Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 11.03.1971 - 4 StR 508/70 - Unzulässiges Öffnen einer Kraftwagentür

BGH v. 11.03.1971: Unzulässiges Öffnen einer Kraftwagentür


Der BGH (Beschluss vom 11.03.1971 - 4 StR 508/70) hat entschieden:
Hat sich der Fahrer eines am rechten Straßenrand haltenden Wagens ohne Öffnen der Tür durch einen Blick von dem Herannahen eines Verkehrsteilnehmers überzeugt, dann darf er die Tür seines Wagens nicht öffnen, ehe nicht der gesichtete Verkehrsteilnehmer vorbeigefahren und gewährleistet ist, dass dieser nicht durch das Öffnen der Tür gefährdet werden kann.


Siehe auch Türöffner-Unfälle und Grundregel des Straßenverkehrs - gegenseitige Rücksichtnahme und Vermeidung von Behinderungen, Gefährdungen, Belästigungen und Schäden


Gründe:

Das Amtsgericht hat dem Betroffenen wegen einer im Straßenverkehr begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 20.– DM auferlegt. Der Betroffene wollte aus seinem zum Parken abgestellten Pkw zur Fahrbahnseite hin in dem Augenblick aussteigen, als ein von hinten herankommender Radfahrer sich etwa in Höhe des Kraftwagenhecks befand, und öffnete zu diesem Zweck die Fahrzeugtür mindestens eine Handbreite. Der Radfahrer blieb mit der rechten Pedale seines Rades an der Tür hängen und stürzte zu Boden. Er zog sich unwesentliche Prellungen zu; sein Fahrrad wurde beschädigt.

In der Hauptverhandlung ließ sich der Betroffene dahin ein, dass er sich vor dem Aussteigen nach hinten vergewissert habe, ob die Straße frei sei. "Er habe den Radfahrer herankommen sehen. Dieser sei, da kein Gegenverkehr geherrscht habe, auf der Straßenmitte gefahren. Er, der Betroffene, habe daher keine Bedenken gehabt, seine Fahrzeugtür vorsorglich schon eine Handbreite zu öffnen".

Der Amtsrichter hat nach Vernehmung des Radfahrers und der Ehefrau des Betroffenen als Zeugen die Einlassung des Betroffenen, "der Radfahrer sei zunächst auf der Straßenmitte gefahren und sei sodann direkt auf sein Fahrzeug zugefahren", für widerlegt erachtet. Er begründet den Schuldvorwurf gegen den Betroffenen damit, dass dieser "beim Öffnen der Fahrertür zur Straßenseite nicht mit der erforderlichen Sorgfalt auf den herankommenden Radfahrer achtete". "Zwar mag eine Mitschuld des Radfahrers dadurch gegeben sein, dass er zu dicht an dem rechts haltenden Fahrzeug vorbeifuhr. Das hätte der Betroffene jedoch rechtzeitig bemerken und seine Fahrzeugtür geschlossen halten müssen."

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, ließ der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG zu. Er entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe, dass das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen, er habe die Wagentür nur eine Handbreite weit geöffnet, nicht für widerlegt erachtet hat, und dass das Urteil nicht die Möglichkeit ausschließt, der Betroffene habe die Tür erst dann weiter öffnen wollen, wenn der Radfahrer an der geringfügig geöffneten Tür vorbeigefahren sein würde. Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm will im Anschluss an das Urteil des 3. Strafsenats desselben Oberlandesgerichts in VRS 30, 215 und die Urteile der Oberlandesgerichte Celle in VRS 23, 140 und Köln in VRS 27, 293 (ebenso schon Kammergericht in VRS 16, 361) die Rechtsansicht vertreten, dass bei modernen Kraftwagen ein auch nur geringfügiges Öffnen der Wagentür zur Vergewisserung über die rückwärtige Verkehrslage vor dem Aussteigen regelmäßig überflüssig und deshalb unzulässig ist, weil solche Kraftwagen mit ihren großen Rundblickscheiben die Beobachtung der rückwärtigen Fahrbahn auch ohne das Öffnen der Seitentür ermöglichen. Vom Boden dieser Auffassung aus will er den äußeren Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 1 StVO, 24 StVG bejahen, jedoch das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht zurückverweisen, weil sich die genannte Rechtsmeinung in der Rechtsprechung und im Schrifttum noch nicht voll durchgesetzt habe und deshalb dem Betroffenen sein Verhalten möglicherweise nicht als schuldhaft vorgeworfen werden könne.

