besonderen Umständen des Falles auch nicht im Verhältnis zum Kläger zurechnen zu lassen, soweit es um die späteren Lohnfortzahlungen an den Kläger geht.