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OLG Hamm Urteil vom 17.07.2012 - I-9 U 200/11 - Unfall zwischen Fahrrad und PKW an der Einmündung in einen Kreisverkehr

OLG Hamm v. 17.07.2012: Haftung bei Verkehrsunfall zwischen Fahrrad und PKW an der Einmündung in einen Kreisverkehr


Das OLG Hamm (Urteil vom 17.07.2012 - I-9 U 200/11) hat entschieden:
Befindet sich das Zeichen "Vorfahrt gewähren" (Zeichen 205) in Verbindung mit dem Zeichen "Kreisverkehr" (Zeichen 215) vor der Querungsstelle für Radfahrer, sind diese gegenüber dem einfahrenden Verkehr gleichwohl nicht vorfahrtsberechtigt, wenn durch das Zeichen "Vorfahrt gewähren" (Zeichen 205) ihrerseits aufgefordert sind, dem in den Kreisverkehr einfahrenden oder verlassenden Verkehr den Vorrang einzuräumen.


Siehe auch Kreisverkehr und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 13.06.2008 in T im Bereich der Einmündung der Straße "C" in den Kreisverkehr der S Straße ereignete und bei dem die Klägerin als Radfahrerin infolge einer Kollision mit dem Pkw der Beklagten zu 1) stürzte.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit dem das Landgericht nach Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 1) sowie Einholung einer amtlichen Auskunft und eines orthopädischen Sachverständigengutachtens nebst Ergänzungsgutachten und eines radiologischen Zusatzgutachtens der Klage teilweise nach einer Haftungsquote von 2/3 stattgegeben hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte zu 1) treffe ein Verschulden an dem Unfall. Da sich das Zeichen "Vorfahrt gewähren" in Kombination mit dem Zeichen "Kreisverkehr" vor dem von der Klägerin befahrenen Radweg befinde, habe die Beklagte zu 1), als sie die Klägerin bemerkt habe, anhalten müssen. Aufgrund der Anordnung des kombinierten Schildes vor dem Kreisverkehr beziehe sich das Gebot, dem Kreisverkehr die Vorfahrt zu gewähren, auch auf den Radweg. Aber auch die Klägerin habe angesichts der nicht nachvollziehbaren Beschilderung besondere Vorsicht walten lassen müssen, zumal auch in ihrer Fahrtrichtung ein Schild "Vorfahrt gewähren" zu beachten sei. Durch Nichtbeachtung dieses Verkehrsschildes habe die Klägerin den Unfall mitverschuldet. Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist das Landgericht zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten gelangt. Auf dieser Grundlage hat es der Klägerin ein Schmerzensgeld von 8.000,00 € sowie materiellen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 766,00 € zugesprochen und dem Feststellungsantrag der Klägerin nach einer Haftungsquote von 2/3 stattgegeben.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie rügen, das Landgericht habe verkannt, dass an der Unfallstelle eindeutig ein Vorfahrtsrecht der Beklagten zu 1) gegenüber der Klägerin bestanden habe, wie sich aus den vorgelegten Lichtbildern und der eingeholten Auskunft des Kreises C ergebe. Der Vortrag der Klägerin sei zudem widersprüchlich. Wenn die Beklagte zu 1) bei der Kollision mit der von der Klägerin behaupteten Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren wäre, hätte diese sich weitergehende Verletzungen zugezogen. Ferner habe die Klägerin wahrheitswidrig vorgetragen, sie sei mit der Front des Beklagtenfahrzeugs kollidiert. Zudem versuche sie, sämtliche bei ihr bestehenden, auch degenerativ bedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Sie habe auch widersprüchliche Angaben zum behaupteten Haushaltsführungsschaden gemacht und zu den geltend gemachten Sachschäden keine Belege vorgelegt. Ferner habe das Landgericht zu Unrecht die Stellungnahme der Beklagten zum radiologischen Zusatzgutachten als verspätet zurückgewiesen. Ohnehin sei es verpflichtet gewesen, den Sachverständigen Prof. Dr. I anzuhören, weil dessen Feststellungen im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X stünden. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sei übersetzt. Allenfalls sei ein Betrag bis maximal 3.000,00 € gerechtfertigt. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht auch dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X stehe nicht fest, dass mit Zukunftsschäden zu rechnen sei. Schließlich habe sich das Landgericht über den Einwand der Beklagten hinweggesetzt, dass eine bei der Klägerin ggf. vorliegende Steißbeinfraktur von den erstbehandelnden Krankenhausärzten nicht entdeckt worden sei. Ein solcher grober Behandlungsfehler unterbreche den Kausalzusammenhang, so dass auch deshalb keine Haftung der Beklagten bestehe.