An der von ihm beabsichtigten Entscheidung sieht sich der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm durch das Urteil des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 1956 (VRS 11, 249) gehindert. Durch dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof die Revision des Klägers, welche die Annahme des Berufungsgerichts, ihn treffe ein Mitverschulden an dem Unfall, bekämpft hatte, mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger hätte an dem haltenden Pkw nicht mit einem Seitenabstand von nur 34 cm vorbeifahren dürfen, weil er mit der Möglichkeit hätte rechnen müssen, dass die Tür in Anbetracht beeinträchtigter rückwärtiger Sichtmöglichkeit zum Zwecke der Rückschau ein wenig werde geöffnet werden; da ein solches Verhalten des Fahrers des haltenden Kraftwagens nicht verkehrswidrig gewesen wäre, stehe der Vertrauensgrundsatz dem Kläger nicht zur Seite. Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat deshalb die Sache gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Die Vorlegung ist zulässig. Im Vorlegungsbeschluss wird in Anlehnung an das Vorbringen der Rechtsbeschwerde die Auffassung vertreten, dass das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen, die Wagentür nur eine Handbreite weit geöffnet zu haben, nicht für widerlegt erachtet hat. Mit der weiteren Ausführung des Amtsgerichts, dass der Betroffene seine Wagentür schon deshalb geschlossen hätte halten müssen, weil er nach seiner eigenen Einlassung den herankommenden Radfahrer bemerkt hatte und deshalb dessen geringen Seitenabstand ebenfalls hätte wahrnehmen müssen, setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. Daraus kann entnommen werden, dass es diesem Umstand keine für die Entscheidung der Beschwerde maßgebliche Bedeutung beimisst. Da diese Ansicht des Oberlandesgerichts der Prüfung der Vorlegungsvoraussetzungen zugrundezulegen ist, scheidet eine Rückgabe der Sache aus (BGHSt 19, 242), obwohl der Senat in diesem Punkt, wie noch darzulegen sein wird, anderer Auffassung ist und die Rechtsbeschwerde schon deshalb für unbegründet hält.

Von seinem Standpunkt aus ist die Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm, dass es mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung von den Urteilen des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 1956 und 23. September 1960 (VRS 11, 249; 19, 404) oder den Erkenntnissen anderer oberer Gerichte (z. B. des Bayerischen Obersten Landesgerichts in VRS 38, 216) abweichen würde, rechtlich vertretbar.

Der Senat macht jedoch von der Möglichkeit Gebrauch, selbständig in der Sache zu entscheiden, weil besondere im festgestellten Sachverhalt liegende Umstände dies als zweckmäßig erscheinen lassen (BGH in LM Nr. 3 zu § 121 GVG und in JZ 1952, 149 mit weiteren Hinweisen).

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen "öffnete der Betroffene die linke Fahrzeugtür, um auszusteigen". Nach seiner Einlassung hatte er den Radfahrer herankommen sehen; da dieser aber auf der Straßenmitte gefahren sei, habe er keine Bedenken gehabt, seine Fahrzeugtür vorsorglich schon eine Handbreite zu öffnen. Mit Ausnahme des Teils der Einlassung, die die Fahrweise des Radfahrers zum Gegenstand hat, geht das Urteil von ihrer Richtigkeit aus, wie sich zweifelsfrei den Urteilsgründen entnehmen lässt. Durch die Aussage des Radfahrers hält der Amtsrichter nur für widerlegt, dass dieser zunächst in der Straßenmitte gefahren und dann direkt auf das Fahrzeug des Betroffenen zugefahren sei. Dass der Betroffene aber den Radfahrer bereits vor dem Öffnen der Tür bemerkt und diese nur eine Handbreite geöffnet hat, wird nicht in Zweifel gezogen. Sonst wäre hier auch das Verhalten des Betroffenen, die Tür zum Zwecke des Aussteigens zunächst nur geringfügig zu öffnen, nicht zu erklären.

Der Schuldvorwurf gründet sich folgerichtig allein darauf, dass der Betroffene "beim Öffnen der Fahrertür zur Straßenseite nicht mit der erforderlichen Sorgfalt auf den herankommenden Radfahrer achtete", den er zuvor schon bemerkt hatte. Gegen diese Rechtsauffassung bestehen keine Bedenken. Hat sich der Fahrer eines am rechten Straßenrand haltenden Wagens ohne Öffnen der Tür durch einen Blick von dem Herannahen eines Verkehrsteilnehmers überzeugt, der hier "dicht an dem rechts haltenden Wagen vorbeifuhr", dann darf er die Tür seines Wagens nicht öffnen, ehe nicht der gesichtete Verkehrsteilnehmer vorbeigefahren und gewährleistet ist, dass dieser nicht durch das Öffnen der Tür gefährdet werden kann. Nur so genügt er seiner Verpflichtung aus § 1 StVO, keinen Verkehrsteilnehmer mehr als nach den Umständen unvermeidbar zu behindern.

Auf die unterschiedlichen Auffassungen, die zu der Frage vertreten werden, ob und in welchem Umfang der zur Fahrbahn hin aussteigende Fahrzeuginsasse berechtigt ist, die Wagentür zu öffnen, um sich über die Verkehrslage auf der Straße Gewissheit zu verschaffen, kommt es daher nicht an. Der Senat hat deshalb keinen Anlass, zu dieser Frage abschließend Stellung zu nehmen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die seit 1. März 1971 geltende Bestimmung des § 14 StVO n. F. nunmehr verschärfte Anforderungen an das Ein- und Aussteigen stellt. Der Senat neigt dazu, die Vorlegungsfrage anhand dieser Bestimmung für die Zeit ab 1. März 1971 im Sinne des vorlegenden Oberlandesgerichts zu beantworten.

Da das angegriffene Urteil somit nicht zu beanstanden ist, insbesondere auch die Erwägungen des Amtsgerichts zur Höhe der Geldbuße ein Mitverschulden des Radfahrers berücksichtigen, war die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, im Sinne des vorlegenden Oberlandesgerichts zu entscheiden.