Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 07.01.2015 - 11 CS 14.2653 - Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Verwarnung nach neuem Recht

VGH München v. 07.01.2015: Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Verwarnung nach neuem Recht


Der VGH München (Beschluss vom 07.01.2015 - 11 CS 14.2653) hat entschieden:
Ergeben sich acht oder mehr Punkte nach dem ab 1. Mai 2014 geltenden Fahreignungs-Bewertungssystem, gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – in der seit 1.5.2014 geltenden Fassung). Die Entziehung der Fahrerlaubnis setzt nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG allerdings voraus, dass die jeweils davor liegenden Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG (Ermahnung und Verwarnung) zuvor ergriffen worden sind. Andernfalls reduziert sich der Punktestand nach Maßgabe von § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG auf fünf bzw. sieben Punkte.


Siehe auch Das Punktsystem - Fahreignungs-Bewertungssystem und Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E.

Mit Schreiben vom 23. März 2011 verwarnte die Antragsgegnerin den Antragsteller, der insgesamt bis zum damaligen Zeitpunkt viermal durch Geschwindigkeitsüberschreitungen aufgefallen war, wegen Erreichens von acht Punkten (altes Punktesystem) und wies ihn auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hin. Nach Bekanntwerden weiterer Geschwindigkeitsüberschreitungen ordnete die Antragsgegnerin wegen Erreichens von 14 Punkten mit Bescheid vom 21. Mai 2012 die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar an.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2014 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins innerhalb von drei Tagen nach Zustellung des Bescheids. Durch Umrechnung der vorherigen Eintragungen des Antragstellers hätten sich zum 1. Mai 2014 sechs Punkte nach dem neuen Punktesystem ergeben. Nach Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 13. August 2014 seien zwischenzeitlich drei weitere Bußgeldbescheide rechtskräftig geworden und insgesamt vier Punkte nach dem neuen Punktesystem hinzugekommen, so dass sich nunmehr ein Punktestand von zehn Punkten ergebe. Der Antragsteller habe auch den abgestuften Maßnahmenkatalog des Punktesystems nach altem Recht durchlaufen. Somit sei die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. November 2014, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 8. Dezember 2014, abgewiesen und den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 20. November 2014 abgelehnt. Zur Begründung der gegen diesen Beschluss eingereichten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, seien die neuen Vorschriften anzuwenden. Diese würden die Berücksichtigung früherer Verwarnungen oder Verpflichtungen zur Teilnahme an Aufbauseminaren nicht vorsehen. Der Antragsteller hätte somit nach neuem Recht verwarnt und auf die Möglichkeit des freiwilligen Besuchs eines Fahreignungsseminars hingewiesen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, verringere sich sein Punktestand auf sieben Punkte und dürfe die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen und auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zum Beschwerdevorbringen Folgendes zu bemerken:

Ergeben sich acht oder mehr Punkte nach dem ab 1. Mai 2014 geltenden Fahreignungs-Bewertungssystem, gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – in der seit 1.5.2014 geltenden Fassung). Die Entziehung der Fahrerlaubnis setzt nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG allerdings voraus, dass die jeweils davor liegenden Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG (Ermahnung und Verwarnung) zuvor ergriffen worden sind. Andernfalls reduziert sich der Punktestand nach Maßgabe von § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG auf fünf bzw. sieben Punkte.

Vorliegend war jedoch weder eine Ermahnung (Stufe 1) noch eine Verwarnung (Stufe 2) des Antragstellers, der bereits durch Überführung seiner früheren Eintragungen in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG einen Stand von sechs Punkten erreicht hatte, geboten. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG führt die Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem. Hierzu wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/12636, S. 50) ausgeführt, Satz 3 stelle klar, dass die Umstellung des Systems und die dadurch erstmalige Einordnung in die neuen Maßnahmenstufen nicht zur Maßnahmenergreifung führten. Vielmehr führten nur eine Zuwiderhandlung und das hierauf folgende erstmalige Erreichen einer Maßnahmenstufe – nach altem wie nach neuem Recht – zu einer Maßnahme (ebenso Trautmann in NK-GVR, § 65 StVG Rn. 15). Da der Antragsteller durch Übertragung seiner früheren Punkte in das neue Bewertungssystem zum 1. Mai 2014 bereits die ab einem Punktestand von sechs Punkten greifende Stufe zwei erreicht und diese Stufe somit nicht erst durch weitere Zuwiderhandlungen erstmals erreicht hatte, bedurfte es vor der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Erreichen der Stufe drei (8 Punkte) keiner Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Vielmehr war die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt und verpflichtet, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen und ihn zur Vorlage des Führerscheins zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).