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OLG Hamm Urteil vom 10.03.2015 - 9 U 246/13 - Haftungsausfüllende Kausalität und So-nicht-Unfall

OLG Hamm v. 10.03.2015: Haftungsausfüllende Kausalität und So-nicht-Unfall


Das OLG Hamm (Urteil vom 10.03.2015 - 9 U 246/13) hat entschieden:
  1. Ist im Rahmen der Haftung gemäß §§ 7, 18 StVG der äußere Tatbestand der Rechtsgutverletzung (hier: Kollision zwischen 2 PKW) nach dem für die haftungsbegründende Kausalität geforderten Maßstab des § 286 ZPO vom Geschädigten bewiesen, steht (lediglich) haftungsbegründend fest, dass ihm dadurch ein (kollisionsbedingter) Schaden entstanden ist.

    2. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität muss jedoch sodann vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden, dass die von ihm konkret ersetzt verlangten Schäden in ihrer Gesamtheit oder zumindest ein abgrenzbarer Teil hiervon mit überwiegender Wahrscheinlichkeit iSd § 287 ZPO bei dem Unfall entstanden sind. Gelingt der Beweis nicht (sog. "So-Nicht-Unfall" bezogen auf den Schadensumfang), bleibt die Schadensersatzklage ohne Erfolg.

Siehe auch Kausalzusammenhang - Ursachenzusammenhang und Keine Haftung bei sog. "So-Nicht-Unfällen"


Gründe:

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, Art. 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.


II.

1. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Urteil des Landgerichts beruht im Ergebnis weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere - für den Kläger günstigere - Entscheidung (§ 513 ZPO).

Der Kläger ist zwar aktivlegitimiert, wie er durch Vorlage einer entsprechenden Ermächtigung der finanzierenden WX-​Bank bezüglich des sicherungsübereigneten Fahrzeugs des Typs Passat vom 15.12.2014 im Senatstermin vom 17.02.2015 belegt hat.

Der vom Kläger gegen die Beklagte geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

a) Nach dem Ergebnis der in erster und zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht zwar der hierfür erforderliche äußere Tatbestand der vom Kläger behaupteten Rechtsgutverletzung nach dem für die haftungsbegründende Kausalität anwendbaren Maßstab des § 286 ZPO (vgl. Senat, NZV 2014, 225 m.w.N.) zur Überzeugung des Senats fest.

Diesbezüglich ist der Senat davon überzeugt, dass sich an dem Unfalltag eine Kollision zwischen dem Passat und dem von dem Zeugen O geführten Mietwagen des Typs Touran ereignet hat. Dies folgt aus den übereinstimmenden Angaben des in erster und zweiter Instanz vernommenen Zeugen O sowie der in zweiter Instanz vernommenen Zeugen S2 und I, ergänzt durch die Angaben des in erster und zweiter Instanz persönlich angehörten Klägers.

Danach lässt sich als Kerngeschehen feststellen, dass der vom Zeugen O gesteuerte Touran auf glatter Fahrbahn bergab ins Rutschen geraten und in Geradeausfahrt mit dem vom Kläger im Bereich der Laterne abgestellten Passat kollidiert ist.

Damit korrespondieren die Angaben in der Verkehrsunfallanzeige vom 02.12.2010. Wie die Zeugin I im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Senat bekundet hat, hat sie an der Unfallstelle beide Fahrzeuge mit Beschädigungen, beim Passat rechts- und linksseitig, vorgefunden. Eine Beschädigung der Laterne habe sie nicht festgestellt. Wegen der vorherrschenden Fahrbahnglätte habe sie von der Erhebung eines Verwarngeldes abgesehen.

Vor diesem Hintergrund steht für den Senat nach dem Maßstab des § 286 ZPO fest, dass es haftungsbegründend zu einer Kollision beider Fahrzeuge gekommen ist, die als solche auch geeignet war, einen Schaden am Passat herbeizuführen.

Für letzteres spricht nicht zuletzt auch, dass es sich bei dem von dem Zeugen O gesteuerten Touran um ein Mietfahrzeug handelte, so dass davon ausgegangen werden kann, dass es bei Übergabe an den Zeugen O unbeschädigt war.

b) Allerdings kann der Senat auf der Grundlage der in erster und zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO feststellen, dass die von dem Kläger behaupteten Schäden in ihrer Gesamtheit oder zumindest ein abgrenzbarer Teil hiervon bei diesem Unfall entstanden sind. Hiergegen spricht das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. T vom 30.09.2014 sowie dessen mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen im Senatstermin am 17.02.2015. Danach kommt die technische Unfallanalyse zwar zu dem Ergebnis, dass der Passat, wenn er im Bereich des Hinterrades mit 15 km/h vom Touran angestoßen worden wäre, rechts über den Bordstein gerutscht und dann mit 10 km/h gegen die Laterne geprallt wäre. Dass der Passat auf diese Weise die vom Kläger behaupteten Schäden in ihrer Gesamtheit oder einen abgrenzbaren Teil davon erlitten hat, hat die technische Analyse aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht ergeben.