Die Beklagten und die Streithelfer beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,

sowie im Wege der Anschlussberufung,

das angefochtene Urteil abzuändern und
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird (mindestens jedoch 15.000,00 €), nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2008,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 2.899,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2009 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 919,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (21.12.2009) zu zahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagten - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs - als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 13.06.2008 zu ersetzen,

  4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 20,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  5. hilfsweise die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von Gebührenansprüchen des Rechtsanwalts U, I 3, ...1 W-S, in Höhe von 919,28 €, hilfsweise in Höhe von 1.023,16 €, freizustellen.
Die Beklagten und die Streithelfer beantragen,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verfolgt mit der Anschlussberufung ihre geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter. Sie beanstandet, das Landgericht habe ihr fehlerhaft ein Mitverschulden von 1/3 angelastet. Der Unfall sei für sie wegen der Vorfahrtsverletzung der Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen. Ferner sei die vom Landgericht vorgenommene Kürzung des geltend gemachten Schmerzensgeldes und des Haushaltsführungsschadens unangemessen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in vollem Umfang begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls keine Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 StVG, §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB iVm. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

Zwar ereignete sich der Unfall unzweifelhaft beim Betrieb des Pkw der Beklagten zu 1) (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG). Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Auch greift hier kein Anspruchsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ein. Gegenüber einem Geschädigten, der selbst nicht als Kfz-Halter für die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kfz einzustehen hat, ist § 17 StVG nicht anwendbar (Heß in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Auflage 2012, § 17 StVG Rn. 7).

Indes trifft die Klägerin ein derart erhebliches Eigenverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls, dass eine Haftung der Beklagten nach § 9 StVG iVm. § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.

a) Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge können nur solche Umstände zu Lasten eines Beteiligten berücksichtigt werden, die unstreitig oder bewiesen sind und die sich ursächlich auf die Entstehung des Schadens ausgewirkt haben (Palandt/Grüneberg, 71. Aufl., § 254 BGB Rn. 62 m. w. N.).

Auf Seiten der Beklagten ist hier kein schuldhafter Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) als Fahrerin des unfallbeteiligten Pkw festzustellen:

aa) Die Beklagte zu 1) hat nicht gegen § 9a StVO in der zum Unfallzeitpunkt noch gültigen Fassung verstoßen. Danach hat der Verkehr auf der Kreisfahrbahn Vorfahrt, wenn an der Einmündung in einen Kreisverkehr Zeichen 215 (Kreisverkehr) unter Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angeordnet ist. Zwar können aus der Sicht eines die Straße "C" in Richtung des Kreisverkehrs fahrenden Verkehrsteilnehmers zunächst Zweifel aufkommen, ob das Vorfahrtrecht nur den Verkehrsteilnehmern zusteht, die sich auf der eigentlichen Kreisfahrbahn befinden, oder sich auch auf Radfahrer erstreckt, die den neben der Kreisfahrbahn geführten Radweg befahren. Für Letzteres spricht der Umstand, dass das Zeichen "Vorfahrt gewähren" in Verbindung mit dem Zeichen "Kreisverkehr" vor der sog. Querungsstelle für Radfahrer aufgestellt ist. Dem steht jedoch entgegen, dass sich an den Querungsstellen für Radfahrer das Zeichen 205/klein "Vorfahrt gewähren" befindet. Diese Regelung besagt eindeutig, dass ein die Querungsstelle befahrender Radfahrer das Vorfahrtrecht der Verkehrsteilnehmer zu beachten hat, die die in den Kreisverkehr mündende Straße "C" befahren. Dies ergibt sich auch aus der vom Landgericht eingeholten amtlichen Auskunft des Kreises C vom 22.04.2010 (Bl. 81 d. A.). Danach haben die in den Kreisverkehr einfahrenden Fahrzeugführer nur dem auf der eigentlichen Kreisfahrbahn befindlichen Verkehr Vorfahrt zu gewähren. Nur dann macht die vorhandene Beschilderung Sinn. Entgegen der Ansicht der Klägerin bezieht sich das Zeichen "Vorfahrt gewähren" an den Querungsstellen für Radfahrer nicht nur auf die aus dem Kreisverkehr ausfahrenden Verkehrsteilnehmer, auch wenn dieses Zeichen nicht erneut auf der sog. Verkehrsinsel vor dem Fahrstreifen des einfahrenden Verkehrs aufgestellt ist. An den Querungsstellen - auch vor dem in den Kreisverkehr einmündenden Fahrstreifen der Straße "C" - befindet sich ein abgesenkter Bordstein. Dies ergibt sich deutlich aus den vorgelegten Lichtbildern (Bl. 77 d. A.), die im Senatstermin in Augenschein genommen worden sind. Nach § 10 S. 1, 1. Hs. StVO hat u. a. derjenige, der über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Daraus folgt, dass ihm keine Vorfahrt zusteht (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 10 StVO Rn. 6a). Die Regelung des § 10 S. 1 StVO gilt auch für einen Radfahrer, der von einem Radweg über einen abgesenkten Bordstein auf eine Straße fährt (vgl. OLG Köln, NZV 1999, 373). Hinzu kommt, dass sich auf der Fahrbahn keine Markierungen für einen querenden Radweg befinden. Bei dieser Sachlage bestehen letztlich keine berechtigten Zweifel daran, dass ein den Radweg befahrender Radfahrer an der Querungsstelle den Vorrang der Verkehrsteilnehmer beachten muss, die die Straße "C" befahren. Eine Vorfahrtverletzung der Beklagten zu 1) liegt nach alledem nicht vor.

bb) Ferner ist nicht festzustellen, dass die Beklagte zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist, § 3 Abs. 1 S. 1, 2 und 4, Abs. 3 Nr. 1 StVO. Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 15.02.2010, die Beklagte zu 1) sei mit hoher Geschwindigkeit (mindestens 70 km/h) gefahren (Bl. 55 d. A.), ist zu pauschal. Demgegenüber hat die Beklagte zu 1) bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht geschildert, sie habe ihre Geschwindigkeit verlangsamt, um in den Kreisverkehr einzufahren. Dementsprechend hat das Landgericht festgestellt, die Beklagte zu 1) sei langsam in den Kreisverkehr gefahren, ohne dass die Klägerin dies mit der Anschlussberufung konkret beanstandet hätte.

