Das Verkehrslexikon

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OLG Oldenburg Beschluss vom 09.02.2015 - 2 Ss (OWi) 20/15 - Erkennbarer Beifahrer auf dem Radarfoto

OLG Oldenburg v. 09.02.2015: Erkennbarer Beifahrer auf dem Radarfoto


Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 09.02.2015 - 2 Ss (OWi) 20/15) hat entschieden:
Wird im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme ein Lichtbild gefertigt, auf dem auch der Beifahrer erkennbar ist und gelangt dieses Foto ohne Unkenntlichmachung des Beifahrers in die Gerichtsakte, unterliegt es keinem Verwertungsverbot, wenn das Amtsgericht aus der Person des Beifahrers Schlüsse auf die Identität des Fahrzeugsführers zieht.


Siehe auch Lichtbildbeweis - Radarfoto - Videoaufzeichnung und Beifahrer


Gründe:

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug zu einer Geldbuße von 150,00 Euro verurteilt. Das Amtsgericht hat sich davon überzeugt gezeigt, dass der Betroffene der Fahrer des Fahrzeuges gewesen sei. In den Urteilsgründen heißt es u. a.:
„Das Gericht hat ebenfalls berücksichtigt, dass die Beifahrerin des Betroffenen, auf dem Foto Bl. 39 d. A., auf das gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG verwiesen wird, zu erkennen, mit großer Wahrscheinlichkeit die Tochter des Betroffenen ist ....“
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit einem näher ausgeführten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Der ursprünglich zuständige Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Rechtsbeschwerde ist deshalb gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässig.

Sie führt zu einem zumindest vorläufigen Erfolg.

Klärungsbedürftig ist die Frage, ob es einem Verwertungsverbot unterliegt, wenn aus der Person eines Beifahrers, die auf einem bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Foto erkennbar ist, Schlüsse auf den Fahrzeugführer gezogen werden.

Der Betroffene hat insoweit gerügt, dass ein Beweisverwertungsverbot bestehe, da das Persönlichkeitsrecht der Beifahrerin tangiert sei.

Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2010, 2717 f) hat es als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen, dass die Gerichte als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO angesehen haben. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, dass bei einer Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar seien, allerdings ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliege. Die Maßnahme ziele aber nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben hätten, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes bestehe.

Zwar bestand hier kein Verdacht gegen die Beifahrerin. Bereits das Bundesverfassungsgericht hat aber auf § 100h Abs. 3 StPO verwiesen, wonach andere Personen nur betroffen sein dürfen, wenn dies unvermeidbar sei.

Da es nach Auffassung des Senates unvermeidbar ist, dass bei Anfertigung eines Fotos im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme auch der Beifahrer mit abgebildet wird, sieht er die Anfertigung des Lichtbildes als durch § 100h Abs. 3 StPO gedeckt an (so auch bereits Amtsgericht Herford, DAR 2010, 592 f).

Der Senat lässt offen, ob es zulässig ist, das so gefertigte Lichtbild ohne Unkenntlichmachung der Person des Beifahrers in die Akte der Verwaltungsbehörde und später des Gerichtes zu übernehmen. Geschieht dies, führt dieses zumindest nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn das Amtsgericht Schlüsse von der Person des Beifahrers auf den Fahrer zieht.

Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2009, 3293 f) hatte bei einem Sachverhalt, in dem von einem Fahrzeugführer eine verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung gefertigt worden war und die Fachgerichte als Rechtsgrundlage einen Ministerialerlass herangezogen hatten, es (nur) als zumindest möglich angesehen, dass die Fachgerichte einen Rechtsverstoß annähmen, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe.

Im Beschluss vom 07.12.2011 (2 BvR 2500/09) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass ein Beweisverwertungsverbot eine begründungsbedürftige Ausnahme darstelle und insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden seien, geboten sein könne (juris Rn. 117). Von einer derartigen Eingriffsintensität ist die Vorgehensweise des Amtsgerichts weit entfernt.

Das Lichtbild ist zunächst aufgrund einer ausreichenden Rechtsgrundlage gefertigt worden. Es ist dann im Rahmen des Verfahrens, das sich gegen die Person richtete, von der verdachtsabhängig ein Lichtbild gefertigt worden ist, verwertet worden. Die Rechtsbeschwerde macht auch (lediglich) geltend, dass das Persönlichkeitsrecht der Beifahrerin tangiert sei. Demgegenüber ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen durch die Auswertung des Lichtbildes der Beifahrerin nicht in einem Maße berührt, dass insofern von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden müsste.

Der BGH (St 11, 213 ff) hatte in einem Fall, in dem ein Zeuge nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt worden war, darauf abgestellt, dass diese Vorschrift ausschließlich auf der Achtung vor der Persönlichkeit des Zeugen beruhe. Durch den Konflikt des Zeugen werde der Rechtskreis des Beschuldigten nicht so berührt, dass ihm wegen unterbliebener Belehrung ein Revisionsrügerecht zugestanden werden könne.

So liegt es auch hier:

Dass der Rechtskreis des Betroffenen hier dadurch berührt wäre, dass durch Bekanntwerden der Person der Beifahrerin seine Interessen verletzt sein könnten, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend. Darüberhinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass „planmäßig oder systematisch“ (BVerfG vom 7.12.2011, s.o.), Fotos der Beifahrer, auf denen diese erkennbar sind, zum Zwecke der indirekten Identifizierbarkeit des Fahrers zum Gegenstand der Bußgeldakten gemacht werden.

Gleichwohl kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Das von dem Amtsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung herangezogene Lichtbild Bl. 39 d. A. ist nämlich nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen. Ausweislich des Protokolls ist lediglich die „Auswertung Bl. 39 d. A.“ verlesen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Zwar heißt es im Protokoll weiter, dass auf das bei der Messung entstandene Foto des Fahrers/in Bl. 41, 39 d. A. gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG verwiesen werde. Diese Formulierung besagt aber nichts darüber, dass das Lichtbild in Augenschein genommen worden ist, da sich § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO lediglich auf die Abfassung der Urteilsgründe bezieht. Darüber hinaus ist nur die Rede von einem Foto des Fahrers bzw. der Fahrerin, nicht aber von einer Beifahrerin.

Damit bleibt auch schon unklar, welches der vier Lichtbilder auf Blatt 39 d.A., von denen zwei keine Personen, eines nur die Person des Fahrers und eines den Fahrer und die Beifahrerin erkennen lassen, gemeint ist. Auf Blatt 41 d.A. ist die Person des Beifahrers sogar unkenntlich gemacht worden.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch, da das Amtsgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen u. a. auch damit begründet hat, dass die Beifahrerin „mit großer Wahrscheinlichkeit die Tochter des Betroffenen“ sei.

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass er die weitere Rüge des Betroffenen, das Amtsgericht habe ein anthropologisches Sachverständigengutachten einholen müssen, nicht für durchgreifend erachtet. Darüberhinaus sollte das Amtsgericht prüfen, ob es für seine Überzeugungsbildung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen auf die Auswertung des Fotos der Beifahrerin überhaupt angewiesen ist.