Im Einzelnen:

(1) Zunächst wäre, wenn der Passat durch die Wucht des Aufpralls gegen die Laterne geprallt wäre, angesichts der am Passat vorhandenen massiven rechtsseitigen Schäden eine Beschädigung auch der Laterne zwingend zu erwarten gewesen, die aber den glaubhaften Bekundungen der Zeugin I zufolge gerade nicht vorlag.

Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung im Senatstermin ausgeführt hat, handelt es sich bei dem beschädigten Kniestück des Passat, der damit zur Verursachung des Schadens an seiner rechten Seite an die Laterne angestoßen sein müsste, um die härteste Stelle am ganzen Fahrzeug. Deshalb hätten Schäden an der aus weichem Blech bestehenden Laterne bei einer Kollision mit dem Passat deutlich erkennbar gewesen sein müssen. Diese hätten dann aber der Zeugin I, die die Laterne eigens auf Schäden untersucht hat, nicht verborgen bleiben können.

(2) Außerdem ergeben sich nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten dann, wenn der Motorhaubenschaden am Touran der Einbeulung des Passat kompatibel zugeordnet wird, Schwierigkeiten, den weiteren Schaden am Passat hinter dem linken Hinterrad bis zum Rücklicht dem Touran zuzuordnen, da die Rammleiste am Passat eindeutig längs verlaufende leichte Spuren zeigte. Auch an der rechten Seite des Passat waren längs verlaufende Spuren vorhanden, die sich dementsprechend auch nicht auf einen seitlichen Anstoß an die Laterne zurückführen lassen.

(3) Vor allem aber hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten einen Höhenversatz auch der als grundsätzlich kompatibel in Betracht kommenden Schäden an den Fahrzeugen konstatiert, was wiederum der Annahme, diese (abgrenzbaren) Schäden seien durch die Kollision mit dem Touran entstanden, entgegensteht.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist zur Erzeugung einer Schadenskompatibilität zwischen der Einbeulung in der Motorhaube des Touran einerseits und den Kratzspuren und der Einbeulung auf dem Radhaus des Passat andererseits eine Absenkung der Touran-​Front im Kollisionszeitpunkt erforderlich.

Diese Absenkung müsste, wie vom Sachverständigen auf Basis einer Gegenüberstellung von Vergleichsfahrzeugen festgestellt, bei deren Positionierung auf einer Ebene bereits 6 cm betragen. Angesichts des an der Unfallstelle herrschenden Gefälles müsste weitergehend sogar eine Gesamthöhe von 7 cm überwunden werden. Denn wie eine auf den schriftsätzlichen Einwand des Klägers hin durchgeführte Vermessung der Unfallstelle ergeben hat, gelangt die Front des Touran bei Positionierung an der betreffenden Stelle im Verhältnis zum Passat noch um 1 cm höher als bei Positionierung beider Fahrzeuge auf einer Ebene.

Dass es an der streitgegenständlichen Unfallörtlichkeit auf bewiesen glatter Fahrbahn im Kollisionszeitpunkt zu einer Absenkung der Touran-​Front im erforderlichen Ausmaße gekommen ist, hat die zweitinstanzliche Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit ergeben:

(a) Eine vorkollisionäre Bremsung des Touran konnte lediglich eine Absenkung um 0,7 cm erreichen. Wie der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung ausgeführt hat, findet bei einem Bremsen auf schneebedeckter Fahrbahn ein maximales Eintauchen des Fahrzeugs von 0,7 cm statt. Eine weitergehende Absenkung des Touran durch Bremsung im Verhältnis zum stehenden Passat um insgesamt 6 cm wäre nach den Angaben des Sachverständigen nur durch eine Vollbremsung auf trockener Fahrbahn zu erreichen. Die Straße war an der betreffenden Stelle zur betreffenden Zeit aber schneebedeckt und glatt.