cc) Schließlich ist auch kein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Rücksichtnahmegebot gem. § 1 Abs. 2 StVO nachzuweisen. Eine solcher Verstoß wäre nur dann anzunehmen, wenn sie infolge Unaufmerksamkeit nicht rechtzeitig auf die Klägerin reagiert hätte und durch rechtzeitiges Abbremsen bzw. Ausweichen den Unfall hätte vermeiden oder seine Folgen hätte verringern können. Die Beklagte zu 1) hat die Klägerin zwar vor der Kollision wahrgenommen, aber offenkundig auf die Beachtung des Vorfahrtrechts durch diese vertraut. Dieses Vertrauen war auch berechtigt. Angesichts dessen, dass der Radweg erkennbar über einen abgesenkten Bordstein und ohne Markierung in die Fahrbahn mündete, durfte sie davon ausgehen, gegenüber dem Radverkehr vorfahrtberechtigt zu sein und aufgrund der neben ihrer Fahrbahn befindlichen Zeichen 205 und 215 nur gegenüber den Verkehrsteilnehmern auf der eigentlichen Kreisfahrbahn wartepflichtig zu sein. Selbst wenn man annimmt, die Beklagte zu 1) hätte damit rechnen müssen, dass die Klägerin ihre Fahrt fortsetzt und das Vorfahrtrecht der Beklagten zu 1) missachtet, kann ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden. Eine Reaktion der Beklagten zu 1) war erst in dem Moment geboten, als die Klägerin erkennbar ihre Fahrt über den abgesenkten Bordstein hinaus fortsetzte. Es fehlen jedoch hinreichende Anhaltspunkte dafür, in welchem Abstand sich die Beklagte zu 1) mit ihrem Pkw zu der Klägerin zu diesem Zeitpunkt befand. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Senatstermin vorgetragen hat, die Klägerin habe, als sie nach rechts geschaut habe, bis zu einer Entfernung von 150 m kein Fahrzeug auf der Straße gesehen, folgt daraus nichts Anderes. Wie sich aus den Angaben der Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht ergibt, hat sie den Pkw der Beklagten zu 1) vor der Kollision überhaupt nicht wahrgenommen, also auch nicht auf die Annäherung des Pkw an die Querungsstelle geachtet. So hat die Klägerin offenbar nur vor dem Überqueren des aus dem Kreisverkehr führenden Fahrstreifens nach rechts geblickt. Das legt ihre Angabe gegenüber dem Landgericht nahe, sie habe zunächst, bevor sie die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr überquert habe, nach rechts geschaut und dort kein Fahrzeug gesehen. Dass sie nach Erreichen der sog. Verkehrsinsel vor dem Überqueren des in den Kreisverkehr hineinführenden Fahrstreifens der Straße "C" nochmals nach rechts geschaut hätte, hat die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht nicht angegeben. Eine Vernehmung der von ihr benannten Zeugen war nicht veranlasst. Die Zeugen haben das eigentliche Unfallgeschehen nach dem Vortrag der Klägerin nicht wahrgenommen und können deshalb keine Angaben dazu machen, wie weit entfernt sich der Pkw der Beklagten zu 1) von der Querungsstelle befand, als die Klägerin ihre Fahrt über den abgesenkten Bordstein hinaus fortsetzte. Da somit hinreichende Anknüpfungstatsachen fehlen, war ein Sachverständigengutachten zum Unfallhergang nicht einzuholen (vgl. auch Urteil des Senats vom 19.06.2012 - 9 U 175/11 - mit Verweis auf KG, VersR 2008, 797 zur Kollision eines Pkw mit einem die Straße überquerenden Fußgänger).

Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Klägerin lediglich mit dem hinteren Bereich des Pkw zusammengestoßen ist. Zwar hat sie zunächst behauptet, sie sei zuerst mit der vorderen linken Stoßstange des Pkw kollidiert. Die Beklagten haben daraufhin aber mit Schriftsatz vom 25.02.2010 die Rechnung über die Reparatur des Pkw vorgelegt (Bl. 71 d. A.). Daraus geht hervor, dass das Fahrzeug nur im hinteren Bereich repariert worden ist. Die Klägerin hat keine Einwendungen gegen die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Rechnung erhoben. Sie konnte bei ihrer Anhörung durch das Landgericht auch nicht mit Sicherheit sagen, wo sie mit ihrem Fahrrad den Pkw der Beklagten zu 1) berührt hat. Der Umstand, dass der Pkw der Beklagten zu 1) nur im hinteren Bereich links beschädigt wurde, spricht dafür, dass die Klägerin erst auf den Fahrstreifen der Straße "C" gefahren ist, als die Beklagte zu 1) die Querungsstelle des Radwegs bereits erreicht hatte. So hat diese auch angegeben, sie habe plötzlich den Anstoß im hinteren Bereich ihres Pkw bemerkt, als sie in den Kreisverkehr hinein gefahren sei; zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin mit ihrem Fahrrad schon aus ihrem Gesichtsfeld heraus gewesen.

Selbst wenn aber die Klägerin zunächst mit dem vorderen Bereich des Pkw kollidiert wäre, ist es auch dann durchaus möglich, dass sie so unmittelbar auf den von der Beklagten zu 1) benutzten Fahrstreifen eingefahren ist, dass diese den Unfall nicht mehr vermeiden bzw. seine Folgen nicht verringern konnte.

b) Demgegenüber beruht der Unfall maßgeblich auf dem Verschulden der Klägerin:

aa) Diese hat gegen § 10 S. 1, 1.Hs. StVO verstoßen. Da sie über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn gefahren ist, hätte sie das Vorfahrtrecht der Beklagten zu 1) beachten müssen (s. o. a) aa)). Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren auf die Fahrbahn zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Anschein für ein Verschulden des Einfahrenden (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 10 StVO Rn. 11 m. w. N.). Den gegen die Klägerin sprechenden Anschein hat diese nicht zu erschüttern vermocht. Wie ausgeführt, hat sie den Pkw der Beklagten zu 1) vor der Kollision nicht wahrgenommen, sich also vor dem Überqueren des betreffenden Fahrstreifens der Straße "C" nicht ausreichend vergewissert, ob sich bevorrechtigter Verkehr dort von rechts näherte.

bb) Ferner liegt ein schuldhafter Verstoß der Klägerin gegen § 1 Abs. 2 StVO vor. Nach dieser Vorschrift hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Der Unfall beruht maßgeblich auf der unaufmerksamen Fahrweise der Klägerin. Sie hat nicht hinreichend auf die vorfahrtsberechtigte Beklagte zu 1) geachtet. Das ergibt sich schon aus ihrer eigenen Unfallschilderung gegenüber dem Landgericht: Sie habe das Fahrzeug der Beklagten zu 1) vorher nicht gesehen; bevor sie die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr überquert habe, habe sie zunächst nach rechts geschaut und dort kein Fahrzeug gesehen. Das spricht dafür, dass die Klägerin nur vor dem Überqueren des aus dem Kreisverkehr führenden Fahrstreifens nach rechts geblickt hat, nicht aber erneut nach Erreichen der Verkehrsinsel in der Mitte.

c) Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist auf Seiten der Beklagten nach alledem nur die einfache Betriebsgefahr des Pkw der Beklagten zu 1) zu berücksichtigen, während der Klägerin ein schuldhaftes und für den Unfall ursächliches Fehlverhalten (Verstoß gegen § 10 S. 1 und § 1 Abs. 2 StVO) anzulasten ist. In Anbetracht dieses erheblichen Eigenverschuldens der Klägerin ist es zur Überzeugung des Senats gerechtfertigt, die Betriebsgefahr des Pkw vollständig zurücktreten zu lassen (vgl. auch OLG Köln, NZV 1999, 373; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 18 m. w. N.).

Zwar ist hier der von der Klägerin zu beachtende Sorgfaltsmaßstab des § 10 S. 1, 1. Hs. StVO dadurch abgeschwächt, dass an der Querungsstelle für den Radverkehr zur Klarstellung das Zeichen 205 angebracht ist (§ 10 S. 3 StVO) und nach § 39 Abs. 3 StVO a. F. (§ 39 Abs. 2 S. 1 StVO n. F.) Regelungen durch Verkehrszeichen den allgemeinen Verkehrsregeln vorgehen (vgl. die amtliche Begründung zu § 10 S. 3 StVO bei Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 10 StVO Rn. 3b). Auch wenn man deshalb den gegenüber § 10 S. 1 StVO weniger strengen Sorgfaltsmaßstab des § 8 Abs. 2 StVO heranzieht (so König, a. a. O., § 10 StVO Rn. 10), ergibt sich hier keine abweichende Beurteilung. Bei einem sich aus § 8 StVO ergebenden Vorfahrtsverstoß des Radfahrers, der ungeachtet des sich auf der bevorrechtigten Straße nähernden Fahrzeugs die Straße mit seinem Fahrrad überquert hat, ist in der Regel von einer Alleinhaftung des Radfahrers auszugehen, wenn - wie hier - ein Verschulden des Kfz-Fahrers nicht feststellbar ist (OLG Köln, NZV 2008, 100; König, a. a. O., § 8 StVO Rn. 69).

2. Der Feststellungsantrag der Klägerin ist aus den vorstehenden Gründen ebenfalls unbegründet, weil eine Haftung der Beklagten nach § 9 StVG iVm. § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.