(b) Auf den Einwand des Klägers hin, es könne sich die Beladung der Fahrzeuge auf deren Höhen ausgewirkt haben, hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, bei unterschiedlicher Beladung einschließlich Personen könne sich ein Höhenunterschied von bis zu 1 cm ergeben.

Da die Besetzung des Touran mit mindestens 2 Personen - den Zeugen O und S2 - feststeht und für die Beladung des insassenlosen Passat nichts ersichtlich ist, lässt sich eine weitere Absenkung des Touran um allenfalls 1 cm annehmen.

(c) Soweit sich im Senatstermin durch die Angaben des Zeugen S2 die denkbare Möglichkeit ergeben hat, dass der - nach den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat zunächst mit allen vier Reifen auf der Straße geparkte - Passat durch den Anstoß des Touran mit den beiden rechten Rädern über den Bordstein seitlich in Richtung Laterne gedrückt worden und dadurch "hochgehüpft" sein könnte, hat der Sachverständige ausgeführt, dass dies - unbeschadet der noch zu erörternden gegen einen solchen Vorgang sprechenden Spurenlage - nicht zu einer Höhenverlagerung der Schäden führen könne. Denn zum einen sei eine denkbare vertikale Bewegung des Passat erst Resultat der Kollision und könne deshalb die Höhen der Fahrzeuge nicht schon im Moment der Kollision verändern. Außerdem betreffe die etwaige Bewegung in die Höhe nur denjenigen Teil des Passat, der über den Bordstein gedrückt würde, also die rechte Seite und damit nicht diejenige, die mit dem Touran kollidiert wäre und an der der Höhenversatz erklärt werden müsse.

(d) Auf den Einwand des Klägers, im schriftlichen Gutachten sei der Reifendruck der Fahrzeuge nicht berücksichtigt worden, hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, eine Veränderung des Reifendrucks des Touran könne zwar die Fahrzeughöhe um bis zu 6 cm absenken. Bei einer Absenkung um 6 cm sei der Reifen aber nahezu völlig entlüftet und das Fahrzeug fahre fast auf den Felgen. Für einen solchen Zustand des Mietfahrzeuges wiederum spricht nichts.

(4) Hinzu kommt, dass an den rechten Rädern des Passat gar keine Spuren oder Schäden erkennbar waren, die eine Kollision mit dem Bordstein nach den Ausführungen des Sachverständigen aber zwangsläufig zur Folge gehabt haben müsste.

(5) Somit lassen sich zunächst jedenfalls die vom Kläger behaupteten Schäden am Passat in ihrer Gesamtheit nicht einer Kollision mit dem Touran zuordnen, da längs verlaufende Schäden weder bei einer Kollision der Touran-​Front mit der hinteren linken Fahrzeugseite des Passat noch bei einer rechtsseitigen Kollision des Passat mit der Laterne entstanden sein können.

Dass rechts- oder linksseitig am Passat vorhandene Beschädigungen überwiegend wahrscheinlich abgrenzbar dem Kollisionsgeschehen zuordbar sind, lässt sich ebenfalls nicht feststellen:

In Bezug auf die rechtsseitigen Schäden steht einer solchen Feststellung das Fehlen korrespondierender Schäden an Laterne und rechten Felgen des Passat entgegen.

In Bezug auf die linksseitigen Schäden lässt sich - soweit eine Schadenskompatibilität überhaupt anzunehmen ist - eine Verursachung durch die streitgegenständliche Kollision deshalb nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit annehmen, weil sich die Schäden höhenmäßig nicht kompatibel zuordnen lassen. Infolgedessen lässt sich nicht ausschließen, dass der Passat linksseitig in diesem Bereich - möglicherweise durch eine vorausgegangene Kollision mit einem anderen Fahrzeug an der bekanntermaßen unfallträchtigen Stelle - vorgeschädigt war.

c) Ein ergänzendes Sachverständigengutachten war vor diesem Hintergrund nicht einzuholen. Der Zeuge S war nicht zu vernehmen, da dieser unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat, er wisse nicht, ob der Zeuge S das Fahrzeug zusammen mit ihm abgestellt habe, nichts zum Zustand und zur Position des Passat beim Abstellen durch den Kläger bekunden kann.

d) Damit liegt ein So-​Nicht-​Unfall in Bezug auf die Schadenshöhe (vgl. hierzu Senat, NZV 2014, 225 f.) vor.

Auf die Frage einer Unfallmanipulation, geschweige denn auf deren möglichen Ablauf im Einzelnen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 713 ZPO.

3. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

4. Der Streitwert für die 2. Instanz ist auf 7.120,60 EUR festzusetzen.